: Deutsche Geschichte - Darstellungen und Dokumente in vier Bänden. Band 4: 1974 bis zur Gegenwart. Frankfurt/M. 2002 : Fischer Taschenbuch Verlag, ISBN 3-596-15583-5 499 S. € 13,90

: Deutsche Geschichte - Darstellung und Dokumente in vier Bänden. Band 1: 1945 - 1947. Frankfurt/M. 2002 : Fischer Taschenbuch Verlag, ISBN 3-596-15580-0 391 S. € 13,90

: Deutsche Geschichte - Darstellung und Dokumente in vier Bänden. Band 2: 1948 - 1955. Frankfurt/M. 2002 : Fischer Taschenbuch Verlag, ISBN 3-596-15581-9 391 S. € 13,90

: Deutsche Geschichte - Darstellungen und Dokumente in vier Bänden. Band 3: 1955-1974. Frankfurt/M. 2002 : Fischer Taschenbuch Verlag, ISBN 3-596-15582-7 454 S. € 13,90

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Schwarz, Berlin

Im Mittelpunkt des vierbändigen Werkes des Innsbrucker Historikers Rolf Steininger stehen Darstellung und Dokumentation der Entwicklung der deutschen Frage, der deutsch-deutschen Beziehungen und der Rolle der beiden deutschen Staaten in den entgegengesetzten Paktsystemen sowie Probleme der Nach-Wende-Ära. Der Autor behandelt dabei die Phasen der Konflikte und Zuspitzungen ebenso wie die der Entspannung und Annäherung zwischen beiden Seiten für den gesamten Zeitraum 1945-2002 auf über 1 700 Seiten. Die Bände 1 und 2 für die Jahre 1945-1955 sind Neuausgaben der bereits 1983, in erweiterter Form 1996 erschienenen Publikation. Die Bände 3 und 4 für die Jahre 1955-2002 sind Originalausgaben.

Jedes Kapitel besteht aus einem darstellenden Text, einer Auswahl von bezeichnenden, zum Teil wenig bekannten Dokumenten, Bildern und Faksimiles. Jeder der vier Bände schließt mit ausführlichem Literaturverzeichnis, Zeittafel, Personen-, Sach- und Ortsregister. Diese methodisch konsequente und geglückte Art der Kapitelgestaltung lässt erkennen, dass das Überblickswerk sich in erster Linie an Studierende und andere historisch interessierte Leserkreise wendet, sich aber darüber hinaus als ein zuverlässig informierendes Nachschlagewerk für jedermann eignet. In den Bänden Steiningers werden auch einige Aspekte behandelt, die man in Gesamtdarstellungen selten findet: die Beziehungen zu Österreich, zu Italien, die Südtirolfrage, die deutsch-israelischen Beziehungen, der deutsche Umgang mit dem Holocaust.

In Band 1 (1945-1947) erörtert der Autor die Konferenzserie der Alliierten der Anti-Hitler-Koalition während des Zweiten Weltkrieges, die sich mit der zukünftigen Regelung der deutschen Angelegenheiten befasste. Hierbei stellt Steininger fest, dass im Vergleich der Gipfelkonferenzen von Teheran und Jalta die erste „bei weitem die wichtigere“ gewesen sei. In Teheran seien zwei Grundsatzentscheidungen von weitreichender Bedeutung getroffen worden, die eine über die zukünftigen Grenzen Polens, die andere über die Errichtung der „zweiten Front“. Als neue polnische Ostgrenze hätten Roosevelt und Churchill die „Curzon-Linie“ akzeptiert und damit klargemacht, dass Polen dafür in irgendeiner Weise mit deutschem Territorium entschädigt werden müsse, dass also eine „Westverschiebung“ Polens stattfinden sollte.

Noch wichtiger sei jedoch die Frage gewesen, wo die „zweite Front“ gegen Hitler-Deutschland errichtet werden sollte. Während Churchill eine Entscheidung herbeizuführen wünschte, eine solche Front der Amerikaner und Briten in Oberitalien, im „Rücken der Deutschen“, zu errichten, setzten sich Stalin und Roosevelt mit der Auffassung durch, die „zweite Front“ in Nordfrankreich aufzubauen. Mit dieser Entscheidung wurde in der Tat die Nachkriegsordnung präjudiziert, die eine Teilung Europas und Deutschlands in eine östliche und eine westliche Interessen- und Einflusssphäre zum Ergebnis hatte (Bd. 1, S. 23f.).

Zu den besonders lesenswerten Abschnitten des ersten Bandes gehören die Darlegungen Steiningers über die zeitweiligen Pläne einer möglichen Zerstückelung Deutschlands nach Kriegsende in Einzelstaaten. Die Übersicht der verschiedenen Projekte seitens der UdSSR, der USA und Großbritanniens ist präzise formuliert und informativ gehalten (S. 25ff.). Gleiches gilt für die Skizze der offenen Fragen der Zukunft Polens, seiner Westgrenze an Oder und Neiße sowie der zukünftigen Zusammensetzung seiner Regierung. Überhaupt sei dieser Themenkomplex das Hauptthema der Konferenz von Jalta im Februar 1945 und „der dringlichste Grund“ für das Treffen der „Großen Drei“ gewesen (S. 33ff.).

