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Titel
Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933-1945.


Autor(en)
Feldmann, Gerald D.
Erschienen
München 2001: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
731 S., 38 Abbildung(en)
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Beate Schreiber, Facts & Files

Die Allianz AG und ihre Aktivitäten im nationalsozialistischen Deutschland und in den besetzten Gebieten waren in den letzten Jahren Gegenstand in der Presse: von der Versicherung von Auschwitz-Gebäuden bis zur Frage nach der Verantwortung für jüdische Lebensversicherungspolicen reichte die Spannbreite der Artikel. Der sich zusätzlich durch Sammelklagen in den USA aufbauende Druck auf das Unternehmen, veranlasste die Allianz die Entwicklung des Unternehmens untersuchen zu lassen und ein eigenes Forschungsprojekt in Auftrag zu geben. Die innerhalb von nur vier Jahren angefertigte Studie von Gerald D. Feldman stellt nun den Abschluss der Arbeiten dar und ist mit Spannung erwartet worden.

Zwar publizierte die Allianz im Rahmen ihrer Selbstdarstellung Jubiläumsschriften mit Chroniken, doch ist bisher ist die Geschichte der deutschen Versicherungswirtschaft, selbst für die Frühphase, nur kaum bekannt. Feldman nimmt sich daher im ersten Kapitel der frühen Phase der Geschichte des Unternehmens an, und untersucht die personelle Zusammensetzung der Leitung vor der Machtergreifung Hitlers. Gegründet wurde die Allianz Versicherungs-Aktien-Gesellschaft von der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft 1890 in Berlin. Schon bald weitete sie ihr Geschäftsfeld von Transport- und Unfallversicherungen über die Rückversicherung in der Lebens-, Unfall-, Feuer- und Transportversicherung auf andere Länder wie Frankreich, Belgien und Großbritannien aus. Mit Vorstandsmitgliedern wie Kurt Schmitt, Hans Heß und Eduard Hilgard an der Spitze entwickelte sich die Allianz zum Großkonzern. Der Abschluss des „Gemeinschaftsvertrages“ 1921 zwischen Münchener Rück und der Allianz, der langfristig die Zusammenarbeit beider Unternehmen regelte, stellte dabei den bedeutendsten Schritt zu diesem Ziel dar. 1922 begann mit der Gründung der Allianz Lebensversicherungsbank AG die Tätigkeit im Lebensversicherungsgeschäft. Feldman beschreibt eindrucksvoll, wie die Allianz innerhalb der deutschen Versicherungswirtschaft ein eigenes Profil entwickelte und durch richtige Entscheidungen in den instabilen Jahren nach Ende des Ersten Weltkrieges zur bedeutendsten Versicherungsgesellschaft in Deutschland wurde. Feldman verdeutlicht dies vor allem in dem Bereich der Fremdwährungspolicen im Lebensversicherungsgeschäft und den Anlagestrategien für das Unternehmensvermögen.

Die Allianz konnte dabei auf ihre guten Kontakte zum Reichsaufsichtsamt für das Versicherungswesen (der staatlichen Aufsichtbehörde, die private Versicherungsunternehmen überwachte) zurückgreifen und verfügte darüber hinaus über großen Einfluss im Reichsverband der Privatversicherung. Diese Durchsetzung eigener Vorstellungen innerhalb wirtschaftlicher Interessenvertretungen war dabei eines der wichtigsten Elemente des Erfolgs der Allianz. Die zunächst privaten Kontakte von Kurt Schmitt zu Göring und Hitler sollten sich nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 als nützlich für ihn und die Allianz zeigen. Nachdem Kurt Schmitt Wirtschaftsminister geworden war, rückte Hans Heß auf den Posten des Generaldirektors nach. Hilgard und Heß vereinbarten eine Arbeitsteilung: Heß sollte die konzerninternen Dinge regeln und Hilgard für das Lobbying bei NSDAP und Regierung verantwortlich zeichnen. Mit der Neugliederung der wirtschaftlichen Interessenvertretungen wurde Hilgard Chef der Reichsgruppe Versicherungen. Er befand sich dadurch in den Verhandlungen zwischen den Versicherungen und der Regierung an zentraler Stelle. Eine der interessantesten Passagen der Studie ist das zweite Kapitel zur Anpassung und Nazifizierung der Allianz. Feldman berichtet detailliert von den Auseinandersetzungen zwischen der Deutschen Arbeitsfront, der NSDAP, dem Reichwirtschaftsministerium und den Versicherungsunternehmen um die Neustrukturierung dieser Branche. Die Allianz nutzte ihre Kontakte zur Regierung, um wirtschaftliche Vorteile gegenüber der Konkurrenz herauszuschlagen.

Selten wird in der Forschungsliteratur auf die „Arisierung“ von Grundstücken durch Unternehmen eingegangen. Für Feldman ist dieser Punkt wichtig, und er räumt ihm innerhalb des Kapitels III über der Involvierung der Allianz in die „Arisierungen“ viel Raum ein. Verdeutlicht wird das Geschäftsgebaren an dem umfassenden Grundstückserwerb durch die Allianz ab 1937 für die Errichtung eines neuen monumentalen Konzerngebäudes am Runden Platz in Berlin. Feldman stellt fest: „Die Geschäftsleute bei der Allianz und in anderen Unternehmen arbeiteten zu dieser Zeit nicht mehr in einem politischen und gesellschaftlichen Umfeld, das anständiges Verhalten gegenüber Juden honorierte“(S. 182). Feldman wertet zudem Akten der Wiedergutmachungsverfahren zu diesen Grundstückstransaktionen aus und verdeutlicht, dass die Allianzmitarbeiter nach 1945 ihre Handlungen kaum kritisch reflektierten. „Es ist bezeichnend, daß der Allianz wichtige dokumentarische Unterlagen über den Fall im Kriege abhanden gekommen waren und daß sie ihre Position immer dann änderte, wenn ihr neue Dokumente oder Informationen zur Verfügung gestellt wurden.“(S. 182)

Feldman dekliniert in den nächsten Abschnitten alle wichtigen Bereiche von „Arisierungen“ durch, beschreibt diese quellenreich und pointiert. Selten ist dies bisher in einer Unternehmensstudie so gründlich, ohne die massenhafte Verwendung des Konjunktivs, sondern durch profundes Aktenstudium und umfassende Kenntnis von Abläufen in der Wirtschaft geschehen. Selbst die Vergabe von Hypothekendarlehen und der Kauf von Aktien durch die Allianz als indirekter oder direkter Akteur im Prozess der „Arisierung“ wird beleuchtet.

Einen besonderen Auftritt hatte Hilgard als Chef der Reichsgruppe Versicherungen bei den Verhandlungen mit dem Reichwirtschaftsministerium nach dem Pogrom 1938. Die Schäden des Boykotts jüdischer Geschäfte 1933 fielen unter die Bestimmungen für Entschädigungen nach dem Tumultschädengesetz. Bis 1938 hatte sich dies – jedenfalls in den Augen der Versicherer - allerdings geändert: Am 11. November 1938 verschickte die Wirtschaftsgruppe Privatversicherungen an ihre Mitglieder ein Schreiben, in welchem diese aufgefordert wurden, die Schäden aus den „antijüdischen Demonstrationen“ lediglich aufzunehmen und keinerlei Schadensbegleichung in Aussicht zu stellen, sondern ein einheitliches Vorgehen aller Versicherer abzuwarten. Ergebnis der Sitzung im Reichsluftfahrtministerium, die Feldman im fünften Kapitel genauestens dokumentiert, zu den Schäden der Pogrome waren mehrere Gesetze. Für die Versicherungswirtschaft bedeutend: Entschädigungsansprüche von Juden sollten an das Deutsche Reich abgetreten, entsprechende Zahlungen sollten direkt an die Finanzämter geleistet und mit der „Sühneabgabe“ der Juden verrechnet werden.

Hilgard setzte sich mit der Reichsgruppe vor allem gegen die Zahlung von Entschädigungen an den Fiskus diskret zur Wehr. Man bediente sich in einer entsprechenden Denkschrift zu der gesamten Entschädigungsproblematik der gängigen Rhetorik und betonte, dass die Pogrome öffentlicher Aufruhr gewesen seien, der ebenso wie Kriegsereignisse, Erdbeben usw. nicht versichert sei. „Diese Denkschrift legt Zeugnis ab von der Haarspalterei und der Pervertierung geschäftlicher und persönlicher Moral, die bei Unternehmern wie Hilgard und Goudefroy Platz griffen, wenn sie unter den vom Nationalsozialismus geschaffenen Bedingungen die Interessen ihrer Firma wahrzunehmen versuchten“(S. 256), stellt Feldman fest. Letzten Endes musste sich die Versicherungswirtschaft gezwungenermaßen zur Zahlung einer Pauschalsumme bereit erklären.

Ein Thema der Studie erscheint mir besonders wichtig: das der jüdischen Versicherungspolicen. Dies wird im sechsten Kapitel untersucht. Viele jüdische Verfolgte kauften ihre Lebens- oder Rentenversicherungspolicen zurück, um ihre Existenz zu sichern, wenn diese durch die beruflichen und geschäftlichen Diskriminierungen bedroht war oder um Reichsfluchtsteuern und ihre Auswanderung zu bezahlen. Die Zahlung der „Judenvermögensabgabe“ nach den Pogromen 1938 ließ die Rückkäufe besonders stark ansteigen. Feldman beschreibt das Procedere des Rückkaufs sehr genau und kommt für das versichernde Unternehmen zu dem Schluss: „Der tatsächliche Gewinn, wenn es überhaupt einen gab, war also letztendlich erheblich niedriger als die Summe der Kündigungsgebühren“(S. 290). So hatten jüdische Lebensversicherungspolicen z.B. einen Anteil von 20 bis 25 Prozent am gesamten Bestand der Isar Lebensversicherungs-AG. Das Unternehmen konnte also aus rein betriebswirtschaftlichen Gründen keinerlei Interesse daran haben, dass Juden ihre Policen zurückkauften. Jedoch sieht ein Versicherungsvertrag den Rückkauf vor. Bereits vor der 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz 1941 türmten sich bei den Versicherungsunternehmen Listen mit den Namen ausgebürgerter Juden. Anders als die Banken intervenierten die Versicherungen jedoch gegen diese Verordnung, wodurch die Konfiskation größte Ausmaße annahm, nicht. Sie suchten lediglich um weitere Informationen nach.

Der Expansion der Allianz durch den Anschluss Österreichs und die Annexionen ab 1938 widmet Feldman Kapitel VII und VIII. Vor allem in Österreich lieferte sich die Allianz mit den DAF-Versicherungsgesellschaften einen erbitterten Übernahme- bzw. Konkurrenzkampf. Bei den Übernahmen von tschechischen und österreichischen Versicherungsbeständen und der Gründung einer eigenen französischen Versicherungsgesellschaft verhielt sich die Allianz ebenso machtbewusst und geschäftstüchtig wie andere deutsche Unternehmen. Die Allianz beteiligte sich an Gesellschaften, die in den annektierten Gebieten lagen, durch Aktienübernahmen – auch aus jüdischem Besitz. Dass die Allianz kein Unternehmen des Widerstands und kein Hort des Anstands war, machen die Befunde dieser Studie deutlich.

Die Untersuchung Feldmans erreicht mehrere Ebenen, die sie zu etwas Besonderem in der Unternehmensgeschichtsschreibung machen: 1. sie schildert neben den Fakten auch die Arbeit eines Historikers, sein Bemühen um die Rekonstruktion der Vorgänge, sein Abwägen der unterschiedlichen Quellenaussagen, 2. sie untersucht die Allianz und die Versicherungswirtschaft – begnügt sich nicht mit Teilausschnitten und 3. sie reflektiert die Beweggründe des Unternehmens, diese Studie in Auftrag zu geben.

Die Geschichtsschreibung zur Wirtschaft im Nationalsozialismus ist mit diesem Buch ein gutes Stück weiter gekommen. Es zeigt sich, dass ein lückenhaftes Archiv kein Grund sein muss, die Geschichte eines Unternehmens nicht zu erforschen. Feldmans Studie zeigt vielmehr, dass ein buntes Puzzle von Quellen auch den Blick des Historikers schärfen und etwas wecken kann, das mitunter nicht mehr kommod erschien: den Forscherdrang.

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