S. Ehrenpreis u. U. Lotz-Heumann: Reformation

Titel
Reformation und konfessionelles Zeitalter.


Autor(en)
Ehrenpreis, Stefan; Lotz-Heumann, Ute
Reihe
Kontroversen um die Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
138 S.
Preis
€ 16,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Uwe Goppold, Philosophische Fakultät Fachgruppe Geschichte, Universität Konstanz

Mit der Veröffentlichung der von Arnd Bauerkämper, Peter Steinbach und Edgar Wolfrum herausgegebenen „Kontroversen um die Geschichte“ steuert nun auch die Wissenschaftliche Buchgesellschaft mit einer eigenen Reihe zur Fülle an einführender, geschichtswissenschaftlich orientierter Studienliteratur bei. Die Bände dieser neuen Reihe richten sich primär an Studierende der Geschichte wie auch benachbarter Disziplinen und sollen – wie die Reihenherausgeber in ihrem Vorwort betonen – der „schnellen Orientierung in komplizierten Sachverhalten“ dienen, Forschungsprobleme und Deutungskontroversen präsentieren und schließlich den gegenwärtigen Forschungsstand kritisch bilanzieren. Explizit formuliertes Ziel ist es mithin, den Leser auf Lehrveranstaltungen oder Prüfungen vorzubereiten. Derart konzipiert findet sich die „Kontroversen um die Geschichte“ mithin in unmittelbarer Nähe zu ähnlichen Reihen wie dem im Oldenbourg-Verlag publizierten „Grundriß der Geschichte“ und der ebenfalls bei Oldenbourg erschienen „Enzyklopädie deutscher Geschichte“. Dieser Sachverhalt ist selbstverständlich kein Makel. Jedoch werden sich die von der WBG veröffentlichten Bände an der Konkurrenz messen lassen müssen. Dies gilt auch für das von Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann vorgelegte Buch „Reformation und konfessionelles Zeitalter“.

Gelungen ist den beiden Autoren zunächst einmal die Auswahl der insgesamt neun Themenfelder, die als von Deutungskontroversen charakterisierte Forschungsprobleme eingeführt werden und vom Periodisierungsproblem über sozialhistorische Aspekte der Reformation bis hin zu Fragen des Bildersturms reichen. Konkret greifen Ehrenpreis und Lotz-Heumann die schon seit Ranke und Janssen diskutierten Fragen zur welthistorischen Bedeutung der Reformation als Epoche und Epochengrenze auf und stellen die unterschiedlichen Forschungsansätze gegeneinander (S. 17-29). Gut gelungen ist dabei die Darstellung der Thesen Troeltschs, Webers und Jellineks zur Frage des Anteils der deutschen Reformation an der Hervorbringung der Moderne (S. 20f.). Weniger gut erscheint dagegen die Diskussion aktuellerer Forschungskontroversen wie z.B. um die Fragen von Kohärenz oder Diversifizität der reformatorischen Bewegungen (S. 27f.). Dieser Punkt wird weiter unten näher ausgeführt werden. In den folgenden Kapiteln verhandeln Ehrenpreis und Lotz-Heumann Forschungsdiskurse um die Reformation als „urban event“ (S. 29-39) wie auch als bäuerliche Bewegung (S. 39-52) – als Stichworte können hier vor allem die Kontroversen um Begriffe wie „Ratsreformation“, „Fürstenreformation“ und die von Peter Blickle geprägten Termini „Kommunalismus“ und „Gemeindereformation“ genannt werden. Auch die unter anderem von Richard van Dülmen und Hans-Jürgen Goertz angestoßenen Debatten um die „Reformation als Revolution“, um den sogenannten „left wing of reformation“ und um das Täufertum werden unter dem Stichwort „Radikale Reformation“ in aller Kürze erfasst und dargestellt (S. 52-62)

In der zweiten Hälfte des Bandes wird der Blick auf die Reformation um Konzepte wie „Konfessionalisierung“, „Gegenreformation“ oder „zweite Reformation“ als geschichtswissenschaftlichen Deutungsmodellen erweitert (S. 62-79). Außerdem widmen sich die Autoren einigen nach der sogenannten „kulturalistischen Wende“ entwickelten Forschungskonzepten. Sie greifen in diesem Zusammenhang die Diskussionen um die Reformation und ihre Folgen für die Kunst (S. 81f.), die meist eher kunsthistorisch verorteten Kontroversen um Interpretation und Bedeutung des reformatorischen Ikonoklasmus (S. 82-89) wie auch Thesen zu den medialen Aspekten der Reformation – Stichwort: Flugschriften – heraus. Neuere kommunikations- oder auch medientheoretisch orientierte Ansätze werden hier allerdings nicht weiter verfolgt. In den letzten beiden Kapiteln thematisieren Ehrenpreis und Lotz-Heumann zum einen die unterschiedlichen historiographischen Zugriffsmöglichkeiten auf den Themenkomplex Frauen, Ehe und Geschlechterverhältnisse im Zeitalter der Reformation und stellen den an der Geschlechtergeschichte orientierten Zugang einer eher allgemein-sozialhistorischen Vorgehensweise gegenüber. Auch die Kontroverse um einen etwaigen von der Reformation angestoßenen Wandel der Lebensverhältnisse von Frauen wird in diesem Zusammenhang dargestellt. Zum anderen streben die Autoren abschließend mit dem Kapitel „Die Reformation in Europa: Das Beispiel England“ einen sehr begrüßenswerten Blick über den in solchen Einführungen oft auf Reich und Eidgenossenschaft beschränkten reformationshistoriographischen Tellerrand an. Wie die anderen Beiträge zu der Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ schließt auch dieser Band mit einem kurzen Ausblick zu den Perspektiven der Forschung.

Die Autoren erfassen mit dem von ihnen bearbeiteten Katalog offener Forschungsfragen nicht allein den Kanon der schon seit Beginn der Reformationshistoriographie schwelenden Forschungskontroversen beispielsweise um die welthistorische Bedeutung der Reformation, sondern greifen auch sehr aktuelle Debatten auf. Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann bieten somit einen umfangreichen Überblick über die wesentlichen in der älteren wie der jüngeren Reformationsforschung kontrovers diskutierten Themen.

Formal ist an dieser Stelle zunächst zu kritisieren, dass die Zitierweise alles andere als glücklich gewählt, weil wenig lesefreundlich ist. Denn die Recherche nach Belegstellen erweist sich durch das hier veranschlagte Ziffernsystem als mühselig und zeitraubend. Eine Umstellung auf Kurztitel oder wenigstens auf Autorennennung mit Ziffern, ähnlich wie dies in den Oldenbourgreihen praktiziert wird, wäre wünschenswert. Das eigentliche Problem des Buches liegt jedoch jenseits solcher Fragen. Denn faktisch ist der Band einer studentischen Leserschaft, die über wenig oder keine Vorkenntnisse der Reformation resp. der Konfessionsbildung verfügt, als Einstieg in das Thema kaum zu empfehlen. Denn obgleich der Reihe „Kontroversen um die Geschichte“ ähnlich den Oldenbourg-Bänden ein Prinzip der Dreiteilung nach dem Schema „Überblick – Darstellung von Problemen der Forschung – Bibliographie“ zugrunde liegt, heben Ehrenpreis und Lotz-Heumann von den ersten Seiten an ausschließlich auf Forschungsdebatten ab, ohne in die Thematik „Reformation“ jenseits historiographischer Kontroversen einzuführen. Gerade im Vergleich zu der erst unlängst publizierten fünften Auflage des von Heinrich Lutz verfassten und von Alfred Kohler durchgesehenen und ergänzten Grundrißbandes „Reformation und Gegenreformation“ (GdG 10) ist dies aber ein echtes Defizit. Dort nämlich vermag schon die Einführung in die sozioökonomischen und politischen Verhältnisse wie auch in die Kultur und die Religion des 15. und frühen 16. Jahrhunderts eine Grundlage für das Verständnis des Phänomens „Reformation“ zu legen. Hier jedoch bietet das Einleitungskapitel, das nach Maßgabe der Herausgeber den „Gesamtrahmen der behandelten Epoche“ entfalten soll, eine Historiographie der Reformationshistoriographie, was sich bereits in der entsprechenden Kapitelüberschrift „Die Reformation im Meinungsstreit: Ein historischer Überblick“ ankündigt. So bleibt für die zur Zielgruppe gerechneten Studenten im Grundstudium der Geschichte durch die Beschränkung auf die geschichtswissenschaftlichen Auseinandersetzungen das Thema Reformation reichlich unverständlich. Als Einführung in die Reformation ist das Buch mithin nur mäßig geeignet, als Einführung in die Reformationshistoriographie macht es die Lektüre weiterer einführender Werke dringend notwendig.

