Kinderlandverschickung 1940-45. CD-ROM

Cover
Titel
KLV - Erweiterte Kinderlandverschickung 1940 bis 1945. Eine Dokumentation auf zwei CD-ROMs mit einer Einführung in deren Nutzung


Herausgeber
Rüther, Martin; Martinsdorf, Eva Maria
Erschienen
Köln 2000: SH-Verlag
Anzahl Seiten
2 CD-ROMs + 64 S.
Preis
€ 26,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Bogenschneider, Institut für Altertumswissenschaften, Universität Rostock

Im September 1940 ordnete ein Befehl Hitlers die Evakuierung von Kindern und Jugendlichen aus den luftkriegsgefährdeten Städten Deutschlands an. Die amtliche Bezeichnung war: Erweiterte Kinderlandverschickung (KLV). Während des weiteren Kriegsverlaufes entwickelte sich die KLV zu einer der größten Evakuierungsmaßnahmen der Geschichte. Mit Zunahme der alliierten Bombenangriffe ab Frühjahr 1943 wurden auch in den besonders luftkriegsgefährdeten Städten alle allgemeinbildenden Schulen geschlossen und evakuiert. Die beiden von Eva Maria Martinsdorf und Martin Rüther herausgegebenen CD-ROMs "Erweiterte Kinderlandverschickung 1940-1945" sind genauso wie die Ausstellung "Zu Hause können sie es nicht schöner haben! - Kinderlandverschickung aus Köln und Umgebung 1941-1945" und die Begleitpublikation gleichen Titels, die ersten Bestandteile eines längerfristig angelegten Projekts zum Thema "Kinder und Jugendliche im Zweiten Weltkrieg" des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln.

Ende 1998 wurde dort damit begonnen, einen Teil der Forschungs- und Ausstellungstätigkeit auf die Untersuchung von Lebensbedingungen und Verhalten der Jugend sowie von Beeinflussungs- und Vereinnahmungsversuchen seitens des NS-Regimes zu konzentrieren. Geplant ist in lockerer zeitlicher Abfolge mit wechselnden, dabei aber aufeinander aufbauenden Schwerpunkten Sonderausstellungen mit jeweiliger Begleitpublikation und weiteren CD-ROMs zu erarbeiten. Der hier vorliegende erste Teil ist aus dem Besucherinformationssystem der zuvor genannten Kölner Ausstellung hervorgegangen. Das Gesamtprojekt ist darauf angelegt, neben den Entwicklungen im ehemaligen Gau Köln-Aachen sowohl die allgemein gültigen reichsweiten Vorgaben und Propagandabemühungen als auch in Ansätzen die entsprechenden Vorgänge in anderen Städten und Regionen zu untersuchen. So geht auch der Inhalt dieser Publikation deutlich über den engeren Kölner Rahmen der Ausstellung hinaus.

Die beiden CD-ROMs sind ein gutes Beispiel dafür, wie eine bereits dem Publikum nicht mehr zugängliche Ausstellung dauerhaft nutzbar gemacht werden kann. Sie enthalten 4.200 Bilddokumente, 5.200 Textdokumente (viele mit Faksimile), 250 Zeitzeugenberichte, eine Datenbank aller zwischen 1933 und 1945 bestehenden Kölner Schulen, fünf Zeitzeugeninterviews auf Video mit einer Gesamtlänge von zweieinhalb Stunden, vier historische Filmdokumente sowie historische Tondokumente (u.a. Rundfunkansprachen und Lieder der Hitlerjugend). Daneben wird eine "erzählte Geschichte" der Kinderlandverschickung präsentiert, die sowohl die allgemeinen Rahmenbedingungen als auch die Situation in der "Heimat" und in der "Fremde" skizziert, kurzum alle Aspekte der Umquartierungsaktion anspricht. Dadurch ist die CD-ROM ohne Vorwissen nutzbar. Allerdings sind diese knappen Einführungen nicht umfassend und nicht frei von Wertungen. Sie beziehen sich in Ihren Urteilen jedoch meist auf die Quellen, die im Hintergrund liegen und jederzeit aufgerufen werden können.

Durch die Anlage der Menüstruktur kann der Nutzer selbst seine Schwerpunkte setzen und eine eigene Quellensammlung zusammenstellen. Dies ist besonders für Lehrer an Schulen interessant, die so die Möglichkeit haben, diese Publikation im Rahmen ihres Unterrichts einsetzen zu können. Kritikpunkt hierbei ist allerdings die Unkommentiertheit des gesamten Materials, hätte man sich doch einige kritische Anmerkungen gewünscht. Andererseits wird in der Masse der Informationen niemand allein gelassen. Das ausführliche Handbuch gliedert sich in zwei Hauptbestandteile: Die eigentliche Gebrauchsanweisung, die besonders Computerneulingen zu empfehlen ist, und Anregungen zur thematischen Schwerpunktsetzung, die einführende Texte zu den jeweiligen Menüpunkten der CD-ROM enthalten.