Treffend ausgewählt sind die Dokumente, die der Autor in Band 1 als sehr frühe Anzeichen für die spätere deutsche und europäische Spaltung vorlegt. Als ein Beispiel von mehreren sei auf das Dokument aus britischer Feder verwiesen, das am 17. April 1945 (!) im Foreign Office fertiggestellt worden ist. Darin hieß es zu jenem sehr frühen Zeitpunkt, man müsse nunmehr wohl die Teilung Europas in eine russische und eine westliche Einflusssphäre akzeptieren, eine Teilung, die zu weitreichenden politischen Implikationen führen könne (S. 39).

Einen gesonderten Exkurs widmet der Autor der amerikanischen Deutschlandplanung, darunter dem viel zitierten „Morgenthau-Plan“. Steininger meint, der Plan vom September 1944 nehme beim Thema Zerstückelung Deutschlands in der Geschichtsschreibung immer noch einen herausragenden Platz ein, der ihm aber von seiner tatsächlichen Bedeutung her nicht zukomme. Es ist sicher richtig, dass der Plan, Deutschland u.a. in einen Agrarstaat zu verwandeln, später verworfen worden ist. Jedoch muss man immerhin festhalten, dass der amerikanische Präsident, wie Steininger selbst schreibt, davon überzeugt war, alle Deutschen seien Nazis, somit habe die ganze deutsche Nation an einer verbrecherischen Verschwörung gegen die Zivilisation teilgenommen und müsse dafür bestraft werden (S. 41ff.). Insofern hat der Strafcharakter des „Morgenthau-Plans“ durchaus auch Roosevelts Vorstellungen entsprochen!

Steininger erörtert die Ergebnisse der Potsdamer Konferenz der „Großen Drei“ im Juli 1945, auf der bekanntlich Deutschland in ein westliches und ein östliches Reparationsgebiet aufgeteilt wurde. Hierzu bemerkt der Autor zugespitzt, aber treffend: „Auch wenn sich möglicherweise nicht alle Konferenzteilnehmer der Tatsache bewusst waren: An diesem Tag wurde de facto die Teilung Deutschlands beschlossen.“ (S. 93) Der Autor fügt hinzu, was die später tatsächlich erfolgende Teilung Deutschlands anbetreffe, komme daher der Konferenz von Potsdam eine viel größere Bedeutung zu, als dies bisher gesehen worden sei. Diese Problematik sei damals auf britischer Seite „sehr deutlich erkannt“ worden, wie Steininger überhaupt in seinem Werk besonders Stimmen und Quellen aus London zu der sich früh abzeichnenden Spaltung Deutschlands und Europas im Gefolge des Zweiten Weltkrieges und der Anbahnung des Kalten Krieges anführt.

Ebenso nüchtern sieht Steininger die jahrelangen polemischen Gefechte um die Gültigkeit der Oder-Neiße-Linie als der neuen Westgrenze Polens. Er meint dezidiert, der Vorbehalt der Anglo-Amerikaner hinsichtlich der Oder-Neiße-Linie, dass nämlich „die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zu der Friedenskonferenz zurückgestellt“ werden sollte, habe nur eine Alibifunktion gehabt und sei ein Lippenbekenntnis gewesen, da sie gleichzeitig der Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den Ostgebieten zustimmten. Der Autor präzisiert, niemand auf der Potsdamer Konferenz habe ernsthaft daran glauben können, dass diese Umsiedlung in großem Maßstab durch einen eventuellen Friedensvertrag hätte rückgängig gemacht werden können (S. 95).

In Band 2 (1948-1955) geht Steininger auf die Höhepunkte des Kalten Krieges und deren Auswirkungen auf die Spaltung Deutschlands detailliert ein. Er bezeichnet völlig zu Recht die Blockade Westberlins 1948/1949 als einen der schwersten Fehler der sowjetischen Politik. Sie habe auf westlicher Seite zu massiven Reaktionen in Form weitreichender Entscheidungen geführt, so wie auch im Sommer 1950 der Koreakrieg schwerwiegende Konsequenzen nach sich gezogen habe. Durch die „Brutalität der Blockade“ seien vielen Beobachtern ihre Zweifel an der Richtigkeit des anglo-amerikanischen Kurses gegenüber der Sowjetunion genommen worden – allerdings unter Hinnahme der Teilung Deutschlands als Konsequenz. Bei der Abwehr der sowjetischen Erpressung hätten sich zum erstenmal seit 1945 Westdeutsche, Westberliner und Westalliierte als Verbündete gefühlt – ein Gefühl, das in den nächsten Jahren angehalten und sich noch verstärkt habe (Bd. 2, S. 29).

