H. Weber u.a. (Hgg.): Der Thälmann-Skandal

Cover
Titel
Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenzen mit Stalin


Herausgeber
Weber, Hermann; Bayerlein, Bernhard H.
Reihe
Archive des Kommunismus - Pfade des XX. Jahrhunderts 2
Erschienen
Berlin 2003: Aufbau Verlag
Anzahl Seiten
368 S.
Preis
€ 22,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wladislaw Hedeler, Berlin

Der von Hermann Weber und Berhard H. Bayerlein herausgegebene, eingeleitete und kommentierte Band „Der Thälmann-Skandal. Geheime Korrespondenz mit Stalin“ enthält 90 Dokumente, darunter persönliche Briefe und Chiffre-Telegramme, parteiinterne Berichte und Beschlüsse, bei denen es sich zum Teil um Erstveröffentlichungen deutschlandbezogener Materialien aus den im Stalin-Bestand des RGASPI (Russisches Staatsarchiv der Sozial-politischen Geschichte) in Moskau aufbewahrten Dokumenten (Fond 558) handelt. 26 Dokumente stellte die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv (SAPMO) bereit. 21 der in den Band aufgenommenen Dokumente waren bisher in zeitgenössischen oder neueren Veröffentlichungen der Forschung zugänglich. Die Übersetzungen der Dokumente aus dem Russischen besorgte Helmut Ettinger, die Übersetzung der Materialien aus dem Nachlass von Jules Humbert-Droz übernahm Bernhard B. Bayerlein.

Der Band stellt – vergleichbar mit den in Russland veröffentlichten spärlich kommentierten Editionen der Korrespondenzen Stalin-Kaganowitsch oder Stalin-Molotow – 28 Dokumente vor, die dem RGASPI aus dem Archiv des Präsidenten der Russischen Föderation (AP RF) übergeben worden sind. Für den im Sammelband behandelten Zeitraum Juni 1927 bis März 1929 relevante Bestände des im RGASPI aufbewahrten Komintern-Archivs blieben den Herausgebern wegen der „erneuten Teilschließung“ (S. 45) verschlossen.

Es gibt nur wenige Überschneidungen (in elf Fällen) mit den in dem von Klaus Kinner u.a. herausgegebenen Band „Luxemburg oder Stalin. Schaltjahr 1928. Die KPD am Scheideweg“ (Berlin 2003) aufgenommenen 123 Dokumenten aus dem Zeitraum zwischen dem 11. und 12. Parteitag der KPD.

Am 26. September 1928 wurde Ernst Thälmann als Vorsitzender des ZK der KPD abgesetzt, weil er die Unterschlagung von Parteigeldern durch John Wittorf, den Polleiter des Parteibezirkes Wasserkante verschwiegen und damit gedeckt hatte (Dokument 25). Das Politbüro der KPD missbilligte das Verhalten des Parteivorsitzenden als einen die Partei schwer schädigenden Fehler. Stalin wollte und konnte auf den Deutschen, der, wie Molotow an Stalin schrieb, „überall mit ungewöhnlicher Begeisterung aufgenommen“ (Dokument 23, S.126) wurde, nicht verzichten. Nachdem der „Fall“ dem EKKI zur Prüfung und Entscheidung übergeben worden war, fragte Pjatnitzki am 30. September 1928 bei Bucharin und Stalin an, „welchen Beschluß das EKKI in dieser dummen Sache fassen soll“ (Dokument 34, S. 151.). Die Antwort traf umgehend ein und das EKKI-Präsidium sprach Thälmann „das volle politische Vertrauen“ aus (Dokument 46, S. 170).

Jetzt begann das Kesseltreiben gegen jene, die die Moskauer Entscheidung zurecht als Skandal, als nie dagewesenen Vorgang in der Geschichte der KPD, kritisierten. Sie wurden als Rechte und als Versöhnler stigmatisiert. Der „Held der linken Phrase“ hatte gewonnen. Die Stalinisierung der KPD war unumkehrbar geworden.

Während Weber und Bayerlein den Schwerpunkt auf die Vorgeschichte und die Nachbereitung des „Skandals“, d.h. die Korruptionsaffäre legen und Ernst Thälmann ins Zentrum rücken, zeichnet Kinner die Geschichte der KPD unter dem Blickwinkel der Richtungskämpfe innerhalb der KPD von März 1927 bis Juni 1929 nach. Am Ende stand die Ausschaltung der sogenannten Rechten und Versöhnler. Was die Person Thälmanns betreffend in dem von Kinner herausgegebenen Band unterbelichtet ist, kann bei Weber genauer nachgelesen werden.

Weber skizziert Thälmann in der Einleitung „Thälmann und Stalin, die KPdSU und die KPD“ treffend als „einerseits Einpeitscher der Anpassung der KPD an Moskau und andererseits als Produkt dieser Entwicklung“ (S. 12). Die von Thälmann geführte Partei entwickelte sich bis 1929 zu einer völlig von Stalins KPdSU(B) abhängigen, zentralistisch strukturierten Partei. Was im Einzelnen (u.a. während des in der von Weber und Bayerlein besorgten Edition ausgesparten VI. Weltkongresses der Kommunistischen Internationale) geschah, ist bei Kinner nachzulesen – hier ergänzt die eine Edition die andere.

Die Erklärung für das Fehlen bzw. das Vorhandensein von diesbezüglichen Dokumenten in den genannten Dokumentationen hängt vor allem mit den von den Editoren genutzten Archivbeständen zusammen. Nachdem sich Stalin Thälmanns Unterstützung sicher war, verzichtete er demonstrativ auf eine weitere Teilnahme am Kongress und zog sich in seine Sommerresidenz zurück. Bayerlein spricht zurecht von dem hier zu suchenden „Schlüssel für die nur drei Wochen später erfolgte Rettung Thälmanns durch Stalin“ (S. 40).

Kinner konnte in seinem Band Dokumente aus dem in Moskau zugänglichen Bestand VI. Weltkongress verarbeiten. Die Auseinandersetzungen auf dem Kongress spiegeln das Kräfteverhältnis in der KPD sehr deutlich wider. Eine Woche nach seinem Sturz am 26. September 1928 war Thälmann wieder im Amt.

Es bleibt zu wünschen, dass der nunmehr vorliegenden „präzisen Illustration des Stalinisierungsprozesses der KPD von der Spitze aus“ (S. 30) und der von Kinner gebotenen, über die Richtungskämpfe vermittelten Sicht möglichst bald vergleichbare, auf den Dokumenten aus dem Moskauer Komintern-Archiv fußende Darstellungen folgen, die die Reaktion der Parteibasis stärker einbeziehen. Hier sind die bisher nicht oder nur teilweise zugänglichen Berichte der nach Deutschland kommandierten Emissäre der Komintern von außerordentlichem Interesse.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension