E. Netzer: Nabatäische Architektur

Cover
Titel
Nabatäische Architektur. Insbesondere Gräber und Tempel


Autor(en)
Netzer, Ehud
Reihe
Zaberns Bildbände zur Archäologie
Erschienen
Anzahl Seiten
V, 190 S.
Preis
€ 41,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Sommer, Wolfson College, University of Oxford

Die aus dem anstehenden Fels geschlagenen Grabmonumente von Petra am Ostrand der antiken Mittelmeerwelt im heutigen Jordanien gehören ohne Frage zu den beeindruckendsten archäologischen Zeugnissen weltweit. Jedes Jahr besuchen Scharen von Touristen die Stätte in der Wüste, und ein Bauwerk wie die Khasneh, das berühmteste Grabmonument Petras, besitzt selbst in der geschichtsvergessenen Gegenwart einen hohen Wiedererkennungswert. Aber Petra besteht nicht nur aus Gräbern, das Nabatäerreich nicht nur Petra. Die Vielfalt nabatäischer Architektur in ihrer gesamten Komplexität zu würdigen, unternimmt jetzt in deutscher Übersetzung der vorliegende "Sonderband der Antiken Welt" des Jerusalemer Archäologen Ehud Netzer. Reich mit prächtigen Fotos, Plänen und Skizzen versehen, versteht er sich als systematische Gesamtschau der nabatäischen materiellen Kultur, wenngleich ohne Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit (S. 5). Auch fallen die Ausführungen zur Geschichte und Religion der Nabatäer denkbar kursorisch aus, was aber angesichts hinlänglich verfügbarer einschlägiger Arbeiten kein Mangel sein muss.1

Netzer ist denn auch mit Interpretationen, die in die regionale Geschichte und Kulturgeschichte hineinreichen, außerordentlich zurückhaltend. Die Stärke des Buches liegt auf anderem Gebiet: Es fasst den über eine Fülle von Grabungsberichten und Einzelstudien verstreuten Wissensstand umfassend zusammen und öffnet den Blick für Zusammenhänge, sowohl inhaltliche zwischen den diversen Artefaktkategorien als auch geografische zwischen den Siedlungsplätzen des Nabatäerreichs und weit über das Reich hinaus. Der Band ist, soviel sei vorweggenommen, in der Hand von Archäologen und Historikern ein unschätzbar nützliches Instrument.

Der erste Abschnitt gilt den Felsgräbern Petras und des südlichen Außenpostens des Nabatäerreichs, Medain Saleh, der ungefähr 500 Kilometer südlich von Petra liegt. Netzers Typologie (Pylongräber, Stufengräber, Bogengräber, Giebelgräber, Tempelgräber, komplexe Gräber, atypische Monumente und die entsprechenden Untertypen) folgt weitgehend der klassischen, zu Beginn des letzten Jahrhunderts durch Brünnow und von Domaszewski vorgenommenen Einteilung.2 Die Typologie nimmt Netzer als Gerüst, um sodann die Merkmale der einzelnen Grabtypen zu erläutern. Bei den komplexen Gräbern, zu denen die berühmtesten Grabmonumente der nabatäischen Hauptstadt gehören (Khaseneh, ed-Deir, das Korinther- und Palastgrab), hält er sich länger auf und widmet jedem Bauwerk eine detaillierte Einzelbeschreibung. Die Darstellung ist prägnant und auch für archäologische Laien ohne weiteres verständlich.

Der großen Typenvielfalt in Petra steht die auffällige Dominanz von Pylongräbern und Stufengräbern in Medain Saleh gegenüber. Netzer deutet in seiner Analyse Medain Saleh als Sekundärzentrum zu Petra, wo man dort entwickelte Architekturformen eifrig aufgriff, sie aber nach lokalen Bedürfnissen umformte (S. 45). Große methodische Probleme werfen, in weitgehender Ermangelung epigraphischer Befunde, Chronologie und Rekonstruktion der Typenentwicklung auf. Netzers modellhafter Versuch einer relativen Chronologie, suggestiv zusammengefasst in einer synoptischen Tabelle (S. 46f.), vermag dennoch zu überzeugen.

In drei Appendices handelt Netzer Randphänomene der nabatäischen Grabarchitektur ab: Eingangstypen, Grabkomplexe mit architektonischen Erweiterungsbauten (Kolonnaden, Höfe), nicht aus dem Fels geschlagene Gräber sowie wohl für Speise- und Opfergemeinschaften bestimmte Triclinia. Abschließend gibt Netzer in diesem Kapitel eine kurze Deutung der Sepulkralmonumente, der man - speziell mit Blick auf das aus Palmyra Bekannte - ohne Mühe zustimmen möchte: Die Fülle der in einem Grab beherbergten Grabstellen (loculi) verweist auf eine Bestimmung als Familiengruft; ornamentale Ausstattung und Größe spiegeln den ökonomischen Status der jeweiligen Familie (S. 65).

Die zweite Gruppe markanter Bauten im Nabatäerreich bilden die Tempel. Wieder geht Netzer nicht allein den in Petra gefundenen Bauwerken nach, sondern schenkt auch der Peripherie, darunter dem nur zeitweise nabatäisch beherrschten Hauran sowie der Halbinsel Sinai, seine Aufmerksamkeit. Wie bei den Gräbern, so mischen sich auch in den Sakralbauten originär nabatäische Elemente, Anleihen bei griechisch-römischer Baukunst sowie Spuren, die ins benachbarte Syrien bzw., chronologisch nach hinten verlängert, ins alte Mesopotamien, nach Phönikien, Ägypten und Persien weisen, etwa begehbare Dachterrassen, umlaufende Prozessionswege oder Grundrisse mit einem von einem Quadrat eingeschriebenen Quadrat.

Im dritten Abschnitt finden sich alle übrigen architektonischen Monumente der Nabatäer zusammengefasst. Hier hätte man sich, gerade mit Blick auf jüngere Grabungsarbeiten,3 bisweilen mehr Ausführlichkeit wünschen können. Nur relativ knapp kommen Stadtanlage und Wohnbebauung Petras zur Sprache; breiteren Raum finden Monumentalbauten wie Tordurchgänge und Theater. Speziell die Diskussion der Architektur von Bostra, das Petra als neues Zentrum der Provinz Arabia beerbte, hätte man sich gründlicher denken können.

Die im Untertitel eindeutig angekündigte Konzentration auf Sepulkral- und Sakralbauten kann indes den Wert dieses prachtvollen Bandes, zu dem das die Architekturformen systematisch in den Blick nehmende Schlusskapitel von Judit Gärtner eine willkommene Ergänzung liefert, nicht ernsthaft schmälern. Gerade historisch arbeitende Altertumswissenschaftler sollten sich von dem schier in Hülle und Fülle gebotenen und vorbildlich aufbereiteten Material zu weitergehenden Forschungen inspiriert fühlen: Wie lässt sich nabatäische Architektur zu (ethnisch-kultureller) Identität der Nabatäer in Beziehung setzen? Wie lassen sich kulturelle Anleihen auf dem Gebiet der Architektur in einen größeren Sinnzusammenhang einordnen? Welche Berührungspunkte gab es zu den angrenzenden Regionen im römisch-parthischen Vorderasien? Wie modifizierte die römische Herrschaft das kulturelle Inventar der Nabatäer? Allesamt spannende Fragen, die zu stellen Netzers stupende Arbeit anregt.

Anmerkungen:
1 Vgl. nur Hammond, P., The Nabateans. Their History, Culture, and Archaeology, Göteborg 1973; Bowersock, G., Roman Arabia, Cambridge 1983; Millar, F., The Roman Near East. 31 BC - AD 337, Cambridge 1993, S. 387-436.
2 Brünnow, R. E.; Domaszewski, A. v., Die Provincia Araba, Bd. 1, Straßburg 1904.
3 Vgl. dazu vor allem: Dentzer, J. M.; Zayadine, F., L'espace urbain de Pétra, Studies in the history and archaeology of Jordan 4 (1992), S. 233-251; Bignasca, A. u.a., Petra, ez Zantur I. Ergebnisse der Schweizerisch-Liechtensteinischen Ausgrabungen 1988-1992, Mainz 1996, besonders S. 13-50; und jetzt: Kolb, B., Die Spätantiken Wohnbauten von ez Zantur in Petra und der Wohnhausbau in Palästina vom 4.-6. Jh. n. Chr., in: Schmid, St. G.; Kolb, B., Petra, ez Zantur II. Ergebnisse der Schweizerisch-Liechtensteinischen Ausgrabungen, Mainz 2000, S. 201-296.

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