Y.-C. Lemke Muniz de Faria: Zwischen Fürsorge und Ausgrenzung

Cover
Titel
Zwischen Fürsorge und Ausgrenzung. Afrodeutsche "Besatzungskinder" im Nachkriegsdeutschland


Autor(en)
Lemke Muniz de Faria, Yara-Colette
Reihe
Dokumente, Texte, Materialien. Zentrum für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin 43
Erschienen
Berlin 2002: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
229 S.
Preis
€ 19,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrice G. Poutrus, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Wie war nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges der Zustand der (west-) deutschen Gesellschaft? Yara-Colette Lemke Muniz de Faria gibt in ihrem Buch zur Geschichte der afrodeutschen “Besatzungskinder” keine wirklich überraschende, aber eine überzeugende und zuweilen beunruhigende Antwort: Die der nationalsozialistischen Rassenutopie zugrunde liegende Gedankenwelt war mit dem Ende des “Dritten Reich” nicht einfach mit untergegangen. Die Vorstellungen von “natürlichen” Schranken zwischen Kulturen, Nationen und Menschen waren älter als ihre blutigste Praxis – der Massenmord an den europäischen Juden, – und so blieben diese weltanschaulichen Ideen noch lange nach 1945 zentraler Bezugspunkt für die Behandlung von als „fremdartig“ bewerteten Menschen im Westdeutschland der Nachkriegs- und Aufbauzeit.

Mit der Geburt der ersten Kinder von afroamerikanischen Soldatenvätern und deutschen Müttern im Jahr 1946 wurde sofort eine langwierige Debatte und anhaltende behördliche Intervention zum Schicksal dieser zunächst etwa 1500 dunkelhäutigen Kinder ausgelöst. Aus den öffentlichen Sozialdiensten und den Kirchen kam schon 1946 die Empfehlung für die Adoption in eine “schwarze Umgebung”. Diese Überlegungen waren aber nicht nur theoretischer Natur, denn die meisten afrodeutschen Kinder unterstanden der Aufsicht und Kontrolle deutscher Jugendämter und Vormundschaftsgerichte, weil sie als unehelich galten: Nicht zuletzt die rassistische Segregationspolitik in den USA und deren Entsprechung durch die amerikanischen Militärbehörden in Deutschland hatte die Eheschließung der Eltern letztlich unmöglich gemacht.

Aber auch nur wenige der Experten und Erzieher, die fortan mit den afrodeutschen Besatzungskindern beschäftigt waren, hielten es für möglich, dass diese in die Gesellschaft ihres Geburtslandes integriert werden könnten. So bewegte sich das behördliche Handeln wie auch die Anstrengungen von karitativen Organisationen zwischen sozialer Fürsorge in Deutschland und „völkischer Entsorgung“ ins Ausland.

Diese Entwicklung wird kontrastiert durch die Perspektive der amerikanischen Verwandten der afrodeutschen Kinder und der entstehenden afroamerikanischen Öffentlichkeit in den USA. Die afroamerikanische Bevölkerung interessierte die Frage, unter welchen Bedingungen diese „Mischlingskinder” in einem Land aufwuchsen, in dem nur wenige Jahre zuvor ein „Rassenstaat” errichtet worden war. Aufgrund familiärer Anteilnahme und in direkter Bezugnahme auf die eigene Situation in den USA entstand aus öffentlichem Interesse bald persönliches Engagement, das von Spenden und Patenschaften bis hin zu Adoptionsversuchen reichte. So entsprach das damit verbundene und gut gemeinte Integrationsangebot aus den USA gerade jenem diskriminierenden Segregationsgebot aus Westdeutschland.

