M. Gebhardt: Die Nackte unterm Ladentisch

Cover
Titel
Die Nackte unterm Ladentisch. Das Magazin in der DDR


Autor(en)
Gebhardt, Manfred
Erschienen
Berlin 2002: NORA Verlag
Anzahl Seiten
187 S.
Preis
€ 15,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Patrick Schwane, Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam

Manfred Gebhardt, von 1962 bis 1991 Chefredakteur der noch heute erscheinenden Zeitschrift „Das Magazin“, stellt mit diesem Buch seine persönliche Sicht dieses DDR-Presseerzeugnisses von seinen Anfängen im Jahr 1954 bis in die bewegte Nachwendezeit zu Beginn der neunziger Jahre dar. Er veröffentlichte bereits in den achtziger Jahren verschiedene Biographien, wie zu Max Hoelz und Mathilde Franziska Anneke, und publizierte 1997 in dem Band „Deutsche in Polen“ seine Erinnerungen aus seiner Zeit als Kriegsgefangener und späterer antifaschistischer Aktivist in Polen unter dem Titel „Kriegsgefangener 330. Fünf Jahre in Polen“.

Obwohl man sich von SED-Seite noch zu Beginn der fünfziger Jahre gegen den schädlichen Einfluss allzu seichter Literatur, Musik und Filme aus dem Westen richtete, trug man nach den Juni-Ereignissen von 1953 mit der Schaffung des „Magazins“ in der DDR dem Bedürfnis der Werktätigen nach „bunter“ Unterhaltung Rechnung. Überdies kam der Zeitschrift eine „eminent politische Aufgabe“ zu, sollte sie doch die Leserschaft an die SED-Politik heranführen (S. 12).

Deshalb ist es auch nicht überraschend, dass sich das „Magazin“ in den fünfziger Jahren mit Comicstrips unter dem ungewöhnlichen Titel „Waputa, die Geierkralle“ oder mit „Tatsachenberichten“ in die Auseinandersetzungen zwischen Ost und West einschaltete und die Politik Adenauers und der USA attackierte. Jedoch hielt sich nachfolgend der Grad der Politisierung in der Zeitschrift, verglichen mit anderen Presseerzeugnissen der DDR, in Grenzen; denn im „Magazin“ sollte „der Klassenkampf nicht in Reden, Schlagzeilen und Agitationsartikeln stattfinden“, wie Gebhardt betont. Es wurde dagegen eine monatliche Rubrik mit wechselnden Titeln aus der Perspektive der „sozialistischen Moral“ geschaffen, die mit Alltagsthemen wie fehlenden öffentlichen Bedürfnisanstalten, aber auch dem immerjungen gesellschaftspolitischen Vergleich zwischen den beiden deutschen Staaten aufwartete, aus dem die DDR natürlich regelmäßig als überlegen hervorging 1. Darin versuchten sich seit 1966 Autoren wie Hermann Budzislawski, Jürgen Kuczynski, Eberhard Heinrich und zuletzt der Stellvertretende Chefredakteur des „Neuen Deutschlands“, Harald Wessel. Bei der Mehrheit der Leser erfreuten sich diese Kommentare jedoch nur geringer Beliebtheit, so dass sie 1986 ganz aus dem Blatt verschwanden 2.

Gebhardt behandelt am Beginn seines Buches chronologisch die Anfänge der Zeitschrift, indem er u. a. die Geschichte seiner beiden Vorgänger, der Westemigranten Heinz H. Schmidt und Hilde Eisler, skizziert. Diese Personen waren in ihrer politischen Sozialisation noch ganz mit dem kommunistischen Widerstand gegen die Nazis verbunden, Eisler sollte als Chefredakteurin über Jahrzehnte das Bild dieser Zeitschrift prägen.

In den folgenden Kapiteln beschreibt er u. a. mit Werner Klemke und Herbert Sandberg, diejenigen Mitarbeiter, die über lange Zeit mit ihren Zeichnungen, dem „Klemke-Kater“ und dem „Frechen Zeichenstift“, das äußere Erscheinungsbild des „Magazins“ bestimmten und zu Publikumslieblingen wurden. Besonderer Popularität erfreute sich das monatliche Akt-Foto, das für die Bewohner der Republik bis in die siebziger Jahre eine der wenigen Möglichkeiten darstellte, sich Nacktfotos anzuschauen.

Auch kommt Gebhardt in weiteren Kapiteln auf die Autoren der Kurzgeschichten, Gedichte und der überaus beliebten Reiseberichte zu sprechen, die ein bestimmendes, vordergründig politikfernes Element des „Magazins“ darstellten und doch dazu beitrugen, „den neugierigen DDR-Bürger heranzubilden, der irgendwann die Welt nicht nur als Reisebeschreibung erleben wollte“ 3. Diese Berichte wurden häufig von Mitarbeitern befreundeter linker Zeitungen des Auslandes verfasst, und führten den Leser in für ihn meistens unerreichbare Ziele wie Lissabon, Paris, in die USA oder nach Thailand. Das literarische und ästhetische Niveau der Geschichten, aber auch der präsentierten Fotos, Zeichnungen und Collagen war mitunter beachtlich. Neben unbekannteren Autoren konnten für die Kurzgeschichten z. B. Christa Wolf, Stephan Heym, Erich Loest, Brigitte Reimann oder für Illustrationen Frank Leuchte und Thomas Schleusing gewonnen werden. Aber auch ausländische Literaten wie William Kotzwinkle, Maurice Rolland, Georgi Fjodorow oder Künstler wie Albert Dubout oder Klaus Staeck wurden für das „Magazin“ verpflichtet.

Gebhardt arbeitet implizit heraus, dass das häufig nur schwer erhältliche „Magazin“ mit seinen Vorschlägen zur Wohnraumgestaltung, den Modetipps, seinen Kochrezepten, Rätseln und Leserumfragen über Jahrzehnte die ästhetischen Vorstellungen und Lebensentwürfe einer relativ breiten Leserschicht mitbestimmte, die sich hauptsächlich aus den Angehörigen der alten und neuen Intelligenz und der Angestellten zusammensetzte 4. In der pluralistisch verfassten Medienlandschaft der Bundesrepublik habe dies keine Zeitschrift vermocht.

Er erinnert auch an das Problem der Zensur, und es wird in seiner Darstellung deutlich, dass der Chefredakteur, der letztendlich dem ZK und seiner Presseabteilung verantwortlich war, selbst das wirkungsvollste Instrument bei der Kontrolle des „Magazins“ darstellte. Gebhardt stellt sich angesichts der ständigen Ermahnungen und sog. „Empfehle“ der SED-Pressepolitiker als einen „verzweifelnden“ Journalisten dar, der darum bemüht war, die sich im Bereich der Kultur und Erotik bietenden Freiräume der gleichgerichteten ostdeutschen Presselandschaft für eigene Ideen zu nutzen, im Grunde jedoch nie an der „DDR [...] [als] einer historischen notwendigen Alternative zur alten kapitalistischen Gesellschaft“ „zweifelte“ (S. 123). „Das Magazin“ mochte somit das Fernweh und den Wunsch nach Abwechslung fördern, es war ein bunter Tupfer im oft öden DDR-Alltag, doch stellte es nicht das herrschende gesellschaftliche System in der DDR in Frage, wie mancherorts vermutet wurde 5.

In den abschließenden Kapiteln schildert Gebhardt die Zeit der politischen Wende in der DDR, des Weges in die Marktwirtschaft und der Konfrontation mit westlichen Medien- und Vermarktungskonzepten, die das Gesicht des „Magazins“ verändern sollte. Er empfand diese Phase als „die kaiserlose, die glückliche Zeit“, in denen in der Redaktion des „Magazins“ praktische Demokratie eingeübt wurde und niemand wusste, in welche Richtung sowohl die Wende-DDR als auch das „Magazin“ selbst steuern würden. Niemand wusste, ob sich die Zeitschrift inhaltlich zur Sexpostille wandeln oder ob künftig Kultur und Kunst (mit einer Prise Erotik) dominieren würden. Mit der Ankunft der neuen „Eigentümer“ war, so Gebhardt, das „Chaos aufgebraucht“, und die Ansichten, wie das „Magazin“ künftig auszusehen habe, gingen zwischen verordnetem „Berater“ und Gebhardt, als dem bisherigen Chefredakteur, auseinander. Die Darstellung des Endes seiner Tätigkeit im „Magazin“ im Jahre 1991 schließt das Buch ab.

„Die Nackte unterm Ladentisch“ ist weder eine wissenschaftliche Analyse noch eine autobiografische Rechtfertigungsschrift, sondern vielmehr ein unterhaltsam und leicht geschriebenes, selbstkritisch durchwirktes Stück Kulturgeschichte, aus dem sich das eine oder andere Detail der DDR-Pressegeschichte entnehmen lässt.

Noch einige Worte zu den Formalia des Buches: Heutzutage eher in osteuropäischen Publikationen anzutreffen, befindet sich das Inhaltsverzeichnis am Ende des Buches. Seine kleinteilige Gliederung fällt ins Auge; dadurch wird das Nachschlagen einzelner Themen erleichtert. Die Hinzufügung eines Sach- bzw. Personenindex hätte dem Buch jedoch nicht geschadet.

Anmerkungen:
1 Ebd., S. 98-101.
2 Ebd.
3 Vgl. Badstübner, Evemarie: Auf 80 Seiten um die Welt, in: Barck, Simone, u. a (Hgg.).: Zwischen „Mosaik“ und „Einheit“: Zeitschriften in der DDR, Berlin 1999, S. 199.
4 Ebd., S. 199.
5 Ebd., S. 125. Gebhardt zitiert hier eine Staatsexamensarbeit aus dem Jahr 1996.

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