U. Halle: "Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!"

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Titel
"Die Externsteine sind bis auf weiteres germanisch!". Prähistorische Archäologie im Dritten Reich


Autor(en)
Halle, Uta
Reihe
Sonderveröffentlichungen des Naturwissenschaftlichen und Historischen Vereins für das Land Lippe 68
Erschienen
Anzahl Seiten
608 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Wer das Fürstentum Lippe kennt oder vielleicht ein paar Jahre dort gelebt hat, der weiß von dem wissenden Blick und dem mehr oder weniger heimlichen Stolz seiner Bewohner auf ihr Land. Nicht selten wirken die ideologisch schwer überladenen Zeugnisse deutschen Sendungsbewusstseins wie eine Bürde und Auszeichnung zugleich. Besonders deutlich wird dies, wenn Wissenschaftler die Hermannsschlacht kurzerhand aus dem Teutoburger Wald verlegen und damit dem Hermannsdenkmal über Detmold den Boden entziehen, auf dem es zu stehen glaubte. Die Reaktionen waren und sind von bisweilen emotionaler und irrationaler Natur. Man wird eben nicht gern seiner Heiligen beraubt. Auf die offene Wunde der Entmystifizierung hat nun auch Uta Halle ihren Finger gelegt und auch dieser Schmerz muss groß sein. In ihrer Habilitationsschrift widmet sich die Autorin auf opulenten 520 Textseiten dem „germanischen Heiligtum“ des Lipperlandes, den Externsteinen. Zwar hat sich die Drangsalierung der Felsenformation als germanische Was-auch-immer seit 1945 stark beruhigt, doch geben allein die heute dort abgehaltenen Feiern zur Sommersonnenwende ein beredtes Beispiel dafür, dass der Deutungswucher über die vermeintlich vorgeschichtliche Kultstätte noch lang nicht aus den Köpfen der Besucher der Externsteine verschwunden ist.

Uta Halles Arbeit stellt jedoch keineswegs nur einen Abschied von einem Mythos dar, sondern die Autorin arbeitet die Forschungsgeschichte der Externsteine-Grabungen auf, wobei der Fokus auf der Zeit des Dritten Reiches ruht. Das Buch behandelt am konkreten Beispiel einer Grabung die Archäologie im Nationalsozialismus mit ihren komplexen personellen, ideologischen und politischen Verflechtungen und steht somit in der Tradition einer ganzen Reihe von Arbeiten der letzten Jahre, die sich der Forschungsgeschichte des Faches Archäologie im Dritten Reich widmen. Welche wechselvolle Entwicklung diese Forschung zur eigenen Geschichte des Faches seit 1945 genommen hat, schildert die Autorin in einer umfangreichen und kritischen Darstellung des Forschungsstandes. Dabei verweist sie auch auf die Angst vor detaillierten Untersuchungen zur Forschungsgeschichte des Faches, die noch immer spürbar tief in den eigenen Reihen vorhanden sei.

Nach diesen einleitenden Kapiteln, die grundlegende Entwicklungslinien des Faches und dessen Ausdifferenzierung und Verwissenschaftlichung nachzeichnen, aber auch kurze, prägnante biografische Skizzen beinhalten, beschreibt Halle skizzenhaft die ersten Grabungen an den Externsteinen seit 1881 bis 1933. Hierbei verweist sie auf die bereits in den 20ern deutlich werdende Politisierung der prähistorischen Archäologie und den immer stärker hervortretenden Einfluss völkischer Laienforscher. Eine herausragende Stellung unter diesen Laien nahm Wilhelm Teudt ein, der, wie die Autorin deutlich macht, mit seiner zentralen Theorie der Externsteine als „germanisches Stonehenge“ bereits vor 1933 die öffentliche Diskussion und Meinung dominierte. Doch auch nach 1933 behielt Teudt dank seiner Anhängerschar, in dem Gerangel zwischen Himmlers Ahnenerbe und dem Amt Rosenberg um die Vormachtstellung auf den Grabungsstätten, die Oberhand bei der Interpretation der Grabungsergebnisse. Ausschlagen gebend hierfür waren die Beeinflussung nationalsozialistischer Politiker und der Opportunismus der Wissenschaftler gegenüber den Machthabern und der Lobby völkischer Kleingruppen.

Die Darstellung des ungebrochenen Übergewichtes über die Interpretation freigelegter Befunde und Funde an den Externsteinen durch völkische Dilettanten bis 1945 stellt eine der Hauptleistungen der Arbeit Uta Halles dar. Doch nicht nur hierbei legt sie Grenzen und Ohnmacht nationalsozialistischer Wissenschaftsorganisationen offen, sondern beweist, dass es die heute in der Forschung gängige Zweiteilung in „gute“ Wissenschaft (SS-Ahnenerbe) und „schlechte“ Wissenschaft (Amt Rosenberg) im Dritten Reich so nicht gab. Beide Organisationen nahmen im Kampf um die Vorherrschaft in der Vorgeschichtsforschung die Machtinstrumente des Nationalsozialismus für sich in Anspruch, um eigene Ziele und Vorteile zu erreichen, ohne dabei immer die hehre Wissenschaft im Blick zu behalten.

Doch Halles Arbeit bietet nicht nur ein umfassendes und ungemein detailliertes Bild der hart geführten Auseinandersetzungen um die Externsteine, sondern unternimmt daneben auch eine Neubewertung der Funde aus den Grabungen. Indem sie, in auch für Laien nachvollziehbarer Weise, die Befunde dokumentiert und beschreibt, um danach die damalige und heutige Interpretation gegenüberzustellen, wird deutlich, dass jedwede „germanische“ Interpretation unhaltbar ist. Uta Halles Buch ist somit nicht nur eine wissenschaftsgeschichtliche Arbeit für das Fach der prähistorischen Archäologie, sondern auch eine wissenschaftliche Untersuchung zu den Grabungsbefunden der Externsteine. Der für die Archäologie besondere wissenschaftliche Wert wird noch dadurch erweitert, dass die Autorin ihrer Arbeit einen Katalog und 27 Tafeln mit Zeichnungen der aussagefähigsten Fundstücke beigibt.

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