Titel
Buona amicitia?. Die römisch-savoyischen Beziehungen unter Paul V. (1605-1621). Studien zur frühneuzeitlichen Mikropolitik in Italien


Autor(en)
Mörschel, Tobias
Erschienen
Anzahl Seiten
438 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christian Wieland, Historisches Seminar, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Diplomatiegeschichte – vor allem für die Epoche vor dem Dreißigjährigen Krieg – gehört nach wie vor nicht zu den Bereichen, die sich allzu großer Beliebtheit innerhalb der Geschichtswissenschaft erfreuen. Neben der teilweise nicht zu überbietenden Langeweile, die sich bei der Lektüre von diplomatischer Korrespondenz einzustellen pflegt, ist für dieses Phänomen auch die notorische Innovationsunfähigkeit, die dem Genre zugeschrieben wird, verantwortlich zu machen. Eine von sozial- und kulturgeschichtlichen Leitbildern geprägte Geschichtswissenschaft muss sich - man möchte sagen: naturgemäß - schwer tun mit einer Quellengattung, die zur Nacherzählung von Haupt- und Staatsaktionen von Haupt- und Staatsmännern einlädt. Nun wäre allerdings – und dies ist zum Teil bereits geschehen 1 – auch der Vorgeschichte der internationalen Beziehungen und des sie dokumentierenden Quellentyps, der Depesche, mit zeitgemäßen Instrumenten der Historiographie beizukommen, so mit der durch den (wohl nicht mehr taufrischen) „linguistic turn" salonfähig gewordenen Analyse der Textebene, oder mit der im Zuge der Ästhetisierung der Geschichtswissenschaft aufgewerteten Betrachtung von symbolischen Handlungen, von Ritual und Zeremoniell im Verhältnis zu politischer Macht.

Diese beiden Aspekte interessieren Tobias Mörschel hingegen nur am Rande. Seine Arbeit ist in einem intellektuellen und wissenschaftssoziologischen Kontext zu verorten, dessen Interesse deutlich auf das Phänomen der Staatsbildung gerichtet ist. Auch in diesem Zusammenhang, für den die Etablierung eines diplomatischen Systems ganz unbestritten ist, konnte die Geschichte der zwischenstaatlichen und –fürstlichen Beziehungen allerdings bisher keine prominente Rolle beanspruchen. Es ist denn auch bezeichnend, dass das Leittheorem, das der Arbeit zugrunde liegt, nämlich die „Verflechtung" oder „Mikropolitik", von Überlegungen zum ‚state building’ ausgeht 2 - ganz konsequent, da die Diplomatie als ein Teil des Instrumentariums zur Formierung dessen, was man Staatsgewalt nennt, gelten muss. Aber dennoch nicht ganz unproblematisch: Schließlich ist die „Verflechtung über Grenzen hinweg" als Interpretament nicht auf die Diplomatiegeschichte ausgerichtet, sondern auf die internen Interessen und Strategien eines Staates und seiner Machteliten. Schon aus diesem Grund wäre eine ausführlichere Diskussion und Kritik der Theorie von Verflechtung und Mikropolitik gerade im Rahmen einer diplomatiegeschichtlichen Arbeit nicht unangebracht. Zudem erbrachte die Applikation dieses Modells auf das Italien des beginnenden 17. Jahrhunderts kritische Ergänzungen und Vorschläge zu einer differenzierten Ausrichtung 3, deren Fruchtbarkeit Mörschel allerdings leugnet (S. 3, Anm. 8).

