Titel
Vom Rittergut zum Großgrundbesitz. Ökonomische und soziale Transformationsprozesse der ländlichen Eliten in Brandenburg im 19. Jahrhundert


Autor(en)
Schiller, René
Reihe
Elitenwandel in der Moderne 3
Erschienen
Berlin 2003: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
587 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claus K. Meyer, Fakultät für Geschichte und Kulturgeschichte, Europäisches Hochschulinstitut, Florenz

Zeitgenossen und historische Forschung haben den Großgrundbesitzern und insbesondere dem Landadel Ostelbiens seit langem eine wichtige Rolle für die politische Entwicklung Deutschlands in der Moderne zugewiesen. So mag es überraschen, dass bisher oft nur hoch aggregierte Daten und pauschale Beschreibungen zur Struktur der landwirtschaftlichen Großbetriebe, zu deren Leistungskraft und Verschuldung sowie zu den Großgrundbesitzern selbst vorliegen. 1

Die hier zu besprechende Berliner Dissertation René Schillers kann diese gravierende Forschungslücke für die Provinz Brandenburg in erheblichen Teilen füllen. Die Arbeit ist im Rahmen des DFG-Projektes "Elitenwandel in der gesellschaftlichen Modernisierung – Adlige und bürgerliche Führungsschichten 1750-1933" unter der Betreuung von Heinz Reif entstanden.

Die Studie stützt sich vor allem auf eine von Schiller erstellte Datenbank zum brandenburgischen Großgrundbesitz, die erstmals zahlreiche Serien-Quellen aus dem 18., dem gesamten 19. und dem frühen 20. Jahrhundert systematisiert und zusammenführt (u. a. Hypothekenbücher, Vasallentabellen, die Rittergutsmatrikel von 1828, Güteradressbücher, verschiedene Jahrgänge der Handbücher über den Grundbesitz in Brandenburg, Steuertabellen und eine Verschuldungsstatistik von 1902). Auf dieser Grundlage ist es Schiller möglich, die Entwicklung des Großgrundbesitzes über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg quantitativ zu analysieren, wobei der Datenbestand zum Teil weit in die frühe Neuzeit zurückreicht. Neben den statistischen Materialien verwendet Schiller in begrenztem Umfang auch qualitative Quellen wie etwa autobiografische Schriften.

Schiller gliedert seine Arbeit in zwei Abschnitte. Die ersten vier Kapitel der Studie untersuchen die "Entwicklung, Struktur, Einnahmen und Schulden der großen landwirtschaftlichen Güter im 19. Jahrhundert". Die folgenden drei Kapitel diskutieren unter dem Titel "Konvergenz und Divergenz" das Verhältnis von adligen und bürgerlichen Großgrundbesitzern. In beiden Teilen der Arbeit führt die sorgfältige Analyse der von Schiller zusammengetragenen Daten zu einer Fülle neuer Erkenntnisse, von denen im Folgenden nur einige der Wichtigsten vorgestellt werden können.

Schillers Untersuchung zeigt, dass das Vordringen des Bürgertums in den Großgrundbesitz, das die ältere Literatur oft pauschalisierend hervorgehoben hat, für Brandenburg nicht überbewertet werden darf. Der Anteil des Adels an der Gesamtzahl der Gutsbesitzer sank im 19. Jahrhundert zwar um ein Drittel und fiel damit unter die Zahl bürgerlicher Eigentümer. Dennoch blieb der Flächenanteil des adligen Großgrundbesitzes deutlich über dem in bürgerlicher Hand. Denn der Landadel konnte sich im Segment der Großbesitzungen über 1000 ha nicht nur behaupten, sondern nach 1885 seine Position in diesem Bereich sogar ausbauen. Zudem blieb der Adel bei den großen, mehrere Güter umfassenden Länderei-Komplexen stark dominierend. Im übrigen konnten sich adlige Familien rund zwei Drittel der politisch privilegierten und mit besonderem Prestige verbundenen Rittergüter dauerhaft sichern. Bürgerliche Eigentümer gelangten demgegenüber vor allem in den Besitz von Einzel-Gütern kleinerer Größe.

