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Titel
The missionary life. Saints and the Evanglisation of Europe 400 - 1050


Autor(en)
Wood, Ian
Erschienen
New York 2001: Longman
Anzahl Seiten
309 S.
Preis
$ 25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Brauer, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Muss die frühmittelalterliche Missionsgeschichte Europas künftig ohne den Beitrag der Missionare geschrieben werden? Diese provokante Frage liegt der neuen Monographie des englischen Frühmittelalter-Historikers Ian Wood (University of Leeds) über das lose Genre der „missionary hagiography“ zugrunde. Oft sind nämlich die Lebensbeschreibungen von Missionaren die Hauptquellen für die Missionsgeschichte Europas im Frühmittelalter. Kann man aber aus diesen Quellen die Grundzüge historischer Missionen rekonstruieren, nachdem man hagiographische Topoi gewissermaßen subtrahiert hat? Oder konstituiert die Hagiographie der Mission, wie andere Hagiographie auch, einen eigenständigen literarischen Diskurs, der unabhängig von der realgeschichtlichen Mission zu situieren ist?

Bei der Hagiographie der Mission, so Wood, finden sich häufig Cluster von Viten, die in zwei bis drei Generationen nach dem Tod eines Heiligen entstanden. Schüler verfassten die Viten ihrer Lehrer, und diese Werke überschneiden oder widersprechen sich vielfach. Die Frage nach dem missionsgeschichtlichen Wert dieser Quellen sei nun erst nach Aufdeckung aller Interdependenzen innerhalb einer Tradition zu beantworten, so dass Wood seine Untersuchung nicht anhand der Chronologie der Missionare, sondern der der Viten und ihrer Autoren strukturiert. Wie im zweiten Teil der Einleitung herausgestellt wird, wurde das Interesse der Hagiographen, ihre Heiligen als Missionare zu porträtieren, allerdings erst im 8. Jahrhundert durch die Rezeption von Bedas ‚Historia ecclesiastica gentis Anglorum’ geweckt. Es markiert das erste Werk, das Missionen als Organisationsprinzip für eine große historische Erzählung heranzieht.

Der zweite Teil über „The Anglo-Saxons and their Legacy“ ist der stärkste Abschnitt des Buches. Auf Vorarbeiten Woods aufbauend, wird er sicher die meisten wissenschaftlichen Diskussionen nach sich ziehen. 1 Der einst als „Apostel der Deutschen“ gefeierte Bonifatius wird dabei nicht nur historisch als Kirchenorganisator und –reformer relativiert, sondern Wood weist nach, wie in der späteren Hagiographie das Bild von Bonifatius als Missionar entwickelt wurde, das zum Teil bis in die heutige Forschung weiterwirkt. Im einzelnen entfalteten sich die bonifatianischen Traditionen von dessen drei Wirkungsstätten aus: Die erste Biografie des Willibald (763-68) repräsentiert die Sicht von Mainz, wo Bonifatius als Erzbischof tätig war, und legt den Schwerpunkt auf Kirchenorganisation, während Eigils Vita Sturmi (794-800) einen monastischen Bonifatius für das von diesem gegründete Fulda porträtiert, wo auch sein Grab verehrt wird.

Aber erst durch eine andere Tradition vermittelt entstand das Bild des Bonifatius als Missionar: durch Alkuins Vita Willibrordi. Alkuin hat nach Wood als erster die Impulse von Bedas Historia ecclesiastica für die Hagiographie nutzbar gemacht und eine wirklich missionarische Vita verfasst. Die von der Forschung seit jeher beklagte Detailarmut von Alkuins lange nach Willibrords Tod (739) verfasster Schrift wird durch Wood produktiv umgewertet. Für ihn ist die Vita Willibrordi ein Werk der Missionstheorie, das am Beispiel Willibrords die Bedeutung der Predigt und christlichen Unterweisung vor der Taufe betont. Indem er das Werk exakt auf 796 datiert, stellt er es in direkten Zusammenhang zu Alkuins Briefen zur Awarenmission, etwa an Erzbischof Arno von Salzburg, aus dem gleichen Jahr. Die Vita selbst ist allerdings an die Klostergemeinschaft der Willibrordgründung Echternach gerichtet, die, so sein Indizienbeweis, mit der Sachsenmission betraut werden sollte. Die Vita Willibrordi wird somit neu gewürdigt als „a central text for understanding the developing ideologies of mission in the late eighth century“ (S. 89).