Um die Beziehungen zwischen zwei Staaten darzustellen, müssen zunächst deren relevante Elemente komplementär gegenübergestellt werden. Dies geschieht hier auf sehr gründliche Weise, die auch dazu geeignet ist, die in Deutschland noch relativ unbekannte Geschichte des Savoyer Herzogtums in der Frühen Neuzeit in vielen Punkten zu erhellen. Die Dissertation ist daher zweigeteilt: Den ersten Großabschnitt widmet Mörschel den jeweiligen Institutionen und Akteuren des römisch-savoyischen Verhältnisses während des Borghese-Pontifikats. Dabei geht er in Teilen weit über die Zeitspanne der gut fünfzehn Jahren hinaus, die durch die Regierungszeit Pauls V. abgedeckt werden, und kann so wichtige neue Erkenntnisse zur Geschichte des Herzogtums Savoyen in der Frühen Neuzeit beisteuern. Dies betrifft vor allem den Ausbau der Zentralbehörden, die Personalpolitik der savoyischen Herzöge, ihren Regierungsstil und die Parteiungen am Turiner Hof. Die Turiner Nuntiatur – keiner der bedeutenden diplomatischen Außenposten des Heiligen Stuhls und als Karrierestation weit abgeschlagen hinter Madrid oder Paris – wurde unter Paul V. von zwei Nuntien verwaltet, von denen der zweite, Pier Francesco Costa, durch seine sehr lange Amtszeit von 1606 bis 1624 beinahe zum Mitglied der savoyischen Hofgesellschaft wurde. Zumindest wurde dieser Vorwurf von Rom aus formuliert - was ein bezeichnendes Licht auf den prekären Doppelcharakter der diplomatischen Existenz wirft, die durch die Pflicht zur Teilhabe am Leben des gastgebenden Hofes ebenso gekennzeichnet war wie durch den Zwang zur Distanz. Noch mehr als im Kapitel über die Nuntiatur betritt Mörschel im folgenden Abschnitt über die Turiner Botschaft in Rom Neuland: Die behördengeschichtlichen und prosopographischen Ausführungen zeigen zum einen die enge Verzahnung zwischen dem diplomatischen Apparat und der Hofgesellschaft des Herzogs von Savoyen, zum anderen offenbaren sie die große Bedeutung, die dem formellen (durch die Ausstattung mit dem Titel das „ambasciatore ordinario") und informellen (durch ein großes Gefolge, das mit den Botschaftern Frankreichs und Spaniens wetteifern konnte) Glanz des Turiner Außenpostens in der Hauptstadt der Christenheit für die Reputation des Herzogtums zugemessen wurde.

Den Ausführungen über Institutionen und Personen des römisch-savoyischen Dialogs lässt Tobias Mörschel eine ausführliche Analyse dessen folgen, was innerhalb dieser Einrichtungen produziert wurde, eine sehr gründliche Quellenanalyse, wenn man so will. Bei der Beschreibung der Korrespondenzen kann er v.a. hinsichtlich der Nuntiaturberichte wichtige Korrekturen und Ergänzungen zum bisher als maßgeblich geltenden Werk zum römischen Staatssekretariat beibringen 4 und Beobachtungen zur Rolle des Kardinalnepoten im Rahmen der päpstlichen Außenpolitik formulieren, die vielleicht nicht grundlegend neu sind, die aber doch interessante Perspektivenwechsel implizieren: Der Papstneffe, der sich aus der Alltagsarbeit des Staatssekretariats zunehmend zurückzog, besaß für die Konstruktion und Formulierung der „guten Freundschaft" zwischen Rom und Turin eine entscheidende Funktion, die nur wenig mit den harten Fakten des Aushandelns zu tun hatte, umso mehr aber mit der Schaffung einer Atmosphäre, die Ergebenheit, Dienstbereitschaft und wechselseitige Loyalität vermitteln sollte. Dass diese Rolle ausschließlich als funktionales Element der päpstlichen Politik betrachtet werden muss und eben nicht als Hinweis auf ein tatsächliches Engagement des Nepoten für die Belange der savoyischen Herzöge, wird daraus ersichtlich, dass unmittelbar nach dem Tod Pauls V. auch die Korrespondenz des Kardinals Borghese mit den Savoia zum Erliegen kam – dies ein wichtiger Hinweis, den Mörschel auch bezüglich der Person des Kardinals Pietro Aldobrandini (Nepot Clemens’ VIII. Aldobrandini, 1585 – 1605) weiter verfolgt.

