Titel
Bild der Heimat. Die Echt-Foto-Postkarten aus der DDR, mit einem Text von Peter Guth


Herausgeber
Schröter, Erasmus
Anzahl Seiten
160 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Springer, Institut für Geschichte und Kunstgeschichte, TU Berlin

Natürlich ist ein Bildband, der Ansichtskarten aus der DDR präsentiert, zunächst einmal erheiternd. Fotografien der „Cafe-Oriental-Tanzbar ‘Fischerhütte’“ im Ostseebad Ückeritz (S. 95) oder des Treppenhauses im Betriebsferienheim des VEB Plauener Gardine (S. 102) wirken an sich schon amüsant, doch dass diese scheinbar langweiligen Orte auch noch mit Ansichtskarten „geehrt“ wurden, überrascht und belustigt zugleich. Deshalb verspricht Erasmus Schröter seinen Lesern nicht zuviel, wenn er eine „vergnügliche Entdeckungsreise [...] in eine nicht sehr ferne Vergangenheit“ (S. 7) ankündigt. Nicht eine geschichtswissenschaftliche Studie wird hier vorgelegt - vielmehr präsentiert Herausgeber Schröter eine subjektive Auswahl aus seiner Sammlung, die er bei Besuchen von Flohmärkten zusammengetragen hat.

Doch der Bildband bietet mehr als eine nostalgische, oft witzige Reminiszenz an einen untergegangenen Staat. Mit der Veröffentlichung der rund 250 (und nicht 310, wie vom Verlag angekündigt) Ansichtskarten liegt erstmals eine Publikation zu einem Bereich der DDR-Geschichte vor, der nur auf den ersten Blick marginal erscheinen mag. Die Ansichtskarten geben Aufschluss über so verschiedene Gebiete wie beispielsweise die Architekturgeschichte, die Tourismusgeschichte, die Propagandageschichte, die Alltagsgeschichte oder die Stadtgeschichte.

Schröter beschränkt seine Sammelleidenschaft (und damit seine für das Buch getroffene Auswahl) allerdings allein auf die „Echt-Foto“-Ansichtskarten. Diese Karten waren original fotografische Schwarzweiß-Abzüge, die den Aufdruck „Echt Foto“ trugen und noch heute durch ihre Qualität und Strapazierfähigkeit beeindrucken. Wer jemals eine solche Karte in der Hand gehalten hat, versteht, warum Schröter, der in den frühen 1980er Jahren an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst Fotografie studiert hat, sein Interesse vor allem auf diese Karten gerichtet hat. Farbige Ansichtskarten kommen deshalb im Bildband nicht vor, obwohl es sie - wie der Rezensent aus eigener Sammelerfahrung weiß - seit spätestens Mitte der 1960er Jahre zumindest in kolorierter Form gab. Eine problematische Beschränkung, verfestigt sie doch Vorstellungen von einer „grauen“ DDR-Gesellschaft 1.

Die Ansichtskarten wurden von einer großen Zahl von Produktionsgenossenschaften und privater Verlage hergestellt. Wichtigster Herstellungsbetrieb war aber zweifellos der Verlag Bild und Heimat in Reichenbach/Vogtland, der vor allem in den 1970er Jahren durch Eingliederungen kleinerer Verlage in seiner Bedeutung noch einmal zunahm. 90 Prozent aller Karten wurden dort hergestellt, jährlich bis zu 30 Millionen Stück. Drei oder vier angestellte Fotografen, aber auch zahlreiche freie Mitarbeiter, fotografierten die Bilder, deren Motive in der Regel vorher festgelegt worden waren (vgl. S. 6). Gern hätte man im Bildband mehr über die Herstellungsbedingungen erfahren: Wer waren die Fotografen? Wer nahm Einfluss auf Motivwahl und Ästhetik? Wurden die fotografierten Orte und Plätze für die Fotos vorbereitet? Insbesondere die Rolle der Städte, Gemeinden und Betriebe dürfte bei der Frage nach der Produktion von Ansichtskarten zu berücksichtigen sein, war es doch das Bild ihrer Kommune, das mit Hilfe der Karten in die Republik und darüber hinaus verschickt werden sollte.

