G. Hammermann: Zwangsarbeit für den "Verbündeten"

Titel
Zwangsarbeit für den "Verbündeten". Die Arbeits- und Lebensbedingungen der italienischen Militärinternierten in Deutschland 1943-1945


Autor(en)
Hammermann, Gabriele
Reihe
Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 99
Erschienen
Tübingen 2002: Max Niemeyer Verlag
Anzahl Seiten
X, 719 S.
Preis
€ 104,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
René Del Fabbro, Schwabhausen

Nach dem Sturz des italienischen Diktators Mussolini und dem Waffenstillstand zwischen Italien und den Alliierten im September 1943 gerieten etwa 600.000 italienische Kriegsgefangene in die Hand des deutschen Militärs. Die Kriegsgefangenen waren die menschliche Beute der sarkastisch als „letzter Sieg der deutschen Wehrmacht“ bezeichneten Entwaffnung und Gefangennahme großer Teile der italienischen Armee. Sie wurden Opfer der deutschen Militärmaschinerie und der ihr vorgelagerten Rüstungsindustrie, und unterschwelliger Kollaborationsvorwürfe im Italien der Nachkriegszeit.

Nach ihrer Deportation ins Reich für wenige Tage offiziell Kriegsgefangene, erhielten sie auf Befehl Hitlers einen Sonderstatus als italienische Militärinternierte oder kurz IMI. Das deutsche Vorgehen resultierte aus einer Mischung von bündnispolitischer Rücksichtnahme gegenüber der auf deutschen Bajonetten installierten norditalienischen Repubblica Sociale Italiana, in der Mussolini wieder als Duce eingesetzt worden war, und diffusen Vergeltungsabsichten gegenüber den italienischen „Verrätern“. Unter schlimmen Umständen mussten die Verschleppten Zwangsarbeit in der deutschen Rüstungsindustrie leisten. Als Militärinternierte hatten sie keinen Anspruch auf Betreuung durch das Internationale Rote Kreuz, der Kriegsgefangenen ansonsten völkerrechtlich zugesichert war. Angesichts einer dramatischen Versorgungslage bedeutete dies Unterernährung, Krankheit oder gar ein Todesurteil. Knapp 20.000 IMI starben allein im Reichsgebiet.

Umso bestürzender, dass das demokratische Deutschland den etwa 50.000 noch lebenden Betroffenen sechzig Jahre nach ihrer Verschleppung eine Geste der Wiedergutmachung verweigert. Ende 2002 wurden über 40.000 Anträge auf Zahlungen von der Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft´ abgelehnt. Die willkürliche Behandlung in der NS-Diktatur findet so gesehen einen Nachhall in der Gegenwart. Selten war demnach eine historische Studie so aktuell wie Gabriele Hammermanns soeben erschienene Sozialgeschichte der italienischen Militärinternierten in Deutschland. Unbeabsichtigt gerät die für den Druck stark überarbeitete Dissertation zum tagesaktuellen Buch. Mosaiksteinchen für Mosaiksteinchen verdichtet die Autorin Quellenmaterial aus nicht weniger als 54 italienischen und deutschen Archiven sowie eine Vielzahl von Autobiografien und Zeitzeugeninterviews zu einem überaus abwägenden Bild der Lebens- und Arbeitsbedingungen der IMI im Deutschen Reich. Dabei kommen in systematisch getrennten Kapiteln sowohl die Aktenüberlieferung als auch die Betroffenen selbst zu Wort. Hammermann greift hier auf eine eigene und bereits vorhandene Umfragen unter Veteranen zurück. Die Trennung zwischen aktengestützten und biografischen Kapiteln erweist sich als sehr sinnvoll, weiß die Wissenschaft doch um die besondere Problematik der Zuverlässigkeit von Erinnerungszeugnissen, die die Aktenüberlieferung zwar entscheidend ergänzen, ihr vielfach aber eklatant widersprechen. Dies wird durch die Zweigleisigkeit weitestgehend aufgefangen.