Ungeachtet solcher Absichten in den USA verfolgte die evangelische Pastorenfrau Irene Dilloo sieben Jahre lang das Projekt, afrodeutsche Kinder in einem Heim von ihrer weißen Umgebung zu separieren. Ohne behördliche Zustimmung, jedoch mit zeitweiliger Unterstützung der Evangelischen Kirche, betrieb sie von 1952 bis 1959 das „Albert-Schweitzer-Kinderheim für Mischlingskinder“. Dort sollten die Kinder vor verfehlten oder gar feindlichen Einflüssen aus der weißen deutschen Gesellschaft bewahrt und auf ihre Ausreise in eine vermeintlich menschlichere und klimatisch freundlichere Umgebung nach Übersee vorbereitet werden. Letztlich aber scheiterten die verschiedensten Isolations- und Abschiebungsbemühungen am Widerstand der Kindesmütter. Diese weigerten sich zum größten Teil, dem massiven Drängen der Jugendämter auf „Hergabe ihrer Kinder“ zu entsprechen. Es waren ihre Kinder und keine fremden Wesen.

So sahen sich die bundesdeutschen Behörden aufgefordert, die Öffentlichkeit auf die Einschulung der Afrodeutschen und acht Jahre später noch einmal auf ihren Berufseinstieg „aufklärend“ vorzubereiten. Dafür wurden Informationsmaterialien erstellt, welche die ganze Ambivalenz des behördlichen Handelns zwischen sozialer Fürsorge und rassistischem Vorurteil schon in der Überschrift trugen. Eine Broschüre hieß „Maxi, unser Negerbub“ und später hatte ein Film den Titel „Toxi, die Geschichte eines Mulattenkindes“. Solche und nachfolgende Anstrengungen der Behörden zielten faktisch auf eine möglichst konfliktfreie Integration der „farbigen“ Kinder in die „weiße“ Gesellschaft der jungen Bundesrepublik.

Dennoch blieben die Abschiebeszenarien für verschiedenste gesellschaftliche Akteure von Belang. Beim Einstieg ins Berufsleben der nun inzwischen jugendlichen Afrodeutschen wurde von Industrie, Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbänden eine qualifizierte Ausbildung propagiert; die Wirtschaft hoffte, dass die Männer für sie als Facharbeiter nach Afrika gehen würden, und die Innere Mission erwartete einen Zugewinn an tüchtigen Mitarbeitern für ihre Tätigkeit in Übersee. Dies blieb aber alles Illusion, denn die Mehrheit der afrodeutschen Heranwachsenden sahen trotz allem ihr Geburtsland als ihre Heimat an und blieben deshalb in Deutschland.

Yara-Colette Lemke Muniz de Faria sieht in der von ihr knapp und dicht erzählten Entwicklung Zeichen eines langsamen, ambivalenten und andauernden Prozesses der Auflösung traditioneller Einstellungen wie der kulturellen und rassischen Zugehörigkeit zur bundesdeutschen Gesellschaft. Durch die Einbeziehung der Situation in den USA kann die Autorin deutlich machen, dass die Spielarten des Rassismus in der modernen Gesellschaft verschieden sind, seine Kontingenz aber immer auch in Spannung zum Idealbild der neuzeitlichen Demokratie steht. Die aus den Beständen bundesdeutscher und amerikanischer Quellen gut abgesicherte Studie zur Geschichte der afrodeutschen „Besatzungskinder“ ist sicher nicht als eine Aufforderung zur Revision der deutschen Nachkriegsgeschichte zu bewerten. Doch liefert dieses Buch einen bemerkenswerten Beleg dafür, dass die Nachkriegsgesellschaft der Bundesrepublik durch tiefe innergesellschaftliche Konfliktlagen geprägt war, die nicht allein vom Gegensatz zwischen totalitärer Diktatur und liberaler Demokratie ausgingen.

Lemke Muniz de Faria kann exemplarisch nachweisen, dass völkische und rassistische Vorstellungen in dieser Zeit die soziale Praxis in der Bundesrepublik immer noch bestimmten und dies bei den Betroffenen erhebliche biografische Kosten verursachte. Dennoch ist die Bilanz des Buches nicht pessimistisch, dafür hat die Autorin Respekt verdient.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension