M.J. Ouimet: The Rise and Fall of the Brezhnev Doctrine

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Titel
The Rise and Fall of the Brezhnev Doctrine in Soviet Foreign Policy.


Autor(en)
Ouimet, Matthew J.
Erschienen
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
$ 21.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hermann Wentker, Institut für Zeitgeschichte, Außenstelle Berlin

Das Ende der Breschnew-Doktrin wurde nicht von Gorbatschows "Neuem Politischen Denken", sondern bereits von der sowjetischen Führung unter Breschnew in der polnischen Krise von 1980/81 eingeläutet. Diese auf den ersten Blick überraschende These steht im Zentrum der Untersuchung von Matthew Ouimet. Ganz so neu ist diese Sichtweise jedoch nicht. Vor allem durch Aufsätze und Quellenpublikationen des Cold War International History Project ist bereits seit Jahren bekannt, dass General Wojciech Jaruzelski mit der Ausrufung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 einer drohenden sowjetischen Intervention nicht etwa zuvorkam, sondern dass er im Gegenteil sowjetische Truppen anforderte, um ihn bei der befürchteten Konfrontation mit der eigenen Bevölkerung zu unterstützen. Moskau wollte indes unter keinen Umständen ein solches Risiko eingehen, so dass die polnische Führung auf sich allein gestellt blieb.1

Doch in welchen größeren Rahmen lässt sich dieser Wandel der sowjetischen Osteuropapolitik einordnen, welche tieferen Ursachen lagen ihm zugrunde, und wie vollzog er sich in den entscheidenden Jahren der polnischen Krise von 1980/81? Auf diese Fragen gibt Matthew Ouimet in seiner vornehmlich auf russische Quellen gestützten Arbeit kompetent Antwort. Die Vorgeschichte bezieht er nur ein, soweit dies nötig ist. So skizziert er zu Beginn die Entstehung der Breschnew-Doktrin im Zusammenhang mit der Niederschlagung des Prager Frühlings und vor allem die "Normalisierung" in der CSSR in den Jahren 1968/69. Diese beiden Jahre bezeichnet er als Wasserscheide in der Geschichte der sowjetischen Blockpolitik. Moskau habe sich damals von seiner "post-1953 permissiveness" (S. 60) entfernt und von nun an stärker als zuvor auf den Blockzusammenhalt unter "konservativen" Vorzeichen geachtet. Doch wurde die Stabilisierung im Ostblock nicht nur durch repressive Maßnahmen und deren Androhung, sondern auch durch Reformen im Warschauer Pakt und im RGW sowie das Eingehen auf die Konsumwünsche der Bevölkerung angestrebt. Da dies jedoch nur mit westlichen Krediten und sowjetischen Subventionen möglich war, brach diese Stütze der Moskauer Vorherrschaft gegen Ende der siebziger Jahre weg; hinzu kamen als weitere destabilisierende Elemente die Auswirkungen der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (1975), die eurokommunistische Bewegung sowie die sowjetische Entscheidung vom Dezember 1979, in Afghanistan zu intervenieren.

In dieser Situation sah sich die sowjetische Vormacht durch die Solidarnosc-Bewegung herausgefordert, der die polnische Führung weitgehend hilflos gegenüberstand. Vor allem mit Hilfe sowjetischer Archivalien und einschlägiger polnischer Veröffentlichungen schildert Ouimet detailliert die Wahrnehmung der Krise durch Moskau sowie die von dort ausgehenden Versuche, die polnische Führung unter Parteichef Stanislaw Kania und Jaruzelski zu entschiedenen Maßnahmen zur Unterdrückung der Solidarnosc zu bewegen.

Die Ende August 1980 vom KPdSU-Politbüro eingesetzte Kommission zur Beobachtung der polnischen Krise unter Michail Suslow sah darin zwar von Anfang an eine Bedrohung für die Grundlagen der kommunistischen Herrschaft in Osteuropa. Dennoch wurden bereits Anfang September vier der elf in Alarmzustand versetzten Divisionen, die die nördliche Gruppe der sowjetischen Streitkräfte verstärken sollten, wieder demobilisiert. Im Dezember 1980, als gemeinsame Manöver der polnischen Nachbarstaaten angesetzt waren und allgemein eine Intervention befürchtet wurde, befanden sich lediglich drei Divisionen in der westlichen Sowjetunion in voller Alarmbereitschaft. Damals beschloss die Führung unter Breschnew anlässlich der einzigen Beratung der ersten Sekretäre der Staatsparteien der Warschauer-Pakt-Staaten in der gesamten Krise, vorerst nicht in Polen einzumarschieren. Bis Mitte Juni 1981 kamen sowohl das Politbüro als auch die Militärführung zu dem Ergebnis, unter keinen Umständen militärisch in Polen einzugreifen. Und bei dieser Entscheidung blieb es, auch als Jaruzelski mit der Ausrufung des Kriegsrechts im Dezember 1981 zögerte und in diesem Zusammenhang um sowjetische militärische Unterstützung bat. Diesen Bitten kam die sowjetische Führung nicht nach, sondern machte sich im Gegenteil darauf gefasst, Polen aufgeben zu müssen. Trotz der Verschärfung der Krise ging also die sowjetische Interventionsbereitschaft tendenziell zurück.

