T. Scharff: Die Kämpfe der Herrscher und Heiligen

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Titel
Die Kämpfe der Herrscher und Heiligen. Krieg und historische Erinnerung in der Karolingerzeit


Autor(en)
Scharff, Thomas
Reihe
Symbolische Kommunikation in der Vormoderne
Erschienen
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 44,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Prietzel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universtität zu Berlin

In der deutschen Geschichtswissenschaft, auch in der Mediävistik, ist Krieg längst wieder ein wichtiges Thema. Das liegt nicht nur an aktuellen politischen Ereignissen. Vielmehr zeigt sich, dass Krieg, Gewaltanwendung sowie der Umgang mit Krieg und Gewalt wertvolle Aufschlüsse über eine Gesellschaft geben können. Dies belegt die vorliegende innovative und anregende Münsteraner Habilitationsschrift in eindrucksvoller Weise.

Scharffs Fragestellung ist klug und präzise eingegrenzt. Er untersucht die Darstellung des Krieges in der Historiographie der Karolingerzeit, also nicht die Kriegsführung selbst, sondern deren Widerspiegelung in der historischen Erinnerung und damit die Wahrnehmung der Kriege durch die intellektuelle Elite des karolingischen Reiches. Besondere Aufmerksamkeit widmet er dabei Ritualen und Zeichenhaftem. Die so festgestellten Schemata der Darstellung wiederum lassen es dann zu, einzelne Aussagen zuverlässiger einzuordnen.

Der Ertrag dieser Arbeit besteht diesem Ansatz entsprechend nicht in holzschnittartigen Behauptungen darüber, wie Krieg in der Karolingerzeit „wirklich“ gewesen sei, und selbstredend erst recht nicht in der bei populären Darstellungen so beliebten „Entlarvung“, der Krieg, zumal der mittelalterliche, sei kein Heldenstück, sondern ein brutales Gemetzel gewesen (als ob daran noch jemand gezweifelt hätte). Scharff verweigert sich jeder vergröbernden, eindimensionalen Darstellung. Sein Verdienst besteht in konsequenter, kulturwissenschaftlich geleiteter Quellenanalyse, im steten Beharren auf differenzierter Betrachtung, in einer Fülle interessanter Einzelergebnisse, schließlich im Herausarbeiten einer Reihe von Kategorien, unter denen die Darstellungen das Berichtete ordnen.

Das Buch gliedert sich in zwei große Abschnitte, die je vier Kapitel umfassen. In einer Zusammenfassung präsentiert Scharff dann nochmals prägnant die Ergebnisse seiner Studie. Je ein Register der Personen- und der Ortsnamen ermöglicht es, die im Verlauf der Untersuchung behandelten Autoren und Ereignisse leicht aufzufinden.

Der erste Abschnitt („Der Krieg in den Quellen“) verfolgt die Frage, wie unterschiedliche Quellengattungen Kriege und Kämpfe schildern. Nacheinander werden die Fürstenspiegel, die Hagiographie, die Dichtung, schließlich die Historiographie im engeren Sinn behandelt. Scharff strebt hier nicht nach umfassenden neuen Thesen und in einer ganzen Reihe von Einzelbeobachtungen kann er auf die Ergebnisse anderer Forscher zurückgreifen. Der Wert dieses Abschnitts liegt vielmehr darin, dass Scharff die karolingerzeitlichen Quellen konsequent unter vorstellungsgeschichtlichen Vorgaben zum Thema Krieg durchmustert und auf ihre Darstellungsabsichten und Einordnungsmechanismen untersucht.

Auf diese Weise ergeben sich immer wieder erhellende Einblicke in die Eigenarten vieler altbekannter Quellen. Die „Taten Ludwigs des Frommen“ aus der Feder des Ermoldus Nigellus z. B., die traditionell als bloße Dichtung mit wenig faktischem Aussagewert betrachtet wurden, deutet Scharff als beredtes Zeugnis für die Stilisierung des Kampfes und damit für den Umgang mit Krieg. So lehnt Scharff sehr plausibel Ermolds Schilderungen von Zweikämpfen nicht als bloße heroisierende Erfindung ab, sondern erkennt in ihnen Versuche zur Ästhetisierung des Kampfes und stellt ihnen andere, ähnliche Kunstgriffe des Autors an die Seite.

