H. Edelmann: Heinz Nordhoff und Volkswagen

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Titel
Heinz Nordhoff und Volkswagen. Ein deutscher Unternehmer im amerikanischen Jahrhundert


Autor(en)
Edelmann, Heidrun
Erschienen
Göttingen 2003: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
363 S., 36 Abb.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Martin Münzel, Institut für Europäische Geschichte, Johannes-Gutenberg-Universität Mainz

Nach fast 70 Jahren Entwicklung und Produktion rollt in diesen Wochen im mexikanischen Puebla endgültig der letzte von mehr als 21,5 Millionen VW-"Käfern" und damit jener legendäre "Typ 1" vom Band, der als meistgebautes Automobil der Welt zum Symbol des deutschen Wiederaufstiegs der Nachkriegsjahre wurde. Dieses von vielen wohl mit Wehmut empfundene Ereignis fällt zusammen mit dem Erscheinen der ersten profunden Biografie Heinz Nordhoffs, der als Generaldirektor von 1948 bis zu seinem Tod 1968 die Geschicke des Volkswagen-Konzerns leitete.

In ihrer rund 360 Seiten starken und in 17 chronologische Kapitel untergliederten Studie schildert die Kölner Historikerin Heidrun Edelmann, wie dem 1899 geborenen und im katholischen Milieu Hildesheims und in Berlin aufgewachsenen Nordhoff nach seinem Maschinenbaustudium zunächst innerhalb der wichtigsten in Deutschland ansässigen Automobilgesellschaft, der General Motors-Tochter Opel, der Aufstieg gelang. Seit 1929 in Rüsselsheim und ab 1939 in Berlin tätig, sammelte Nordhoff in dem modernen, von amerikanischen Produktionsmethoden geprägten Unternehmen wertvolle Erfahrungen, stieg in der Ägide des Rüstungsminister Albert Speers 1942 zum Vorstandsmitglied auf und übernahm wenig später die Leitung des Brandenburger Opelwerks. Als ehemaliger "Wehrwirtschaftsführer" wurde Nordhoff im Dezember 1945 entlassen und kehrte auch nach seiner erfolgreichen "Entnazifizierung" nicht zu Opel zurück. Vielmehr gelang ihm der spektakuläre Wechsel zum Volkswagenwerk, als dessen Generaldirektor er seit 1. Januar 1948 agierte.

Orientiert an der Maxime, nicht allein eine Biografie Nordhoffs im engeren Sinne zu präsentieren, sondern, gemäß dem Titel, "Heinz Nordhoff und Volkswagen" zu fokussieren, gelingt Edelmann eine aufschlussreiche Darstellung der Geschichte des VW-Werks bis 1968. Sie verfolgt die verschiedenen Facetten der Unternehmensentwicklung von den durch die Sorge um das wirtschaftliche Überleben und Rohstoffmangel bestimmten Anfängen in den ersten Nachkriegsjahren über die Phasen exorbitanter Produktions- und Absatzsteigerungen und den Aufstieg zu einem Weltkonzern bis hin zu den Krisen der zweiten Hälfte der 60er Jahre. Mit unternehmensinternen Umstrukturierungen und der Schaffung der "Stab-Linien-Organisation" etablierte Nordhoff zunächst eine straffe Hierarchisierung und eine Zentralisierung des Managements, die ihm weitreichende Kompetenzen garantierten. Mit Rationalisierungsmaßnahmen und einer strategischen Preispolitik reagierte VW unter Nordhoffs Leitung in den Folgejahren auf Herausforderungen wie den zunehmenden Arbeitskräftemangel und die Konkurrenz, vor allem durch Opel. Zunächst mit Ford und später mit Daimler-Benz wurden Fusionen in Erwägung gezogen, 1965 übernahm der 1960/61 privatisierte und in eine Aktiengesellschaft umgewandelte Automobilgigant dann selbst die Auto Union GmbH und schuf sich fortan mit der Produktion des Audi als "großem Bruder" des VW ein weiteres Standbein. Unter erfolgreicher Anpassung an die wirtschaftlichen Strukturveränderungen der 50er und 60er Jahre gelang Volkswagen der Aufstieg zum umsatzstärksten deutschen Unternehmen und glückte die erfolgreiche "Synthese zwischen technisch zweckmäßiger Konstruktion und wirtschaftlich rentabler Produktion" (S. 311). Der Anteil der exportierten Fahrzeuge, der 1951 bei 34% lag, betrug 1963 bereits über 60%, allein zwischen 1950 und 1960 kam es zu einer Vervierfachung der Belegschaft, 1952 stieg das Unternehmen mit mehr als 100.000 produzierten Autos in die Massenfertigung ein, 1962 wurden erstmals mehr als eine Million Wagen pro Jahr produziert, und Mitte September 1965 lief der 10 Millionste VW vom Band.

Mag man auch von einem "zentrale[n] Stück bundesdeutscher [...] Kulturgeschichte", wie es der Umschlagtext unter anderem verheißt, nicht wirklich sprechen wollen, geht die Darstellung dennoch über den rein wirtschaftshistorischen Rahmen in zweierlei Hinsicht hinaus. Zum einen tangiert sie auch Aspekte des Marketing, der Öffentlichkeitsarbeit und der Technikgeschichte und stellt immer wieder die Frage nach der Modellpolitik. Gerade die langjährige Massenfertigung einzig des "Typs 1" unter permanenter Weiterentwicklung und Optimierung gehörte zu den spezifischen Erfolgsfaktoren, und erst nach langen unternehmensinternen Diskussionen wurde Anfang der 60er Jahre die Produktpalette um zwei Modelle ergänzt. Zum anderen wird das VW-Werk auch in seiner Erscheinung als "soziale Enklave" beleuchtet, als Unternehmen, in dem Haustarife direkt mit der IG Metall ausgehandelt wurden und in dem sich die Situation der Belegschaft durch hohe Löhne, verschiedene soziale Leistungen und eine – gegen den Willen der Bundesregierung aufrechterhaltene – jährliche Gewinnbeteiligung als vergleichsweise privilegiert erwies.

Dies führt zu zwei weiteren Perspektiven, die Edelmanns Untersuchung über das Niveau einer routinierten Biografie hinausheben. Einerseits wird, worauf der Untertitel hinweist, mit Nordhoff ein "deutscher Unternehmer im amerikanischen Jahrhundert" porträtiert. Seit seiner Zeit bei Opel blieb Nordhoffs Blick auf die USA gerichtet, und stets versuchte er, auch auf VW eine moderne amerikanische Betriebsorganisation und fortschrittliche Produktionsmethoden zu übertragen. Nordhoff hob die Trennung von technischen und kaufmännischen Bereichen auf, schuf mit dem Instrument der Gewinnbeteiligung Anreize für eine erhöhte Motivation und Kooperationsbereitschaft der Belegschaft und etablierte damit ein "zentrales Element der amerikanischen Industriekultur" (S. 155). Andererseits bildete die katholische Soziallehre, mit der Nordhoff zuerst während seines Studiums an der Technischen Hochschule in Berlin in Berührung gekommen war, "den geistigen Kern seines Selbstverständnisses als Unternehmer" (S. 168). Womöglich schlug sich dieses Selbstverständnis – zumindest nach 1945 – auch in der Antipathie Nordhoffs gegen Rüstungsaufträge nieder; vor allem aber kam es wiederum in der Vorstellung eines Zusammenhangs zwischen prosperierender Unternehmensentwicklung und sozialer Sicherheit der Beschäftigten und in Nordhoffs bemerkenswert progressiver Verfechtung einer "sozialen Betriebspolitik" zum Ausdruck.