Die Studie versteht sich in zweierlei Hinsicht als komplementär zu der bereits 1990 erschienenen Arbeit Gerhard Schreibers. Einerseits als Sozialgeschichte im Gegensatz zur politisch-militärischen Ausrichtung des Schreiberschen Buchs und andererseits mit einer Konzentration auf die Lage der Unteroffiziere und Mannschaftsdienstgrade, also der großen Mehrheit der Gruppe. Sie setzt sich zum Ziel, „erlassene Behandlungsvorschriften“ Hitlers und der oberen politischen Instanzen mit der regionalen, lokalen und betrieblichen Realität zu konfrontieren, diskutiert die Frage rassistischer oder politischer Hintergründe der IMI-Behandlung, vergleicht stets mit den anderen Gefangenengruppen in Deutschland und greift hierbei auf erfreulich viel Quellenmaterial aus Unternehmensarchiven zurück.

Zwar entgingen auch die Italiener nicht den biologistischen Urteilen so genannter Rassehygieniker wie F.K. Günther oder Fritz Lenz, die die „mediterrane Rasse“ – und damit insbesondere auch Süditaliener – in einer Mittelstellung zwischen „nordischen“ Menschen und „Negern“ verorteten und für „mindererwünscht“ erklärten. Doch kann Hammermann darlegen, dass nicht – wie etwa Gerhard Schreiber argumentierte – rassische Inferioritätskonzepte für die Behandlung der Italiener verantwortlich zeichneten, sondern primär der Verratsvorwurf gegen den nicht in Nibelungentreue weiter kämpfenden Achsenpartner ins Feld geführt wurde und sich in einer entsprechend demütigenden Behandlung niederschlug. Der Verratsvorwurf fiel in der deutschen Bevölkerung auf fruchtbaren Boden, war er doch historisch tief verwurzelt. Schließlich hatte der Dreibundpartner Italien im Ersten Weltkrieg zunächst Neutralität gewahrt, dann aber den ehemaligen Verbündeten Österreich und Deutschland 1915 bzw. 1916 den Krieg erklärt. Die Einstufung als Verräter trug den „Badoglio-Schweinen“ – wie die Italiener in Anspielung auf Mussolinis Nachfolger in Rom, Marschall Pietro Badoglio, auch genannt wurden – eine vergleichbar entwürdigende Behandlung ein wie den rassisch stigmatisierten sowjetischen Kriegsgefangenen, wenn auch die Situation letzterer insgesamt noch etwas schlechter war. Quasi im Nebeneffekt wollte das NS-Regime anhand der propagandistisch zum „Symbol für Verrat“ degradierten Italiener der deutschen Bevölkerung vor Augen führen, welches Schicksal ihr im Falle einer Niederlage drohte. Hammermann kann nachweisen, dass sich unter den Italienern ähnlich wie bei den Russen eine Meritokratie herausdifferenzierte, die sich aufgrund ihrer Arbeitsleistungen entgegen der politisch-ideologischen Hierarchie die Achtung der Deutschen erwarb.

An der Behandlung der IMI lässt sich einmal mehr ablesen, wie wenig aus einem Guss der Hitlersche Führerstaat war. Der Arbeitseinsatz von Millionen von Ausländern ist hierfür geradezu ein Paradebeispiel. Vielfach wurden z.B. Handlungsanweisungen Hitlers durch rivalisierende Personen und Institutionen konterkariert. So waren neben den personifizierten Protagonisten Speer, Sauckel und Bormann Wehrmacht, Rüstungsministerium, Gauleiter, Arbeitsämter und schließlich die Unternehmen selbst in die Steuerung des Arbeitseinsatzes involviert, die sich auf der oberen Ebene angesichts des Wirrwarrs zuständiger Stellen und unterschiedlicher Herangehensweisen teilweise selbst neutralisierten. Deshalb ist es auch heute so schwer, noch ‚wirklich´ Verantwortliche zu finden. Die Studie arbeitet überzeugend heraus, dass die Mittelinstanzen, aber auch die Unternehmen selbst angesichts der sich widersprechenden und geradezu undurchführbaren Regelungen – etwa eine ideologisch vorgesehene vollständige Trennung der Nationalitäten in den Lagern und am Arbeitsplatz – selbst zu praktikablen Lösungen griffen wie auch insgesamt die Tendenz im Laufe der Zeit mehr und mehr hin zu pragmatischen Lösungen ging.