In dem Kapitel „Nebenakteure und informelle Kontakte" kommen sowohl die „eminences grises" am Turiner Hof als auch die Kurialen, die mit dem norditalienischen Herzogshaus in Kontakt standen, zur Sprache. Dabei wird deutlich, dass die Savoia in starkem und ihren Interessen nicht unbedingt dienlichem Maße auf die Kreaturen des Aldobrandini-Papstes zurückgriffen, die sich in gewissermaßen automatischer Gegnerschaft zu der Partei des regierenden Papstes und des mit ihnen verbündeten Zirkels der Kardinäle Montalto (Neffe Sixtus’ V., 1585 – 1590) und Del Monte befanden. So konnte Kardinal Aldobrandini eine überaus prominente Rolle im savoyisch-römischen Briefwechsel spielen, und seine Versuche, das ihm unter Paul V. entgegengebrachte Misstrauen durch eine umso engere Anlehnung an die Turiner Herzöge zu kompensieren, spricht einerseits für dessen politisches Geschick, andererseits für eine gewisse blauäugige Distanz Turins hinsichtlich der Mechanismen des römischen Herrschaftsapparates. Und tatsächlich konnten die Savoia auf keine lange Kuriengeschichte ihres Hauses oder ihrer Untertanen zurückblicken, die auch nur annähernd mit den engen Kontakten beispielsweise der Medici mit Rom vergleichbar gewesen wäre.

Der zweite Hauptteil stellt das zuvor gezeichnete Tableau in Aktion vor, und zwar anhand der vier „Themenfelder": „Außenpolitik", „Personalentscheidungen", „dynastische Interessen" und „Innenpolitik". Eine gelungene Organisation des Stoffes, der ja im diplomatischen Alltag ungeordnet, verzahnt und vermischt auftritt. Die Elemente der Staatsräson und der persönlichen bzw. dynastischen Ehre können als die wichtigsten Motivationen des Herzogs Carlo Emanuele begriffen werden: An ihnen wurde das Verhältnis des Herzogtums zur Kirche ausgerichtet - ob es um die Integration und Kontrolle der Kirche in ihren verschiedenen Erscheinungsformen (Diözesen, Orden, Missionare, Inquisitoren) in und durch den Regierungsapparat ging oder um die Rangerhöhung des herzoglichen Hauses, das seinen inneritalienischen Suprematieanspruch nur zu gerne mit der Erhebung zu Königen gekrönt sehen wollte. Die Rollen und Handlungsfelder der päpstlichen Monarchie waren ungleich vielschichtiger und komplizierter, agierte der Nachfolger Petri doch sowohl als Haupt der Christenheit als auch als „padre comune" aller katholischen Fürsten und v. a. als unparteiischer Schiedsrichter über die Belange Italiens, als Sachwalter der kirchlichen Unabhängigkeit in den weltlichen Staaten, als weltliches Haupt des Kirchenstaates und als Repräsentant einer gerade aufgestiegenen Parvenüdynastie, die ihren neu erworbenen sozialen Status schnell und dauerhaft absichern und demonstrieren wollte.

Besonders klarsichtig ist Mörschels Analyse des rhetorischen und politischen Umgangs mit dem Phänomen der Häresie: Es gehört zu den Allgemeinplätzen der mit dem Interesse am state building verbundenen Konfessionalisierungstheorie, dass konfessionelle Homogenität zu den zentralen Intentionen frühmoderner Monarchien gehörte. Dies trifft sicherlich auch für den Umgang Carlo Emanueles mit der für italienische Verhältnisse großen Häretikergefahr angesichts der Waldenser im eigenen Land und der Reformierten in der französischen und Schweizer Nachbarschaft zu. Doch konnten die Häretiker argumentativ flexibel im savoyisch-römischen Dialog eingesetzt werden, um beispielsweise die Notwendigkeit einer verstärkten Unterordnung der Kirche unter die Turiner Bürokratie zu erwirken, oder aber um dem Hause Savoia Sonderkonzessionen jenseits kanonischer Rigidität zu verschaffen - gleichsam als Belohnung für ein sich in der Häretikerbekämpfung manifestierendes katholisches Musterverhalten. Der „Häretikertopos" ist damit eine plastische Illustration der Verzahnung von Katholizität und Interesse im diplomatischen Verkehr mit Rom.