Ansatzpunkte für eine kritische Reflexion der vorgelegten Studie bieten sich in vierfacher Hinsicht: Was, erstens, die Formalia angeht, werden vereinzelte Errata im Anmerkungsteil und die Vereinnahmung von Originalzitaten durch die neue Rechtschreibung wohl nur penible Leserinnen und Leser monieren. Eher schmerzt da schon das Fehlen eines Registers.

Was, zweitens, konzeptuelle Aspekte betrifft, vermisst man zunächst eine Einleitung, in der Edelmann ihr Erkenntnisinteresse und die Ziele und Grenzen ihrer Darstellung hätte offenlegen können. Ungewiss bleibt, ob man sich mit eher populärwissenschaftlichen oder doch wissenschaftlichen Ansprüchen an die Lektüre wagen darf, und auch über Art und Umfang der verfügbaren und ausgewerteten Quellen, etwa die Existenz eines möglichen Nordhoffschen Nachlasses, wünschte man sich einige Anhaltspunkte. Mit Blick auf das Literaturverzeichnis überrascht vor allem der Mangel an solchen systematischen Untersuchungen, die die Geschichte der deutschen Großunternehmer und die Entwicklungen der wirtschaftlichen Elite, zu denen Nordhoff zählte, zum Gegenstand haben. Um so rätselhafter erscheint dies, als etwa Hervé Joly in seiner Analyse der deutschen Industrieelite zwischen 1933 und 1989 gerade auch VW einschließt und im 1999 erschienen Sammelband von Paul Erker und Toni Pierenkemper Edelmann selbst bereits erste Ergebnisse ihrer Arbeit präsentiert hat. 1

Drittens mag man sich fragen, ob Edelmann der Faszination ihres Protagonisten Nordhoff nicht teilweise zu erliegen und das Mindestmaß an notwendiger kritischer Distanz zu unterschätzen droht. Wenn auch die humanitär-pragmatische Einstellung Nordhoffs gegenüber den bei Opel eingesetzten Zwangsarbeitern in ihrem Kern außer Frage steht, erscheint die Feststellung, dass "sein christlich geprägtes Verständnis von Menschenwürde [...] auch gegenüber Zwangsarbeitern uneingeschränkt" galt (S. 59f.), doch etwas zu lapidar. Und obwohl Edelmann selbst zu Recht darauf hinweist, dass Nordhoffs regelmäßige Ansprachen an die VW-Belegschaft "bisweilen beklemmend an die Betriebsgemeinschafts-Rhetorik des Nationalsozialismus" erinnerten (S. 161), hätte man sich anstelle weniger Worte zu Nordhoffs positivem Verhältnis gegenüber den Gewerkschaften doch eine intensivere Analyse möglicher aus der Zeit des Nationalsozialismus tradierter Kontinuitätselemente innerhalb der Nordhoffschen Begrifflichkeiten und Argumentationsmuster vorstellen können. Wichtiger noch erscheinen in diesem Zusammenhang jedoch Bedenken gegenüber einer allzu schattenlosen Stilisierung des Unternehmers Nordhoff, der, so gewinnt man den Eindruck, geradezu ein von wirtschaftlichen Fehlentscheidungen unbehafteter und persönlichen Defiziten freier "homo oeconomicus" gewesen sein muss. Freilich drängt sich ein solcher Eindruck angesichts der geradezu märchenhaften Erfolgsstory von VW auf. Ein selbstbewusster Alleinvertretungsanspruch und die konsequente Durchsetzung unternehmerischer Vorstellungen, die Nordhoff in Zeiten von Hochkonjunktur und Vollbeschäftigung als Erfolgsgaranten erscheinen lassen, können für die Phasen von Stagnation, Krisenangst, Kurzarbeit und wachsenden Lagerbeständen ab Mitte der 60er Jahre aber durchaus auch als Machtversessenheit und Mangel an Flexibilität interpretiert werden. Und spätestens, wenn Edelmann die scharfen, aber durchaus plausibel erscheinenden Attacken Finanzminister Franz Josef Strauß' auf Nordhoff zitiert (S. 289f.), werden Zweifel am Nimbus Nordhoffs geweckt, auf den kritischer zu hinterfragen Edelmann jedoch weitgehend verzichtet.