Für eine erste Information zu den jeweiligen Themenkomplexen Partei, Heimat, Fremde und Kinder klickt man mit der Maus auf den jeweiligen Begriff. Durch aufklappende einzelne Menüs kommt man zu den jeweiligen Themen. Die Planung und die Zeile der NSDAP hinsichtlich der KLV werden unter Partei vorgestellt. Unter Kinder erfährt man die Erfahrungen des Einzelnen, quasi als Gegenpol zum totalitären Begehren der Partei. Die Betroffenen informieren über ihre individuellen Erfahrungen in Briefen, Tagebüchern und Fotos oder in später verfassten Berichten. Die Lage an den Heimatorten der betroffenen Kinder, hier zunächst nur am Beispiel Köln, wird unter Heimat dargestellt. Dazu zählen unter anderem auch die lokale Vorbereitung der KLV, die Haltung der Eltern und der Kirchen und die Verhältnisse an den Schulen. Über die Reisen, die Verschickungsziele und das Leben der Kinder in den KLV-Lagern und Familienpflegestellen erfährt man unter dem Punkt Fremde. Die Informationen reichen von der Unterbringung über Unterricht und Erziehung bis hin zur Freizeitgestaltung.

Hinter jedem einzelnen Menüpunkt der Themenleiste verbergen sich drei verschiedene Angebote: Auf der obersten Ebene wird die zuvor erwähnte "erzählte Geschichte" der KLV präsentiert. Hier stehen zu allen wesentlichen Punkten der Kinderlandverschickung zum Teil sehr ausführliche einführende Texte zur Verfügung, von denen einige auch vorgelesen werden. Will man sich intensiver und differenzierter mit einzelnen Aspekten auseinandersetzen, hat man bei der "erzählten Geschichte" die Möglichkeit, eine Auswahl thematisch relevanter Dokumente abzurufen. Zusätzlich können zu vielen dieser Punkte außerdem Medien (Fotos, andere Bilddokumente, Filme und Audiopassagen) hinzugezogen werden. Neben dieser Themenleiste steht auch eine komfortable Suchleiste zur Verfügung. Mit Hilfe der Menüpunkte Kalender, Register, Archiv und Glossar kann hier in unterschiedlichen, themenunabhängigen Zusammenhängen Material der CD-ROM abgerufen werden. Kalender beinhaltet sämtliche Schriftdokumente nach dem Zeitpunkt ihrer Entstehung geordnet. Die Auswahl kann nach Jahr und Monat oder nur nach Monat oder nur nach Jahr erfolgen.

Unter dem Punkt Register finden sich Informationen zu folgenden Punkten: Sachregister, Verschickungsorte, Aufnahmeorte, Gesetze, Verordnungen, Erlasse, Schulen, Zeitzeugen, Lehrer. Unter Archiv sollten sich Fotoalben, Lagerchroniken, Tagebücher, Poesiealben und Briefwechsel finden, allerdings ließen sich diese Links nicht bei dem mir vorliegenden Exemplar öffnen. Ob das ein Problem meiner Windows-Konfiguration (Windows XP) ist, oder ob dieses Problem auch andere Nutzer betreffen könnte, ließ sich von mir nicht überprüfen.

Auf der zweiten CD-Rom befinden sich fünf Zeitzeugeninterviews. Diese sind jeweils in einzelne Abschnitte unterteilt, die einzeln anklickbar sind, ähnlich der Kapitelstruktur einer DVD. Allerdings ist zum Ansehen dieser Interviews eine Extrasoftware (Apple Quicktime) nötig, die erst von CD-ROM 1 installiert werden muss. Alles in allem bietet diese Publikation einen detaillierten Einblick in die Thematik Kinderlandverschickung. Aber es wird sich zu sehr auf den Großraum Köln konzentriert. Da Materialsammlungen zum Thema KLV in letzter Zeit auch in anderen deutschen Städten, teilweise sogar verbunden mit Ausstellungen, wie in beispielsweise 1999 in Hagen, erarbeitet wurden, würde sich doch ein gesamtdeutsches Projekt anbieten. Technisch wäre eine eigene Benutzeroberfläche wünschenswert, die alle Bestandteile des Programms in sich vereint. Die Nutzung eines Internet Browsers mag praktisch erscheinen, ist aber angesichts fehlender Internetlinks wenig praktikabel. Des weiteren stellt das zusätzliche Installieren von Software Benutzer, die mit dem Computer nicht so vertraut sind, vor Probleme. Zumal Apples Quicktime nicht unter allen Windowskonfigurationen ein problemloses Abspielen von Videomaterial garantiert.

Das Begleitbuch allerdings muss man uneingeschränkt loben. Es bietet detaillierte Informationen über das Programm und beinhaltet einen kurzen Einstieg in die Thematik. Als weiterführende Literatur sei das ebenfalls von Martin Rüther verfasste Buch "Zu Hause könnten sie es nicht schöner haben! - Kinderlandverschickung aus Köln und Umgebung 1941-1945" (Köln, 2001) zu empfehlen.