In besonders ausführlicher Form erörtert Steininger das Pro und Contra der sowjetischen Deutschlandnote, der „Stalin-Note“, vom 10. März 1952, die Verhandlungen über eine Wiedervereinigung von DDR und Bundesrepublik bei strikter, bewaffneter Neutralität Gesamtdeutschlands anbot. Der Autor schildert die heftige und anhaltende Debatte in Politik und Publizistik über diese Offerte, insbesondere über die Frage, ob Stalin sein Angebot wirklich ernst gemeint oder lediglich als einen klugen taktischen Schachzug betrachtet habe. Steininger bekräftigt seinen in vielen Schriften dargelegten, auf der Grundlage seiner Akteninterpretation und anderer Quellen beruhenden Standpunkt, dass Moskau zu jenem Zeitpunkt bereit gewesen sei, politische Opfer zu erbringen, um die Wiedervereinigung zu erreichen. Moskau hätte damals die DDR und ihre Führung für ein Gesamtdeutschland geopfert, dessen Regierung zwar dem Westen freundlich gesonnen gewesen wäre, der aber eine starke linke Opposition entgegengestanden hätte.

Hingegen hätten die Westmächte und die Regierung Adenauer kein militärisch neutrales Gesamtdeutschland gewollt, da dieses für sie zu große Risiken und Nachteile in sich geborgen hätte. Die Westintegration der Bundesrepublik sei für sie in jedem Fall die bessere Lösung gewesen, die im Frühjahr 1952 mit Hochdruck betrieben wurde, um rasch vollendete Tatsachen zu schaffen. Insbesondere für Adenauer und seine Anhänger war in der Tat die EVG – zusammen mit der geplanten Europäischen Politischen Gemeinschaft – bei weitem das „wichtigste historische Ereignis für Europa seit Hunderten von Jahren“. In diesem Sinne blieb die EVG – ungeachtet der viel beachteten sowjetischen Vorschläge – das Ziel seiner Politik, aber auch ein Mittel zum Ziel einer fast globalen Auseinandersetzung des Westens mit der Sowjetunion (S. 195).

Steininger schlussfolgert, nach der Aktenlage habe es damals eine Chance zur Erreichung der deutschen Einheit gegeben. Da in den Regierungen des Westens keine Bereitschaft zur ernsthaften Prüfung der sowjetischen Vorschläge bestand, sei die Entwicklung in Deutschland weiter in Richtung einer Fortdauer und Vertiefung der deutschen Spaltung und der Verschärfung der Ost-West-Konfrontation gegangen. Die Situation vom Frühjahr 1952 sei die einer verpassten Chance, einer vertanen Möglichkeit gewesen (S. 175ff.) – ein Urteil, dem der Rezensent und viele andere Historiker und Publizisten beipflichten.

In den Bänden 3 und 4 (1955-2002) werden vornehmlich die deutsch-deutschen Beziehungen dokumentiert und kommentiert. Ausführliche Behandlung erfahren sowohl deren Tiefpunkte, wie die Errichtung der Berliner Mauer im August 1961, als auch die tastenden Schritte der Annäherung und der beginnenden Kooperation zwischen beiden deutschen Staaten, wie sie in nennenswertem Umfang während der achtziger Jahre erfolgten. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die bereits vielfach beschriebenen und gut dokumentierten Vorgänge um den Fall der Berliner Mauer im November 1989 und den Prozess der deutschen Vereinigung im Oktober 1990.

Große Aufmerksamkeit schenkt der Autor der Haltung der Westmächte in diesen Zusammenhängen. Er schildert, wie der französische Präsident Francois Mitterrand den UdSSR-Präsidenten Michail Gorbatschow bei ihrem Treffen in Kiew im November 1989 „geradezu anflehte, die Entwicklung in der DDR zu stoppen“. Steininger fügt hinzu: „Noch schlimmer als die Franzosen aber waren durchgehend die Briten“. Bereits Premierminister Harold Macmillan sei zuvor gegen eine Wiedervereinigung gewesen, „auch wenn er öffentlich anders geredet hatte“. Der Autor meint, er mochte die Deutschen nicht – „freundlich ausgedrückt“. Dazu hätten „in schöner Kontinuität“ die Äußerungen der späteren Premierministerin Margaret Thatcher gehört (Bd. 4, S. 370).

Im Unterschied dazu habe das Team um Präsident George Bush und Außenminister James Baker die Politik der Vereinigung vollkommen unterstützt – „darauf bedacht, dass dieser Prozess entsprechend ihren Vorstellungen ablaufen würde“. Für sie sei die entscheidende Bedingung die Mitgliedschaft eines vereinten Deutschland in der NATO gewesen (S. 371).

Das Werk Steiningers ist von dem Streben nach Objektivität, sachlicher Wertung der Fakten und der Nutzung eines reichen Quellenmaterials gekennzeichnet. Es ist für die Leser das bisher beste und umfassendste Informations- und Nachschlagewerk für den behandelten großen Zeitraum zur deutschen Frage.

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