Die ältere Literatur hat zumeist angenommen, dass sich der ostelbische Großgrundbesitz im 19. Jahrhundert in einer generellen Verschuldungskrise befand. Auch in diesem Punkt bringt Schillers Studie für Brandenburg wichtige neue Erkenntnisse. Schon seit in der Mitte des 18. Jahrhunderts rechtlich zuverlässige und wirtschaftlich attraktive Finanzierungsinstrumente verfügbar wurden, hatte sich die Verschuldung des brandenburgischen Großgrundbesitzes zu einem Problem entwickelt. Steigende Bodenpreise relativierten die Schwierigkeiten allerdings in vielen Fällen. Genauere Zahlen zur Verschuldung der Güter sind erst für 1902 verfügbar. Sie zeigen, dass nur knapp die Hälfte des Großgrundbesitzes mit hohen Schulden belastet war, die vor allem bei Verkäufen oder Erbgängen entstanden, also nicht wesentlich auf Luxus-Konsum oder Spiel-Verluste zurückzuführen waren. Daher waren vor allem kleinere Güter mit häufigem Besitzerwechsel betroffen, während sich der größere, insbesondere der lehnsrechtlich oder fideikommissarisch gebundene Besitz in einer günstigeren Lage befand. Allerdings verschärfte sich das Verschuldungsproblem nach der Reichsgründung erheblich – eine Entwicklung, die mit anderen Herausforderungen für die ostelbischen Güter zusammentraf, so dass sie von den Gutsbesitzern als besonders bedrohlich empfunden wurde.

Neuere Veröffentlichungen haben schon seit einigen Jahren der älteren Auffassung widersprochen, dass sich der ostelbische Großgrundbesitz seit etwa 1880 zusehends tiefgreifenden wirtschaftlichen Strukturproblemen gegenüber gesehen habe. Die bisherigen Forschungsergebnisse lassen eine abschließende Beurteilung des Problems nicht zu. Für Brandenburg kann Schiller aber wichtige neue Erkenntnisse vorlegen. Der Preisverfall in der Mitte der achtziger Jahre des 19. Jahrhunderts beendete zeitweilig zwar die Einkommenssteigerungen in der Landwirtschaft und führte teilweise sogar zu Einkommensverlusten, doch konnten viele Gutsbesitzer durch Steigerung der Produktivität und Veränderungen im Mischungsverhältnis der Produkte die Herausforderung unter den neuen Bedingungen einer protektionistischen Politik meistern. Insbesondere die größten Güter, die über besonders ausgedehnte Waldflächen verfügten, konnten zudem den landwirtschaftlichen Preisverfall durch ihr forstwirtschaftliches Engagement bei im Ganzen stabilen Holzpreisen abfedern. Schiller argumentiert daher, dass die psychologischen und politischen Folgen der Konjunkturkrise wichtiger als greifbare wirtschaftliche Verluste gewesen seien. Insgesamt haben die führenden Großgrundbesitzer auch noch am Ende des Kaiserreichs hohe Einkommen aus der Landwirtschaft erzielen können, die ihnen einen Platz unter der reichsten Einwohnern der Provinz sicherten.

Im zweiten Teil seiner Arbeit wendet sich Schiller einer differenzierten Untersuchung der brandenburgischen Großgrundbesitzer selbst zu, bei denen es sich durchaus nicht um eine einheitliche ländliche Elite handelte, wie die Studie entgegen älteren Thesen überzeugend nachweist. Schiller schlägt vor, über die herkömmliche Unterscheidung von Adel, Bürgerlichen und juristischen Personen hinaus langfristig im Besitz ihrer Güter befindliche Familien den nur kurz- und mittelfristig engagierten Eigentümern gegenüberzustellen. Die quantitative Analyse zeigt dabei, dass ein Kern von 109, überwiegend uradligen Geschlechtern im ganzen Untersuchungszeitraum im brandenburgischen Großgrundbesitz vertreten war. Zusätzlich erwarben 34 Adelsfamilien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts Großgrundbesitz in der Provinz, den sie dauerhaft behaupteten. Insgesamt verfügten diese langfristig angesessenen adligen Geschlechter und Familien über deutlich mehr als die Hälfte der Gesamtfläche des bereits vor 1885 bestehenden brandenburgischen Großgrundbesitzes.

Neben den langfristig begüterten Adelsfamilien etablierte sich auch eine kleinere Gruppe von bürgerlichen Gutsbesitzern, die ihren Besitz über einen langen Zeitraum wahrte. Knapp 100 Familien, die ihre Güter vor 1857 erworben hatten, lassen sich auch noch am Ende des Kaiserreiches auf ihren Ländereien nachweisen. Sie vereinigten allerdings nur rund 5% der Fläche des schon vor 1885 bestehenden Großgrundbesitzes auf sich. Die meisten dieser bürgerlichen Großlandwirte verfügten lediglich über Einzel-Besitz, der in der Regel Rittergut-Status hatte.

Insgesamt zeigt sich sowohl unter den bürgerlichen als auch unter den adligen Besitzern im Untersuchungszeitraum eine Tendenz zum längerfristigen Besitz. Mehr als 40% der Rittergüter wurden nie auf dem Gütermarkt gehandelt. Daneben gab es allerdings ein Segment vor allem kleinerer und mittlerer Güter, die häufig zum Verkauf kamen. Vor allem in diesem Bereich konnten bürgerliche Neuerwerber den adligen Gutsbesitz zurückdrängen. Allerdings waren die betroffenen Güter häufig auch schon im 18. Jahrhundert mehrfach umgeschlagen worden, so dass es sich bei den verdrängten adligen Besitzern überwiegend selbst um kurz- und mittelfristig angesessenen Familien handelte. Der starke Anstieg des bürgerlichen Anteils am Großgrundbesitz im Kaiserreich war im übrigen ganz wesentlich auch auf die vermehrte Neubildung von Großgrundbesitz bzw. auf veränderte Erfassungskriterien zurückzuführen.

Schiller kann nachweisen, dass der Fortbestand älterer lehnsrechtlicher Bindungen von den brandenburgischen Adelsfamilien nicht als schädlich empfunden wurde und nicht zu einer Überschuldung der Güter führte, sondern vielmehr weiterhin der langfristigen Besitzsicherung diente. Damit unterschied sich die brandenburgische Situation von den Verhältnissen im benachbarten Pommern. Erst nach der gesetzlichen Aufhebung der Lehen in den siebziger Jahren des 19. Jahrhunderts richteten adlige Gutsbesitzer vermehrt Fideikommisse ein. Dagegen folgte nur eine kleine Zahl besonders wohlhabender bürgerlicher Großgrundbesitzer diesem Beispiel. Schiller sieht darin einen Beleg für ein unterschiedliches Verhältnis von Adel und Bürgerlichen zum Landbesitz.

Schiller argumentiert schließlich, dass die These einer möglichen ‚Verschmelzung’ adliger und bürgerlicher Großgrundbesitzer zu einer neuen Elite im Wesentlichen an Hand der jeweils langfristig angesessenen Familien zu überprüfen sei. Er untersucht dazu zum einen das Heiratsverhalten, zum anderen die unmittelbaren Kontakte zwischen beiden Gruppen. Die Untersuchung führt zu dem Ergebnis, dass die Heiratskreise der langfristig angesessenen adeligen und bürgerlichen Familien klar abgegrenzt waren, auch wenn bürgerliche Ehefrauen auf adligen Gütern durchaus keine Seltenheit bildeten. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahmen aber die Heiraten zwischen Adelssöhnen und Bürgertöchtern ab; Verbindungen von adeligen Frauen mit Männer bürgerlicher Herkunft blieben überdies immer eine Ausnahmeerscheinung. Die langfristig angesessenen bürgerlichen Gutsbesitzer bildeten vor allem mit anderen in der Landwirtschaft tätigen Familien, daneben auch mit Stadtbürger einen eigenen Heiratskreis, der aber das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum nicht mit einschloss.