Schon die institutionelle Verflechtung zwischen Industrie und Wirtschaftsbürokratie verbietet daher die auch heute noch gerne angeführte These einer „Wirtschaft unter Zwang“. Denn die industriellen Lenkungsorgane, so Hammermann, „plädierten im Zusammenhang mit den zu realisierenden Rüstungsaufträgen für eine Ausweitung des ausländischen Arbeitspotentials und erarbeiteten Initiativen für die Behandlung der ausländischen Arbeitskräfte“ (S. 113). Die Unternehmer übernahmen „entscheidende Befugnisse und bestimmten auf diese Weise zentrale Bereiche der Arbeitsverhältnisse wie die Ernährung, Entlohnung und schließlich auch die Reglementierung der Kriegsgefangenen“ (S. 289). Die von Unternehmerseite vielmals geführte Klage über zu geringe Leistungen der Internierten diente dabei als Argumentationshilfe, die Löhne zu kürzen (S. 272). Daneben waren die IMI einer hohen Gewaltbereitschaft nicht nur ihrer staatlichen Bewacher, sondern auch der Betriebsangehörigen ausgesetzt. Wohlgemerkt bestand zwischen den IMI und den Unternehmen noch nicht einmal ein offizielles Arbeitsverhältnis, sondern ein – so die NS-Diktion – „öffentlich-rechtliches Verhältnis besonderer Art“ (S. 120). In der Jahrzehnte langen Debatte um eine Entschädigung wurde diese Finesse den IMI nicht selten als Ausschlusskriterium vorgehalten.

So waren die Italiener Spielball zwischen „Leistungsernährung“ – einem perfiden, auf Nahrungsentzug für geringere Arbeitsergebnisse basierenden Disziplinierungselement – und dem Anfang 1944 aufgrund ihres desolaten physischen Zustands verfügten ‚Aufpäppelungserlaß´. Aufpäppelung steht in diesem Zusammenhang für einen reinen Euphemismus, denn die tägliche Zusatzverpflegung betrug z.B. im Fall einer Gubener Textilfirma gerade einmal 500 Gramm Kartoffeln und 1/8 Liter Milch (S. 246). Dagegen erwies sich das zentrale Ziel einer Neuregelung der Kriegsgefangenenarbeit, nämlich die Bezahlung mit Lagergeld als Leistungsanreiz, als kompletter Fehlschlag, da für dieses Geld in den kärglich bevorrateten Lagerkantinen fast nichts gekauft werden konnte. So „war der Wechsel zwischen bedenkenlos angewandten Zwangsinstrumenten und Maßnahmen, die der Erhaltung der Arbeitskraft dienten, geradezu symptomatisch. Vergeltung und Ausbeutung blieben die geltenden Behandlungspole für die Italiener, auch wenn zweckrationale Prinzipien zunehmend an Bedeutung gewannen“ (S. 210). Es pendelte sich demnach für die Italiener ein komplexes und äußerst labiles Gleichgewicht zwischen einer im Sinne der Staatsräson für notwendig erachteten demütigenden Diffamierung und einer durch die Kriegsrealität erzwungenen Privilegierung zur Sicherstellung der weiteren ökonomischen Ausbeutung heraus.

Ab August 1944 wurden die IMI auf Geheiß Hitlers in das so genannte Zivilverhältnis überführt. Dieser etwas harmlos daher kommende Begriff kaschiert freilich nur die Tatsache, dass die Italiener weiterhin Zwangsarbeit für den ‚Verbündeten´ leisten mussten. Nicht aus heldenhaftem Mut heraus, sondern aufgrund von Apathie, Kriegsmüdigkeit und der Angst, in Wehrmacht- oder SS-Verbände eingezogen zu werden, verweigerten sich die Unteroffiziere und Mannschaften zunächst mehrheitlich diesem Statuswechsel, worauf hin von deutscher Seite zum Teil erheblicher Druck ausgeübt wurde. „Entweder ihr unterschreibt oder kaputt“, so schildert ein Betroffener Internierter die Wahl, vor die man die Italiener stellte. Dennoch erging es den deportierten Soldaten für wenige Monate etwas besser als in dem schlimmen Leidensjahr zuvor. Sie konnten sich freier bewegen und ihre Ernährungssituation mit dem realen Geld aufbessern, das sie nun anstelle von Lagergeld erhielten. Doch bereits Anfang 1945 verschlechterte sich ihre Situation in der Agonie des Dritten Reiches erneut. Viele verloren ihr Leben in den letzten Kriegswochen durch die Hand der Deutschen oder alliierte Luftangriffe.

