Cover
Titel
Helmut Schmidt. Eine politische Biographie


Autor(en)
Rupps, Martin
Erschienen
Stuttgart 2002: Hohenheim Verlag
Anzahl Seiten
488 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Fred Oldenburg, Seminar für Politische Wissenschaft und Europäische Fragen, Universität zu Köln

Der letzte Preuße

Angesichts gegenwärtiger politischer Führung in der Bundesrepublik Deutschland scheint es nicht verwunderlich, wenn Antworten auf die Herausforderungen von Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik bei großen Männern der deutschen Geschichte nach 1945 gesucht werden. Man fragt sich unwillkürlich, was hätten Adenauer, Reuter, Brandt oder Schmidt in der derzeitigen Krise des transatlantischen Verhältnisses für eine Politik praktiziert? Hätten sie den drohenden Irak-Konflikt mit Landtagswahlkämpfen, wie gerade im Falle von Hessen oder Niedersachsen geschehen, vermengt? Oder hätten sie eine Strategie empfohlen, die auf ein vorzeitiges Nein zu deutschem Handeln auch im Falle bewiesener Verletzungen von UN-Beschlüssen hinauslaufen?

Nun, Konrad Adenauer und Ernst Reuter oder Willy Brandt wie auch andere große bundesdeutsche Frauen und Männer kann man nicht mehr befragen. Helmut Schmidt aber, der am 23. Dezember 2003 85 Jahre alt wird, meldet sich noch immer mit Kommentaren in „Die Zeit“ zu Wort. Man wünschte sich allerdings deutlichere Stellungnahmen dieses elder statesman. Gehören doch seine Bücher zu dem Klügsten, was die politische Literatur der Gegenwart vorzuweisen hat, geschrieben von einem Mann, der sich noch heute seines Traumes, Städtebauer zu werden, mit Wehmut erinnert.

Studenten werden mit Interesse zu Martin Rupps zweitem Buch greifen, um Antworten des Altkanzlers zu finden und sich dessen politischen Wirkens zu vergewissern. Doch leider kann Rupps sein gegebenes Versprechen, eine politische Biografie vorzulegen, nicht einlösen. Immerhin bemüht er sich, eine Einführung in Schmidts Denksystem, in dessen prägende Erfahrungen und pragmatisches Handeln zu geben. Schließlich scheint er dafür prädestiniert, hatte doch der 1964 geborene, heute als persönlicher Referent des Südwest-Intendanten in Stuttgart Tätige, seine Dissertation dieser Fragestellung gewidmet. Ihr Ergebnis, 1994 an der Freiburger Universität vorgelegt, wurde 3 Jahre später in Buchform publiziert (M. Rupps: Helmut Schmidt. Politikverständnis und geistige Grundlagen).

Rupps zweites Buch leidet unter diesem ersten, denn nach wie vor bleibt die Beschreibung des Menschen Helmut Schmidt, vereinzelt sogar sein politisches Agieren, seltsam blass. Am überzeugendsten ist es immer noch da, wo der Mann, der zuletzt in der falschen Partei zu sein schien, selbst zu Wort kommt. Und das geschieht reichlich oft, besonders in der Zeit nach seiner Kanzlerschaft. Um nicht missverstanden zu werden, Rupps interpretiert Helmut Schmidt in einigen, viel zu wenigen, Stationen seines Lebens durchaus überzeugend. Eine Biografie des politischen Lebens dieser wichtigen Nachkriegsfigur hat er deswegen noch lange nicht geschrieben.

Im Mittelpunkt auch dieser Veröffentlichung stehen die Folgewirkungen von des Altkanzlers Kategoriensystem, welches von Marc Aurel, Immanuel Kant, Max Weber und Karl Popper beeinflusst wurde, seiner „Hausapotheke“, sowie den in den Jahren des Dienstes in der deutschen Wehrmacht geronnenen Lebensorientierungen, die sich bei Rupps an verschiedenen Brennpunkten der deutschen Nachkriegsgeschichte materialisieren. Doch wird man damit Helmut Schmidt, dem nachdenklichen, musischen, eher als scheu erlebbaren Hamburger wirklich gerecht?