Diese Untersuchungen im ersten Teil des Buchs dienen nicht zuletzt als Grundlage für die weitergehende Analyse im zweiten Abschnitt, der sich den „Kategorien der Darstellung“ widmet und unter vier übergeordnete Begriffe gestellt ist: Zeit, Raum, Herrschaft und Erinnerung. Scharff zeigt hier Vorstellungen auf, die den Berichten der Quellen implizit zugrunde liegen. Viele Formulierungen der Quellen enthalten sozusagen einen Subtext, der für die Zeitgenossen unmittelbar verständlich war, den sich jedoch heutige Historiker erst erschließen müssen.

Das anschaulichste Beispiel hierfür betrifft die Verwüstung des feindlichen Landes, die in den Quellen immer wieder - häufig formelhaft - erwähnt wird. Bislang kommentierte man solche Stellen allenfalls damit, dass diese bewussten Zerstörungen wesentlicher Teil der Kriegsführung in der Karolingerzeit (wie im Mittelalter überhaupt) gewesen seien. Das ist zweifellos richtig. Aber wie Scharff zeigen kann, haben die Berichte von einer „vastatio“ nach der Absicht ihrer Autoren nicht nur den Zweck, einen Akt der Verwüstung zu schildern. Die Erwähnung der „vastatio“ belegt zugleich die Überlegenheit des eigenen Heeres, denn sie impliziert, dass die Truppen das Land des Gegners durchziehen und verwüsten konnten, ohne ernsthaften Widerstand zu erfahren. In ähnlicher Weise steht die Stadtmauer in vielfältigem Sinn symbolisch für die zu erobernde Stadt und ihre Bewohner. Wenn man schildert, dass die Mauer symbolisch überwunden wird (z. B. indem ein Speer über sie hinweggeworfen wird), dann steht dies sinnbildlich für die Überlegenheit der Angreifer über die Verteidiger.

Motive, die man auch aus Kriegsschilderungen anderer Epochen kennt, erscheinen hier mitunter mit interessanten zeitspezifischen Eigenheiten. In den Schilderungen über die Bruderkriege des 9. Jahrhunderts versuchen z. B. die Autoren häufig, die Anführer der Gegenseite als treulos und hinterhältig darzustellen und auf diese Weise den Kampf gegen diese zu legitimieren. Interessanterweise werfen die Verfasser der Quellen in diesen Fällen den gegnerischen Herrschern gerne Eidbruch vor. Sie berufen sich also auf den Eid und damit auf ein Herrschaftsmittel, dessen Bedeutung für die karolingische Herrschaft von der Forschung in den letzten Jahren deutlich herausgestellt wurde. Auch beweist es nach Auffassung der Chronisten den Sieg der eigenen Seite, wenn die Verlierer eines Kampfes einen Eid ablegen müssen.

Wenig überraschend scheint zunächst, dass die karolingerzeitliche Chronistik manchmal behauptet, der gegnerische Herrscher sei ein Tyrann. Das ist selbstredend nicht als Hinweis auf eine objektive Gegebenheit zu verstehen, sondern soll die Gewaltanwendung der eigenen Seite legitimieren. Sehr interessant aber ist, dass dieser Vorwurf bezeichnenderweise besonders bei Kampfhandlungen innerhalb des Karolingerreichs vorkommt. Nur hier wurde diese Rechtfertigung benötigt - in Kriegen gegen Heiden hingegen brauchte man eigentlich gar keine Legitimation.

Ebenfalls weiß man z. B. aus anderen Epochen, dass es den Überlebenden ein Bedürfnis ist, Helden und Gefallene zu ehren. Scharff zeigt auch hier das Spezifische der Karolingerzeit auf. Glanzvolle militärische Taten sichern nicht nur Ruhm unter den Zeitgenossen, sondern auch ehrendes Andenken bei den Geschichtsschreibern. Die Namen von ehrenvoll Gefallenen werden durch schriftliche Fixierung sorgfältig bewahrt. Auch liturgisch will man an die Toten erinnern. Schlüssig kann Scharff im Anschluss an die Memoria-Forschung darstellen, wie weltlich-heroisches und liturgisches Erinnern in einem gemeinsamen kulturellen Boden wurzeln.

So entsteht durch viele Mosaiksteine ein facettenreiches Bild davon, wie die Chronisten des 8. und 9. Jahrhunderts Krieg und Gewalt darstellten und damit in ihre Vorstellungswelt einordneten. Zugleich werden auch weite Bereiche dieser Vorstellungswelt insgesamt beleuchtet. Das ist umso reizvoller, als dieses aufschlussreiche Werk sehr gut geschrieben ist. Auch dies wird dazu beitragen, dem Buch die verdiente Aufmerksamkeit zu verschaffen.

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