Die lang ersehnte Rückkehr nach Italien empfanden viele IMI als Ankunft in einem fremden Land. Ihr Schicksal geriet im Nachkriegsitalien zum Tabuthema, wozu ein unausgesprochener Kollaborationsverdacht und ein Verliererimage beitrugen. Mit dem Argument, man könne Nicht-Kollaborateure und Kollaborateure nicht gleich behandeln, zeigte auch der italienische Staat den ehemaligen IMI die kalte Schulter und verweigerte bis auf wenige Ausnahmen Entschädigungs- wie auch ausstehende Wehrsoldzahlungen. Erst mit der Ende der 1980er Jahre durch historische Forschungen angestoßenen Diskussion um das Schicksal der IMI endete ihre Ausblendung aus dem öffentlichen Bewusstsein Italiens.

Ähnlich wie um die italienische Resistenza bzw. in Konnex mit dieser bildeten sich auch um die IMI Mythen, die nun nach und nach von der Geschichtswissenschaft korrigiert werden. So bestand das Bild einer Gruppe, die sich „einmütig“ der Kooperation mit den Deutschen widersetzt habe, einer „Resistenza senz´armi“ (Widerstand ohne Waffen). Die breit angelegte Untersuchung des Arbeitsalltags der IMI ergibt hierfür kaum Anhaltspunkte: „Das Verhalten der IMI am Arbeitsplatz war eher von Apathie, Kriegsmüdigkeit, Demoralisierung und Niedergeschlagenheit als von politisch begründeter Auflehnung gekennzeichnet. Der Widerstand war vorwiegend individueller und nicht kollektiver Natur.“ (S. 298)

Stellt man dem Mythos des einmütigen Widerstands der IMI gegen NS-Deutschland bzw. der Resistenza senz´armi Hammermanns Studie gegenüber, so zeigt sich deutlich die dank geschichtswissenschaftlicher Forschungen mittlerweile überaus tiefe Kluft zwischen ideologisch instrumentalisierter Legende und historischer Realität. Jene Kluft endgültig übersprungen zu haben, stellt das größte Verdienst der von Hammermann vorgelegten Forschungsleistung dar. Mit den zum Teil unbequemen Ergebnissen wird sich die italienische öffentliche Meinung intensiv auseinander setzen müssen, um ein erst lange totgeschwiegenes, dann einseitig glorifiziertes Kapitel der deutsch-italienischen Historie zu revidieren. Hier wird das sowohl von heroischem als auch rührseligem Pathos gänzlich freie Buch gewiss auch provozieren und anecken. Und das ist gut so. Denn die Hoffähigkeit neofaschistischer politischer Strömungen gekoppelt mit entsprechenden Geschichtsauffassungen verändert das heutige Italien in einer für Europa beängstigenden Weise. Gerade in diesem Zusammenhang ist es kein Trost, dass der europäische Faschismus in den 1920er Jahren von Italien seinen Ausgang nahm. Bücher wie jenes von Hammermann entfalten hier eine geradezu desinfektorische Wirkung. Eine italienische Übersetzung sollte daher bald folgen.

Als einzig nennenswerter Kritikpunkt ist anzumerken, dass Hammermanns fachhistorisch an sich nicht zu kritisierender Anspruch einer akribisch-dichten Darstellung bisweilen zu Redundanzen führt. Jenes defensive „Abdichten“ gegen Kritik des Wissenschaftsbetriebs ist natürlich legitim, aber fünfzig bis hundert Seiten weniger hätten der Durchschlagskraft der Studie sicher eher genutzt als geschadet. Aber der Rezensent weiß natürlich selbst, wie schwer es ist, sich von seinen hart erarbeiteten Details zu trennen und Einzelbefunde stärker zu aggregieren. So bleibt zu hoffen, dass die 22-seitige Schlussbetrachtung nicht allzu viele Leser verleitet, den Hauptteil zu vernachlässigen. Natürlich ist die Zusammenfassung mit Blick auf Rezensenten verfasst, die vor dem Lesepensum einer über 700-seitigen und nicht weniger als 1372 Gramm schweren Studie, mithin einem knappen Dreipfünder, kapitulieren. Wenn man die überaus fruchtbare Arbeit freilich vollständig durchgearbeitet hat, wird deutlich, dass das Lesen von Einleitung und Schlusskapitel kein Ersatz für die Lektüre des Gesamtwerks sein kann. Deshalb hier ein Plädoyer für kürzere historische Studien, und zwar gerade damit sie ganz gelesen werden.

