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Titel
Kaiser Arnolf. Das ostfränkische Reich am Ende des 9. Jahrhunderts


Herausgeber
Fuchs, Franz; Schmid, Peter
Reihe
Zeitschrift für Bayerische Landesgeschichte Beiheft 19
Erschienen
München 2002: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
452 S., 18 Abb.
Preis
€ 32,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andrea Esmyol, Historisches Seminar, Universität Bremen

Welche Bedeutung besaß die Regierungszeit Arnolfs von Kärnten (887-899) für die deutsche Geschichte? Rudolf Schieffer eröffnet mit einem Beitrag zu dieser Fragestellung den Reigen ausgewiesener Experten zum Thema „Kaiser Arnolf und das ostfränkische Reich“, die sich anlässlich des 1100. Todestages des letzten karolingischen Kaisers vom 9. bis 11.12.1999 in Regensburg zu einem wissenschaftlichen Kolloquium trafen. Franz Fuchs und Peter Schmid gaben nun vierzehn Tagungsbeiträge zu Aspekten der Herrschaft Arnolfs von Kärnten heraus.

Den bis heute immer wieder aufgenommenen Topos eines entstehenden supragentilen „National“-Gefühls im ostfränkischen Reich diskutierten bereits 1940 Tellenbach und Schlesinger kontrovers.1 Nicht ein fiktives Volk der Deutschen, so Rudolf Schieffer (Kaiser Arnolf und die deutsche Geschichte, S. 1-16), habe sich bewusst ein Reich erschaffen, sondern erst der Ablauf der politischen Entwicklungen bewirkte allmählich ein Eigenbewusstsein der verschiedenen ethnischen Gruppen, als „Reflex auf die generationenlange, relativ stabile Reichsherrschaft der Ottonen“ (S. 11), was sich erst später im Terminus „Deutsch“ als politisch-historischer Kategorie ausdrückte. Kann Arnolf der „deutschen“ Geschichte somit kaum zugeordnet werden, so hat er doch zur ihm nachfolgenden Entwicklung – unbewusst – beigetragen. Hierzu zählt sein Eingreifen in die fränkische Reichskrise von 887, mit der die gesamtfränkische Monarchie dauerhaft beendet und der geografische Rahmen für die zukünftige deutsche Geschichte geschaffen wurde. Zudem setzte Arnolf 891 mit dem Sieg an der Dijle bei Löwen den Normannenüberfällen auf Ostfranken ein Ende und evozierte entsprechende Signale „auf eine imperiale Anwartschaft Ostfrankens“ (S. 15f.) durch Romzug und Kaiserkrönung.

Arnolfs illegitime Geburt verhinderte nicht seinen Herrschaftsantritt. Familienrechtliche Fragen wie die Stellung unehelicher Kinder sind in der frühmittelalterlichen Gesellschaft weitestgehend zur Privatsache geworden. Interveniert wurde, Brigitte Kasten (Chancen und Schicksale „unehelicher“ Karolinger im 9. Jahrhundert, S. 17-52) zufolge, lediglich, wenn durch übermäßige Traditionen Erbberechtigten die Verarmung drohte. Für die Herrschaftsfolge ist die Frage der Illegitimität eine „variabel gehandhabte Strategie des Machterhalts“ (S. 52), die bei den Karolingern je nach aktueller politischer Lage zur Anerkennung eines Herrschaftsanwärters führen konnte. Individuelle und machtpolitische Komponenten waren, so auch bei Arnolf, mit ausschlaggebend.

Die Königserhebung Arnolfs werteten zeitgenössische Historiographen als Zäsur, so Wolfgang Eggert (Arnolf in der bayerischen Fortsetzung der „Ostfränkischen Reichsannalen“, S. 53-67). Während der Hauptstrang der ostfränkischen Reichsannalen die Herrschaftsübernahme Arnolfs zum Anlass nahm, die Berichterstattung einzustellen, erscheinen in der so genannten Regensburger Fortsetzung der Annales Fuldenses die Großen um Arnolf als Akteure, die „ihren“ König erheben. Die Regensburger Fortsetzung hegt keinen Zweifel am rechtmäßigen Herrschaftsanspruch Arnolfs und bescheinigt ihm eine makellose Geburt als Sohn König Karlmanns.

