K.W. Fricke u.a. (Hgg.): Opposition und Widerstand in der DDR

Cover
Titel
Opposition und Widerstand in der DDR. Politische Lebensbilder


Herausgeber
Fricke, Karl Wilhelm; Steinbach, Peter; Tuchel, Johannes
Reihe
Beck'sche Reihe 1479
Erschienen
München 2002: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
375 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Klein, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die Herausgeber präsentieren „politische Lebensbilder“ widerständiger oder oppositioneller Persönlichkeiten aus der SBZ/DDR – allerdings hauptsächlich für die Zeit bis etwa 1970, was der Leser dem Titel nicht entnehmen kann. Der sich so auf den ersten Blick vermittelnde Eindruck, die Herausgeber meinten, nur für die ersten beiden Jahrzehnte der SED-Herrschaft gelebten Widerstand und oppositionelle Biografien aufspüren zu können, ist allerdings falsch. Er wird von den Herausgebern nur knapp im Vorwort richtig gestellt und mit der Ankündigung eines Folgebandes für die Zeit nach 1970 verbunden. Sind diese Orientierungshürden erst einmal überwunden, wird nicht nur den zeitgeschichtlich Interessierten, sondern vor allem auch jenen Lesern, die bisher wenig vertraut mit dieser Materie waren, eine sehr informative Lektüre zugänglich. Welchen Blick eröffnen die Herausgeber mit ihrer Auswahl auf Opposition und Widerstand in einer Diktatur? Welches Problembewusstsein liegt ihm zugrunde?

Wie stark sich in den Biografien sehr vieler hier vorgestellter Persönlichkeiten deren Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus oder ihr Kampf gegen diesen mit ihrer Entscheidung verband, sich gegen den real existierenden Stalinismus in der DDR zu wenden, springt sofort ins Auge des Lesers. Unter dem Aspekt einer „Geschichte der Geschichtsschreibung“ ist der politisch motivierte Deutungswandel beim zeitgeschichtlichen Blick auf Biografien gelebten und mitunter sehr verschieden motivierten Widerstands immer wieder von besonderem Interesse. Wie genau sich die Herausgeber dieser Tatsache bewusst sind, belegt ihr vergleichender Hinweis auf die Anstrengungen, welche in der alten Bundesrepublik nötig waren, um die in den 50er Jahren noch vergessenen, verdrängten oder sogar als „Verräter“ angesehenen Gegner des Hitlerregimes ins kollektive zeitgeschichtliche Bewusstsein zu holen.

Während in der DDR, deren Legitimation wesentlich auf diesem Bewusstsein fußen sollte, der kommunistische Widerstand auf Kosten der Aneignung politisch anders motivierten Antifaschismus deutlich bevorzugt wurde, erfuhr ersterer in der Bundesrepublik eine politisch motivierte Benachteiligung bei der spät vollzogenen Aufnahme in das bundesrepublikanische Zeitgeschichtsbild. In der DDR war man in einer Hinsicht noch rigider: Hier wurden die linken antistalinistischen Hitlergegner beim andauernden Säuberungskrieg gegen abweichende Sozialismuskonzepte gleichsam doppelt „liquidiert“: Ihre Rolle als „Verräter“ erstreckte sich nun auch auf die Bewertung ihres antifaschistischen Kampfes, und sie kamen dabei noch schlechter weg als die schließlich wenigstens wohlwollende Erwähnung findenden bürgerlichen Hitlergegner. Nach ihrer Entlarvung und politischen „Ausmerzung“ wurden sie schlicht totgeschwiegen.

Angesichts solcher Erfahrungen ist die von den Herausgebern formulierte Selbstverpflichtung für die Widerstandsgeschichtsschreibung vorbildlich: Die Bereitschaft zur Dokumentation der ebenso vielfältigen wie widersprüchlichen Motive und die Anerkennung der Breite antidiktatorischen Widerstands müsse in dem Bekenntnis zur Pluralität der Geschichtsbilder und der historischen Erfahrung wurzeln. Damit haben die Herausgeber gleichsam die Kriterien für die Bewertung ihres Bandes vorformuliert. Für eine Widerstandsgeschichtsschreibung der DDR sind die bekannten Verzeichnungspotentiale inzwischen wieder deutlich geworden: Die Verlockung, den Befund „wirklichen“ Widerstands gegen das stalinistische und poststalinistische politbürokratische Regime in der DDR von der Nähe der politischen Motive und Konzepte der Akteure zum Geschichtsbild des Geschichtsschreibers abhängig zu machen, scheint auch heute noch groß zu sein. In extremen Fällen erinnern so vorgenommene zeitgenössische Abwertungen, Verzeichnungen oder Verdrängungen besonders des linken antistalinistischen Widerstands in der DDR an den Umgang der herrschenden DDR-Geschichtsschreibung mit dem bürgerlichen Anti-Hitler-Widerstand.

Obwohl im Vorwort vor allem die Absicht betont wird, „gegen das Vergessen“ von DDR-Regimegegnern anzugehen, will der vorgelegte Band offenbar auch den beschriebenen Einseitigkeiten entgehen. Dabei will er nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben, sondern Widerstandbiografien „exemplarisch“ dokumentieren. Dies ist zweifellos gelungen: Der Band dokumentiert biografische Skizzen früher antistalinistischer Opposition aus allen politischen Spektren, studentischer und jugendlicher Dissidenz, der innerparteilichen Opposition, von Intellektuellen und Wissenschaftlern sowie Beispiele aus dem problematischen Bereich von vielfältigen, durch westdeutsche Einrichtungen unterstützte und gegen das SED-Regime gerichtete Aktivitäten. Die Herausgeber haben sich auch entschlossen, mit den veröffentlichten Lebensbildern zweier von Westberlin aus operierender nichtkommerzieller Fluchthelfer deren Tätigkeit als „Widerstand in der DDR“ anzuerkennen. Verdienstvoll ist, dass der Aufstand des 17. Juni 1953 mit drei Biografien gewürdigt wird, denn die biografische Sicht auf Widerständler des 17. Juni ist in der Zeitgeschichtsforschung bisher defizitär geblieben.

Den Herausgebern ist unbedingt zuzustimmen, wenn sie in Fällen innerparteilicher Abstrafung prominenter SED-Funktionäre wie Zaisser und Wollweber deren Niederlage im innerparteilichen Machtkampf oder ihre „politischen Zweckmäßigkeiten“ geschuldete inszenierte Ausschaltung nicht als Opposition gewertet wissen wollen. Allerdings sind in diesem Bereich die Grenzen zwischen innerbürokratischen Rationalitätskonflikten und Schritten hin zu offener politischer Auflehnung fließend, wie der Band mit den Biografien von Wolfgang Harich, Walter Janka, Heinz Zöger, Fritz Behrens, Arne Benary, Robert Havemann, Heinz Brandt und Robert Bialek dokumentiert. Diese Grenzen haben etwa auch die (durchaus hellsichtigen) Funktionäre Rudolf Herrnstadt und Karl Schirdewan nie überschritten, weshalb dem Entschluss der Herausgeber, sie in diesen Band nicht aufzunehmen, auch zuzustimmen ist.

Ohne dies ausdrücklich zu erwähnen, haben die Herausgeber mit ihrer Auswahl aber gleichzeitig dokumentiert, wie bedeutsam die antistalinistische kommunistische Strömung im ansonsten durchaus nicht reißenden Fluss innerparteilicher Dissidenz war. Deren ebenfalls beeindruckende sozialdemokratische Komponente (vorgestellt anhand der Lebenswege von Hermann Brill, Arno Wend, Dieter Rieke, Erich Gniffke, den Kreuzers, Gerhard Weck, Albert Wesemeyer und Fritz Drescher) heben die Herausgeber dagegen durchaus hervor, allerdings mit dem eher fehlorientierenden Verweis auf das erhebliche Ausmaß der gegen (ehemalige) Sozialdemokraten geübten frühen innerparteilichen Repression. Dass deren massenhafte Verfolgung ebenso wie die brutale Ausschaltung jeder oppositionellen Regung im kommunistischen Teil der Einheitspartei kein Spiegel wirklicher Widerstandsaktivitäten dieser Mitgliederspektren war, deuten die Herausgeber mit ihrem vorsichtigen, auf die Sozialdemokraten gemünzten Begriff „oppositionelles Potenzial“ selbst an: Dieses Potenzial sollte, so die Logik des „präventiven Erziehungskonzepts“ der Stalinisten, ebenso wie das kommunistische zerschlagen werden, bevor es sich, etwa in Krisensituationen, als Opposition organisiert entfalten könnte. Dies macht allerdings die Lebensgeschichten der wenigen, die sich trotzdem auflehnten, um so beeindruckender. Die aufschlussreichen Biografien Wilhelm Jelineks und des vom MWD entführten Alfred Weiland belegen, wie brutal die deutschen und sowjetischen Organe auch gegen wenig bekannte linke Splittergruppen wie etwa die Aktivisten der anarchistischen Ideengemeinschaft „Proletarischer Zeitgeist“ oder gegen die aus rätekommunistischen Zusammenhängen entstandene „Gruppe Internationaler Sozialisten“ vorzugehen gewillt waren.

Sicher wird jeder zeitgeschichtlich Interessierte ohne Mühe den einen oder anderen Namen nennen können, den er in diesem Band vermisst. Daran lässt sich auch nicht der Wert dieser Veröffentlichung messen. Der gelungene Versuch, das Spektrum gelebten Widerstands und die Besonderheiten jedes einzelnen vorgestellten Lebenswegs nachvollziehen zu können, zählt – auch wenn die gezeichneten Lebensbilder durchaus unterschiedliche Qualität aufweisen.

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