L. Hachmeister u.a. (Hgg): Die Herren Journalisten

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Titel
Die Herren Journalisten. Die Elite der deutschen Presse nach 1945


Herausgeber
Hachmeister, Lutz; Siering, Friedemann
Erschienen
München 2002: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 14,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Bernd Stöver, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Die Alliierten wussten, was sie wollten, als sie 1945 als Siegermächte alle durch den Nationalsozialismus zentralisierten und "gleichgeschalteten" Rundfunkstationen, Verlage etc. schlossen. Der Sinn der berühmten "vier D", Demokratisierung, Denazifizierung, Demilitarisierung und Dekartellisierung Deutschlands lag nicht nur in dem Versuch eines politisch-wirtschaftlich-sozialen Neubeginns. Zusammen mit dem positiven Pendant "Reeducation" waren die „vier D“ vor allem auch als Schutz vor einem zukünftigen Deutschland geplant. Keinesfalls, darüber war man sich einig, dürfe wieder alles beim Alten bleiben. Die Alliierten wollten diesmal jene Fehler vermeiden, die sie nach dem Ersten Weltkrieg begangen zu haben glaubten.

Der Neuaufbau des Presse- und Rundfunkwesens gehörte zu den ersten Maßnahmen der Alliierten. In den Westzonen ließ die Vergabe von Lizenzen an politisch Unbelastete bereits bis 1949 die Zahl der Zeitungen auf rund 150 steigen. Mit der Aufhebung der Lizenzpflicht im gleichen Jahr erhielten die alten Verleger wieder Zugang zum Pressemarkt. Er wuchs innerhalb weniger Jahre auf circa 400 Zeitungen. Über einige dieser Neugründungen gibt es bereits umfangreiche Untersuchungen. Erst in den letzten zehn Jahren sind allerdings die eigentlichen Macher, die Journalisten der "ersten Stunde" und ihre zum Teil gar nicht rühmliche Vergangenheit, verstärkt ins Blickfeld gerückt. 1

Hier setzt auch der Sammelband der Journalisten Lutz Hachtmeister und Friedemann Siering an. Die zeithistorische Selbstreflektion der Journalisten sei, so Hachtmeister in seinem Einleitungskapitel, "dürftig" (S. 7). "In diesem Band geht es nicht so sehr um den (längst erbrachten) Nachweis, daß auch in der meinungsführenden deutschen Tagespresse nach 1945 Ex-Nationalsozialisten prominent gewirkt haben", sondern um das "Rollenverhalten professioneller Kommunikatoren", um "ihre Handlungsmuster im politisch-historischen Prozeß" (S. 11). In eigener Sache hätten sich bisher weder die Journalisten noch ihre Berufsverbände noch die Medienkonzerne bei der Aufklärung ihrer Geschichte besonders hervorgetan. Stattdessen sei das Bild vom - bis auf Einzelfälle - anständigen Journalisten gepflegt worden, der sich im Dritten Reich so gut es eben ging "zwischen den Zeilen" gegen die Zumutungen des Regimes zur Wehr gesetzt habe.

Dennoch war der politische Opportunismus von Journalisten auch damals bereits ein Thema gewesen. Sebastian Haffner jedenfalls habe sich aus dem britischen Exil schon Ende der dreißiger Jahre über die Anpassungsfähigkeit deutscher Journalisten bei politischen Veränderungen gewundert. Immerhin waren es häufig die gleichen Redakteure, die altdemokratische Intelligenzblätter von heute auf morgen in Naziorgane verwandelt hatten.

Im 2002 in der Beck`schen Reihe vorgelegten Band "Die Herren Journalisten" geht es aber nicht um die Anpassung von Zeitungsmachern im Dritten Reich, sondern um die ebenso erstaunliche Wandlungsfähigkeit von Journalisten nach seinem Ende in der Nachkriegszeit und der Bundesrepublik. Ehemalige Herolde des untergegangenen Dritten Reiches schrieben nun ihre Kommentare für die neuen lizenzierten demokratischen Blätter. Gleichzeitig schuf die alliierte Pressepolitik aber auch bewusst politische Gegengewichte: Zeitungen in denen trotz des sich verschärfenden Kalten Krieges bekennende Kommunisten als Herausgeber oder Redakteure arbeiteten.

Die Kontinuitäten, aber auch die Diskontinuitäten zeigt der von elf Autoren verfasste Band an zentralen meinungsbildenden Periodika der Bundesrepublik: der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Süddeutschen Zeitung", der "Frankfurter Rundschau", der "Zeit", dem "Stern", dem "Spiegel" und der Springer-Presse. Es fehlt aber auch nicht ein berühmtes Beispiel aus dem Fernsehen: Werner Höfer, "Urgestein" früher westdeutscher Fernsehgeschichte und Macher der Journalistenrunde "Der internationale Frühschoppen", wurde in den achtziger Jahren aufgrund seiner Vergangenheit als "Durchhalte-Feuilletonist" im Dritten Reich, wie "Der Spiegel" schrieb, zum Abschied gezwungen.

Aber auch "Der Spiegel" selbst, so zeigt der Band, war keineswegs so unberührt von der NS-Vergangenheit, wie die Legende lange Zeit behauptete. In der Redaktion des frühen "Spiegel", so zeigt Lutz Hachtmeister, waren ehemalige Nationalsozialisten ebenso vertreten wie etwa bei der "Frankfurter Allgemeinen" oder der "Zeit". Erich Fischer, ehemaliger Chef des Presse- und Propagandaamtes in der Reichjugendführung, später in der Reichspressekonferenz, landete schließlich beim „Spiegel“, nachdem er zunächst für die CIA und das Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen antikommunistische Flugblätter verfasst hatte.

Kontrastiert ist die Sammlung durch ein geradezu aberwitziges Detail nachkriegsdeutscher Realität: Die Nachkriegskarriere des Mitarbeiters im Reichssicherheitshauptamt, Hans Rößner, der zunächst beim Stalling-Verlag in Oldenburg unterkam, dann beim Insel-Verlag arbeitete und schließlich zum Verlagsleiter bei Piper in München avancierte. Und hier wurde er, der ehemalige SS-Obersturmbannführer, ausgerechnet der Lektor von Hannah Arendt, die 1958 ihren Band über Rahel Varnhagen und 1963 über Eichmann in Jerusalem bei Piper veröffentlichte. Hannah Arendt wusste bis zu ihrem Lebensende 1976 nichts von der Vergangenheit Rößners. Germanist Rößner selbst hingegen, so Autor Michael Wildt, verehrte die Autorin als politische Denkerin und angesehene Intellektuelle. "Aber Jüdin durfte sie nicht sein, das Jüdische in ihren Texten war [...] zu streichen. [...] Nur wenn die Juden aufhörten, Juden zu sein, konnten die Täter sich ihrer Vergangenheit entledigen. [...] Männern wie Hans Rößner fehlte auch zwanzig Jahre nach ihren Taten offenkundig jeder Sinn für das, was sie anderen angetan hatten." (S. 260)

Aber auch ein positives Gegenbeispiel fehlt bei Hachtmann/Siering nicht: Die Erfolgsgeschichte der 1946 lizenzierten "Frankfurter Rundschau" als die "andere Zeitung". Gemacht von jenen, "who should have been dead", wenn es nach den Nationalsozialisten gegangen wäre, machte die „FR“ "der Erinnerungswilligkeit der Deutschen keine Konzessionen" (S. 148). Herausgeber waren drei Sozialdemokraten, Willy Knothe, Paul Rodemann, Hans Etzkorn und drei Kommunisten: Arno Rudert, Otto Grossmann und Emil Carlebach. Als siebter Herausgeber kam Wilhelm Karl Gerst hinzu, der in der Aufbauphase dominierte. Gerst, aber auch Carlebach, siedelten später in die DDR über. Den Amerikanern wurden die Herausgeber der linksliberalen Frankfurter Rundschau in den frühen fünfziger Jahren zunehmend unheimlicher. Inhaltlich blieb die Frankfurter Rundschau allerdings das liberale Aushängeschild, "solitär" in der Vergangenheitsbewältigung in den Fünfzigern (S. 10), wie die Herausgeber feststellen.

Insgesamt ein gelungener Band zur Presselandschaft vor allem der frühen Bundesrepublik. Eine Frage bleibt allerdings, und sie ist wahrscheinlich auch nicht zu beantworten: Wäre die Geschichte der Bundesrepublik anders verlaufen, wenn man die ehemaligen Nationalsozialisten in den Redaktionen strikt ausgeschlossen hätte? Wahrscheinlich eher nicht, denn die meisten von ihnen passten sich tatsächlich dem neuen System so perfekt an wie sie es vorher bei anderen Systemwechseln getan hatten.

Anmerkung:
1 Köpf, Peter, Schreiben nach jeder Richtung. Goebbels-Propagandisten in der westdeutschen Nachkriegspresse, Berlin 1995.

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