J. Dimmick u.a. (Hgg.): Images, Idolatry and Iconoclasm

Cover
Titel
Images, Idolatry, and Iconoclasm in Late Medieval England. Textuality and the Visual Image


Herausgeber
Dimmick, Jeremy; Simpson, James; Zeeman, Nicolette
Erschienen
Anzahl Seiten
X, 250 S.
Preis
$70.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norbert Schnitzler, Historisches Seminar, Universität Basel

Der Titel des Bandes liest sich ein wenig wie der Schlagworteintrag in einem Meta-Katalog: Irgendwie ist für jede Suchanfrage etwas dabei. Dass wissenschaftliche Verlage immer mit einem Auge auf die Algorithmen von GOOGLE oder YAHOO schielen, ist verständlich, ärgerlich wird es, wenn auch ein Klappentext die Erwartungshaltung des Lesers in eine falsche Richtung lenkt: „This book capitalizes on brilliant recent work on sixteenth-century iconoclasm to extend the study [...] into an earlier period and wider discursive territories“. Um es gleich vorwegzunehmen: Leser, die sich für die theologische Bilderkontroverse und die mittelalterliche Vorgeschichte des reformatorischen Bilderstreits interessieren, Näheres über die Rolle bilderkritischer Theologen an den Universitäten Oxford und Cambridge zu erfahren wünschen oder gar nach konkreten Praktiken und Motivationslagen mittelalterlicher „Bilderstürmer“ fragen, erfahren wenig – Neues schon gar nicht. Freilich wäre es unredlich, dies den Autoren – mit Ausnahme eines Kunsthistorikers allesamt Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler – anzulasten, deren Beiträge (11 + Einleitung und Nachwort) aus Anlass einer Konferenz am King´s College in Cambridge im Jahr 1999 zu Papier gebracht wurden.

Zusammengenommen ergeben die Beiträge eine durchaus lesenswerte und interessante Mischung aus einerseits weit gespannten Perspektiven, die etwa historiographische Strategien in der englischsprachigen Literatur des 16. bzw. 18. Jahrhunderts bei der Darstellung des kulturellen Umbruchs zur Neuzeit in den Blick nehmen (Simpson) oder die für die okzidentale Kultur spezifische Dialektik von Idolatrie und Ikonoklasmus auf die alttestamentliche Urszene am Berg Sinai (Empfang der Gesetzestafeln und Sturz des Goldenen Kalbes) zurückzuführen beabsichtigen (Fradenburg). Einen Kontrast hierzu bilden mehrere, eher auf einzelne spätmittelalterliche Autoren konzentrierte Untersuchungen, so zu William Langland (Aers, Hannah), Geoffrey Chaucer (Zeeman), Walter Hilton (Watson), Henry Knighton (Stanbury) oder Guillaume Deguileville (Camille). Den Verfassern geht es in erster Linie darum zu zeigen, wie das „Gespenst“ 1 des Götzendienstes als Hervorbringung der Sprache entsteht (und von den Zeitgenossen auch als solche begriffen wird), dann aber auch um die Macht der Rhetorik, speziell: den Ikonoklasmus als Metapher der Gewalt. Genau besehen bleiben von der eingangs angesprochenen Assoziationskette der Meta-Begriffe freilich die wichtigsten Glieder ungenannt: „Medieval Imagination“ (Simpson) und „Idols of the Mind“ (Camille).

Obschon seit dem 14. Jahrhundert von wachsender Bedeutung, wird die scholastische Imaginationslehre im Rahmen der Diskussion über Ursachen und Erscheinungsformen magisch-idolatrischer Reliquien- oder Bilderverehrung erst seit Mitte des 15. Jahrhunderts tatsächlich greifbar. Bernardin von Siena (gestorben 1444) etwa, kam in seiner Predigt De idolatriae cultu noch völlig ohne Imaginationsmodell aus: gewöhnlich werde damit jegliche Form der Kreaturvergötterung bezeichnet. Bernardins etymologische Erläuterung – idolatria ~ idolorum latria – hebt zwar die besondere, visuell stimulierte Form der Anbetung in Gestalt eines Abbildes (simulachrum) hervor, doch veranlasste ihn dies erstaunlicher Weise nicht zur Einführung eines Imaginationsmodells. Sieben Beiträge des vorliegenden Sammelbandes beschäftigen sich mit dem Begriff des Idols bzw. der Idolatrie; sie wollen zeigen, dass „Götzen“, d.h. wirkmächtige Dinge, Bücher oder auch besonders qualifizierte Personen unterschiedslos als Idole in Erscheinung treten konnten und lenken damit den Blick auf Bereiche, die in der bisherigen Diskussion häufig nur am Rande Erwähnung fanden.

Nicolette Zeeman zeichnet an ausgewählten Texten Geoffrey Chaucers, Jean de Meuns sowie Alain de Lilles nach, dass die paradigmatische Figur des mittelalterlichen Götzenbildes, das antike Säulenstandbild, die eigentlichen Befürchtungen der Theologen und die Hauptquelle ihrer Beunruhigung weitgehend ausgeblendet hat: die schriftliche, insbesondere die poetische Hinterlassenschaft der Antike. „The figure of the Idol – the god, the mythological person, the naked body, or simply the concrete artefact – articulates the anxieties of a highly archival culture about its own textual inheritances, especially the non-Christian ones.“ (S. 46) In diesem Sinne sprach beispielsweise Alain de Lille den Texten der kirchlichen Überlieferung einen durchaus prekären Status zu. Der Franzose bediente sich eines, in der Folge noch oft bemühten, antiken Bonmots um vor den Gefahren einer fehlgeleiteten Exegese zu warnen: Auctoritas cereum nasum habet – Wahrheit hat viele Gesichter.

Idolatrieverdächtig erschien anderen, der Theologie John Wyclifs nahe stehenden Verfassern volkssprachiger Werke auch die offizielle Lehrmeinung zur Realpräsenz Christi in der Eucharistie. Eine entsprechende Position glaubt David Aers in William Langlands „Vision of Piers Plowman“ (Fassung C, um 1390) ausgemacht zu haben. Langland vertrete eine konsequent-spirituelle Auffassung, die durch drei Aspekte zu kennzeichnen sei: Sein Eucharistieverständnis leite er nicht aus dem apostolischen Abendmahl sondern aus Christi Abstieg in die Hölle ab, wo er Adam und Eva erlöste, indem er ihnen von seinem Blut zu trinken gab (S. 68). Das Altarsakrament als „Speise“, die allen Gläubigen gewährt wird, werde ebenfalls rein spirituell interpretiert, denn nur dann sei sie, Langland zufolge, in hinreichender Fülle vorhanden und in gleicher Weise von allen zu genießen. Wie bereits Wyclif vor ihm verlagere Langland schließlich die Frage nach der Wirkursache auf den glaubenstreuen Empfang der eucharistischen Gnadengabe (S. 66).

Dass auch die imago weltlicher Herrscher in Verdacht stand, aus legitimen Formen der Herrscherapologetik und Herrschaftslegitimation in irreguläre Verehrung und Anbetung der Person abzugleiten, zeigt Wendy Scase in ihrer Analyse eines Adventus-Zeremoniells nach einem Bericht der „Historie of the Arrivall of Edward IV“. Der Text sei nicht als Augenzeugenbericht zu lesen, sondern funktioniere selbst als Bedeutung schaffendes Element im Rahmen der Selbstinszenierung Edwards wie sie insbesondere an einer Passage zu zeigen sucht, die von einem Bildmirakel in Gegenwart des Königs berichtet. Dem Bemühen um Stärkung der eigenen Legitimität durch Sakralisierung, d.h. unmittelbare Teilhabe am mirakulösen Geschehen, entsprach auf der anderen Seite, die Entfernung einer Statue seines Vorgängers und Thronkonkurrenten, Heinrich VI. wegen angeblicher götzendienerischer Verehrung von Seiten der Bevölkerung (S. 183).

