Titel
Karl Polak. Parteijurist unter Ulbricht


Autor(en)
Howe, Marcus
Reihe
Studien zur Europäische Rechtsgeschichte 149
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Vittorio Klostermann
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lothar Becker, Stadt Köln

Im Mittelpunkt der bisherigen Arbeiten zur DDR-Rechtsgeschichte stehen – der Tradition rechtsgeschichtlicher Forschungen folgend – Gesetzgebung und Justiz. Über die Wissenschaftsgeschichte ist vergleichsweise wenig bekannt. Eine Ausnahme stellt allein die Babelsberger Konferenz von 1958 dar, deren Wirkungsgeschichte die Rechtswissenschaft der DDR maßgeblich prägte. Eine der Hauptfiguren dieser Tagung wie der DDR-Rechtswissenschaft insgesamt war der Jurist Karl Polak, dessen Leben und Werk mit der 1998 abgeschlossenen und von Uwe Wesel betreuten Dissertation Marcus Howes jetzt erstmals ausführlich untersucht wurde.

Die „bürgerliche“ juristische Karriere des 1905 geborenen Karl Polaks schien am 1. April 1933 bereits beendet, bevor sie so recht begonnen hatte. Nach dem Jurastudium in Heidelberg und München, vor allem aber in Frankfurt am Main, hatte Polak seine Referendarzeit im Bezirk des Kammergerichts in Berlin angetreten. Infolge des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde er aufgrund seiner jüdischen Abstammung aus dem Referendardienst entlassen (S. 7ff.). Ende 1933 emigrierte Polak in die Sowjetunion. Das genaue Datum ist ebenso unbekannt wie die näheren Umstände. Nach seiner Entlassung aus dem Referendardienst, aber noch vor seiner Emigration, hatte Polak unter der Betreuung Erik Wolfs mit „Studien zu einer existentiellen Rechtslehre“ promovieren können (S. 9f.).

In der Emigration nahm die Wissenschaftskarriere dann plötzlich an Fahrt auf. Obschon Polak gegen Ende seiner Studienzeit erste Kontakte zu marxistischen Gruppen unterhalten hatte, war er zum Zeitpunkt seiner Emigration weder Mitglied der KPD noch stand er nach dem Urteil Howes „kommunistischen Ideen sonst besonders nahe“ (S. 12). In der Sowjetunion gelang es ihm dann jedoch rasch, sich in den dortigen Wissenschaftsbetrieb zu integrieren (S. 13ff.). Tätigkeiten beim Volkskommissariat für Justiz der Union und am Institut für Recht bei der Akademie der Wissenschaften brachten ihn in die Nähe Andrej Wyschinskis, dem Hauptvertreter der stalinistischen Justiz- und Rechtstheorie. Zur Führung der KPD im sowjetischen Exil schien Polak hingegen bis kurz vor Kriegsende keinen Kontakt unterhalten zu haben (S. 18).

Auch bei der Rückkehr nach Deutschland kamen ihm seine sowjetischen Kontakte zu gute. Empfohlen von der Sowjetischen Militäradministration wurde Polak Anfang 1946 von der KPD „zur Arbeit nach Deutschland in das ZK eingeladen“ (S. 19) und zum Leiter der neu geschaffenen Abteilung Justiz des ZK ernannt (S. 21ff.). Erst jetzt trat er in die KPD ein. Die Bezugsperson hieß nun für ihn Walter Ulbricht, unter dessen Protektion Polak zum juristischen Vordenker der SED aufstieg.

In seiner Funktion als Leiter der Justizabteilung des ZK war Polak in der Folgezeit am Aufbau der Justiz, an der Einführung der Volksrichter und der Abschaffung der Verwaltungsgerichtsbarkeit beteiligt. Howe zeichnet anschaulich nach, wie es hier gelang, vor allem durch personalpolitische Entscheidungen die Vormachtstellung der SED auf Dauer abzusichern. Als Mitglied des Verfassungsausschusses nahm Polak zugleich maßgeblichen Einfluss auf die Entstehung der ersten Verfassung der DDR 1949 (S. 59ff.).

Ein Ausflug in die Wissenschaft, zunächst als Lehrbeauftragter dann als Ordinarius für Staatslehre an der gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät der Leipziger Karl-Marx-Universität, endete 1951 hingegen abrupt: Nachdem ihm beim Einstieg 1949 seine sowjetische Vergangenheit erneut behilflich war – die fehlende Habilitation sah man ihm aufgrund seiner im Exil erworbenen Lehrerfahrungen, vor allem aber aufgrund seines 1946 in Moskau mit einer „zweiten“ Dissertation erlangten Grades eines „Kandidaten der juristischen Wissenschaft“ nach – holte ihn nun seine jüdische Abstammung wieder ein. Eine auf parteifeindliches Verhalten gestützte, aber auch mit deutlichen antisemitischen Nebentönen gestartete Kampagne einiger Leipziger Nachwuchswissenschaftler führte 1951 zum Ende seiner wissenschaftlichen Laufbahn, nicht jedoch zum Ende seiner Karriere (S. 107ff.).

Unter dem Schutz Ulbrichts gelingt es Polak, sich innerhalb des Parteiapperates neu zu positionieren (S. 131ff.). Als rechtspolitischer Berater Ulbrichts wuchs auch sein Einfluss auf den Wissenschaftsbetrieb. Deutlich sichtbar wurde Polaks Position auf der Babelsberger Konferenz von 1958, in deren Mittelpunkt eine Abrechnung mit der bürgerlichen, aber auch mit den Bemühungen der eigenen Staats- und Rechtswissenschaft stand (S. 191ff.). Obschon Polak selbst nicht in Erscheinung trat, hatte er als Regisseur im Hintergrund Inhalt und Ablauf dieser Parteiveranstaltung genau vorbereitet. Ulbrichts unmissverständliche Forderung nach einem instrumentalen Verständnis des Rechts, das allein dazu diene, „die Politik von Partei und Regierung durchzusetzen“ (S. 203), hatte Polak wortwörtlich vorformuliert. Es blieb nicht nur bei einer Abrechnung mit den bisher erzielten Leistungen. Einzelne Wissenschaftler wie Karl Bönninger, Hermann Klenner und Heinz Schuch sahen sich massiven, polemischen Angriffen Ulbrichts ausgesetzt. Obschon es sich dabei um Mitwirkende an der vorgenannten Kampagne gegen Polak handelte, hält sich Howe mit einer Bewertung der Rolle Polaks bei diesem denkwürdigen Tagesordnungspunkt zurück (S. 207).

In der DDR-Rechtswissenschaft schien man die Bedeutung Polaks bei der Vorbereitung der Tagung und für die Zukunft der eigenen Forschungen genau erkannt zu haben. Howe schildert ausführlich den auf Babelsberg folgenden „Polak-Kult“ (S. 221ff.). Wer sich nicht weiteren Vorwürfen ausgesetzt sehen wollte, orientierte sich an den Ideen Polaks. Mit seiner 1959 erschienenen „Dialektik der Staatslehre“, einer Sammlung von Aufsätzen aus den letzten beiden Jahren, legte Polak einen Leitfaden vor, der eilfertig als „von kaum zu überschätzender Bedeutung“ gefeiert wurde. Polak pries die Partei, die Wissenschaft lobte Polak. Polak selbst ließ es sich nicht nehmen, die Besserungsbemühungen der einzelnen Wissenschaftler in „Einschätzungsartikeln“ streng unter die Lupe zu nehmen und als fortschrittlich oder rückständig zu benoten. Unangreifbar war seine Stellung freilich nicht. Auf einer Konferenz der Akademie der Wissenschaften warfen ihm die zuvor von Polak Kritisierten nun ihrerseits vor, mit der Linie der Partei nicht überein zu stimmen (S. 225ff.).

Polak ging aus diesem „Beinahesturz“ (S. 225) nicht nur gesundheitlich angeschlagen hervor. Mit seiner alleinigen Deutungshoheit war es vorbei. Zur Sicherstellung zukünftiger Einhaltung der Parteilinie wurden ihm die Professoren Rudolf Arzinger, Herbert Kröger und Karl-Heinz Schöneburg zur Seite gestellt (S. 228). Ulbrichts Protektion konnte er sich aber weiterhin gewiss sein. Mit der Bildung des Staatsrates 1960 wurde Polaks zuvor entworfene Konzeption einer Staatsreform, die er Mitte der fünfziger Jahre mit dem Ziel einer sozialistischen Reformverfassung ausgearbeitet hatten, nun Wirklichkeit. Die Berufung in den Staatsrat durch Ulbricht bildete formell den Höhepunkt in Polaks Karriere. Seine angegriffene Gesundheit jedoch machte sich mehr und mehr bemerkbar. Karl Polak starb im Oktober 1963.

Howes Untersuchung nimmt den Leser mit zu einer detailreichen, zum Teil auch spannenden Reise durch die Wissenschaftsgeschichte. Anschaulich wird der Sozialisationsprozess eines DDR-Juristen dargestellt. Schnell wird die geringe Wertschätzung der Juristen durch die politischen Machthaber deutlich. Deutlich wird aber auch, wie wenig selbstkritisch sich Juristen in das System einrichteten, wie bereitwillig das Recht den Bedürfnissen der Politik unterworfen wurde und wie wenig die offensichtliche Geringschätzung durch die Politk an de Bereitschaft der Juristen zur aktiven Mitwirkung änderte. Und schließlich wird auch deutlich, wie schnell die eigenen Karrierebemühungen durch Intrigen der Konkurrenz wieder zunichte gemacht werden konnten. Auch eine Folge eines rein instrumentalen Rechtsverständnisses. Parallelen zur Rechtswissenschaft vor 1945 – in der Biografie wie in der Argumentation – drängen sich auf.

Abschließend bleibt festzuhalten: Howe ist ein informativer Beitrag zur Justiz- und Wissenschaftsgeschichte der DDR gelungen, der Anlass zu weiteren Forschungen geben sollte. Anlass zur Kritik geben lediglich die eine oder andere etwas zu drastische Formulierung. Auch die vom Autor selbst in der Einleitung hervorgehobene Selbstverständlichkeit einer Berücksichtigung des „historischen Rahmens“ (S. 3) wird in der Arbeit nicht immer eingelöst und auch durch das knappe Literaturverzeichnis widerlegt.

Eine aufschlussreiche Quelle zum Verständnis der Wandlungen des Karl Polak, aber auch einer ins Persönliche gewendeten Wissenschaft blieb dem Autor leider verschlossen. Der Nachlass Polaks ist von dessen Familie Karl-Heinz Schöneburg, dem vormaligen Direktor des Babelsberger Instituts für Theorie des Staates und Rechts an der Deutschen Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft ‚Walter Ulbricht‘, zur Auswertung anvertraut worden (S. 4). Es ist daher nicht unproblematisch, wenn Howe einerseits der Nachlass verschlossen bleibt und er sich andererseits auf Aussagen des Nachlassverwalters beruft, zumal dessen Rolle als Mitwirkender in den Kampagnen gegen Polak nicht ganz klar wird.

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