Die Diskussion um den Terminus regulus in der Regensburger Fortsetzung der ostfränkischen Reichsannalen für die sich neben Arnolf erhebenden nicht-karolingischen Könige bereichert Hans-Henning Kortüm (Multi reguli in Europa … excrevere. Das Ostfränkische Reich und seine Nachbarn, S. 68-88) um eine interessante Interpretation. Anhand des Hieronymus-Kommentars zum Propheten Jesaja (14,28-31) zieht Kortüm Parallelen der Schilderung des Todes von König Ahas und der Nachfolge des jungen regulus Ezechias zu den Ereignissen um 887. Regulus stehe bei Jesaja/Hieronymus in der Bedeutung „todbringende, königliche Schlange“ (S. 79). Versteht man regulus in dieser Bedeutung und nicht als Diminutiv „kleiner König/Kleinkönig“ (S. 71), relativiert sich die zugrunde liegende Missbilligung. Diese Interpretation sei „im Wissen auch noch […] des neunten Jahrhunderts präsent geblieben“, u.a. über Hrabanus Maurus (S. 80).

Matthias Becher (Zwischen König und „Herzog“. Sachsen unter Kaiser Arnolf, S. 89-121) fragt, ob sich die Herrschaft der Liudolfinger über Sachsen unter Arnolf konsolidieren konnte. Im Machtbereich der Sachsen erlangten die Liudolfinger durch die Heirat Liutgards, der Schwester Ottos des Erlauchten, mit Ludwig dem Jüngeren keineswegs eine Vorrangstellung über die sächsische gens. Seinem Bündnis mit Arnolf und Zwentibold verdankte Otto der Erlauchte nach dem Tod Arnolfs eine schwere politische Niederlage, die ihn sich auf Ostsachsen/Thüringen konzentrieren ließ. Becher schließt mit dem Zweifel an einer intendierten alleinigen Herrschaft Ottos über Sachsen, der weniger der „Prototyp eines Stammesherzogs, sondern eines überaus mächtigen und angesehenen königlichen Amtsträgers“ war (S. 121).

Aufgrund der Quellenaussagen wird häufig ein eher negatives Bild von der Erfolglosigkeit, des wie sein Vater Arnolf unehelich geborenen, Zwentibold gezeichnet, dem sich Martina Hartmann (Lotharingien in Arnolfs Reich. Das Königtum Zwentibolds, S. 122-142) nicht anschließt. Arnolf habe die Lage in Lotharingien erkannt, die eines eigenen Herrschers bedurfte, und zudem 895 zur Erhebung des 25-jährigen Zwentibold kaum eine Alternative gehabt. Hartmann „wagt die These“ (S. 137), dass beim Sturz Zwentibolds – im Vorgriff auf 911 – bereits Rivalitäten zwischen Konradinern und Liudolfingern eine entscheidende Rolle gespielt haben: So wollten die Konradiner Lotharingien für Ludwig das Kind (aus der Ehe Arnolfs mit der Konradinerin Oda) sichern und den mit der Tochter Ottos des Erlauchten verheirateten Zwentibold auch aufgrund dieser Verbindung ausschalten.

In Karantanien und Ost-Bayern vollzog sich der politische Aufstieg Arnolfs von „Kärnten“. Heinz Dopsch (Arnolf und der Südosten – Karantanien, Mähren, Ungarn, S. 143-186) fragt zunächst nach der Verbindung Arnolfs zu Karantanien. Seinen angeblichen Geburtstort Moosburg verortet Dopsch nicht am Westufer des Plattensees, sondern in Kärnten nahe der Karnburg. Geboren sei Arnolf aber wohl eher in Bayern, vielleicht in Regensburg, er hielt sich jedoch häufig auf der Moosburg auf. Der mährische Fürst Sventopluk (Zwentibald I.) habe bereits 871 (nicht 874) den ältesten Sohn Arnolfs als Zeichen des Bündnisses aus der Taufe gehoben. Bis zu Arnolfs Ende hielten sich die Ungarn an ihre Bündnisverpflichtungen, erst nach der Nachricht von Arnolfs Tod begannen die etwa 50 Raubzüge, die bis 955 Europa in Angst und Schrecken versetzten. Die schlechte Reputation Arnolfs als Verursacher dieses Übels verbreitete erstmalig die nachfolgende Chronistengeneration (etwa Liudprand von Cremona).