Die Ursachen dafür lagen einmal in den unzulänglichen sowjetischen militärischen Möglichkeiten begründet: Zu einer militärischen Intervention gegen den Willen der polnischen Führung (die erst im Oktober 1981 militärische Hilfe anforderte) und gegen den Widerstand der polnischen Bevölkerung sah sich Moskau nicht imstande. Hinzu kam der mangelnde sowjetische Wille, in Polen zu intervenieren. Immer wieder verweist Ouimet auf die Afghanistan-Erfahrung, die der Führung als Menetekel vor Augen stand. Doch auch drohende negative Rückwirkungen im Ost-West-Verhältnis trugen zu dieser sowjetischen Einstellung bei. Überspitzt, jedoch mit einem gewissen Recht, formuliert der Autor in diesem Zusammenhang: "[T]he Soviet leadership placed a higher priority on its ties with Western Europe than on its responsibility to allied socialist governments." (S. 242). Dies wiederum reflektiert eine Neudefinition sowjetischer Interessen. Die Sowjetunion habe sich in diesen Jahren auf ihre im engeren Sinn "nationalen" Interessen besonnen: Die Erhaltung der eigenen Integrität und Lebensfähigkeit sei ihr nun weitaus wichtiger erschienen als die Aufrechterhaltung der kommunistischen Klientelstaaten um jeden Preis.

Dem ist grundsätzlich zuzustimmen. Es führt jedoch nicht viel weiter, darin einen Sieg der "requirements of realpolitik" gegenüber "ideological commitments" zu sehen (S. 5). Es handelte sich vielmehr um eine Anpassung der Interessenlage an die gegebenen Machtverhältnisse. Ende der sechziger Jahre glaubte sich die Sowjetunion noch in der Lage, nicht nur ihre eigene Integrität, sondern auch ihr Imperium zu erhalten. Zu Beginn der achtziger Jahre waren ihre Ressourcen zusammengeschmolzen; es war daher die Überdehnung der sowjetischen Weltmacht, die diese zu einer Reduzierung ihres Engagements zwang. In dieser Situation konnte die Sowjetunion zwar noch mit dem Säbel rasseln. Sie vermied es allerdings, wie im Jahre 1968, eine Drohkulisse der Warschauer-Pakt-Staaten aufzubauen. Dieser wichtige Unterschied wird von Ouimet genauso wenig thematisiert wie das wiederholte Drängen Honeckers bei Breschnew, die osteuropäischen Parteiführer zu einer Beratung über die polnische Krise einzuberufen. Nur einmal, am 5. Dezember 1980, ließ sich Breschnew zu diesem Schritt bewegen; die weiteren Vorstöße Honeckers blieben vergeblich. Auch darin spiegelt sich der Machtverlust der Sowjetunion wider, deren Führung nicht nur befürchtete, Erinnerungen an die Konfrontation von 1968 hervorzurufen und damit falsche Erwartungen zu wecken, sondern auch sah, dass sie die anderen Ostblockstaaten nicht mehr hinter sich würde sammeln können.

Anmerkung:
1 Kramer, Mark, Poland, 1980-81. Soviet Policy during the Polish Crisis, in: Cold War International History Project [CWIHP] Bulletin 5 (1995), S.1, 81-139; ders., Jaruzelski, the Soviet Union, and the Imposition of Martial Law in Poland: New Light on the Mystery of December 1981, in: CWIHP Bulletin 11 (1998), S. 5-14; ders., "In Case Military Assistance is Provided to Poland."Soviet Preparations for Military Contingencies, August 1980, ebd., S.102-109; Mastny, Vojtech, The Soviet Non-Invasion of Poland in 1980/81 and the End of the Cold War, CWIHP Working Paper Nr.23, September 1998.

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