Schmidts Jahre als Kanzler zwischen 1974 und 1982, der Zeit des linken deutschen Terrorismus, des Zerfalls überkommener preußischer Werte - Lafontaine nannte sie geschmacklos „Sekundärtugenden, mit denen man auch ein KZ betreiben kann“ - des Ölschocks und der Nachrüstungsdebatte, hätten manchen der in unserem Lande so beliebten Visionäre jener Zeit wohl an den Rand der Verzweifelung und gar des Rücktritts von seinem Amt geführt, nicht aber Helmut Schmidt. Die Beschreibung seines Handelns während der Mogadischu-Krise gehört zu den stärksten Darlegungen des Buches. Auch andere Konfliktfelder werden durchaus lesenswert dargeboten.

Der Hamburger Innensenator, Bundestagsabgeordnete, stellvertretende SPD-Vorsitzende, Fraktionschef in der Zeit der Großen Koalition, Verteidigungs- und Finanzminister unter Willy Brandt und schließlich Bundeskanzler war in seinen Funktionen wesentlich mehr als der ehemalige Batteriechef des zweiten Weltkriegs und schneidiger Oberleutnant und auch mehr als der „leitende Angestellte der Bundesrepublik“, als den er sich selbst bezeichnete. Vielen erscheint er noch heute als Fels in der Brandung. Er gehörte zu den Wenigen an der Spitze der deutschen Machtpyramide, von dem niemand erwartete, dass er in Korruptionsfälle, persönliche Treulosigkeit oder der gelben Presse dienlichen Sensatiönchen verwickelt sei. Seine Selbstdisziplin war ohne Beispiel, ebenso die hohen Anforderungen an seine Mitarbeiter. Wenn er arrogant und ungeduldig wirkte, so war das angesichts der vorhandenen Lösungskapazitäten seiner Gegenspieler, ob in der eigenen Partei oder der Opposition, kaum verwunderlich. Mit Bedauern erinnert sich Helmut Schmidt daran, dass er den von ihm immer mehr als Belastung empfundenen Willy Brandt den Vorsitz in der Sozialdemokratischen Partei überließ. Rupps Urteil in diesen Fragen ist ebenso zutreffend wie seine Analyse, dass Schmidt nie eine einfühlsame und taktisch angemessene Einstellung zu den neuen sozialen Bewegungen am Ende des vergangenen Jahrhunderts einzunehmen vermochte. Wenn er anderen vorwarf, sie seien der Utopie ohne Pragmatik für das Hier und Jetzt verhaftet, so kann ihm nicht der Vorwurf erspart werden, dass es ihm an psychologischem Wissen, vorausschauender Imagination und einem Schuss Geschmeidigkeit gegenüber seinen Kritikern mangelte. Charme, den er durchaus besaß, ersetzte Schmidt oft durch die Keule verletzender Argumentation und klirrende Kälte.

Zu Schmidts Glanzleistungen gehört dagegen zweifellos, die Nachrüstung Westeuropas betrieben zu haben und sein beharrlicher Widerstand gegen jene Gruppen, die sich den Namen „Friedensbewegung“ anmaßten, so als ob die westlichen Kritiker und Gegner der Nachrüstung allesamt Kriegstreiber seien. Den Kölner Parteitag von 1983, der Schmidts Scheitern in der Partei besiegelte, verlegt der Autor fälschlich nach Nürnberg. Die deutsche Wiedervereinigung als Konsequenz des Zusammenbruchs der UdSSR wäre ohne den klaren Kurs des deutschen Bundeskanzlers wie seines Nachfolgers nicht vorstellbar. Den 9. November 1989 erlebte der angeblich so harte Mann in Tränen aufgelöst, ebenso wie seinerzeit die Nachricht Wischnewskis von der Befreiung der „Landshut“ in Somalias Hauptstadt.

Wenn auch einige Stationen der letzten Jahrzehnte von Schmidts öffentlichem Leben durchaus farbig nachgezeichnet werden, so bleibt es eine um so auffallendere Schwäche des Buches, dass die ersten Dekaden seines Agierens viel zu schmal geraten. Im übrigen sei dem Leser die immer noch wichtige Publikation von Jonathan Carr, Helmut Schmidt, in der Auflage des Jahres 1995, Düsseldorf, Econ-Verlag, empfohlen.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension