C. Jöchner (Hg.): Politische Räume

Titel
Politische Räume. Stadt und Land in der Frühneuzeit


Herausgeber
Jöchner, Cornelia
Reihe
Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte 2
Erschienen
Berlin 2003: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
210 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Carl-Hans Hauptmeyer, Historisches Seminar, Universität Hannover

Das Buch geht im Wesentlichen auf eine Hamburger Tagung des Jahres 2000 zum Thema „Architektur, Orte, Topographie: Die Formung politischer Räume“ zurück, die aus dem 1996 abgeschlossenen Graduiertenkolleg „Politische Ikonographie / Stadt“ erwachsen ist.

Nach dem Vorwort von Cornelia Jöchner stellt Wolfgang Neuber in abstraktionsreicher Sprache die Nähe von Idealstadtvorstellungen und Utopien am Beispiel von Alberti, Dürer, Morus, Andreae und Burton nebeneinander (S. 1-22). Sodann zeigt Karsten Müller an den zahlreichen niederländischen Bilddarstellungen über den Krieg gegen Spanien aus der zweiten Hälfte des 16. und den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts, wie das Bild zur Konstruktion einer vaterländischen Gemeinschaft gegen den zerstörerischen Eindringling genutzt wurde (S. 23-44). Mascha Bisping vergleicht die 1827 beginnende erfolgreiche Anlage einer, pragmatisch an den wirtschaftlichen Gegebenheiten orientierten, neuen bremischen Hafenstadt bei Gestemünde, also Bremerhaven, mit der fehlgeschlagenen großangelegten Neugründung Carlsburg am selben Ort durch die Schweden um 1700 (S. 45-65). Cornelia Jöchner erläutert Turins an Plätzen und langen Sichtachsen orientiertes Wachstum als Savoyens Herrschaftsmittelpunkt für die Zeit des 16. bis 18. Jahrhunderts (S. 67-89). Martin Warnke legt Beispiele vor, die zeigen, dass grafische Darstellungen von Schlachtordnungen bis zu Friedrich dem Großen das Gelände vernachlässigten, während seit den Kriegsgrafiken des Ersten Weltkriegs die Dynamik der Expansion präsentiert wurde (S. 91-107). Katrin Bek widmet sich dem zu seiner Zeit größten Stadtplatz Deutschlands, dem von 1769 bis 1783 zwischen Alt- und Neustadt eingefügten Friedrichsplatz in Kassel, und verdeutlicht die traditionelle Stadtabgrenzungen sprengenden spätabsolutistischen Raumvorstellungen (S. 109-132). Wolfgang Schäffner liefert kurze Beispiele über die Veränderung von Festungen im 16. und 17. Jahrhundert zu Knotenpunkten räumlicher Herrschaft (S. 133-144). Daniel Spech hebt die Bedeutung der schweizerischen Landesvermessung von 1833 bis 1865 für die politische Selbstvergewisserung der Schweizer hervor (S. 167-183). Auf einen weiteren Beitrag wird unten ausführlicher eingegangen. Die Aufsätze werden durch ein Sach-, ein Personen- und ein Orts- sowie Territorienregister ergänzt.

Wie so oft bei Tagungs- und Sammelbänden fehlt ein zusammenfassender Überblick samt Perspektive für die weitere Forschung. So könnte für manche Leser am Ende die Frage offen bleiben, was das spezifisch Neue an den hier gewählten Raumbetrachtungen sei. Die Beiträge sind aus historischer, kunstgeschichtlicher, literaturwissenschaftlicher und architekturtheoretischer Sicht geschrieben. Damit ist die Perspektive vorherrschend eine Ästhetisch-raumgestalterische. Wer, wie der Rezensent, einmal das Fach Geografie studiert und sich mit Fragen der Landes- und Regionalgeschichte befasst hat, könnte sich daher ergänzende Beiträge aus diesen Blickrichtungen wünschen.

Vielleicht liegt dies aber nur an dem Titel des Werkes, der, obgleich einer kunstgeschichtlichen wissenschaftlichen Reihe zugeordnet, den Eindruck erwecken mag, als sei mit den drei verwendeten Leitbegriffen „Politische Räume“, „Stadt“ und „Land“ eine grundsätzliche und umfassende Auseinandersetzung um diese angestrebt. Hierfür fehlen freilich wichtige Bereiche. Nicht erörtert wird beispielsweise die Rolle der ökonomischen und politischen Expansion in der Frühen Neuzeit und das daraus resultierende Raumverständnis. Das Land wird ohnehin nur erwähnt als Fläche und nicht als eigens zu betrachtender Raum, der in der Frühen Neuzeit beispielsweise als protoindustrielles Areal qualitative Neuerungen bot. Zwar wird mehrfach auf einen „spatial turn“ der jüngeren Zeit hingewiesen, doch eine Rezeption der neuen Diskussionen über den Raum im Fach Geografie, in der Landes- und Regionalgeschichte, in der kulturwissenschaftlich orientierten Geschichtsforschung sowie mehr und mehr in den Sozialwissenschaften und in den Planungsdisziplinen bleibt rar.

Daher sei abschließend der bisher nicht erwähnte Beitrag von Marcus Sandl gewürdigt (S. 145-165). Sandl zeigt wesentliche Merkmale jener in den anderen Beiträgen vermissten wissenschaftlichen Diskussionen auf, verweist auf die aktuell und historisch unterschiedlichen Aneignungen und Konstruktionen, was Raum sei, und exemplifiziert dies zunächst an den Raumvorstellungen und –instrumentalisierungen des ersten Preußenkönigs um 1700. Dies führt zu den Organisationsformen des politischen Raumes über personale Abhängigkeitsverhältnisse, wie sie dem Alten Reich und seinen Gliedern bis zum späten 17. Jahrhundert eigen waren, um dann, zumindest in der Theorie der Reichspublizistik, von den quasi raumlosen Vorstellungen der Naturrechtslehre ersetzt zu werden. Diese forderte nunmehr um so konsequenter territorial fixierte Grenzen, unterstützt schließlich durch die Kameralistik, die das ökonomische und soziale Gefüge eines Territoriums durch den Raum zu ordnen begann. Im 19. Jahrhundert wurde dies durch die Grundvorstellung ersetzt, der autonome Mensch könne sich den Raum aneignen und dieser sei nur die Basis einer Inwertsetzung durch den Menschen. Die Tradition eines solchen Denkens in Teilen der Geschichtswissenschaft führt Sandl zu dem Schlusssatz: „Die Historisierung des Raumes könnte mithin [...] auch zu einer Neubestimmung der ‚Geschichte’ und der Geschichtsschreibung führen.“ (S. 160)

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