W. Müller-Seidel u.a. (Hgg.): Weimarer Klassik

Titel
Die Weimarer Klassik und ihre Geheimbünde.


Herausgeber
Müller-Seidel, Walter; Riedel, Wolfgang
Erschienen
Anzahl Seiten
206 S.
Preis
€ 25,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Neumann

„Weishaupts Geschichte ist mir noch nicht weiter bekannt, als aus dem was wir in den Illuminatenpapieren gefunden haben, die die Münchner Regierung hat drucken lassen. Den Illuminaten mag es wohl ärgerlich seyn, daß er ihren Verfolgern eine solche Blöße gegeben hat. Ihr Eifer gegen ihn soll vermuthlich ihre eigne Moralität verbürgen. Ist denn Weishaupt noch in Gotha?“ (Körner an Schiller, 18.9.1787)

„Mehr zur Washington-Weishaupt-Theorie: / Trotz der Tatsache, dass sein Antlitz auf Billionen von Briefmarken und Dollarnoten erscheint und sein Porträt in jedem öffentlichen Gebäude des Landes hängt, ist niemand so recht sicher, wie Washington wirklich aussah.“ (Shea/Wilson, Illuminatus)1

Gibt es eine Konjunktur des Themas „Geheimbund“? Ist eine ansteigende Interessenskurve zu verzeichnen, die auf eine gesellschaftliche Disposition verweist? Filme wie „23“ und „Pi“, Fernsehserien wie „Akte X“ und „Poltergeist - The Legacy“ gewährleisten eine fortwährende Medienpräsenz von Verschwörungstheorien und Geheimorganisationen. Dabei impliziert jeder Blick auf die Geheimbundproblematik zwei Ausdeutungen von „geheim“: Einerseits geht es um geheime Gesellschaften und deren Mitglieder, andererseits um geheime Vorkehrungen, welche die Obrigkeit gegen staatsfeindliche oder sonst wie verdächtige Personen und Organisationen traf.

Die wissenschaftliche Erforschung von Geheimorganisation – sei es staatlicher und antistaatlicher Natur – war jedoch bisher eher zurückhaltend. Zwar war Adam Weishaupt – Gründer und Oberhaupt des Illuminatenordens – seinen Zeitgenossen wohlbekannt und seine Beinahe-Berufung auf die Professur in Jena (1776) wurde schon zum Politikum, aber diese Bekanntheit sollte nicht bis in die Gegenwart tradiert werden. Daran war natürlich nicht zuletzt der Illuminatenorden selbst beteiligt, ging es doch um einen Geheimbund. Und wie der Name schon sagt, ist ein solcher in aller Regel geheim.

Vorarbeiten zur Geheimbundproblematik

Wie in der kenntnisreichen Einleitung des Sammelbandes erwähnt, gehört zu den ersten Arbeiten über Geheimbünde um 1800 eine Publikation von Ferdinand Josef Schneider über die Auswirkungen der Freimaurerei auf die Kultur Deutschlands im 18. Jahrhundert.2 Daneben beeinflussten den vorliegenden Band in Konzeption und Richtung W. Daniel Wilsons „Geheimräte gegen Geheimbünde“ (1991) und Schings „Die Brüder des Marquis Posa“3. Gerade auf das Buch von Wilson, das Dokumente aus der legendären Weimarer „Schwedenkiste“ enthält, ist zu verweisen, da es systematisch bei der vorliegenden Publikation hinzugezogen werden konnte und die dort publizierten Dokumente in die weitere Forschung Eingang gefunden haben. Es ist nicht so, dass bezüglich der Archivsituation Material in Fülle zur Verfügung steht, um eine Geschichte des Illuminatenordens um 1800 zu schreiben, aber es zeigen und bieten sich dennoch interessante und spannende Forschungsfelder. Dies zeigt der vorliegende Sammelband erfreulicherweise. Er spricht nicht nur ein Fachpublikum von Germanisten, Literaturwissenschaftlern und Historikern an, sondern ist durchaus auch für ein breites Publikum von Interesse.

Hervorgegangen ist der vorliegende Band aus einer Vortragsreihe, welche die Veröffentlichung von Schings’ Monographie zum Anlass genommen hatte, sich näher mit den Illuminaten, dem Illuminatenorden, seinen Protagonisten und deren Verbindungen zur sogenannten „Weimarer Klassik“ zu beschäftigen. Dabei stehen vor allem die Illuminaten im Zentrum des Interesses der einzelnen Autoren. Aber gerade auch im Weimar um 1800 scheinen sich die Grenzen zwischen Illuminaten, Logenbrüdern, Freimaurern, Geheimbündlern und Scharlatanen zu verwischen, was die Autoren des Bandes an keiner Stelle aus den Augen verlieren.

Schiller und die Illuminaten

Wie angedeutet, gibt es keine unüberschaubare Forschungsliteratur zu dem Thema. Was bisher erschienen und als relevant für die Thematik zu bezeichnen ist, rekapituliert Eberhard Weis in seinem Beitrag über die „Illuminatenorden in Bayern“ oder es wird schon in der Einleitung von Müller-Seidel genannt. Dieser gibt eine kurze Einführung in die Problematik, erklärt den Schwerpunkt des Bandes und stellt die Autoren mit ihren Beiträgen vor, so dass eine Einordnung der einzelnen Studien in den Zusammenhang jederzeit anhand der Einführung möglich ist.