Der nicht nur wegen der Anspielung auf den Namen des vogtländischen Verlages hervorragende Titel des Buches - „Bild der Heimat“ - bringt zum Ausdruck, was die Ansichtskarten zeigen. Schulen, betriebliche Ferienheime, Warenhäuser, Autobahnen, Naherholungsanlagen, Gesundheitseinrichtungen, schöne Natur und vor allem Wohnungsneubauten repräsentierten die Vorstellung von einer „sozialistischen Heimat DDR“. Die Auswahl erweckt den Eindruck, als ob durch die Herstellung solcher Ansichtskarten, die eben vor allem soziale Errungenschaften der DDR abbilden, die Bereitschaft der Menschen zur Identifikation mit dem Staat gesteigert werden sollte. „Jede Postkarte ein positives Beispiel. Jede Postkarte ein Sieg“, beschreibt Peter Guth, Kultur- und Kunstwissenschaftler, in seinem einleitenden Essay die politische Funktion der Ansichtskarten in der DDR.

Doch sollte der Leser Vorsicht walten lassen - die von Schröter getroffene Auswahl kann bei der Analyse nur einen ersten Einstieg in das Thema liefern. Auf den Abdruck traditioneller Motive wurde beispielsweise im Bildband weitgehend verzichtet. Es fehlen somit Abbildungen von DDR-Ansichtskarten, die Kirchen oder alte Häuser zeigen - und solche gab es durchaus. Auch Karten von Industriebetrieben sind im Bildband deutlich zu gering vertreten.

Nur auf den ersten Blick überraschend ist dagegen der äußerst geringe Anteil eindeutig propagandistischer Aufnahmen - und dies liegt nicht an der Auswahl. Die Bereitschaft der Urlauber, Karten beispielsweise mit fotografierten SED-Transparenten zu versenden, war wohl nicht vorhanden - gedruckt wurden solche Karten jedenfalls kaum. Allein eine Ansichtskartenserie aus dem Jahr 1977, die durch Menschen geformte Schriftzüge („Gesund und glücklich“, „Immer bereit“) bei der Sportschau in Leipzig zeigt, bildet im Band somit deutlich und direkt politische Aussagen ab, auch wenn diese Karten vermutlich eher wegen der spektakulären Masseninszenierung veröffentlicht worden sein dürften. Darüber hinaus erscheint „Politik“ meist nur als Beiwerk, als Dekoration im wahrsten Sinne des Wortes: Ein Foto von Walter Ulbricht hängt im Speisesaal des FDGB-Erholungsheimes „Freundschaft“ in Feldberg (S. 107), ein Foto von Erich Honecker in der Bar des FDGB-Erholungsheimes „Kölpinshöh“ in Loddin (S. 114f.).

Zu unpräzise ist die Einteilung des Buches: Die insgesamt neun Kapitel tragen die Überschriften „Zeltplätze und Idyllen“, „Neubauten“, „Brunnen und Fontänen“, „Kunst am Bau“, „Hütten“, „Innenräume“, „Autos“, „Pioniere, Panzer und Parolen“ und „Festliches“. Doch zum Beispiel zeigen die mit „Autos“ betitelten Karten in der Regel Aufnahmen von Gebäuden mit davor befindlichen Fahrzeugen - eine wenig überzeugende Begründung für ein eigenes Kapitel. Auf diese Weise gelangt etwa die Erweiterte Oberschule in Schwedt auf zwei fast identischen Abbildungen gleich zweimal in das Buch - zunächst in das Kapitel „Neubauten“ (S. 60), dann, aufgrund eines vorbei fahrenden Busses, in das Kapitel „Autos“ (S. 128).

Im Bildband nicht thematisiert wird zudem die zu vermutende Entwicklung der Ansichtskarten von den 1960er bis zu den 1980er Jahren. Über 60 Prozent der abgedruckten Ansichtskarten stammen aus den 1970er Jahren, was nicht überrascht angesichts des steigenden Tourismus in der DDR in dieser Zeit. Doch warum wurden nur etwas über 20 Prozent der Karten in den 1980er Jahren gedruckt? Schwand das Interesse an schwarzweißen Karten? Waren die Herstellungskosten immer weniger rentabel? Sank generell die Produktion von Ansichtskarten?

Trotz der aufgezeigten Mängel soll der Verdienst des Buches, das im übrigen die Fotos in guter Qualität präsentiert, nicht geschmälert werden. Das Betrachten der Ansichtskarten lädt zum Nachdenken und Forschen über vielfältige Fragen rund um die DDR-Ansichtskarten ein - und natürlich auch zum Entdecken der eigenen Sammelleidenschaft.

Anmerkungen:
1 So zum Beispiel in der Rezension von Dirk Krampitz, Die graue Selbstdarstellung des Sozialismus, in: Welt am Sonntag v. 1.9.2002.

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