Nach der Lektüre dieses aus einem überreichen Quellenfundus schöpfenden und äußerst differenziert argumentierenden Buchs muss jeder auch nur halbwegs Einsichtige verstehen, dass die italienischen Zwangsarbeiter in der Entschädigungsdiskussion neuerlich Opfer ihres Sonderstatus werden, der ja nicht von ihnen selbst gewählt war, sondern von einem Unrechtsregime aufgezwungen wurde. Unter Verwendung juristischer Winkelzüge – in geradezu widersinniger Weise aus dem Repertoire des Völkerrechts – werden ihnen bislang Entschädigungsleistungen der gemeinsam von Unternehmen und Bund finanziell ausgestatteten Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft´ verwehrt. Als Begründung hierfür dient ein Rechtsgutachten des von der Bundesregierung beauftragten Völkerrechtlers Christian Tomuschat. Der von ihm vorgelegte Argumentationsgang, die vom NS-Regime verfügten Statuswechsel seien völkerrechtswidrig erfolgt, d.h. die IMI seien de jure nie etwas anderes als Kriegsgefangene gewesen, welche keinen Anspruch auf Zahlungen der Stiftung haben, mag zwar formaljuristisch korrekt sein, widerspricht jedoch der historischen Realität und ist somit in hohen Maße geschichtsblind. Daneben erweckt das Gutachten den Eindruck, als sollte jede auch nur mögliche Eventualität zur Erlangung von Entschädigungsleistungen rechtlich verbaut werden. Umso mehr verwundert es da, dass polnische Kriegsgefangene, die schon 1940 den Zivilarbeiterstatus erhielten, bereits anstandslos Leistungen erhielten. Auch tschechische Arbeiter, die unter wesentlich besseren, in etwa den Franzosen vergleichbaren Bedingungen im Reich arbeiteten und lebten, gehören zu den Anspruchsberechtigten. So gesehen ragt die skandalöse Vergangenheit nicht nur als historisches Menetekel, sondern als aktueller Skandal bis in unsere Gegenwart.

Wie in der Stiftungsinitiative vorgesehen, kann daher nur eine moralische Verpflichtung und keine formaljuristische Klausel den Weg zur Anspruchsberechtigung weisen. Selbst Tomuschat weist einen Ausweg aus dem menschlichen Dilemma: „Eine ganz andere Frage ist es“, heißt es in seinem Gutachten, „ob angesichts des Leidens, das den IMI zugefügt worden ist, jedenfalls ein moralischer Anspruch auf Wiedergutmachung besteht, der sich dann in einer entsprechenden Gesetzgebung niederschlagen sollte.“ Mit der Festlegung im Stiftungsgesetz, dass Entschädigungsansprüche für Kriegsgefangene bestehen, die zwangsweise in den Zivilstatus überführt wurden, existiert dieses Instrumentarium freilich bereits. Übersehen wird darüber hinaus ein weiterer entscheidender Punkt: Kriegsgefangene durften nicht zur Arbeit in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden. Der Sonderstatus als IMI und die spätere Überführung in den Zivilarbeiterstatus resultierte somit nicht nur aus bündnispolitischen Rücksichten und Vergeltungsabsichten, sondern auch mit dem Ziel, ‚legal´ Arbeitskräfte für die ausgeblutete deutsche Rüstungsindustrie zu gewinnen.

Die noch lebenden Opfer des letzten Siegs der deutschen Wehrmacht werden so gesehen sechs Jahrzehnte nach ihrem Leidensweg die letzten Opfer einer widersprüchlichen Entschädigungspraxis der Stiftung ‚Erinnerung, Verantwortung und Zukunft´, deren Gelder wohlgemerkt zu etwa drei Vierteln von den deutschen Steuerzahlern bereit gestellt werden mussten. Sie haben ein Recht darauf, dass ihre Milliarden gerecht verteilt werden und nicht neues Unrecht erzeugen.

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