Nun lässt sich freilich nicht leugnen, dass – wie die Autoren ausführen – „die Geschichte der Kontroversen um die Reformation [...] immer auch eine ihre Deutung im Verlauf der Geschichte selbst“ ist (S. 1). Aus dieser Perspektive könnte der Band Lesern mit fundierten Reformationskenntnissen durchaus als Hilfsmittel auch zur Vorbereitung von Examina dienlich sein. Hier allerdings zeigt sich ein weiteres maßgebliches Manko des Buches. Um dem Anspruch Genüge zu leisten, auf knapp 120 Seiten die wichtigsten geschichtswissenschaftlichen Kontroversen zu erfassen und zu beschreiben, bleibt die Einzeldarstellung der Debatten nahezu notwendig mager. Betrachtet man beispielsweise die Abhandlung der Debatte um das Konfessionalisierungsparadigma, so liegt es auf der Hand, dass auf den wenigen Seiten (S. 62-71), auf denen sich Ehrenpreis und Lotz-Heumann mit diesem umstrittenen Konzept und seinen Derivaten auseinandersetzen, die Kontroversen kaum in ihrer Tiefe erfasst werden können. Man muss den Autoren zwar zugute halten, dass ihnen eine Einführung in die Ansätze Heinz Schillings und Wolfgang Reinhards durchaus gelingt. Den Gegenentwürfen widmen sie jedoch nur wenig Raum und präferieren hier eine sehr skizzenhafte Darstellung der Thesen Walter Zieglers, Thomas Kaufmanns, Heinrich Richard Schmidts oder Luise Schorn-Schüttes. Diese Präsentation ist zwar insofern berechtigt, als sie primär der Hervorhebung von Kritikpunkten am Konfessionalisierungsschema dienen soll. Dem Leser vermögen die von Ehrenpreis und Lotz-Heumann vorgelegten Kapitel jedoch kaum mehr als Anregungen zu weiterer Lektüre zu bieten, die für das Verständnis der Debatte dringend notwendig ist. Ähnliche Kritik wie im Fall der Konfessionalisierungsdebatte lässt sich im übrigen auch an der in diesem Band realisierten Darstellung von Peter Blickles Kommunalismuskonzept und der darum entbrannten Diskussion konstatieren (S. 41-47).

Als nachgerade beispielhaft für die Probleme dieses Bandes mag aber schließlich die hier vorgenommene Aufarbeitung der Forschungskontroverse um die Frage der „Einheit der Reformation“ herausgegriffen werden. Faktisch liefern Ehrenpreis und Lotz-Heumann zu diesem Thema jedoch nicht mehr als eine knappe Zusammenfassung der Standpunkte Bernd Moellers, Dorothea Wendebourgs sowie Bernd Hamms, so wie sie im 1995 erschienen Band „Reformationstheorien“ dargelegt worden sind. Die gesamte Debatte wird mithin im Wesentlichen auf ein einzelnes, schmales Buch reduziert. Weitere Ausführungen, später formulierte Standpunkte der Protagonisten sowie Meinungen anderer Historiker, Kirchenhistoriker oder Theologen wie Hans-Jürgen Goertz oder Volker Leppin werden dagegen nicht berücksichtigt. Die Debatte scheint geradezu ihren Anfang wie auch ihr Ende 1995 genommen zu haben, ohne in der Forschungslandschaft weitere Spuren hinterlassen zu können.

So zeigt sich an den dargelegten Beispielen der äußerst eng geschnürte Rahmen des vorliegenden Bandes „Kontroversen um die Geschichte: Reformation und konfessionelles Zeitalter“. Hier wird deutlich, dass sich die Kritik nicht allein und schon gar nicht primär an die Autoren Stefan Ehrenpreis und Ute Lotz-Heumann zu richten hat. Vielmehr muss das dem Buch und der Publikationsreihe zugrundeliegende Konzept hinterfragt werden. Die außerordentlich kurze Darstellung und Aufarbeitung der wesentlichen klassischen wie aktuellen Forschungsdiskurse, die darüber hinaus nahezu ohne vorausgehende historische Einführung in die Themenfelder Reformation und Konfessionalisierung erfolgt, ist jedenfalls dem Verständnis weder der verhandelten Komplexe noch ihrer Epoche sonderlich zuträglich.

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