A. Luther: Studien zu den Bucolica Vergils

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Titel
Historische Studien zu den Bucolica Vergils.


Autor(en)
Luther, Andreas
Reihe
Sitzungsberichte der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse 698
Anzahl Seiten
111 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Irene Huber, Institut für Alte Geschichte und Altorientalistik, Leopold-Franzens-Universität Innsbruck

Vor über siebzig Jahren bezeichnete Ulrich von Wilamowitz-Moellendorff anlässlich des zweitausendsten Geburtstags des Dichters die vierte Ecloge als Irrgarten, in den der "Schalk" Vergil seine Leser absichtlich führe.1 Tatsächlich warfen gerade die Bucolica seit ihrem Entstehen zahlreiche Fragen bei ihren Interpreten auf. Bereits Zeugnisse aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert zeigen das Ringen antiker Gelehrter, Vergils kunstvoll verschwommener Ausdrucksweise Sinn zu verleihen. Dabei gingen diese zumeist allegorisierend oder biografistisch vor, sie zogen aus bestimmten Aussagen des Dichters Rückschlüsse auf dessen eigenes Schicksal oder deuteten alle auftretenden Figuren als politische Persönlichkeiten, Freunde oder Verwandte aus dem Umfeld Vergils.2 Wenngleich dies nun zu offensichtlichen Paradoxa führte, vermochte selbst die moderne Altertumswissenschaft, den verbliebenen Ungereimtheiten trotz aller Fortschritte nicht viel entgegen zu setzen. Es ist vielmehr ein gewisses Verharren in alten Schemata zu beobachten. So manch unlogische Angabe der Eclogen harrt daher noch der Auslegung.

Die hier zu rezensierende Studie fügt sich in eine Reihe jüngerer Arbeiten zu Vergil ein, die sein Œuvre aus unterschiedlichem methodischen Blickwinkel, sei er historisch oder literaturtheoretisch, betrachten.3 Nicht zuletzt wegen ihrer inhärenten Schwierigkeiten wurde den Eclogen dabei weniger Beachtung zuteil.4 Das vorgelegte Buch von Andreas Luther verbindet nun ursprünglich als Einzelstudien gedachte Aufsätze der letzten Jahre zu einem Ganzen. Sein angestrebtes Ziel ist es, einen althistorischen "Diskussionsbeitrag" (S. 6) zur Frage nach den historischen Rahmenbedingungen für die Entstehung der frühen augusteischen Dichtung und zugleich zum Verhältnis zwischen Vergil und Octavian zu liefern. Dies alles geschieht unter der Annahme, die Bucolica seien ein Auftragswerk des Augustus, wie es die achte Ecloge nahelegt.5

Der Aufbau des Buches gestaltet sich folgendermaßen: Einer kurzen Einleitung (S. 7-10), in der die traditionellen Datierungsvorschläge innerhalb der Vergilforschung vorgestellt und die chronologischen Anhaltspunkte in den Bucolica rekapituliert werden, folgen vier Hauptkapitel, in denen Luther anhand mehrerer Eclogen seine Argumentationsbasis für ein Publikationsdatum in den frühen zwanziger Jahren des ersten Jahrhunderts v.Chr. darlegt. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis (S. 85-103) sowie ein Stellen- und Personenregister (S. 103-111) beschließen das Werk. Methodisch geht er von den "datierten Stücken"6 aus, die laut communis opinio entweder als Teil des Gesamtwerkes Anfang der dreißiger Jahre 7 beziehungsweise in einer erweiterten Zweitauflage nach dem Tod des Gallus ediert worden sind.8 Luther will die Frage nach der Entstehungszeit der Bucolica schärfer zu fassen versuchen, um vor diesem Hintergrund eine Beurteilung der Stellung Octavians und der damit verbundenen Principatsideologie vornehmen zu können.

Der Autor beginnt mit der vierten Ecloge, deren Inhalt in der altertumswissenschaftlichen Forschung wohl für das meiste Aufsehen sorgte, wird darin doch die Geburt eines göttlichen Kindes und eine damit einhergehende Heilszeit prophezeit. Unter dem Titel "Tuus iam regnat Apollo (zur vierten Ecloge)" (S.11-33) stellt Luther erst die inhaltlichen Probleme der Ecloge dar, konkret, wer mit dem puer (4,8) gemeint sein könnte, wie die eigenartige Darstellung der Saturnia regna (4,6ff.) zu verstehen ist und warum diese gerade im Consulatsjahr des Pollio (4,11-12) beginnen sollte. Überzeugend kann er nachweisen, dass es sich bei dem Knaben um Octavian handeln muss, da eine eng angelehnte Passage im sechsten Buch der Aeneis (6,788-95) deutlich auf den Imperator anspielt. Ähnliches ließe sich nebenbei auch für die von Luther wenig berücksichtigte fünfte Ecloge zeigen: Die dortigen Verse 78 und 80, in denen es um Gelübde für den verstorbenen Daphnis geht, die jener erhören wird, werden im ersten Buch der Aeneis an Stellen wörtlich wiederholt,9 die sich eindeutig an den Augustus richten und ebenfalls eine Friedenszeit verkünden. Somit dürfte auch in diesem Fall eine bewusste Assoziation mit der Figur des zu den Sternen gehobenen Daphnis hergestellt worden sein.

Wichtig erscheint zudem Luthers Hinweis auf die Bedeutung des Gottes Apollon für Octavian. Seit Ende der vierziger Jahre wurde diese auch propagandistisch in Form von Münzbildern, postulierter Abkunft von dem Gott und später im Bildprogramm des Apollon-Tempels auf dem Palatin nach außen getragen. Die starke Bezugnahme Vergils auf Octavian als Heilsbringer lässt sich mit der traditionellen Datierung zwischen 41 und 38 v.Chr. jedoch nur schwer verbinden. Dem antiken Lesepublikum muss bewusst gewesen sein, dass eine unmittelbar bevorstehende Zeit des Friedens noch nicht absehbar und der Widmungsträger Pollio Ende der vierziger Jahre noch Antonianer war. Luther plädiert wegen der sowohl in der Baukunst als auch in Literatur und Propaganda erscheinenden Verbindung Apollon - Diana - Sibylle statt dessen dafür, das Entstehungsdatum der vierten Ecloge auf den Herbst 28 v.Chr., den Zeitpunkt der Weihung des Apollon-Tempels festzusetzen. Die Anspielungen auf Geschehnisse der vierziger und dreißiger Jahre sieht er als absichtliches Verwirrspiel des vates Vergil, um bei seinen Lesern den Eindruck zu erwecken, er habe tatsächlich in jenen Jahren gedichtet; Jahren, in denen sein Auftraggeber Octavian in Wirklichkeit weniger als Erlöser denn als brutaler Triumvir in Erscheinung trat. Somit wäre die Ecloge als nachträgliche Konstruktion (vaticinium ex eventu) mit der Absicht der Legitimation der Alleinherrschaft zu verstehen. Diese sei für die Öffentlichkeit leichter zu akzeptieren gewesen, wenn sie als vorherbestimmt erschien.

Ein kurzer Exkurs (S. 28-33) diskutiert das Verhältnis der vierten Ecloge zur 16. Epode des Horaz. In zum Teil wörtlichen Übereinstimmungen stellt Horaz dort einen paradiesischen Zustand irdischen Daseins vor, der den Bürgern Roms Fluchtpunkt vor dem unausweichlichen Untergang der Stadt sein soll. Wie in den Eclogen finden sich auch hier deutliche Reflexe der negativen Situation der Bürgerkriegszeit. Aufgrund anderer literarischer Anspielungen dachte man an eine Publikation des Epodenbuchs nach der Schlacht von Actium. Folglich hätte Horaz in der 16. Epode inhaltlich auf die vermeintlich zu Beginn der dreißiger Jahre publizierte vierte Ecloge Bezug genommen. Mit Luthers neuem Ansatz wird diese These jedoch obsolet. Da sich laut Luther die Frage der Priorität der beiden Gedichtsammlungen anhand philologischer Kriterien nicht entscheiden lässt, bleibt als terminus post quem der Publikation beider nur die Schlacht von Actium. Wichtiger scheint ihm aber, dass beide Werke etwa gleichzeitig "für den im Aufbau begriffenen Principat ... werben" (S. 33) und aus der Perspektive der Bürgerkriegszeit auf die Segnungen des neuen saeculum weisen.

"Die otia des Hirten Tityrus (zur ersten und neunten Ecloge)" (S. 35 - 56), so der Titel des zweiten Hauptteils, behandeln jene zwei Eclogen, in denen die Konfiskationen und Landverteilungen nach den Bürgerkriegen thematisiert werden. Als direkte (persönlich motivierte) Reaktion Vergils auf diese Ereignisse gedeutet, wurden sie in der modernen Forschung daher in die Jahre 42/41 v.Chr. datiert. Der Autor widmet sich erst einer genaueren Analyse des zeitgenössischen außer-vergilischen Materials zu den Ereignissen nach Brundisium, bevor er auf die inhaltlichen Schwierigkeiten eingeht, die sich um die Identität des ungenannten Gottes und dessen Gewährung von Freiheit und Land drehen. In dem Wohltäter der ersten Ecloge sieht er Octavian, der nach dem Tod Caesars den Titel divi filius annahm und von Vergil auch in den Georgica (1,500f.) als iuvenis bezeichnet wird. Damit ergäbe sich jedoch die eigenartige Situation, dass Ende der vierziger Jahre des ersten Jahrhunderts v.Chr. - der allgemein postulierten Entstehungszeit - jene Person als Gott gefeiert wurde, die der italischen Landbevölkerung ein Leben in otium schwer machte oder es durch Enteignungen sogar gänzlich vernichtete.

Aufgrund interner Kriterien wie der Betonung des libertas-Motivs und ähnlichem, worauf an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann, grenzt Luther die Entstehung der beiden Eclogen um das Jahr 27 v.Chr. ein. Auch hier kann er zeigen, dass eine Spätdatierung plausibel ist bzw. eine Interpretation erleichtert. Unter der Voraussetzung, die Bucolica seien eine Auftragsdichtung Octavians, macht es mehr Sinn, Ecloge eins und neun in einer Zeit anzusetzen, da die Wirren und Greuel der vierziger und frühen dreißiger Jahre wenn schon nicht vergessen, so doch wenigstens durch positive Taten des Augustus gemindert worden waren. Erst nach Actium konnte sich Octavian solche für ihn rufschädigenden Töne leisten, war doch nun erst seine Position im Reich gefestigt. Vergils zum Teil recht kritische Anspielungen auf Leid und Not der von Konfiskationen Betroffenen sind für Luther daher nur als Teil des literarischen Auftrages von Seiten des Augustus verständlich. Dass dabei in Ecloge neun das Gebiet von Mantua genannt wird (9,27f.), mag biografische Gründe haben; bedeutender ist aber Luthers Verweis auf Arbeiten, die belegen, dass gerade dort um 40 v.Chr. Antonianer angesiedelt waren. Somit bekommen die otia, die der ungenannte iuvenis deus der ersten Ecloge dem Tityrus gewährt, einen neuen Sinn: Sie sind Lohn für jene, die sich der "richtigen" Seite anschließen. Erneut vermag der Autor die Verbindung zwischen Anspielungen auf vergangene Ereignisse und zeitgenössischem Geschehen aufzuzeigen. Luther sieht in den zwei Konfiskations-Eclogen wohl zu Recht die gezielte ideologische Aufarbeitung der "dunklen" Vergangenheit Octavians, die in Verbindung mit der prognostizierten Heilszeit der vierten Ecloge die positiven Aspekte der Alleinherrschaft der zwanziger Jahre überwiegen lässt.

"Aethiopische Schafe in Vergils zehnter Ecloge" (S. 57 - 65) stellen den dritten Angelpunkt in Luthers Publikationsthese dar. Thema der Ecloge ist die unerfüllte Liebe des Dichters Gallus zu Lycoris. Dieser war als erster römischer Präfekt Ägyptens wegen respektloser Äußerungen bei Octavian in Ungnade gefallen und einem drohenden Gerichtsurteil um 26 v.Chr. durch Selbstmord entgangen. Gemeinhin wurde das Lob Vergils auf seinen Freund deshalb bald nach dessen Tod datiert, was aber einem Vorwurf an Augustus gleich gekommen wäre. Überdies weist Luther darauf hin, dass kein Indiz dafür spricht, dass der Dichter zur Abfassungszeit der laudes auf ihn bereits tot war. Unser Autor findet indes eine Zuweisung in die Jahre zwischen 29 und 27 v.Chr. plausibler. Die Nennung der aethiopischen Schafe als Metaphern für Gallus' erfolgreiche Feldzüge in der Thebais und in Aethiopien veranlasst ihn dazu, in der Ecloge eine Anspielung auf Gallus' "fulminanten Beginn seiner politischen Aktivitäten als Präfekt" (S. 64) zu sehen, der sich nun nicht mehr um seine Liebesgedichte kümmern konnte und daher um Lycoris als personifizierter Dichtung trauert.

Das Verhältnis der Eclogen zum Frühwerk des Dichters sowie mögliche chronologische Schwierigkeiten einer Spätdatierung derselben mit der Publikation der Georgica versucht das Kapitel "Vergils frühe Dichtung" (S. 67 - 83) zu entkräften. Luther gesteht ein, dass ihn sein Ansatz in Verlegenheit im Hinblick auf die angenommene Fertigstellung der Georgica um 30 bringt. Als sicherer terminus ante quem für deren Veröffentlichung gilt aufgrund einer Erwähnung des zweiten Buches bei Horaz (carm. 1,24,13ff.) das Jahr 23 v.Chr. Das Zitat der Anfangsverse der ersten Ecloge in den Georgica (5,563ff.) würde zudem nahe legen, dass die Bucolica bereits zuvor veröffentlicht waren, das heißt, man würde die Endredaktion des landwirtschaftlichen Lehrgedichtes mit Luther zwischen 27 und 23 v.Chr. anzusetzen haben. Anhand interner Andeutungen auf zeitgenössische Erfolge Octavians als victor am Euphrat und in Germanien sowie durch die Verbindung mit historiographischen und archäologischen Informationen kann er die Publikation um das Jahr 25 v.Chr. eingrenzen, wodurch die Georgica tatsächlich später als die Bucolica entstanden wären. Dass Vergil bereits zuvor ein bekannter Dichter gewesen sein muss, da er Horaz in den Maecenas-Kreis einführte, wie dieser im Satirenbuch (1,6,54f.) behauptet, stört Luther wenig. Er kann sich vorstellen, dass Horaz mit den rure Camenae (Sat. 1,10,42ff.) entweder heute verlorene Jugendwerke des Dichters oder aber jene kleinen landwirtschaftlichen Gedichte der Appendix Vergiliana gemeint haben könnte, deren Zuweisung an Vergil aber wie im Falle des Culex heftig umstritten ist. Als weitere Möglichkeit sei in Betracht zu ziehen, dass sich Horaz auf unpublizierte Einzelstücke der Bucolica bezogen habe, die bereits vor 30 v.Chr. im Dichterkreis kursierten. Sicher ist für ihn lediglich, dass Horaz kein "Kronzeuge für eine Publikation der Bucolica (in ihrer heute erhaltenen Fassung) in den dreißiger Jahren" sein kann (S. 78).

Luthers Werk bietet einen neuen Ansatzpunkt in der Publikationsfrage der Bucolica und damit genügend Anstoß, alte Meinungen zu überdenken. Großteils ist seine Argumentationsführung aufgrund der Fülle an herangezogenen Primärquellen kaum widerlegbar. Dabei zeichnet er sich nicht nur als scharfsinniger Interpret literarischer Quellen, sondern vor allem auch als hervorragender Kenner numismatischen und epigraphischen Materials aus. Somit erlaubt er uns wertvolle neue Einblicke in das zeitgenössische Umfeld der Eclogen. Es gelingt ihm, schlüssige Verbindungen zwischen den verschleierten Anspielungen und Metaphern der Eclogen und dem gegenwärtigen politischen Geschehen herzustellen. Luthers klarer Schreibstil, ohne verschachtelte Sätze, macht die Lektüre sehr angenehm und erleichtert ein Verständnis seiner oft komplexen Beweisführung. Zudem stören auch keine Druckfehler das Gesamtbild. Lediglich die Wiederholung des Inhalts der Fußnote 10 von Seite 7 über eine mögliche Zweitauflage der Eclogen auf Seite 80 (Anm. 44) wäre vermeidbar gewesen.

Zwei kleinere Kritikpunkte seien dennoch erlaubt. An manchen Stellen des Werkes läuft der Autor Gefahr, einem forcierten Dogmatismus zu unterliegen: So versucht er m.E. zu viele Belege für seine Interpretation der Bucolica als Auftragswerk zu liefern, obwohl man als Leser bereits durchaus von der Richtigkeit seiner Argumentation überzeugt ist. Dies ist etwa dann der Fall, wenn er beispielsweise geografische Metaphern (in zumeist imaginärer Landschaft) als Datierungskriterien heranzieht. Man sollte hier den Aspekt des Kunst-Werkes nicht gänzlich vernachlässigen: Die punischen Löwen der fünften Ecloge (5,27), jene Gebiete, die die Vertriebenen der ersten Ecloge aufsuchen (Afrika, Skythien, Oaxes, vgl.1,64ff.), und dergleichen gehören natürlich nicht in eine bukolische Welt, ob damit jedoch ein konkreter Bezug auf außenpolitische Erfolge Octavians hergestellt wird, bleibt fraglich. Vergil gelang es vorzüglich, seine Figuren und Orte assoziativ aufzuladen, er war Meister semantischer Polivalenz. Der puer der vierten Ecloge ist nicht notwendigerweise Augustus, ebenso wenig wie der Daphnis der fünften Ecloge eine Allegorie auf Caesar ist. Es scheint vielmehr so, dass Vergil mit dem Wissen seiner Leser spielte und mit seiner absichtlich unscharfen Darstellung bewusst bestimmte Assoziationen hervorrufen wollte, ohne sich selbst zu stark zu positionieren.

Eine zweite Schwachstelle liegt in der Zusammenfassung am Ende des Werkes, die m.E. zu versöhnlich ausgefallen ist. Luther scheut sich im Rest des Buches nicht, neue Thesen aufzustellen und alte zu demontieren, will aber plötzlich eine Zweitauflage der zwanziger Jahre nicht ganz ausschließen und kann sich vorstellen, dass Octavian bereits in den dreißiger Jahren den Auftrag für die Bucolica gab. Eine pointiertere Ausdrucksweise, die noch einmal ganz klar Luthers Standpunkte darlegt, wäre hier sicherlich kein Fehler gewesen.

Jene Leser, die wie die Rezensentin von den althergebrachten Traditionen der Vergilforschung unbelastet sind, wird dieses Buch überzeugen können. Anders wird es sich wohl bei jener Gruppe der "Belasteten" verhalten, die wegen des postulierten späten Publikationsdatums der Eclogen die berechtigten Fragen aufwerfen dürfte, mit welchen anderen Werken der Dichter Aufnahme in den Maecenas-Kreis gefunden hätte, wenn nicht mit den Bucolica, und wie Vergil in einer so kurzen Zeitspanne zudem noch ein landwirtschaftliches Lehrgedicht und ein Großepos schaffen konnte. Luther kann nicht für alle verbleibenden offenen Fragen endgültige Lösungen bieten. Dies ist auch nicht seine Absicht. Indes ist es ihm mit seiner Studie recht eindrucksvoll gelungen, einen möglichen Ausweg aus dem Irrgarten aufzuzeigen. Man darf auf seine weiteren Arbeiten gespannt sein.

Anmerkungen:
1 Wilamowitz-Moellendorff, U. v., Vergilius. Zu seinem 2000. Geburtstage, in: Deutsche Rundschau 225 (1930), S. 12-22, Zitat S. 14.
2 Diese Art der Interpretation nahm mit den Jahrhunderten zu, man denke an den Kommentar des Servius aus dem vierten Jahrhundert. Als Vertreter für das erste Jahrhundert wären Q. Remmius Palaemon, Quintilian und Sueton zu nennen.
3 Eine jüngst publizierte Dissertation des Innsbrucker Altphilologen Wolfgang Kofler beschäftigt sich mit der Aeneis unter poetologischem Gesichtspunkt und kommt dabei zu recht interessanten Ergebnissen, vgl. Kofler, W., Aeneas und Vergil. Untersuchungen zur poetologischen Dimension der Aeneis (Bibliothek der klassischen Altertumswissenschaft, Neue Folge 2/111), Heidelberg 2003; zur Aeneis vgl. auch: Suerbaum, W., Vergils Aeneis. Epos zwischen Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1999; poetologisch der Schwerpunkt von: Lee, M. O., Virgil as Orpheus. A Study of the Georgics, New York 1996.
4 Neuere Aufsätze zu verschiedenen Eclogen stammen u.a. von J. Van Sickle oder A. Coppola, vgl. auch die Webseite http://www.virgil.org/ zu neuer einschlägiger Literatur.
5 Vgl. Ecl. 8,11-12: iussis carmina coepta tuis - nach Luther an Octavian gerichtet.
6 Aufgrund der in ihnen genannten historischen Persönlichkeiten oder Ereignisse wurden Ecloge 1 und 9 zwischen 42-40 v.Chr. (Konfiskationen nach den Bürgerkriegen), die 4. Ecloge um 40 v.Chr. (Consulat des Pollio) und die 10. Ecloge nach 27 v.Chr. (Tod des Gallus) datiert.
7 Zum Jahr 39 v.Chr. als terminus post quem der Veröffentlichung vgl. u.a. Rieks, R., Vergils Dichtung als Zeugnis und Deutung der römischen Geschichte, in: Aufstieg und Niedergang der Römischen Welt II 31.2 (1981), S. 728-868, bes. 763; Seng, H., Vergils Eklogenbuch (Spudasmata 72), Hildesheim 1999, bes.107f.
8 Mit einer Zweitauflage rechneten z.B. Schaper, C., Ueber die Entstehungszeit der Vergilischen Eclogen, in: Jahnsche Jahrbücher für Philologie und Paedagogik 89 (1864), S. 633-657; S. 768-794, bes. S. 794 oder Coleman, R., Vergil. Eclogues, Cambridge 1977, bes. S. 14ff.
9 Vgl. Aen. 1,290 (entspricht Ecl. 5,78): Schicksalsspruch des Iupiter über die künftige Apotheose des Augustus; Aen. 1,609 (entspricht Ecl. 5,80): Dankrede des Aeneas an Dido.

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