Man ist zur Lektüre aufgerufen und sieht sich mit den Hauptvertretern der Illuminaten konfrontiert, die auf die eine oder andere Art eine maßgebliche Rolle in Weimar spielen sollten. Im zweiten Teil der Einleitung wird der Gegenwartsbezug der Thematik erläutert, Verbindungen zur Literatur des 20. Jahrhunderts gezogen und auf die strukturellen Verbindungen zu Geheimorganisationen des 20. Jahrhunderts verwiesen – bis hin zu den nationalsozialistischen Eliten um Heinrich Himmler und den Artamanenorden, einer bündischen Organisation. Dass dabei die „Dialektik der Aufklärung“ – sowohl im Sinne eines Umschlags von Aufklärung in Unmündigkeit als auch als Begrifflichkeit der Kritischen Theorie – eine nicht unwesentliche Rolle spielt, bleibt schon in der Einleitung nicht unerwähnt: „Dieses Umschlagen, das man als Dialektik versteht oder bezeichnet, hat in der Weimarer Klassik kein Schriftsteller so scharfsinnig durchschaut und durchdacht wie Schiller, und in fast allen Beiträgen dieses Buches ist er die geheime Bezugsperson, auf die man wiederholt zu sprechen kommt, nicht nur in den Beiträgen der Literaturhistoriker zur Kultur der Weimarer Klassik.“ (S. 22)

Neben dieser „Folie Schiller“ – wobei Schiller als Nicht-Illuminat der Weimarer Klassik die moralische Gegenposition zu Goethe bekleidet –, die hier ausgebreitet wird und treffend die Bezugspunkte des Bandes skizziert, beschreibt Müller-Seidel auch das inhaltliche Spektrum des Bandes: „Die Logen der Freimaurer wie der Orden der Illuminaten sind aus dem Geiste der Aufklärung hervorgegangen im achtenswerten Bestreben, das Zusammenleben in der Gesellschaft zu verbessern und die Rechte des Einzelnen zu sichern. In der Praxis ihres Wirkens – und das bezieht sich in erster Linie auf die Illuminaten – haben sie zu Selbstreflexion und Selbstkritik, zu einem dialektischen Verhalten herausgefordert und die Aufklärung erst dadurch zu sich selbst gebracht, zum Überdenken der Lage des Menschen.“ (S. 26)

Der Inhalt des Bandes sei kurz skizziert: Martin Mulsow befasst sich mit der Philosophie des Gründers des Illuminatenordens Adam Weishaupt; Theo Stammen widmet seinen Beitrag dem zweitwichtigsten Illuminaten neben Weishaupt, Adolph Freiherr von Knigge. Eberhard Weis rekonstruiert die Geschichte des Illuminatenordens in Bayern und das Fortwirken des Ordens nach dem Verbot von 1785. Wolfgang Riedel und Dieter Borchmeyer widmen sich Friedrich Schiller und Hartmut Reinhard im besonderen Goethes Epos-Fragment „Die Geheimnisse“ und dessen Relationen zum Illuminatenorden. Den Band beschließt Hans-Jürgen Schings mit einem Aufsatz über „Wilhelm Meister und das Erbe der Illuminaten“ – ein Beitrag, der noch einmal die Problematik der Geheimgesellschaft rekapituliert und mit der Turmgesellschaft in Goethes Meister und den dort postulierten Bildungsidealen vergleicht: „Will man Goethes Bildungsroman und die Weimarer »Bildung« verstehen, wird man das großangelegte Projekt der illuminatischen »Bildung« nicht außer acht lassen dürfen.“ (S. 203f.)

Eine Geschichte der Illuminaten?

Einige kritische Anmerkungen seien zu dem rundum gelungenen Sammelband noch gemacht: Vielleicht hätte man sich noch den einen oder anderen Beitrag vorstellen können, der sich etwa kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten der Geschichte der Geheimbünde angenommen hätte. Positiv bleibt zu bemerken, dass in allen Beiträgen die Integration der Geheimbundproblematik in einen kulturgeschichtlichen Kontext gelingt. Ein wenig bemüht wirkt mancherorts der durchgängige Bezug auf Horkheimer/Adornos „Dialektik der Aufklärung“ – aber es ist gerade in Hinblick auf die Metaphorik des Begriffs der „Illuminaten“ das wohl treffendste Paradigma. Der abschließende Beitrag von Schings verweist auf den zentralen Begriff der „Bildung“ und dessen ambivalente Bedeutung für die Staatsutopien der Illuminaten. Die durch „Bildung“ zur Verfügung gestellten „Weltdeutungs-Muster“4 verweisen letztendlich auch auf die Rolle, die Geheimbünde für die Kulturgeschichte haben. Damit gelingt die Einordnung der Geheimbundthematik in eine umfassende Kulturgeschichte des 18. Jahrhunderts und damit sind die Illuminaten – und andere Geheimorganisationen – aus einer Geistesgeschichte des 18. Jahrhunderts nicht mehr wegzudenken. Mit Hilfe des vorliegenden Bandes ist gelungen, was schon im Namen der Illuminaten angedeutet wurde: eine Erhellung geheimer und bisher dem Licht der Öffentlichkeit und der Wissenschaft entzogener Sachverhalte wurde vorgeführt – was gibt es Erfreulicheres mitzuteilen?

Anmerkungen
1 Shea, Robert; Wilson, Robert A., Illuminatus. Erster Band: Das Auge in der Pyramide, Reinbek 2002.
2 Schneider, Ferdinand Josef, Die Freimaurerei und ihr Einfluss auf die geistige Kultur in Deutschland am Ende des XVIII. Jahrhunderts. Prolegomena zu einer Geschichte der deutschen Romantik, Prag 1909.
3 Schings, Hans-Jürgen, Die Brüder des Marquis Posa. Schiller und der Geheimbund der Illuminaten, Tübingen 1996.
4 Zu dem Kulturbegriff von Klaus P. Hansen, der Kultur als Summe von Weltdeutungsmustern versteht vgl.: Hansen, Klaus P., Kultur und Kulturwissenschaft. Eine Einführung, Tübingen 2000.

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