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Titel
Weltreiche des Profits. Die Geschichte von Kommerz, Eroberung und Globalisierung


Autor(en)
Litvin, Daniel
Erschienen
Anzahl Seiten
414 S.
Preis
€ 29,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerhard Altmann, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Transnationale Unternehmen stehen im Kreuzfeuer der Kritik. Galten sie in den sechziger Jahren als verlängerter Arm der alten Kolonialmächte, so avancierten sie Ende der neunziger Jahre zur bevorzugten Zielscheibe von Globalisierungsskeptikern. Konzerne, die über die Grenzen der Nationalstaaten hinweg agieren, setzen sich leicht dem Vorwurf aus, auf vielen Hochzeiten zu tanzen, ohne selbst je feste Bindungen einzugehen. Die Möglichkeit, Lenkungsgremien fast nach Belieben dislozieren zu können, gibt den Multis beträchtliches Drohpotential an die Hand, das sie zu Steuerdumping und anderen Konzessionen politischökonomischer Natur zu nutzen wissen. Da sie obendrein meist in den USA beheimatet sind, passen sie in ein weltanschauliches Raster, das aus transnationalen Unternehmen vorgeschobene Posten einer neoimperialen Globalstrategie macht. Daniel Litvin sieht multinationale Konzerne freilich eher als Riesen auf tönernen Füßen. Er untersucht die Widerstände, auf die der Kapitalismus seit der Frühen Neuzeit bei der Begegnung mit fremden Kulturen stößt. Litvin, der für den „Economist“ geschrieben und den Bergbaumulti Rio Tinto beraten hat, greift dazu mehrere transnationale Unternehmen heraus und verortet sie in vier Zeitabschnitten. Um ihre Interaktion mit den Regierungen und Gesellschaften der jeweiligen Gastländer zu illustrieren, möchte Litvin auf der Basis der umfänglichen Sekundärliteratur historische, anthropologische und ökonomische Forschungsansätze zu einem möglichst facettenreichen Bild verdichten, aus dem verallgemeinerbare und für die Gegenwart erhellende Grundmuster hervortreten.

Zum Prototypen der kapitalistischen Durchdringung eines überseeischen Territoriums wurde die 1600 in England gegründete Ostindienkompanie. Litvin zeigt, wie sich die Kompanie im 18. Jahrhundert zusehends von ihrer kommerziellen Bestimmung löste und immer mehr zu einem militärisch-politischen Generalunternehmer des Subkontinents mutierte. Einzelne gesellschaftliche Gruppen verlangten besondere Zuwendung, die in Form von Waffengewalt, Bestechung oder zeremoniellem Prunk distinkte Abhängigkeitsverhältnisse schuf. Das vielzitierte Bonmot des Historikers John Seeley, demzufolge Großbritannien sein Empire in einem „Moment der Geistesabwesenheit“ erworben habe, fand in der eher planlosen Unterwerfung Indiens das eindringlichste Anschauungsmaterial, da die Kompaniedirektoren in London nur einen begrenzten Einfluss auf die Dynamik Südasiens besaßen. Erst als es 1857 zu einer Meuterei der indischen Armee kam, wurde die Ostindienkompanie entmachtet und dem Subkontinent ein staatliches Korsett angelegt. Evangelikale wie utilitaristische Pressure Groups hatten im Mutterland ein Meinungsklima geformt, das ein Imperium nicht mehr als bloßen Ausfluss einer privatkapitalistischen Unternehmung duldete. Dies bedeutete jedoch nicht, dass die Verantwortlichen in London fortan das gesamte Empire verstaatlichten. Cecil Rhodes, die Inkarnation imperialistischen Draufgängertums, raffte im südlichen Afrika Ende des 19. Jahrhunderts riesige Territorien zusammen, ohne dass das britische Kolonialamt stets sein Plazet gegeben hätte. Kritiker in Großbritannien lehnten die Aktivitäten der British South Africa Company indes nicht per se ab, sorgten sich aber um den rechten Glauben und die Enthaltsamkeit der kolonialen Mündel.

Die zweite Welle massiver ausländischer Investitionen in ärmere Länder spiegelt die Ambivalenzen dieses primär profitorientierten Ausgreifens wider. So diente die Südmandschurische Eisenbahngesellschaft, die seit 1906 im Nordosten Chinas operierte, als Sprungbrett für die imperialistischen Ambitionen des japanischen Kaiserstaats, der schließlich 1931 ein Marionettenregime in „Mandschukuo“ installierte. Gleichzeitig betrieb die Gesellschaft im Stil eines vertikal integrierten Wohlfahrtskonzerns vorbildliche Schulen, Bibliotheken und eine Wissenschaftsabteilung, deren Arbeit Meilensteine der Chinaforschung hervorbrachte. Die United Fruit Company (UFC) stürzte 1954 zusammen mit der CIA den demokratisch gewählten Präsidenten Guatemalas und machte das in einem Bürgerkrieg versinkende Land buchstäblich zur Bananenrepublik. Andererseits befeuerte derlei Schurkerei den Nationalismus in der Region und untergrub damit die Existenzbedingungen des in den Vereinigten Staaten ironischerweise von Antitrust-Prozessen geplagten Konzerns. Die von der UFC finanzierten Bildungs- und Forschungseinrichtungen konnten den durch die politischen Intrigen verursachten Imageschaden jedenfalls nicht kompensieren.