In seinem Schlusswort betont Tobias Mörschel den Vorrang der offiziellen Diplomatie vor den Mitteln und Wegen informeller Kontakte und Netzwerke im savoyisch-römischen Kontakt. Er begründet dies v. a. mit der mangelnden Kurienpräsenz Savoyens, was in starkem Maße durch die geographische Randlage des Herzogtums innerhalb Italiens erklärt wird. Aber auch ein Staat und eine Dynastie mit wesentlich intensiveren römischen Traditionen wie die Toskana und die Medici verließen sich im 17. Jahrhundert primär auf die in der Diplomatie geronnenen Formen der wechselseitigen Kommunikation, obwohl ein relativ dichtes Netzwerk informeller Kontakte zur Verfügung stand. Als alles erklärende Theorie scheint die von der Verflechtung, die den Vorrang von informellen vor formellen Kanälen betont, nicht nutzbar zu sein. Offensichtlich hielten einige frühneuzeitliche Monarchen die Verlässlichkeit und Loyalität bürokratischer Institutionen und ihrer Mitarbeiter, die ganz fraglos auf die monarchische Spitze ausgerichtet waren, für größer als die von immer wieder ad hoc zu mobilisierenden „Vasallen" und „Klienten".

Es ist auffällig, in welch hohem Maße die savoyisch-römischen Beziehungen als äquivalent und komplementär zu den florentinisch-römischen Beziehungen während des Pontifikats Pauls V. anzusehen sind. Dies wird an der ganz unterschiedlichen Bewertung des Kardinals Pietro Aldobrandini deutlich, der in Florenz (und Rom) persona non grata war, während er in Turin über lange Zeit hinweg mit großer Ehrerbietung behandelt wurde. Offensichtlich standen die in Rom wegen des Wahlcharakters seiner Monarchie deutlicher als andernorts zutage tretenden Parteiungen und Koalitionen in einem engen Zusammenhang mit den Freundschaften und Antagonismen, die die Politik Italiens, ja der katholischen Welt bestimmten. So ist es möglicherweise die „amicitia", deren Deutungspotential auch die Diplomatiegeschichte weiter voranbringen kann. Dieses Konzept einer Nutzbeziehung zwischen gleichberechtigten Partnern eröffnet die Möglichkeit, Beziehungsfelder aufzuzeigen und handlungsbestimmende Gruppenidentitäten bzw. deren Konstruktion zu analysieren - die Aufteilung der Welt für die Formulierung eines innen- und außenpolitischen Ethos.

Anmerkungen:
1 Frigo, Daniela (Hg.), Politics and Diplomacy in Early Modern Italy. The Structure of Diplomatic Practice, 1450 - 1800, Cambridge 2000.
2 Reinhard, Wolfgang, Freunde und Kreaturen. „Verflechtung" als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen, Römische Oligarchie um 1600, München 1979.
3 Vgl. dazu zusammenfassend Reinhardt, Nicole, „Verflechtung" – ein Blick zurück nach vorn, in: Burschel, Peter u.a. (Hgg.), Historische Anstöße. Fs. Wolfgang Reinhard, Berlin 2002, S. 235 – 262.
4 Semmler, Josef, Das päpstliche Staatssekretariat in den Ponitifikaten Pauls V. und Gregors XV. 1605 – 1623, Rom 1969.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension