P. Krause: Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse

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Titel
Der Eichmann-Prozess in der deutschen Presse.


Autor(en)
Krause, Peter
Reihe
Wissenschaftliche Reihe des Fritz Bauer Instituts 8
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Campus Verlag
Anzahl Seiten
327 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nina Leonhard, Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr, Strausberg

In der Literatur über die bundesdeutsche Entwicklung des öffentlichen Umgangs mit der nationalsozialistischen Vergangenheit 1 ist man sich inzwischen weitgehend einig, dass die Anfangsjahre des „kommunikativen Beschweigens“ 2 der NS-Vergangenheit ab Mitte der 1950er Jahre allmählich von einer ersten Phase aufrichtiger Auseinandersetzung abgelöst wurden, die sich in den frühen 1960er Jahren wesentlich verstärkte und mit den im Zuge der Studentenproteste Ende desselben Jahrzehnts erhobenen Vorwürfen an die „Elterngeneration“ gewissermaßen ihren Höhepunkt erfuhr. Neben der Vollendung der bundesdeutschen Staatsgründung 1955, dem sozioökonomischen Aufschwung und der beginnenden Verschiebung des Generationengefüges als allgemeinen Faktoren eines Perspektivwechsels 3 werden an erster Stelle die großen Strafprozesse genannt, die entscheidend dazu beitrugen, das Vergangene wieder aufzurollen: der Ulmer Einsatzgruppenprozess 1958, der zur Einrichtung der „Zentralen Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ in Ludwigsburg führte; der Eichmann-Prozess 1961 in Jerusalem sowie die Frankfurter Auschwitz-Prozesse 1964/65. Welche Bedeutung den Prozessen für den öffentlichen Umgang mit der NS-Vergangenheit im Einzelnen zukommt, ist bislang jedoch kaum untersucht worden. Genau an diesem Punkt setzt nun die Dissertation des Politikwissenschaftlers Peter Krause über die Rezeption des Eichmann-Prozesses in der deutschen Presse an, die letztes Jahr in gekürzter Fassung in der Wissenschaftlichen Reihe des Fritz Bauer Instituts erschienen ist.

Peter Krause beschäftigt sich in seiner Arbeit mit der Frage, „wie in der bundesdeutschen Öffentlichkeit und besonders in der Presse die Verbrechen Adolf Eichmanns und der Prozess gegen ihn thematisiert wurden“ (S. 15). Insbesondere geht es ihm darum zu prüfen, „inwieweit der Prozess zum Anlass genommen wurde, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und dem Verbrechen der Vernichtung der europäischen Juden auseinander zu setzen“ (ebd.). Sein Ziel ist es letztlich zu zeigen, dass der Prozess gegen den ehemaligen SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann maßgeblich dazu beigetragen hat, das öffentliche Beschweigen des Nationalsozialismus und seiner Verbrechen zu durchbrechen (S. 19).

Empirisch stützt sich Peter Krause auf die Auswertung der bundesdeutschen Berichterstattung in neun großen, überregionalen Zeitungen und Zeitschriften in der Zeit zwischen der Meldung der Gefangennahme Eichmanns am 23. Mai 1960 bis eine Woche nach seiner Hinrichtung in Jerusalem in der Nach vom 31. Mai auf den 1. Juni 1962. Ergänzend und zugleich als Kontrast wurden zudem zwei Zeitungen aus der DDR ausgewertet und die Ergebnisse in Form eines Exkurses vorgestellt. Bei der Analyse orientiert sich Krause methodisch am Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse: Qualität hat dementsprechend Vorrang vor Quantität, d.h. der Schwerpunkt liegt auf der Bandbreite der geäußerten Meinungen und nicht auf deren Häufigkeit, auch wenn die wichtigsten Tendenzen – Mehrheits- bzw. Minderheitsmeinungen – genannt werden.

Inhaltlich setzt sich die Arbeit aus zwei, beinahe gleich großen Teilen zusammen. In der ersten Hälfte des Buches stellt Peter Krause die Person und Karriere Eichmanns zur Zeit des NS-Regimes sowie die Umstände seiner Flucht und Festnahme durch den israelischen Geheimdienst in Argentinien bis zur gewaltsamen Überführung nach Israel vor. Er erläutert sodann den Verlauf des Prozesses in Jerusalem von der Prozessvorbereitung bis zur Urteilsverkündung, skizziert die zeitgeschichtlichen Hintergründe des Prozesses und fasst die öffentlichen Reaktionen in Deutschland auf den Prozess seitens der Politiker, der Kirchen und der Intellektuellen zusammen. Erst nach dieser ausführlichen Erläuterung des historischen Kontextes, kommt Krause im zweiten Teil des Buches auf die eigentliche Berichterstattung in den Printmedien zu sprechen. Die Darstellung der Auswertung folgt entlang acht thematischer Schwerpunkte, die er als die wesentlichen Themen in der in den Presse erfolgten Auseinandersetzung mit dem Prozess identifiziert. Diese reichen von der Diskussion um die Frage nach dem Ort des Prozesses und den Verlauf des Verfahrens über die Entdeckung der Helfer und Helfershelfer Eichmanns und der Beschäftigung mit der Maschinerie des „Verwaltungsmassenmordes“ bis hin zum Problem einer „angemessenen“ Bestrafung.

Dem historischen Kontext einen beinahe gleich großen Stellenwert wie der eigentlichen Analyse der Presseberichterstattung einzuräumen, erscheint sinnvoll, da Peter Krause auf diese Weise die historische Bedingtheit des Prozesses, d.h. die wechselseitigen Einflüsse zwischen den damaligen politischen Rahmenbedingungen auf der einen und dem Prozess und seiner Interpretation auf der anderen Seite, überzeugend herausarbeiten kann. Gleichzeitig ist diese Zweiteilung nicht ganz ohne Nachteile: Da bei der Analyse der Presseberichterstattung und somit im zweiten Teil des Buches notwendigerweise eine Reihe von Aspekten aufgegriffen werden, die sich auf die Umstände und den Verlauf des Prozesses beziehen und somit bereits im ersten Teil des Buches angesprochen wurden, lassen sich Doppelungen nicht immer vermeiden.

Mit Blick auf die Berichterstattung selbst ist positiv hervorzuheben, dass es Krause gelungen ist, das überaus umfangreiche Material in prägnanter Weise zu präsentieren. Er berücksichtigt sowohl die Vielstimmigkeit der damaligen Reaktionen als auch deren Entwicklung im Verlauf des Prozesses. Dass er dabei die Positionen bestimmter Journalisten exemplarisch herausgreift, dient nicht nur der Übersichtlichkeit. Er kann so außerdem zeigen, wie sich die Haltung mancher Berichterstatter unter dem Eindruck des Prozesses mit der Zeit veränderte.

Bei der Darstellung der geäußerten Meinungen ist Peter Krause zumeist um eine neutrale Position bemüht. So referiert er die Argumente in der Diskussion um die Bewertung der Person Eichmanns – fanatischer Überzeugungstäter oder pedantischer Bürokrat –, ohne selbst Stellung zu beziehen. Bei Argumenten, die seiner Ansicht nach jedoch unlogisch oder unangebracht sind – wie die angeführte Sorge um die moralische Integrität des Staates Israel und der „Judenheit“ im Plädoyer des Herausgebers und Chefredakteurs des SPIEGEL, Rudolf Augstein, für eine Auslieferung Eichmanns an die Bundesrepublik –, äußert er hingegen deutliche Kritik (S. 155f.). Eben so deutlich setzt er sich von denjenigen Positionen ab, die seiner Ansicht nach einer „offenen“ Auseinandersetzung mit der Vergangenheit widersprechen. Auf die Kriterien, die eine solche offene Auseinandersetzung beinhaltet und die er an anderer Stelle 4 ausführlich erläutert hat, geht Krause in diesem Buch allerdings nicht näher ein. Indirekt, so zeigt sich im Zuge der Lektüre, werden sie in den im Einleitungskapitel vorgestellten Leitfragen genannt: Eine offene Auseinandersetzung bedeutet danach zu versuchen, „die Verantwortung und Schuld ‚der Deutschen’ zu ergründen“, für eine „rückhaltlose Aufklärung der Verbrechen“ einzutreten – und eben nicht einen „Schlussstrich“ zu fordern oder bestrebt zu sein, „Eichmann und ‚die Führung’ als die alleinigen Schuldigen an der Entrechtung, Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden darzustellen“ (S. 15f.). Konkret wird Krause in diesem Zusammenhang jedoch erst, als er gegen Ende des Buches auf die Position des Chefredakteurs des STERN, Henri Nannen, zur Bedeutung des Eichmann-Prozesses für die Jugend eingeht und dessen Argumentation – die deutsche Jugend solle von der schrecklichen Vergangenheit verschont werden, um sie nicht mit der Schuld und Scham der älteren Generationen zu belasten und um eine Annäherung und Versöhnung zwischen Juden und Nichtjuden bzw. zwischen Deutschen und Israelis nicht zu gefährden – im Einzelnen widerlegt (S. 271-277). Zur besseren Orientierung des Lesers wäre eine Erläuterung der normativen Prämissen gleich zu Beginn der Untersuchung allerdings durchaus wünschenswert gewesen.

Ingesamt kann Peter Krause zeigen, dass der Prozess gegen Adolf Eichmann in der Tat sowohl Anlass als auch Ausdruck einer umfassenderen Beschäftigung mit der NS-Vergangenheit in der Presse war, die vor allem durch drei Aspekte gekennzeichnet war: erstens durch eine „erkennbare Verunsicherung und Hilflosigkeit, mitunter auch Ängstlichkeit“ (S. 295) hinsichtlich der Frage, wie man sich der Konfrontation mit der Vergangenheit „angemessen“ stellen könne, ohne das Ansehen Deutschlands zu beschädigen; zweitens durch einen insbesondere vor Prozessbeginn vernehmbaren Unwillen seitens einiger Kommentatoren, sich öffentlich mit dieser Vergangenheit auseinander zu setzen, der jedoch – drittens – im Zuge des Prozesses von einer zunehmenden Bereitschaft, sich der Vergangenheit zu stellen, in den Hintergrund gedrängt wurde. Gerade die „unerwartet weitreichende Thematisierung der Frage nach der Verantwortung und Schuld für die nationalsozialistischen Verbrechen“ (ebd.), die im Zuge der Analyse deutlich wird, führt Krause als Beleg dafür an, dass man „zumindest in weiten Teilen“ der bundesdeutschen Presse (S. 301) – ganz anders als in der DDR, in der man den Prozess allein zur Propaganda gegen die Bundesrepublik instrumentalisierte – um eine Beschäftigung mit dem Eichmann-Prozess und mit der deutschen Vergangenheit bemüht war. Dafür spricht ebenfalls die Tatsache, dass wenngleich die Frage nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten zwischen Eichmann und den „normalen Deutschen“ mehrheitlich mit Betonung der Unterschiede beantwortet wurde, die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auch mit dem Ende des Prozesses und der Hinrichtung Eichmanns in der Presse „wiederholt und eindringlich“ (S. 300) für die Deutschen als nicht abgeschlossen bezeichnet wurde. Die von Krause angeführte Bedeutung des Prozesses „über den Tag hinaus“ (S. 302) erscheint mit Blick auf die durch den Prozess aufgeworfene Frage nach dem Verbleib der zahlreichen Täter und ihrer Helfershelfer sowie auf die Diskussion um die Bedeutung des Umgangs mit der Vergangenheit für die Erziehung der Jugend ebenfalls nachvollziehbar. Schade in diesem Zusammenhang ist nur, dass Krause die wichtige Rolle der Printmedien für die Herstellung von Öffentlichkeit zu Beginn der 1960er Jahre in seiner Einleitung zwar anspricht, theoretisch jedoch nicht näher erläutert. Durch eine genauere Bestimmung des Verhältnisses zwischen den Medien und der Politik sowie der Gesellschaft insgesamt hätte er sowohl den Einfluss der Presseberichterstattung auf das (tages-)politische Geschehen, den er am Beispiel der Diskussion um den damaligen Staatssekretär im Bonner Kanzleramt, Hans Globke, aufzeigen kann, als auch die Grenzen der öffentlichen Thematisierung der Vergangenheit, wie er sie mit Blick auf die individuelle Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus andeutet 5, noch klarer einordnen können.

Das Buch von Peter Krause beleuchtet nicht nur die Umstände eines der bedeutendsten Prozesse gegen einen Hauptverantwortlichen des NS-Regimes, sondern gewährt unter Berücksichtigung der politischen und gesellschaftlichen Gegebenheiten wichtige Einblicke in die öffentliche Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit im Deutschland der frühen 1960er Jahre. Krauses abschließender Verweis auf die Veränderung der „Vergangenheitsbewältigung“ zu dieser Zeit (S. 302) ist natürlich nicht neu. Die These von der Wende der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus Ende fünfziger Anfang der sechziger Jahre wird hier jedoch durch neues empirisches Material veranschaulicht und in ihrem vollen Umfang aufgezeigt – und das bereits ist ein wichtiger Verdienst.

Anmerkungen:
1 Siehe z.B. Berghoff, Hartmut: Zwischen Verdrängung und Aufarbeitung, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 49 (2) 1998, S. 96-114; Bergmann, Werner: Kommunikationslatenz und Vergangenheitsbewältigung, in: König, Helmut; Kohlstruck, Michael; Wöll, Andreas (Hgg.): Vergangenheitsbewältigung am Ende des 20. Jahrhunderts (Leviathan Sonderheft 18), Opladen 1998, S. 392-408; Frei, Norbert: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 1997; Herbert, Ulrich; Groehler, Olaf: Zweierlei Bewältigung. Vier Beiträge über den Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten, Hamburg 1992; Kohlstruck, Michael: Das zweite Ende der Nachkriegszeit. Zur Veränderung der politischen Kultur um 1960, in: Schaal, Gary S.; Wöll, Andreas (Hgg): Vergangenheitsbewältigung. Modelle der politischen und sozialen Integration in der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft, Baden-Baden 1997, S. 113-127; Siegfried, Detlef: Zwischen Aufarbeitung und Schlussstrich. Der Umgang mit der NS-Vergangenheit in den beiden deutschen Staaten 1958 bis 1969, in: Schildt, Axel; Siegfried, Detlef; Lammers, Karl Christian (Hgg.): Dynamische Zeiten. Die 60er Jahre in beiden deutschen Gesellschaften, Hamburg 2000, S. 77-113; Wöll, Andreas: Vergangenheitsbewältigung in der Gesellschaftsgeschichte der Bundesrepublik. Zur Konfliktlogik eines Streitthemas, in: Schaal; Wöll (Hgg.), op.cit., S. 29-42.
2 Lübbe, Hermann: Der Nationalsozialismus im deutschen Nachkriegsbewusstsein, in Historische Zeitschrift 236 (3) 1983, S. 579-599 (hier S. 594).
3 So Berghoff, op.cit., S. 111/112.
4 Krause, Peter: Im Spannungsfeld von „Deutungsmustern“ und „authentischer Identität“. Zum demokratischen Umgang mit der NS-Vergangenheit, in Schaal; Wöll (Hgg.), op.cit., S. 169-177.
5 Mit Bezug zu zeitgenössischen Meinungsumfragen kann Krause zwar zeigen, dass der Prozess gegen Eichmann von einer breiten Mehrheit der deutschen Bevölkerung wahrgenommen wurde. Inwiefern damit eine jeweilige Reflexion über „eine persönliche Mitverantwortung oder gar Mitschuld an den NS-Verbrechen“ (S. 101) erfolgte, muss – wie Krause zu Recht anmerkt – gleichfalls offen bleiben.

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