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Titel
M_ARS. Kunst und Krieg. Ausstellungskatalog Neue Galerie Graz am Landesmuseum Joanneum


Herausgeber
Weibel, Peter; Holler-Schuster, Günther
Erschienen
Ostfildern 2003: Hatje Cantz Verlag
Anzahl Seiten
500 S., 634 Abb.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jutta Held, Institut für Kunstgeschichte, Universität Osnabrück

In den 1970er und 1980er Jahren war der Frieden ein großes Thema in den Geistes- und Sozialwissenschaften, dem nicht wenige Forschungsprojekte gewidmet wurden. Die historischen Friedensutopien, die in die politischen Theorien der Frühen Neuzeit eingegangen waren, die alten und immer wieder aktualisierten Mythen vom Goldenen Zeitalter in den Künsten und der Literatur wurden als Matrix der Friedenshoffnungen der jeweiligen Gegenwart entziffert. In der engagierten Kunst der 1970er und frühen 1980erJahre war der Frieden zumindest als Fluchtpunkt der Kriegskritik gegenwärtig. Eine starke Friedensbewegung, die seit den Kontroversen über die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik nie ganz verschwunden war und die durch die Proteste gegen den Nato-Doppelbeschluss wieder belebt wurde, hatte ihre Impulse in die Wissenschaften und Künste hineingetragen und deren Kompetenzen gefordert.

Diese Konstellation, in der die Künste, die Friedensforschung und die Friedensbewegung gemeinsam agierten, gibt es so nicht mehr. Die Kriege in Jugoslawien und am Golf, die trotz der massenhaften Proteste plangemäß durchgeführt wurden, haben der Logik des Krieges auch in den Köpfen der Intellektuellen und Künstler zum Siege verholfen. Der Ausstellungskatalog, um den es hier geht – großartiger aufgemacht als die meisten dem Frieden gewidmeten Publikationen – ist ein Beleg dafür. Keine Friedenstauben, keine Utopien einer friedlichen Welt, eines wenn auch fernen Zieles, werden in den hier vorgestellten Werken entworfen und imaginiert. Es geht ausschließlich um den martialischen Aspekt aktueller Formen der Konfliktbewältigung; nur dieser Negativpol der engagierten Kunst von einst ist geblieben und bestimmt die aktuellen Konzeptionen politischer Kunst insgesamt.

Man glaubt diesem Katalog, dass er über sein Thema umfassend und höchst kompetent unterrichtet – so vielfältig sind die Aspekte der Kriegsthematik, die beleuchtet werden. In den Bildern, die hier gezeigt werden, herrscht nicht nur das Thema, sondern auch die Perspektive des Krieges uneingeschränkt. Vergleichen wir die Werke mit vormodernen Bildern des Krieges, mit frühneuzeitlichen Schlachtenbildern etwa, so wird der Unterschied deutlich. Die rational und durchsichtig gegliederten Ordnungen des Militärs, welche die Strategien des Angriffs und der Verteidigung erkennen lassen, eingebettet in eine Natur, die diese Formationen trägt und dem Kampf eine kosmologische Dimension verleiht (wie in Altdorfers berühmter Alexanderschlacht), banden den Krieg dialektisch an Frieden und Ordnung. Eine Reminiszenz der Schlachtenordnungen frühneuzeitlicher Kriegsparteien bieten in diesen Bildern allenfalls die uniformierten Reihen von Soldaten, hinter deren kalter und automatischer Entschlossenheit jede Spur einer anderen Subjektivität erloschen ist. Die Rationalität dieser Krieger ist gegen Natur, Leben und die eigene Emotionalität gerichtet (vgl. die Werke von Vanessa Beecroft oder Elke Baulig).

Die Suche nach einer Subjektivität, die die Morde verantwortet, die unterschiedslos an Freunden oder Feinden verübt werden – die Folterungen und arbiträren, scheinbar unmotivierten Aggressionen –, bleibt in diesen Bildern vergeblich. Was bei diesem Blick auf die brutalen Fakten allein zählt, sind die Verletzungen der Körper, ihre Liquidierung oder instinktive, schreiende Gegenwehr. Als Medium der Politik ist der Krieg nicht mehr diskutabel. So rückt er auf dieselbe Ebene mit der privaten Gewalt zwischen den Geschlechtern, dem Justizmord, den Folterungen, den brutalen Akten der Guerilla und der Kidnapper, schließlich dem Lustmord und den mörderischen Phantasien von Individuen und der diskursiven Gewalt der Medien. Die Frage nach den Motiven dieser entstaatlichten Kriege, die den klassischen Begriff von Politik außer Kraft setzen, läuft ins Leere. Keiner der Künstler fragt nach den Beweggründen dieser ubiquitären Destruktivität. Auch ex negativo ist in den Bildern schwerlich ein Weg in den Frieden erkennbar, ein Wille, das Morden zu enden. Schon ganz fehlen Gegenbilder, Argumente gegen die Enteignung der sozialen Ordnungen und Umwelten, die durch die Kriege und die in alle Lebenssphären eindringenden Gewalttätigkeiten zerstört werden.

Die meisten der Künstler, die mit Fotos, bewegten Bildern, aber auch den klassischen Medien der Radierung und Zeichnung arbeiten, konzentrieren sich nicht auf das Einzelbild, das die hermeneutische Versenkung des Betrachters fordert, sondern arbeiten mit Bildsequenzen. Deren Sinn ist jedoch nicht, den Tathergang von seinem Ursprung an zu verfolgen, um den Konflikt durchschaubar zu machen, sondern eher, die Phasen der Gewalt quasi sadomasochistisch nachzuvollziehen (vgl. Jordan Crandall, Kendell Geers u.a.). Allein in der sich übersteigernden Form der Brutalität, der Kälte in einer ruinierten Umwelt, der vom Kriegsmüll entstellten Räume kann man ein politisches Engagement der Künstler ex negativo erkennen, das gegen die eigenen Bilder der Gewalt und Destruktivität gerichtet ist, jedoch sprach- oder bildlos bleibt und keinen Subdiskurs der Antigewalt ausbildet.

Die Evidenz der auf das körperlich Faktische beschränkten Visualität setzt offenbar auch der Katalog voraus. Außer dem Künstlernamen, Titel und Technik erfährt man nichts über die Bilder, es sei denn – in seltenen Fällen –, die Kommentare seien Bestandteil einer Installation. Auch im Textteil des Kataloges gibt es kaum Ansätze, sich diesen Bildern hermeneutisch zu nähern. Dennoch bildet der kommentarlos präsentierte Bildteil mit den abgedruckten Texten eine kohärente Einheit. Es fällt auf, dass die Autoren nicht zu denjenigen gehören, die, wie erwähnt, aus der Koalition von Wissenschaft, Künsten und Friedensbewegung herstammen und sich in der Geschichte der künstlerischen Repräsentationen von Krieg und Frieden auskennen. Man hätte für die Neupositionierung des Gegenstandes schwerlich auf sie zurückgreifen können. Es ist das Credo aller hier publizierten Beiträge, dass die Realität und Allgegenwart des Krieges unhintergehbar und unabänderlich sei. In einem berühmten Text (Vorlesung von 1976 am Collège de France) hat Foucault diesen Gedankengang, der die Allianz von Frieden und Wahrheit in Frage stellt, im 17. Jahrhundert situiert, wo er zunächst als ein untergründiger Gegendiskurs, der die rohen Tatsachen benennt, wirkte, aber wenig Anerkennung fand. Aus diesem politischen Diskurs des nie endenden Krieges entspringen, so Foucault, die Ideen des 19. Jahrhunderts über den biologischen bzw. den sozialen Gesellschaftskampf nach dem Schema der Evolutionstheorie bzw. des Klassenkampfes.

Die Kultur ist nicht – wie es die Humanisten und humanistischen Pazifisten glaubten – auf der Seite des Friedens, der gewaltfreien Lösung gesellschaftlicher Konflikte, sondern sie ist ebenfalls eingewoben in die Gewaltverhältnisse, zumindest in eine Form der symbolischen Gewalt. Die Künste, so Paul Virilio, verbindet eine alte Allianz mit dem Krieg, die von den Kriegstänzen, den Militärparaden bis zu den Kriegsspielen der Videos reicht; mehr noch, der synchronen Präsentation der realen Kriege in den Medien. Eine Ästhetik des Verschwindens (besser des Verschwindenmachens), eine ästhetische Freiheit, die jeden Wert negiert oder destruiert, verbindet die Kunst mit der Terrorszene. Klaus Theweleit greift Walter Benjamins These auf, dass Gewalt die Unterseite jeder kulturellen Leistung sei. So wird auch die politische Unterscheidung zwischen Gewalt und Gegengewalt hinfällig (Bazon Brock). Jede Kampfansage an den Krieg, so Antonio Negri, muss heute ohne eine Friedenshoffnung auskommen, hat sich doch jeder Frieden als Hülle weiterer Kriege und innergesellschaftlicher Kämpfe erwiesen, die jeglichen Frieden als Illusion demaskieren. Glaubte man durch den Handel die Pazifizierung im Innern der Staaten zu erreichen, ist heute klar, dass der wirtschaftliche Austausch die Kriege lediglich an die Peripherie transferierte, ja dass selbst die Pazifizierung im Inneren der westlichen Staaten eine dünne Decke blieb, unterhalb derer –in der so genannten Privatsphäre, die zu Unrecht als politikfreier Raum galt – Gewalt und Kampf sich fortsetzten. Nicht um eine Friedensordnung geht es mehr, längst wird der Krieg als Ordnungsmacht anerkannt. Negris Position scheint mir der visuellen Argumentation der hier präsentierten Bilder am nächsten zu kommen.

Auch Bruno Latour plädiert für die Anerkennung des globalen Kriegszustandes, denn nur diese Erkenntnis könne zum Ausgangspunkt eines Friedens werden, der mehr sei als eine Illusion. Jenseits von Moderne (die ihre Kriege nur verdeckt führte, als Siegeszug der Vernunft, die man zu Unrecht als Garanten von Frieden und Einheit stilisierte) und Postmoderne (die den Krieg fälschlich auf das Terrain der Kulturen und der Symbole verlegte) sieht Latour die Perspektive für eine gemeinsame Realität jenseits der Kriege. Voraussetzung sei es, die westliche Logik eines scheinheiligen Friedens aufzugeben und „die anderen“ als gleichberechtigte Partner im andauernden Krieg anzuerkennen. Nur so sei ein verlässlicher Frieden aushandelbar, der nicht die Bedingungen des Westens globalisiere, sondern nach dem Potential möglicher Lösungen in den anderen Welten frage. Deutet sich hier nicht eine neue Friedensutopie an, die aber versucht, die Defizitbilanz von Moderne und Postmoderne in die Rechnung aufzunehmen? Freilich wird auch hier die Machtfrage, die schon in der Postmoderne ausgeblendet blieb, nicht realistisch einkalkuliert. Dennoch wird der alte Anspruch auf eine Friedensordnung von Latour auf neuem Niveau diskutiert, und die Hoffnungen der vom Krieg Betroffenen werden ernst genommen. Ich sehe nicht, dass die visuelle Kultur, die in dieser Ausstellung mit eindrucksvollen Beispielen präsentiert wird, ähnlich weitsichtig argumentiert.

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