Beim Tod Karlmanns 880 war die Machtbasis Arnolfs in Bayern nicht stark genug für die Durchsetzung seines Thronanspruchs, auch 882 (Tod Ludwigs des Jüngeren) blieb Arnolf auf Karantanien beschränkt. Allerdings konnte er, so Peter Schmid (Kaiser Arnolf, Bayern und Regensburg, S. 187-220), während der „Regierungszeit des schwachen Karls III.“ (S. 194) seine Machtposition in Bayern ausweiten und auch bayerische Adlige aus dem Umfeld Karls III. für sich gewinnen. Die Bedeutung Bayerns für Arnolf lässt sich auf Regensburg übertragen. Arnolf machte Regensburg durch seinen häufigen Aufenthalt und entsprechender Ausübung von Regierungstätigkeiten zum „herausragenden Zentrum des politischen Lebens“ (S. 208). Für den Neubau einer Pfalzanlage bei St. Emmeram sieht Schmid viele Indizien, auch wenn deren genauer Standort bis heute nicht bekannt ist. Arnolf habe mit der Verehrung Emmerams als Reichspatron „einen ideellen Mittelpunkt seines Reichs schaffen wollen“ (S. 214).

Wilfried Hartmann erörtert in seinem Beitrag „Kaiser Arnolf und die Kirche“ (S. 221-252) anhand der Urkundenlage die Personalpolitik Arnolfs hinsichtlich der Erhebung von Bischöfen und Äbten. Aus Schenkungsurkunden ist ersichtlich, dass Arnolf sich besonders zu Beginn seiner Herrschaft durch Vergabe und Bestätigung von Privilegien neue Anhänger vor allem auch unter Geistlichen schaffen wollte; darunter waren selbst ehemalige Leute aus dem näheren Dunstkreis Karls III.. Aber auch Mitglieder seiner Hofkapelle erhob er zu Bischöfen.

Die Annales Fuldenses berichten zum Jahr 899 von Uota (Oda), der Ehefrau Arnolfs, die eine Ehebruchsanklage nur mit Hilfe von 72 Eideshelfern abwenden konnte. Uota, deren Zugehörigkeit zu den Konradinern Timothy Reuter (Der Uota-Prozess, S. 253-270) bezweifelt, sollte keineswegs nach Arnolfs Tod als Regentin für Ludwig das Kind ausgeschaltet werden, auch wollte man mit der Anklage nicht die Legitimität Ludwigs anzweifeln. Reuter zufolge wurde Uota durch die Ehebruchsklage vor (!) dem Tod Arnolfs der Versuch einer Vergiftung ihres Ehemannes unterstellt, „eine durchaus mögliche und übliche Anklage in Krisenzeiten […] als eine ziemlich hysterische Abwehrmaßnahme angesichts der erneuten Gesundheitsverschlechterung Arnolfs“ (S. 270).

Seinen Beitrag Carta edita, causa finita? Zur Diplomatik Kaiser Arnolfs (S. 271-374) beginnt Mark Mersiowsky mit einer Übersicht zur Geschichte der Diplomatik Kaiser Arnolfs, die in der Edition von dessen Urkunden durch Kehr 2 fehlt. Mit dem Sturz Karls III. verschwand auch dessen Kanzlei, so gab es „kaum Kontinuitäten von ihm zu Arnolf“ (S. 373). Das Urkundenwesen Arnolfs fällt durch Eigenarten auf, die Urkunden sind vielgestaltig und uneinheitlich im Layout. Trotz Kenntnis des alten, breit gefächerten Systems fand gleichzeitig eine typologische Verengung statt. Dies ist nicht auf eine einsetzende, mangelnde Schriftlichkeit zurückzuführen, sondern vielmehr als Anpassung an veränderte Aufgaben zu interpretieren. Großen Einfluss auf das Urkundenwesen nahm von 888-891 Aspert, der spätere Bischof von Regensburg, und bis 893 der Notar Engilpero. Das Kanzleiwesen Arnolfs war durch große Fluktuation von „Gelegenheitsschreibern“ unruhig (S. 372). Mit der Kaiserkrönung Arnolfs bemühte man sich in den Herrscherurkunden um eine „imperiale Stilisierung“ (S. 372).

Arnolf fand als Förderer des Benediktinerklosters St. Emmeram Aufnahme in die Historia des hl. Dionysius, des zweiten Patrons des Klosters, so Roman Hankeln (Fidelis Caesar. Arnolf-Memoria in der Reimhistoria für den hl. Dionysius von St. Emmeram <12. bis 13. Jahrhundert>, S. 375-388, mit 4 Notenbeispielen). In einer erstmals aus dem 13. Jahrhundert überlieferten gereimten Dionysius-Historia (Bayerische Staatsbibliothek Clm 14600) wird Arnolf als magnificus imperator gerühmt für seine Verdienste um die Überführung und Schenkung der Reliquie an das Kloster; er „avanciert damit zum Fidelis Caesar“ (S. 379). Die Musik ist nur noch in Bruchstücken erhalten (im Antiphonar München, Bayerische Staatsbibliothek Clm 14084). Diese besondere Art politischer Artikulation des Mittelalters kann als „kommunikative, zeichenhafte Geste interpretiert werden, die den idealisierten Kaiser musikalisch entsprechend dekoriert“ (S. 384).

Das Arnolf-Ziborium ist der einzige erhaltene „Reisealtar“ aus dem frühen Mittelalter. Heidrun Stein-Kecks (Totus palatii ornatus. Das Ziborium aus dem Schatz Arnolfs von Kärnten, S. 389-415) beschreibt ihn ausführlich. Durch die Inschrift kann er eindeutig Arnolf zugewiesen werden. Sie bestätigt zudem die Entstehungszeit von 887-896, da Arnolf rex genannt wird, obwohl die Ausstattung stilistisch auf circa 870 weist. Als Teil der Memoria Arnolfs, die im 11. Jahrhundert einen Aufschwung erfuhr, gelangte in dieser Zeit das Ziborium im so genannten Uota-Codex, einem für das Regensburger Damenstift Niedermünster gefertigten Evangelistar, zur Darstellung.

Franz Fuchs nimmt in seinem Beitrag „Arnolfs Tod, Begräbnis und Memoria“ (S. 416-434) noch einmal den auf Liudprand von Cremona zurückzuführenden Mythos auf, Arnolf sei durch Ungeziefer umgekommen. Als gesichert gilt bekanntermaßen, dass Arnolf gegen Ende des Jahres 899 etwa 50-jährig nach einer Reihe von Schlaganfällen gestorben ist. Das für das liturgische Totengedächtnis so bedeutsame genaue Sterbedatum ist umstritten und variiert zwischen dem 29.11., dem 17.8. und dem 14.7. Die älteren Regensburger Nekrologien nennen den 8. Dezember, dem Fuchs zustimmt. Die Tatsache, dass ausgerechnet in St. Emmeram der 27. November als Todestag Arnolfs begangen wird, führt Fuchs darauf zurück, dass im entsprechenden Nekrolog das ursprüngliche Datum, der 8. Dezember, nachweislich durch Rasur getilgt und an seiner Stelle der 27. November in einer Hand des 14. Jahrhunderts der Todestag eingefügt wurde. Diese Neuordnung der Arnolf-Memoria sei auf den Abt Albert von Schmidmühlen (1324-1358) zurückzuführen.

Die durchweg hochkarätigen Beiträge geben einen längst überfälligen Einblick in den Reflexionsstand der Forschung zu der nicht nur in den Hilfswissenschaften oft vernachlässigten Zeit Arnolfs von Kärnten. Sie leisten dies zwar jeweils nur für ihr eng eingegrenztes Thema, geben im Ganzen jedoch einen Eindruck über den Stand der Dinge. Insbesondere ist die knappe, aber grundlegende Beurteilung Rudolf Schieffers von Bedeutung, die hoffentlich dazu beiträgt, dass der Mythos von den Karolingern als Wegbereiter einer deutschen Nation endgültig als solcher akzeptiert wird. Für ein angemessenes historisches Urteil über Kaiser Arnolfs Beitrag zur „deutschen“ Geschichte sei mit Schieffer auf die deutliche Diskrepanz zwischen „dem, was er gewollt und dem, was er bewirkt hat“ (S. 16), verwiesen.

Ein Autoren- und Siglenverzeichnis, viele Abbildungen sowie ein Register runden dieses wichtige Werk ab.

Anmerkungen:
1 Schlesinger, Walter, Kaiser Arnulf und die Entstehung des deutschen Staates und Volkes, HZ 163 (1941), S 457-470; Tellenbach, Gerd, Zur Geschichte Kaiser Arnulfs, HZ 165 (1942), S. 229-245.
2 Kehr, Paul (Bearb.), Die Urkunden der deutschen Karolinger, 3. Die Urkunden Arnulfs (MGH Diplomata regum Germaniae ex stirpe Karolinorum 3), Berlin 1940.

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