Erst nach diesem Einschub kann Wood deutlich machen, warum an Bonifatius dritter Wirkungsstätte Utrecht, von der aus er den späten Versuch der Friesenmission unternahm, Bonifatius als Missionar memoriert wurde. Den Zugang liefert die komplexe Interpretation der Vita Gregorii (786/800-804), die zu großen Teilen auch Bonifatius gewidmet ist. Deren Autor, der aus Friesland stammende spätere Bischof von Münster Liudger, hatte als Priester längere Zeit unter Alkuin an der Kathedralschule von York studiert. Dabei und durch die Vita Willibrordi seines Lehrers, wenn man der Spätdatierung seines Werkes auf nach 800 folgt, habe Liudger Alkuins Wertschätzung der Predigt für die Mission kennen gelernt und für seine eigene Vita Gregorii übernommen. Oft ist dieses Werk von Historikern wegen der nachweislichen Konfusion von Fakten kritisiert worden. Wood dagegen sieht seinen Wert in der realistischen Beschreibung der Mission unter den Heiden, die Liudger bei seiner eigenen Tätigkeit in Friesland und Sachsen kennen gelernt hatte. Wood kommt zu der paradoxen Schlussfolgerung: „the Vita Gregorii is almost a displaced autobiography: the careers of Boniface and Gregory have become pegs upon which Liudger could hang his own experiences“ (S. 112).

Es erstaunt nicht, dass Wood das Werk der Angelsachsen auf dem Kontinent zurückhaltend bewertet. Es sei vor allem die Tätigkeit zweier Familiennetzwerke gewesen – des von Bonifatius und von Willibrord. Sie hätten aber weniger für die Heidenmission bewirkt, als bisher angenommen. Linguistische Befunde legten nämlich nahe, dass die Gebiete östlich des Rheins, mit Ausnahme von Friesland und Sachsen, bereits durch fränkischen Klerus missioniert waren, als die Angelsachsen dort tätig wurden. Allerdings hat das umfangreiche, miteinander verschränkte Corpus dieser Viten bis heute erfolgreich eine andere Sicht vermittelt.

Mit dieser dichten Beschreibung kann der dritte Teil über „Bavarians, Slavs and Saxons“ insgesamt nicht mithalten. Die stringentesten Kapitel sind die über die Salzburgische Kirche im 8. und 9. Jahrhundert, die direkt an den Bonifatius-Komplex angeschlossen sind. Wood versucht darzulegen, dass die Texte, die im 8. Jahrhundert von der bayerischen Kirche in Auftrag gegeben wurden, als Attacke auf Bonifatius beziehungsweise auf seinen Ruf als Reformer der bayerischen Kirche zu lesen sind. Das ist zunächst die Lebensbeschreibung des hl. Rupert, die nach Wood in einer ersten Version schon um 746 entstanden sein könnte, zu eben der Zeit, als der spätere Bischof von Salzburg Virgil in einen Streit mit Bonifatius über die Vorherrschaft in der bayerischen Kirche geriet. Die Vita des in Salzburg tätigen Rupert würde in diesem Streit kirchliche Traditionen noch vor Bonifatius betonen – eine verlockende These, für die Wood allerdings auf schwierige Rückschlüsse angewiesen ist, da die überlieferten Quellen für Rupert auf das Ende des 8. Jahrhunderts datiert werden. Schlüssiger gelingt ihm die Kontextualisierung der beiden Viten des Arbeo von Freising über Emmeram und Corbinian. Sie sind zwischen 769 und 772, also direkt im Anschluss an Willibalds Vita Bonifatii (763-68), verfasst worden, der herausstellte, dass Bonifatius aus Bayern Häretiker vertrieben und daraufhin die Region in vier Diözesen aufgeteilt habe (Salzburg, Freising, Regensburg, die vierte, Passau, wird von Willibald nicht genannt). Wie vorher Rupert für Salzburg stünden nun Corbinian für Freising und Emmeram für Regensburg als Protagonisten kirchlicher Arbeit vor Bonifatius. Während im 8. Jahrhundert also Leistungen des 7. und frühen 8. Jahrhunderts aktualisiert wurden, sah sich die bayerische Kirche im 9. Jahrhundert gezwungen, ihre Missionserfolge aus dem 8. Jahrhundert zu rechtfertigen, als sie in den bekannten Konflikt mit Methodios geriet. Dies ist jedenfalls der Kontext, in den Wood die Conversio Bagoariorum et Carantanorum und ihre Vorläufer stellt: Gegenüber der früheren Zeit wird aber im 9. Jahrhundert „missionary history as legal history“ (S. 171) präsentiert, im Sinne einer Dokumentation von Kirchengründungen zum Beleg alter rechtlicher Ansprüche auf die Kirchenregion von Pannonien/Mähren.

In den verbleibenden drei Kapiteln sollte wahrscheinlich versucht werden, eine ähnliche Konstellation von Missions-Hagiographie für Mitteleuropa zu eruieren. Die Behandlung von Wenzel, Adalbert von Prag und Brun von Querfurt wirkt jedoch forciert, da die Überlieferungsdichte bei weitem nicht den bonifatianischen Traditionen und Gegentraditionen entspricht. Besonders beim Kapitel über die lateinischen Legenden des christlichen Königs von Böhmen Wenzel stellt sich die Frage nach dem Stellenwert für die Untersuchung, da es nur den Hintergrund für Bischof Adalbert von Prag liefert, der später als Missionar unter den Prußen zum Märtyrer wurde. Bei der Analyse der Adalbert gewidmeten Hagiographie ist Wood allerdings wieder auf seinem Terrain. Er kann zeigen, dass Brun von Querfurt, der als Missionar bei den Ungarn, Pecenegen und Prußen wirkte und bei letzteren den Märtyrertod erlitt, für seine Passio Adalberti die Vorlage von Johannes Canaparius bei der Beschreibung der Mission entscheidend modifizierte und dabei eigene Erfahrungen in die Komposition einfließen ließ. 2 Wood resümiert, dass es die Werke Bruns von Querfurt sind, „which bring us closer to the heart of mission than perhaps any writings of the Early Middle Ages“ (S. 226).