Die dritte Phase des überseeischen Engagements multinationaler Unternehmen sah eine vehemente Gegenreaktion, die mit dem welthistorischen Fundamentaldatum der Dekolonisation zusammenfiel. Nach der 1960 überhastet gewährten Unabhängigkeit Belgisch-Kongos unterstützte der Bergbaukonzern Union Minière die Abspaltung der rohstoffreichen Provinz Katanga. Union Minière wollte Katanga so vom Chaos im restlichen Land isolieren, bewirkte aber exakt das Gegenteil. Die Vereinten Nationen intervenierten und zwangen die abtrünnige Provinz in den bis heute fragilen Staatsverband des Kongo zurück. Zu einer Zeit, als die Antiimperialisten des Westens und der Dritten Welt auf Importsubstitution und Dependenztheorie schworen, konnte selbst Diktator Mobutu, ein antikommunistischer Platzhalter des Westens, nicht umhin, die Union Minière zu verstaatlichen. Dasselbe Schicksal traf, wenn auch schleichend, Aramco, den größten Ölproduzenten des Nahen Ostens. Die kommerziellen Aktivitäten des amerikanischen Unternehmens hatten die traditional geprägte Gesellschaft Saudi-Arabiens einem tiefgreifenden Wandlungsprozess ausgesetzt, der genau jene Gruppen auf den Plan rief, die verwestlichenden Einflüssen am feindseligsten gegenüberstanden. Litvin zitiert zustimmend die Einschätzung eines ehemaligen PR-Beraters von Aramco, den die philanthropische Arbeit spezieller Abteilungen des Konzerns„an einen Trupp Pfadfinder erinnerte, der sich in ein Bordell verirrt hatte.“ (S. 241) Aramco geriet zudem zwischen alle Fronten, als die Ölkrisen der siebziger Jahre amerikanische Kommentatoren den Verdacht äußern ließen, Aramco stecke mit der OPEC unter einer Decke.

In der vierten Phase seit den achtziger Jahren kam es zu einer gewissen Renaissance transnationaler Aktivitäten. Der Erfolg der südostasiatischen „Tiger“ und der Druck von IWF und Weltbank ebneten Multis erneut den Weg nach Übersee, ohne daß die alten Probleme bei dem kommerziell induzierten „clash of civilizations“ verschwunden wären. Anhand des Geschäftsgebarens von Nike, Shell und Rupert Murdochs Star TV verdeutlicht Litvin zweierlei. Zum einen kann der Versuch, sich stärker auf die lokalen Besonderheiten einzulassen und die mittlerweile in elaborierten Codes niedergelegte soziale Verantwortung wahrzunehmen, fatal ins Leere laufen: dann nämlich, wenn beispielsweise angesichts endemischer Korruption und der ethnischen Gemengelage Nigerias die gesellschaftlichen Anstrengungen von Shell die Spannungen vor Ort noch verschärfen. Die von den internationalen Finanzinstitutionen proklamierten Prinzipien der Good Governance besitzen offenbar eine kurze Halbwertszeit, wenn sie in Staaten, die von den Narben des kartografischen Imperialismus gezeichnet sind, einem Praxistest unterworfen werden. Und als der Medienmogul Murdoch seine Fernsehaktivitäten in China nach anfänglichen Verkantungen in Lokalkolorit tauchte, wurde ihm ein Kotau vor den Herrschern in Peking vorgeworfen. Zum anderen verweist Litvin auf die Janusköpfigkeit westlicher Kritik an transnationalen Unternehmen. So musste Nike gegen Kinder- und bestimmte Auswüchse der Frauenarbeit in seinen Fabriken in Pakistan und Indonesien vorgehen, um den Protesten von Menschenrechtsgruppen zu willfahren. Nicht beachtet wurde dabei, dass die betroffenen Kinder fortan – allerdings abseits westlicher Aufmerksamkeit – weitaus unwürdigere Tätigkeiten verrichten und viele Frauen in die patriarchalischen Strukturen ihrer Herkunft zurückkehren mussten.

Aus diesen Schlaglichtern auf das Schicksal transnationaler Konzerne leitet Litvin die Forderung ab, dass Wirtschaftskapitäne wie deren Kritiker die Verhältnisse vor Ort stets genau in den Blick nehmen müssen, um nicht zu Gefangenen einer engstirnigen „corporate culture“ oder eines von westlichen Prioritäten geprägten Helfersyndroms zu werden. Investitionen in Staaten mit fremden Kulturen verlangen die sensible Gestaltung des sozialen Umfelds, damit nicht eine Spirale von Missverständnissen selbst gutgemeinte Aktivitäten entwertet. Allerdings ist der Einfluss der Multis oft begrenzt, wenn lokale Potentaten mehr Transparenz und soziales Engagement als Treibsätze an ihrer oft morschen Machtbasis betrachten. Litvin bleibt freilich mit diesen Einsichten die angekündigte innovative Synthese verschiedener Disziplinen schuldig. Über weite Strecken referiert er lediglich die für die Geschichte der Konzerne relevanten Ereignisse, um dann jeweils auf die historisch kontingenten Schwierigkeiten bei der Einbettung globaler Geschäftsinteressen in lokale Strukturen hinzuweisen. Im einzelnen gelingen ihm dabei durchaus lesenswerte Kurzporträts, vor allem in den Kapiteln über die Ölkonzerne. Das Ganze ist jedoch kaum mehr als die Summe seiner Teile.

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