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Titel
RIAS Berlin. Eine Radiostation in einer geteilten Stadt


Autor(en)
Kundler, Herbert
Reihe
Programme und Menschen: Texte - Bilder -Dokumente
Erschienen
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Patrick Schwane, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Im Februar 1946 zunächst als „DIAS“ (Drahtfunk im amerikanischen Sektor) gegründet, verdankte der spätere „RIAS“ (Rundfunk im amerikanischen Sektor) seine Existenz den Konflikten der Siegermächte über die Vergabe von Sendezeit des ersten Radiosenders der Nachkriegszeit in Berlin, des „Berliner Rundfunks“. Nach der Kapitulation war es der Sowjetunion als Besatzungsmacht gelungen, in kurzer Zeit das Presse- und Informationswesen in Berlin unter ihre Kontrolle zu bringen. Den westlichen Alliierten war es in dieser Situation nicht möglich, ihre Programmvorstellungen zu realisieren, da eine Rundfunkaufsicht unter Vier-Mächte-Status nicht existierte. Ab Sommer 1945 wurde schließlich durch die amerikanische Militäradministration ein Prozess in Gang gesetzt, der zur Entstehung des RIAS führte. Diese Radio-Station sollte sich nachfolgend, besonders in der Zeit des eskalierenden Kalten Krieges, zu einer wichtigen West-Berliner Informationsquelle für die Menschen im Ostteil der Stadt und der übrigen DDR entwickeln.

Das großformatige, in sechs thematische Abschnitte und einen Anhang gegliederte Buch, das von dem Journalisten und ehemaligen RIAS-Programmdirektor Hermann Kundler unter Zusammenarbeit mit Zeitzeugen und Journalisten wie Lutz von Pufendorf, Siegfried Buschschlüter, Rolf Schindel u. a. erarbeitet wurde, präsentiert eine Fülle an Fotos, zeitgenössischen Berichten und Abbildungen von Originaldokumenten. Dezidiertes Ziel dieser Darstellung ist es, angesichts „der Neigung, die Medienvergangenheit der DDR zu verharmlosen, durch Hinweise und Anmerkungen zur stalinistischen Medienpolitik und der Rolle des Rundfunks im Gefüge des ‚Realen Sozialismus’ zu begegnen“ (S.12).

Die ersten drei Kapitel zeigen die Rundfunkgeschichte der Weimarer Republik hin zum NS-Funk sowie Vorgeschichte, Anfangszeit und Selbstverständnis des RIAS in der Zeit des sich entwickelnden Kalten Krieges und verfolgen die Entwicklung bis in die frühen neunziger Jahre. Deutlich wird, wie sehr die politischen Großereignisse, etwa die beginnende Spaltung der Stadt, die Währungsreform und das Chrustschow-Ultimatum sowie der Mauerbau die Programmgestaltung bestimmten. Überdies wird die zunehmende Rezeption des RIAS in Ost-Berlin und der übrigen DDR klar, die sich durch die Gegenmaßnahmen des SED-Regimes wie die Einrichtung von Störsendern oder die Durchführung von Propagandakampagnen manifestierte. Trotzdem nahm die Zahl der Hörer in der SBZ/DDR und Ost-Berlin zu und blieb bis in die siebziger und achtziger Jahre auf einem hohen Niveau, was sich insbesondere in der großen Zahl der Zuschriften ausdrückte.

Dass seit der Zeit der ersten Berlin-Krise der RIAS in der Auseinandersetzung zwischen Ost und West eine besondere Funktion inne hatte, zeigte sich besonders in Zusammenhang mit den Geschehnissen des 16./17. Juni 1953. Für die damaligen Ereignisse gesteht Kundler dem RIAS „als einer Hauptnachrichtenquelle der DDR-Bevölkerung eine politische Mitverantwortung von geradzu [sic!] schicksalhafter Tragweite“ zu (S. 177). Wie jüngst Bernd Stöver hinwies, besaß der RIAS zudem eine zentrale Funktion für die „Ostpropaganda“ der USA. Dies lag u.a. daran, dass er einen großen Zuhöreranteil in Berlin besaß, und nicht nur in der DDR, sondern auch in Polen, der CSSR, in Ungarn, in Rumänien und in anderen von der Sowjetunion beherrschten Ländern empfangen werden konnte 1. Leider erfährt der Leser über die interessante Rolle des Berliner RIAS als Transmitter für die US-„Befreiungspolitik“ in den fünfziger Jahren in dieser Darstellung kaum etwas.

Mediengeschichtlich, so Kundler, vollzogen sich in den fünfziger und sechziger Jahren neue Entwicklungen wie die Schaffung von Magazinprogrammen mit ihrer Mischung aus Informationen, Reportagen, Nachrichten und Musik (wie z. B. „Rundschau am Morgen“) oder Live-Schaltungen zum Interviewpartner oder Reporter vor Ort und anderes mehr. Kindersendungen wie „Onkel Tobias vom Rias“, oder Programme wie die „RIAS-Funkuniversität“, aber vor allem Unterhaltungssendungen wie „Schlager der Woche“ und die Konzerte des „RIAS-Tanzorchesters“ erfreuten sich bei den Hörern in Ost wie West großer Beliebtheit.

Das vierte und fünfte Kapitel widmen sich den amerikanisch-deutschen Beziehungen und stellen eine Zusammenstellung von Materialien unter dem Titel „Themen, Daten, Dokumente“ vor. Kundler stellt hier noch einmal die enge Verbundenheit des Senders mit den USA heraus. Die Mehrheit seiner Belegschaft setzte sich zwar aus Deutschen zusammen, doch existierte stets ein US-Aufsichtsgremium, dem die Kontrolle über den RIAS oblag. Das folgende chronologisch geordnete Kapitel erinnert an Rundfunkbeiträge des ehemaligen Berliner Bürgermeisters Ernst Reuter; es berichtet über Hörspiele, präsentiert Hörerbriefe von DDR-Jugendlichen aus den achtziger Jahren und stellt die Diskussionen über die Entwicklung der Berliner Medienlandschaft der frühen neunziger Jahre vor. Ähnlich gestaltet sich das sechste Kapitel, das mit zahlreichen biografischen Notizen, Berichten und Fotos fast vergessener Entertainer, Moderatoren und Journalisten wie Hans Rosenthal, Günter Neumann und seine Insulaner oder Friedrich Luft u. a. aufwartet.

Der mitunter enzyklopädische Charakter dieses Buches ist zweifellos seine Stärke. Doch liegt darin auch das Problem begründet, dass der Leser in einigen Kapiteln in der Masse der präsentierten Fakten die Orientierung verliert. Angesichts der ungeheuren Materialmenge eines flüchtigen Alltagsmediums wie das Radio sieht sich Kundler einer methodisch schwierig zu lösenden Aufgabe gegenüber, da das Buch sich offensichtlich weniger an den Fachwissenschaftler als an den historisch interessierten Laien richtet, es daher keine „trockene Datensammlung“ sein möchte und „auch auf jüngere Leser hofft, die von vielen Ereignissen und Persönlichkeiten kaum eine Vorstellung haben“ (S.12). Er wählt einen konzeptionellen Mittelweg. Im ersten Kapitel halten sich Quellenpräsentation und Interpretation die Waage, in weiteren Abschnitten pendelt die Darstellung zwischen historischer Monografie und Dokumentensammlung und nimmt einen zunehmend additiven Charakter an. Besonders gegen Ende gewinnt das Referieren von Details und Aufzählen der Ereignisse, Personen und Veranstaltungen jedoch einen etwas zu breiten Raum; es verdrängt dadurch die auch bei Sachbüchern notwendige Analyse und Kommentierung des vorgestellten Materials und vermag nicht immer zu überzeugen, wie etwa der Abdruck von Auszügen des „RIAS-TV-Statuts vom 10. 10. 1986“ demonstriert. Dennoch ist es ein Kompendium, das interessante Informationen zur Berliner Rundfunkgeschichte, vor allem zur Zeit des Kalten Krieges enthält.

Anmerkungen:
1 Vgl. Stöver, Bernd: Die Befreiung vom Kommunismus, Köln 2002, S. 426. Stöver beschreibt in seinem Buch u.a. die Rolle der Rundfunkstationen wie Voice of America und RIAS in der amerikanischen „Befreiungspolitik“ gegenüber den kommunistischen Staaten.

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