The Missionary Life ist eine eindrucksvolle Warnung davor, Hagiographie mit Missionsbezug unreflektiert als Steinbruch für die Missionsgeschichte zu verwenden. Mit den klassischen Mitteln der philologischen Analyse zeigt Wood vielmehr, dass diese Viten Quellen sind für das Ringen um das Deutungsmonopol auf einen bestimmten Heiligen und seine „Errungenschaften“. Obwohl dies für einzelne Werke seit langem bekannt ist, hat erst die Untersuchung der gesamten Überlieferung die Möglichkeit für neue Kontextualisierungen und Interpretationen eröffnet. Das Nachvollziehen dieser Ergebnisse wird dem Leser allerdings nicht leicht gemacht, da Wood einen eher stenographischen Stil pflegt und sich der induktive Zusammenhang der Einzelkapitel oft erst im Nachhinein erschließt. Dennoch wird man sich nach dieser Arbeit an den Gedanken gewöhnen müssen, künftig die Missionsgeschichte der rechtsrheinischen Gebiete ohne Missionare beziehungsweise mit anderen Missionaren zu schreiben.

Dass die hier angesprochene Hagiographie auch einen positiven Wert für die Missionsgeschichte hat, zeigt Wood in seinem letzten Teil, in dem er die zweite Bedeutung des Titels „The Missionary Life“ als Einblick in die Psychologie der Mission und Missionare ausführt. Neben Alkuins theoretischem Werk sind es nur Rimberts Vita Anskarii, Brunos Passio Adalberti und, eingeschränkt, Liudgers Vita Gregorii, die Wood als Quellen zulässt, da die Autoren selbst missionarisch tätig waren. Heidenmission wurde von ihnen als „confrontation with the ‚Other‘“ (S. 251) wahrgenommen. Zwar versuchten sie, sich an den fremden Denk- und Lebensstil anzupassen (Rimbert und Bruno), letztendlich unterschieden sich aber die Christen durch ihre rituellen Handlungen immer von den Einheimischen. Die dadurch ausgelöste psychische Belastung, so Woods These, wurde in Form von Visionen, Wundern und nicht zuletzt durch den Akt des Schreibens selbst verarbeitet. In diesem Sinne wurden Heiligenviten zu Autobiografien.

Anmerkungen:
1 Dieser Teil beruht auf einem nur zehnseitigen Aufsatz Woods von 1994, den er interessanterweise nicht in der Monografie zitiert. Da Wood sonst gerne auf eigene Vorarbeiten Bezug nimmt, wird man die Gründe für dieses Schweigen in gewissen Akzentverschiebungen suchen müssen; etwa darin, dass Wood „missionary hagiography“ mittlerweile nicht mehr als klar identifizierbares Genre verwendet; vgl. Missionary Hagiography in the Eighth and Ninth Centuries, in: Ethnogenese und Überlieferung: Angewandte Methoden der Frühmittelalterforschung, hrsg. v. Karl Brunner und Brigitte Merta (= Veröffentlichungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung 31), Wien, 1994, S. 189-199; vgl. auch das Kapitel „Mission Accomplished: The Merovingian Church East of the Rhine“ in ders.: The Merovingian Kingdoms, 450-751. London, 1994, S. 304-321.
2 Johannes Fried hat jüngst die Autorschaft des Johannes Canaparius angefochten und aufgrund der Überlieferungslage auf Lüttich oder Aachen als Entstehungsort der Tradition hingewiesen sowie den Bischof von Lüttich Notker als Verfasser vorgeschlagen. Dies entzieht aber den Thesen Woods nicht die Grundlage, da Brun von Querfurt in diesem Zusammenhang stärker als in der älteren Forschung als Verbreiter der ersten Adalbert-Vita herausgestellt wird; vgl. Johannes Fried: Gnesen - Aachen - Rom: Otto III. und der Kult des hl. Adalbert. Beobachtungen zum älteren Adalbertsleben, in: Polen und Deutschland vor 1000 Jahren. Die Berliner Tagung über den &#8222;Akt von Gnesen&#8220;, hg. von Michael Borgolte (= Europa im Mittelalter 5), Berlin 2002, S. 235-279, bes. S. 254-263. Siehe auch die Rezension des Gesamtbandes unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/id=1433>.

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