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Titel
Berlin 1945. Das Ende


Autor(en)
Beevor, Antony
Erschienen
Anzahl Seiten
544 S., 24 Abb.
Preis
€ 26,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Siegfried Schwarz, Berlin

Der Charakter der vorliegenden Publikation ist nicht eindeutig zu bestimmen. Ihr reportagehaft gestalteter Text bietet eine groß angelegte Schilderung nicht nur der Eroberung der Reichshauptstadt im April 1945, sondern auch des Zusammenbruchs der deutschen Ostfront und des Vormarschs der sowjetischen Truppen von Januar bis Mai 1945 einschließlich der Erstürmung des Reichstags in Berlin. Hierbei ist ein Konglomerat verschiedenartiger Stilelemente entstanden, die teils aus historischer Dokumentation längst bekannter Tatsachen, teils aus kurzen Skizzen und Berichten (mitunter unwesentlicher Art) mit neuen Quellenhinweisen bestehen.

Dieses bunte Gemisch resultiert aus dem Bestreben Antony Beevors, möglichst viele Vorgänge von jeweils unterschiedlicher Relevanz und von verschiedenen Gesichtspunkten darstellen zu wollen, die sich in und um Deutschland während des Winters und des Frühjahrs 1945 ereignet haben. Infolge dieser Methode gerät der Autor in den Zwang, allzu viele Aspekte in einem einzigen Text zu vereinen, nämlich die prekäre Lage im Innern des Reichs und besonders in Berlin, die immer aussichtslosere Situation an der Ost- und der Westfront, die Aktivitäten und gelegentlichen diplomatischen Verwicklungen der Alliierten (zum Beispiel auf der Konferenz in Jalta), den Vormarsch der sowjetischen Streitkräfte und deren Verhalten gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung in den von ihnen besetzten Gebieten, den verzweifelten Abwehrkampf der Nazi-Führung und deren schließliches Ende im „Führer-Bunker“ im April 1945.

Dies alles in einer einzigen Publikation dem Leser darbieten zu wollen, ist zwar ein ehrgeiziges Ziel, schafft aber im laufenden Text beträchtliche Verwirrung. Der Leser fragt zu Recht: Wann war eigentlich was? Was kam danach und was war davor? Wie wirkte dieses Ereignis auf das andere ein und umgekehrt? Bei einem derartig konzipierten Text ist für den Rezensenten nicht sosehr das Problem vorrangig: Welche Quelle des Autors ist gewichtiger als eine andere? Vielmehr erhebt sich für ihn die Frage nach der Relevanz mancher Einzelheiten für den Gesamtablauf des Geschehens, vor allem das Problem der Übersichtlichkeit des gebotenen Textes auch für solche Leser, die nicht ohne weiteres die Fülle der bisher erschienenen allgemein- und militärhistorischen Literatur über das Ende des Zweiten Weltkriegs kennen können. Diese Feststellung schließt nicht aus, dass Beevor durchaus spannende Episoden aus der Zeit des Niedergangs der Nazi-Diktatur und des seit Anfang 1945 fortschreitenden Chaos in Wirtschaft, Gesellschaft und Militär innerhalb Rest-Deutschlands zu schildern vermag.

Zu den problematischen Aspekten des Werkes gehört das Ausmaß der Berichte über Gewalttaten und Verbrechen sowjetischer Soldaten an deutschen Mädchen und Frauen. Dem Rezensenten scheint, dass der Autor in seiner Sicht diese tatsächlich aufgetretenen Übergriffe sowjetischer Armeeangehöriger in Ostpreußen, Pommern, Schlesien und Berlin im Verhältnis zur Gesamtgeschichte des Zweiten Weltkrieges über Gebühr verschoben hat. Zwar vermerkt Beevor durchaus, dass die „Verbrechen der Deutschen in der Sowjetunion“ zu den späteren Gewaltakten gegen deutsche Frauen beigetragen hätten (S. 44). Dennoch erscheint die These Beevors, den meisten Soldaten sei es „offenbar nur darum (gegangen), Frauen zu beherrschen und zu erniedrigen“ (S. 45), zu vereinfacht und vordergründig dargestellt worden zu sein.

Gelungen sind dem Autor dagegen einige Schilderungen der beklemmendsten Momente in der Schlussphase des Krieges, die mit ungeheuren Menschenverlusten verbunden war. Hierzu gehört die Darstellung der Schlacht um die Seelower Höhen im April 1945, die – so Beevor – „sicher nicht Marschall Schukows Sternstunde“ gewesen sei. Der Autor zollt der Leistung der sowjetischen Soldaten in jenem schwierigen, verlustreichen Kampf Anerkennung, wenn er bemerkt: „Wenn auch Planung und Führung der Operation von vielen Mängeln behaftet waren, so sind Mut, Standhaftigkeit und Opfergeist der meisten Soldaten und Offiziere der Roten Armee über jeden Zweifel erhaben.“ (S. 252)

Sie hätten „wirklichen Heroismus“ bewiesen, der „leider an der Gefühllosigkeit der hohen Befehlshaber und der sowjetischen politischen Führung“ nichts habe ändern können. Es spräche Bände, wie diese in verdeckten Telefongesprächen ihre Soldaten betitelt hätten. Wenn nach der Höhe der Verluste gefragt wurde, habe es nur geheißen: „Wie viele Streichhölzer sind abgebrannt?“ Oder: „Wie viele Bleistifte sind abgebrochen?“ (S. 252)

Beevor legt dar, dass sich Stalin und seine Gefolgsleute wenig darum gekümmert hätten, wie es ihren Soldaten erging. Die drei Armeen, die an der Schlacht um Berlin beteiligt waren, hätten enorme Verluste erlitten. Heute räumen russische Historiker ein, diese unnötig hohen Verluste seien darauf zurückzuführen, dass die Rote Armee Berlin unbedingt vor den Westalliierten erreichen wollte und sollte. Außerdem seien so viele Truppen zum Angriff vorgeschickt worden, dass sie zum Teil in das Feuer der eigenen Kameraden gerieten (S. 460). Der Autor beschreibt den Ehrgeiz insbesondere Josef Stalins und Winston Churchills, mit den jeweils eigenen Truppen Berlin als Erste zu erstürmen, um ein wichtiges Faustpfand für die alliierten Nachkriegsverhandlungen über Deutschland in der Hand zu haben.

Beevor berichtet auch über die Ermordung zahlreicher deutscher Soldaten, die in jener aussichtslos gewordenen Kriegssituation von der eigenen Feldgendarmerie wegen des Verdachts der „Fahnenflucht“ hingerichtet worden sind. Wie viele Soldaten an den Straßen kurzerhand exekutiert worden seien, könne nicht genau ermittelt werden. Augenzeugen hätten jedoch berichtet, dass im Bereich des XI. SS-Korps viele, darunter zahlreiche Hitlerjungen, beim geringsten Anzeichen von Fahnenflucht an den Straßenbäumen aufgehängt worden seien. In sowjetischen Quellen heiße es, 1945 seien 25 000 deutsche Soldaten und Offiziere wegen Feigheit vor dem Feind hingerichtet worden. Diese Zahl sei – so Beevor – „sicher zu hoch gegriffen, aber weniger als 10 000 waren es gewiss nicht.“ (S. 272)

Mit diesen und vielen anderen Passagen ist es Beevor gelungen, die Grausamkeit und Unmenschlichkeit der Schlussphase des Zweiten Weltkrieges auf deutschem Boden anschaulich und eindringlich zu kennzeichnen. Hierzu tragen zahlreiche dem Buch beigegebene Fotos und Kartenskizzen bei. Allerdings stellt der Autor oftmals Wesentliches neben Unwesentliches, wichtige militärische Operationen neben minder wichtige Details, die für eine historiographische Arbeit entbehrlich sind. Angesichts der bereits existierenden Fülle von Monografien und belletristischer Literatur über das Ende des Krieges, namentlich auch über die Endkämpfe in Berlin, die Zerstörungen und Verwüstungen der Stadt, die zunehmend katastrophalere Lage und die Angst der Zivilbevölkerung, ist das vorliegende Werk nur von begrenztem Neuigkeitswert. Für interessierte Leser mit beträchtlichen Vorkenntnissen über den bisherigen Verlauf des Krieges kann es aber als eine illustrierende Ergänzung zur bereits bestehenden Berlin-Literatur über das erste Halbjahr 1945 betrachtet werden.

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