In dem Maße, wie der Idolatrie-Vorwurf seit dem 14. Jahrhundert nicht mehr allein gegen Nicht-Christen erhoben wurde, sondern zunehmend auch gegen häretische Abweichler, sowie in der Folge auch gegen den rudus populus, wuchs der Stellenwert devianter Anbetungs- und Verehrungspraktiken im kirchlichen Lasterkatalog, entwickelte sich eine eigenständige Ikonographie für die Sünde der Idolatrie. Dass die mittelalterliche Bildüberlieferung reichhaltiges Material bereit hält, in welchem der Götzendienst als Reaktion auf visuelle Reize, als Augensünde schlechthin aufgefasst wird, hat Michael Camille in seiner bahnbrechenden Studie „The Gothic Idol“ (1989) mit einer Fülle von Belegen herausgearbeitet. Sein Beitrag im vorliegenden Band, der einmal mehr das faszinierende Material der Handschriften von Deguilvilles „Pelerinage de la vie humaine“ (ca. 1330) umkreist, skizziert wesentliche Aspekte der Idolatrieproblematik, wie sie sich den Zeitgenossen darstellte: den prekären Status dreidimensionaler Bildnisse, die besondere Anfälligkeit von Frauen für das Übel, schließlich aber auch den spezifisch asymmetrischen Charakter jener Beziehung, die den „Götzendiener“ mit seinem Gegenüber verbindet und die im begehrlichen Blick auf das Bild (concupiscentia oculorum) ihren Ausdruck findet. In der irrtümlichen Verwechslung von Bild und Person wurzelte die Ursache für den fehlgeleiteten abusus der Bilder, freilich nicht allein für Idolatrie, sondern, das wussten schon damalige Beobachter, gleichermaßen für ihre Kehrseite, den Ikonoklasmus. Dass die merkwürdige Doppelrolle, in der der „Götzenanbeter/–stürmer“ in den Bildsequenzen der Deguileville-Handschriften erscheint, von dem Illustrator einer englischen Abschrift (um 1430) nachdrücklich hervorgehoben wurde, hat Camille wohl zu recht mit der in England vehement diskutierten Bilderproblematik in Zusammenhang gebracht.

Die im Zuge der reformatorischen Konflikte zu Beginn des 16. Jahrhunderts wieder verschärfte polemische Konfrontation von Bild und Buch, „a general reordering of the cultural practice of religion“ (S. 186) – wie Brian Cummings meint – hat sowohl die magisch-idolatrischen Schattenseiten der Schriftkultur als auch die vertrackte Liaison von Bilderhass und Bilderglaube in den Hintergrund treten lassen. Das Visuelle erschien grundsätzlich verdächtig, sofern es sich nicht auf eine rein didaktische Funktion beschränken ließ: „The significance of the image therefore lies only in its signification“ (S. 190). Deutlicher konnte die Forderung, lesbare Bilder zu schaffen, nicht sein: Flankiert von königlichen Verordnungen und Visitationsvorschriften wurden während der Regierungsjahre Edwards VI. zahlreiche Außenflügel von kirchlichen Altarbildern oder auch die dem Kirchenschiff zugewandten Seiten von Chorschranken mit Bibelzitaten, häufig dem Dekalog, übermalt (S. 204). Dies alles, so Cummings, habe die Aufmerksamkeit der Forschung jedoch davon abgelenkt, dass es neben dem Ikonoklasmus auch einen Biblioklasmus gegeben habe. Die Eskalationsphasen scheinen dabei, dies legen quantitative Befunde nahe (S. 199), in wechselseitigem Bedingungsverhältnis gestanden zu haben: „Waves of book-hating and image-hating seem to follow on from each other, perhaps lead to even greater hatred in the other“. Bei den popularitätsheischenden Akten der Bücherverbrennungen sei es – ebenso wie bei den Gewaltmaßnahmen gegen Bilder – um mehr als praktische Zensurmaßnahmen gegangen; es ging um das Buch als „Verkörperung“ eines Anderen, als pars pro toto seines Autors. Dennoch: Sind Bücherverbrennungen tatsächlich mit „Bücherfeindschaft“ gleichzusetzen, oder geht es schlussendlich nicht doch um die symbolische Auslöschung einer falschen Lehre?

Nur in erstaunlich wenigen Punkten weisen die Beiträge Überschneidungen mit solchen Fragestellungen und Gegenstandsbereichen auf, wie sie die gegenwärtige historische Forschung verfolgt: für England etwa die einschlägigen Studien von Margret Aston (1988)2, John Phillips (1973)3, William R. Jones (1977)4, Eamon Duffy5 oder – in methodischer Hinsicht – die Arbeiten des bis zu seinem Tod in Cambridge lehrenden Bob Scribner.6 Hiervon auszunehmen ist beispielsweise der Beitrag von Nicholas Watson, der sich mit den Schriften Walter Hiltons (ca. 1350-1400) befasst, Autor eines Traktates über den christlichen Bilderkult (De adoratione ymaginum). Hilton gilt gemeinhin als kompromissloser Verfechter eines religiösen Bildgebrauchs und erklärter Gegner der Lollarden. Watson plädiert für eine weniger schematische Sichtweise: gerade mit Blick auf die umfangreiche Überlieferung volkssprachlicher Schriften dieses Zeitraums zeige sich die Theologie Hiltons in einem neuen Licht. In seinen frühen Arbeiten präsentiere sich der Augustinereremit als „Götzenstürmer“, indem er seine Leser zur Vorsicht mahne gegenüber dem eitlen Hochmut der menschlichen Seele. Diese entwerfe ständig falsche Bilder des Selbst, ‚idols of the mind’, die der wahrhaft fromme Christenmensch „stürzen“ und „austilgen“ müsse. „Hilton shared with the Lollard enemies [...] intellectual disdain for, and anxiety about, images and their veneration“ (S. 110). Sich des Begriffsgebrauchs des religiösen Gegners zu befleißigen, daraus aber ganz entgegengesetzte Schlussfolgerungen abzuleiten, gehört zu den gängigen Strategien scholastischer Argumentationskunst. Hiltons spätere volkssprachlichen Werke, insbesondere „The Scale of Perfection“, entwickeln im Kontrast zu seinen lollardischen Widersachern das differenzierte Modell einer „inneren Schau“, das zwar an einer grundsätzlichen Skepsis gegenüber jeglicher Form visueller Erfahrung festhält, das aber gleichwohl der Betrachtung äußerer Bilder in vielerlei Hinsicht nachgebildet ist.

Einem anderen locus classicus der Forschung widmet sich der Beitrag Sarah Stanburys. Sie unterzieht eine bereits mehrfach herangezogene Passage aus Henry Knighton´s „Chronicle“ (um 1390), den polemisch gefärbten Bericht über einen „Bilderfrevel“ zweier Lollarden, einer erneuten Lektüre. Der Verfasserin geht es insbesondere darum, die dem Text zugrunde liegenden narrativen Grundstrukturen sowie die Einflüsse zeitgenössischer Argumentationszusammenhänge offen zu legen. Überzeugend kann sie dabei u.a. den Nachweis führen, dass sich der Verfasser des „Chronicle“ offensichtlich von einer Art psychologischen Einsicht leiten ließ, wenn er den gewalttätigen Angriff eines „lollardischen“ Schmieds auf ein Bildnis der hl. Katharina als Kompensation einer zuvor erfahrenen „Kränkung“ ausgab. Hier zeigt sich freilich auch, dass ein Exegeseverfahren à la Lacan zu kurz greift und den zeitgenössischen Subtext verfehlen muss. Die von Stanbury angeführte persönliche Anrede des „Frevlers“ an die Statue – das Bild wird als personifizierte „Frau“ angesprochen (S. 139f.) – mag man als Ausdruck eines enttäuschten erotischen Begehrens lesen; die implizite anti-lollardische Invektive Knightons zielt aber auf einen anderen, den Zeitgenossen durchaus geläufigen Punkt: den Irrtum des sogenannten Anthropomorphismus. Der Vorwurf, einer personifizierten, menschengleichen Vorstellung vom göttlichen Wesen anzuhängen, wurde in der spätmittelalterlichen Bilderdebatte sowohl gegen falsch verstandene Heiligenverehrung, wie auch gegen bilderfeindliche Gewaltaktionen ins Feld geführt.7

Der Band schließt mit einem Nachwort des Literaturwissenschaftlers David Wallace, der die Beiträge in einer impressionistischen Zusammenschau nochmals zu gewichten sucht. Leider wird auch hier nicht der Versuch unternommen, die Beiträge in einen breiteren interdisziplinären Zusammenhang einzuordnen. Zuzustimmen ist der Schlussfolgerung des Autors: „Further comparative study [...] would, I believe, yield a yet sharper sense of the peculiarily English cast of many of the artistic and epistemological issues explored in this volume“ (S. 213).

Anmerkungen:
1 Derridas, Jacques, Specters of Marx. The Stage of the Debt, the Work of Mourning, and the New International, New York 1994 wird mehrfach als konzeptueller Leitfaden genannt.
2 Englands Iconoclast I, Oxford 1988.
3 The Reformation of Images, Berkeley 1973.
4 Art and Christian Piety: Iconoclasm in Medieval Europa, in: Gutmann, Joseph (Hg.), The Image and the Word, Missoula 1977, S. 75-106.
5 The Stripping of the Altars: Traditional Religion in England, c. 1400-c. 1580, New Haven 1992.
6 The Image and the Reformation, in: Obelkevich, James et al. (Hgg.), Disciplines of Faith. Studies in Relgion, Politics, and Patriarchy, London 1987, S. 539-550.
7 Die Anspielung Knightons auf eine einschlägige Bibelstelle (Isaias 44,15-20), die den Götzendienst der Menschen anprangert, wird ebenfalls übersehen.

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