Viertens schließlich ist auf die grundsätzliche Problematik einer Unternehmerbiografie hinzuweisen. So sehr sich eine solche natürlicherweise auf einzelne Personen konzentriert, so skeptisch muss man doch deren Präsentation als weitgehend autonome Akteure gegenüberstehen. Zweifelsohne hatte Heinz Nordhoff als Generaldirektor von VW eine erstaunliche und in der Geschichte der Bundesrepublik vielleicht singuläre unternehmensinterne Machtstellung inne. Doch ob Nordhoff tatsächlich über eine, wie er glaubte, "Unabhängigkeit nach allen Richtungen" (S. 109) verfügte, muss angesichts der soziologischen, sozialhistorischen und institutionenökonomischen Erkenntnisse über die "soziale Eingebettetheit" wirtschaftlichen Handelns und die Erlangung entscheidender Informationsvorsprünge durch die Einbindung in personelle Netzwerke in Frage gestellt werden. Dabei weist Edelmann selbst auf Ansätze solcher Netzwerkbildungen hin: Persönliche Kontakte erleichterten nicht nur Nordhoffs "Entnazifizierung" (S. 66f.), sondern spielten auch im Rahmen der internationalen Wirtschaftsverbindungen von VW eine wichtige Rolle (S. 135). Im familiären Bereich (den Edelmann leider schon bald vollkommen aus dem Blick verliert), wurde mit der Hochzeit der jüngeren Tochter Nordhoffs, Elisabeth, mit dem Porsche-Enkel Ernst Piëch 1959 eine wichtige Verwandtschaftsbeziehung aufgebaut (S. 347). Vor allem aber erscheint es fruchtbar, die katholische Prägung Nordhoffs auch aus dieser Perspektive systematischer mit einzubeziehen. Zwar trat Nordhoff pro forma nie dem "Bund Katholischer Unternehmer" bei, dennoch reichten seine Kontakte, die in seiner katholischen Studentenverbindung in Berlin wurzelten, bis in den Vatikan hinein, mit dessen Hilfe er sich 1961 etwa um die Anwerbung italienischer Gastarbeiter bemühte (S. 235). Erscheint es somit durchaus lohnenswert, die Verbindungen Nordhoffs zu anderen katholischen Unternehmern wie z.B. Hermann Josef Abs in den Blick zu nehmen, könnte dies Grundlage für weitergehende Erkenntnisse über das katholisch geprägte Unternehmertum der Bundesrepublik sein und möglicherweise sogar Konturen einer "katholischen Wirtschaftselite" offenlegen.

Fazit: Die Biografie Heidrun Edelmanns über "Heinz Nordhoff und Volkswagen" hält was sie verspricht: Sie bietet ein kenntnisreiches, substanzielles und stilsicheres Porträt eines der herausragenden Unternehmer der Bundesrepublik und zugleich anregende und vielfältige Einblicke in die Unternehmensgeschichte von VW. Wünschenswert wäre stellenweise eine kritischere Distanz und eine konsequentere Einbeziehung von Netzwerkstrukturen gewesen, die eine Entfaltung neuer Impulse für die deutsche Unternehmergeschichte stärker vorangetrieben hätte.

Anmerkung:
1 Joly, Hervé, Großunternehmer in Deutschland. Soziologie einer industriellen Elite 1933-1989 (Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 18), Leipzig 1998; Erker, Paul; Pierenkemper, Toni (Hgg.), Deutsche Unternehmer zwischen Kriegswirtschaft und Wiederaufbau. Studien zur Erfahrungsbildung von Industrie-Eliten (Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 39), München 1999.

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