Adlige und bürgerliche Großgrundbesitzer trafen zunächst vor allem aus wirtschaftlichen Gründen zusammen, wobei insbesondere die zahlreichen landwirtschaftlichen Vereine zum Ort der Begegnung wurden. Erst von Jahrhundertmitte an begann der Adel seine langfristigen bürgerlichen Nachbarn zögerlich auch als politische Partner zu akzeptieren. Die gesellschaftlichen Beziehungen beider Gruppen blieben dagegen bis zum Ende des Kaiserreichs begrenzt, auch wenn eine allmähliche Zunahme der Kontakte zu verzeichnen ist. Insgesamt kann Schiller überzeugend nachweisen, dass es zu keiner ‚Verschmelzung’ oder Assimilierung von langfristig angesessenen adligen und bürgerlichen Großgrundbesitzern in Brandenburg gekommen ist. Vielmehr blieb in der Provinz eine erfolgreiche Kerngruppe überwiegend altadliger Familien auf dem Lande sozial und politisch tonangebend und wirtschaftlich klar dominant.

Insgesamt gelingt Schiller eine klar gegliederte und sorgfältig argumentierende Studie. Dennoch kann die Konzeption der Arbeit nicht in allen Punkten überzeugen. Schiller übernimmt die von Heinz Reif vorgeschlagenen begrifflichen Instrumente, ohne neuerdings daran geäußerte Kritik aufzugreifen.2 Insbesondere stellt er die langfristig angesessenen bürgerlichen und adligen Großgrundbesitzer einander als sogenannte ‚Werteliten’ gegenüber. Dabei werden die beiden Gruppen jeweils einenden Wert- und Mentalitätsstrukturen mit dem in der Bürgertumsforschung entwickelten Konzept ‚Bürgerlichkeit’ einerseits und dem von Reif in Analogie dazu vorgeschlagenen Begriff ‚Adeligkeit’ andererseits umrissen. Dieser Ansatz lehnt eine Interpretation der Großgrundbesitzer als ökonomischer Klasse bewusst und pointiert ab. Dabei kommt es allerdings zu zwei sich überschneidenden Problemen. Zum einen unterlässt es Schiller, mögliche wirtschaftliche, Handeln und Werte zumindest teilweise bestimmende Gemeinsamkeiten bürgerlicher und adliger Gutsbesitzer systematisch vergleichend zu analysieren. Zum anderen bleibt der wichtige Aspekt der Beziehungen zwischen Großgrundbesitzern und ländlichen Arbeitern in der Untersuchung weitgehend unberücksichtigt.

Schillers Analyse zeigt, dass die alt angesessenen Adelsfamilien das Segment der größten Güter und Güter-Komplexe deutlich dominierten. Die langfristig engagierten bürgerlichen Besitzer verfügten in der Regel über im Vergleich dazu kleinere Güter. Schiller weist nun selbst nach, dass sich die großen von den kleineren und mittleren Besitzungen wirtschaftlich in ihrer Struktur unterschieden. Insbesondere weist er darauf hin, dass die größten Betriebe über besonders hohe Anteile an Forstflächen verfügten. Schiller unternimmt aber keinen Versuch, den Vergleich von adligen und bürgerlichen Besitzern systematisch nach Betriebsgrößen zu differenzieren. Damit bleibt die Möglichkeit offen, dass mit der Gutsgröße variierende wirtschaftliche Merkmale das unterschiedliche Verhalten von adligen und bürgerlichen Besitzern – etwa in Fragen der Besitzsicherung und -vererbung – ganz oder teilweise erklären könnten. Eine solche Erklärung könnte dabei durchaus eine Alternative zu dem Befund unterschiedlicher Mentalitätsstrukturen bilden, ohne dass beide Auffassungen – wie es Schiller annimmt – in Widerspruch miteinander stehen müssten. Für diese Sicht spricht, dass adlige Eigentümer kleinerer und mittlerer Güter bei Veräußerung und Erbgängen anscheinend ähnliche Verhaltensmuster aufwiesen wie ihre bürgerlichen Nachbarn.

Übrigens berührt Schillers Studie Probleme der Wirtschaftsführung nur ganz am Rande. Er weist zwar die ältere These adliger Inkompetenz in Wirtschaftsfragen zurück, verzichtet aber auf einen systematischen Vergleich adliger und bürgerlicher Gutsbesitzer, dem die Quellenlage freilich Grenzen setzen mag. Dennoch verweist diese Beobachtung auf ein weiteres konzeptionelles Problem der Studie. Schiller betont zu Recht, dass der ostelbische "Großgrundbesitz [...] immer auch Ausdruck für ländliche Macht- und Herrschaftsverhältnisse war" (S. 23). So bildet auch das Bewusstsein einer "bevorzugte[n] Befähigung, ja [einer] Bestimmung zur Herrschaft über Land und Leute" einen von fünf für die ‚Adeligkeit’ konstitutiven "Mentalitätskernen".3 Es handelt sich hier also um ein relationales Konzept. Dieser Aspekt bleibt aber in Schillers Studie beinahe völlig unberücksichtigt, auch wenn der Wandel der ländlichen Arbeitsverfassung in ihren wirtschaftlichen Grundzügen beschrieben wird (S. 70-81).

Eine Untersuchung der Personalführung auf dem Großgrundbesitz wäre zweifellos von größtem Interesse für die Bestimmung der unterschiedlichen Mentalitäten adliger und bürgerlicher Gutsbesitzer und die Bewertung der Verhältnisse auf dem Lande insgesamt. Doch macht Schillers Arbeit nicht einmal Angaben zur Zahl der jeweils von adligen und bürgerlichen Arbeitgebern beschäftigten Landarbeiter. Die These einer "jahrhundertelangen Einübung eines herrschaftlichen Umganges mit der ländlichen Bevölkerung auf den Rittergütern", die "wesentliche Bestandteile des adligen Habitus geprägt" habe, ersetzt jede weitere Diskussion der Beziehung zwischen dem Landadel und seinen Arbeitern. Schiller scheint von einer einfachen, funktionalistischen Erklärung für dieses vermeintlich über Jahrhunderte im Wesentlichen stabile Muster auszugehen. Jedenfalls nimmt er ohne Umstände an, dass bürgerliche Gutsbesitzer das von ihren adligen Nachbarn praktizierte Verhalten weitgehend übernehmen mussten (S. 440-441).

Diese – für Schillers Arbeit im Übrigen ganz untypische – Vereinfachung überrascht um so mehr, als der Verlust der lokalen Herrschaft aus eigenem Recht die Erfahrung des Adels im 19. Jahrhundert wesentlich mitbestimmte. Es fällt schwer zu glauben, dass der sicherlich allmähliche Übergang eines Herrschafts- in ein bloßes Beschäftigungsverhältnis ohne Folgen für die soziale Praxis auf den Gütern geblieben sein sollte. Hier wird ein grundlegendes Problem des Konzepts der ‚Adeligkeit’ greifbar, das Reif als "vormodernes Substrat" einer "in ihrem Kern nahezu tausendjährige[n] Adelsformation" definiert 4: Der auf Mentalitätsstrukturen langer Dauer eingerichtete Fokus kann mittelfristige Entwicklungen verschwimmen lassen.

Diese konzeptionelle Kritik schmälert Schillers großes Verdienst insgesamt aber nicht. Die hier erstmalig vorgenommene systematische Erfassung und Zusammenführung statistischer Daten für das gesamte 19. Jahrhundert erlaubt die Erhebung zahlreicher neuer Befunde zum brandenburgischen Großgrundbesitz. Die so entstandene Studie wird zweifellos lange Zeit ein grundlegendes Werk bleiben. Es steht zu hoffen, dass Schiller auch seine Datenbank selbst – ggf. nach Abschluss weiterer eigener Auswertungsarbeiten – der Forschung zugänglich macht.

Anmerkungen:
1 Zum Forschungsstand: Reif, Heinz, Adel im 19. und 20. Jahrhundert (Enzyklopädie deutscher Geschichte 55), München 1999.
2 Reif, Heinz , ‚Adeligkeit’ – Historische und elitentheoretische Überlegungen zum Adelshabitus in Deutschland um 1800 [unveröff. Text zu einem Arbeitsvortrag, nicht paginiert] (Berlin, 12. Juni 1997); Kritik an Reifs Ansatz: Marburg, Silke; Matzerath, Josef, Vom Stand zur Erinnerungsgruppe. Zur Adelsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, in: dies. (Hgg.), Der Schritt in die Moderne. Sächsischer Adel zwischen 1763 und 1918, Köln 2001), S. 5-16 (dort auch eine Zusammenfassung von Reifs Position).
3 Reif, a.a.O., S. 3.
4 Ebd., S. 2f.

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