M. Maset: Diskurs, Macht und Geschichte

Titel
Diskurs, Macht und Geschichte. Foucaults Analysetechniken und die historische Forschung


Autor(en)
Maset, Michael
Erschienen
Frankfurt am Main 2002: Campus Verlag
Anzahl Seiten
268 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juergen Martschukat, Fachbereich Geschichtswissenschaften, Universität Hamburg

Das Denken Michel Foucaults erfreut sich einer beinahe beständig wachsenden Popularität. So kann derzeit kein Feuilleton, das etwas auf sich hält, umhin, die peu à peu erscheinenden deutschen Übersetzungen seiner „Dits et Ecrits“ zu kommentieren, und gleichermaßen werden in der deutschsprachigen Wissenschaftslandschaft immer mehr Arbeiten publiziert, die sich in der einen oder anderen Art auf Foucault stützen. Dies gilt auch für die Geschichtswissenschaft, und seit einiger Zeit ist hier eine deutlich spürbare Veränderung der Auseinandersetzung mit Foucault zu verzeichnen. Die entsprechenden Texte streiten immer seltener über Foucault, über Elemente seiner Theorien und deren Richtig- oder Nichtigkeit. Vielmehr suchen viele neuere Arbeiten vornehmlich jüngerer HistorikerInnen eine kritische und zugleich produktive Auseinandersetzung. Es gilt, das Potenzial Foucaults für die Historiographie auszuloten, indem Elemente seines Denkens in der konkreten Arbeit an der Geschichte erprobt werden. Dass man mit diesem Schritt dann doch wieder einem der theoretisch-methodischen Postulate Foucaults Folge leistet, nämlich nicht über Autoren zu diskutieren, sondern mit ihnen zu arbeiten und sie intellektuellen Spannungen auszusetzen, ist einer dieser netten Widersprüche, in die man sich bei Foucault immer wieder verfängt. 1
In diese Wende der Foucaultrezeption in der Geschichtswissenschaft fügt sich auch das kürzlich erschienene Buch Michael Masets mit dem Titel „Diskurs, Macht und Geschichte: Foucaults Analysetechniken und die historische Forschung“. Wie schon am Titel zu erkennen ist, handelt es sich bei Masets Buch nicht um eine solche unmittelbare Erprobung Foucaultscher Analysetechniken an einem konkreten historischen Phänomen. Die Studie ist vielmehr eine Art von Historiographiegeschichte, die die intensive konzeptionelle Auseinandersetzung mit der bisherigen Geschichtsschreibung sucht und darauf abzielt, auf diesem Wege den Ertrag Foucaultschen Denkens für die Praxis historiographischen Arbeitens zu diskutieren: „Gegenstand der vorliegenden Studie sind die methodischen Überlegungen von Foucault und das mit ihnen zu erschließende Erkenntnispotential für die Geschichtswissenschaft“ (S. 10). Um besagtes Erkenntnispotenzial zu entwickeln, wendet sich Maset in vier großen Kapiteln vier zentralen Fragen bzw. historiographischen Feldern zu. In einem ersten Kapitel diskutiert er die Konzeption von „Macht“ in Auseinandersetzung mit der Historischen Sozialwissenschaft, der Historischen Anthropologie und den Erörterungen Foucaults. Hier rekapituliert er gekonnt die Debatten um Struktur und Handlung, um Diskurs und Erfahrung bzw. um das Maß der Autonomie des Subjekts, die dann auch für das weitere Buch zentral sein werden. Maset fordert für die historiographische Arbeit, den Blick gezielter auf die Verschränkung der Makro- und Mikroebenen und auf deren wechselseitige Interdependenzen zu richten. Es solle weniger versucht werden, die vorrangige Bedeutung des einen oder des anderen Bereiches nachzuweisen, sondern vielmehr deren Reflexivität gezeigt werden; also wie in der Geschichte die alltägliche Praxis der Subjekte die Strukturen (re)produziert, die aber wiederum erst die Möglichkeiten für ihr (re)produktives Handeln vorgeben.

In einem zweiten Analysekapitel wendet sich Maset der Wissenschaftsgeschichte zu. Auch hier fordert er, vermeintliche Dichotomien aufzulösen, nämlich die zwischen „Idee“ und „Sozialem“. Die Geschichte der Wissenschaften könne nicht ohne permanente Rückkoppelung an die Welt des Sozialen erfasst werden, genauso wie das menschliche Leben nur innerhalb historisch-spezifischer (auch in den Wissenschaften geprägter) Denk- und Wahrnehmungsmuster verstehbar sei. Das Verhältnis von ideen- und sozialgeschichtlichen Perspektiven, von Diskursen und sozialen Praktiken problematisiert Maset auch im dritten Analysekapitel. Dort untersucht er verschiedene Spielarten der Historischen Semantik, wobei Maset auch hier wieder jene Ansätze als zukunftsweisend kennzeichnet, die nach den komplexen Verbindungen von Begriffen, Sprache, Denken, Erfahrung und Wirklichkeit spüren.

Die Frauen- und Geschlechtergeschichte ist das vierte Feld, das in der Untersuchung über „Diskurs, Macht und Geschichte“ betrachtet wird. Bis hierhin hat das Buch vorwiegend die Auseinandersetzung mit bestehenden historiographischen Konzepten im Spiegel Foucaultschen Denkens gesucht, um dergestalt Vorschläge zu einer Weiterführung der Historiographie zu entwickeln. Nun greift Maset jedoch deutlicher auf bereits bestehende Forschungsarbeiten zurück, um sie als Orientierungspunkte für weitere Betrachtungen zu skizzieren. Die Frauen- und Geschlechtergeschichte, so Maset, biete einen „>Leuchtturm< in diesem trüben und gefährlichen Gewässer der Verschränkung von struktur- und handlungstheoretischen, ideen- und sozialgeschichtlichen Aspekten“ (S. 203). Nun hat Foucault selber zum Geschlecht ja relativ wenig gesagt, er hat aber in seinen Texten viele Anregungen gegeben, die in der Geschlechterforschung produktiv umgesetzt wurden. Maset erläutert an dieser Stelle vor allem den Entwurf Andrea Maihofers über „Geschlecht als Existenzweise“. Es gelte, nicht weiterhin danach zu suchen, ob sich irgend etwas „Reales“ hinter dem „konstruierten“ Geschlecht verbirgt, sondern die Konstruktion als historisch gewordene (bzw. immer im Prozess des Werdens befindliche) und empfundene Realität zu betrachten und zu analysieren 2. So würde dann tatsächlich die Realitätsmacht der Konstruktionen sichtbar. So könnte gezeigt werden, wie Erfahrungen diskursiv präpariert sind und trotzdem von den ZeitgenossInnen als „authentisch“ empfunden werden. Maset verweist hier exemplarisch auf die frühneuzeitlichen Arbeiten Ulrike Gleixners, Katharina Simon-Muscheids und Monika Mommertz‘ 3.

Insgesamt führt Maset in diesen vier Untersuchungsfeldern überzeugend vor, wie intellektuelle Offenheit in der Begegnung mit den Schriften Foucaults neue und fruchtbare Perspektiven in die Geschichtsschreibung einbringen kann. Deutlich wird, dass dies allerdings die Loslösung vom Denken in bestimmten historiographischen „Schubladen“ sowie ein Interesse an Erkenntnisgewinn bedingt, der möglicherweise auch den bisherigen eigenen Blick auf Geschichte und Geschichtsschreibung in Frage stellt. Dies wäre dann die kritische Arbeit des historischen Denkens an sich selber, die Michel Foucault in seiner zweiten Studie über „Sexualität und Wahrheit“ gefordert hat 4. Dass sich in einer diskursanalytisch angelegten Geschichte im Sinne Foucaults keineswegs alles in Sprache auflöst, sondern vielmehr gerade die Denk- und die Handlungsweisen als ineinander verschränkt und in ihrer wechselseitigen Bedingtheit aufgezeigt werden, führt Maset immer wieder und in bestechender Klarheit aus. Besonders gut gelingt ihm dies mit Blick auf die Geschlechtergeschichte, und zwar meines Erachtens nicht zuletzt gerade deshalb, weil dort der Bezug auf die konkrete historische Forschung am deutlichsten ist. Letztlich verweist die besondere Stärke dieses Kapitels auch auf das Defizit der anderen analytischen Kapitel. Es wäre wünschenswert gewesen, die Darlegungen zum Machtkonzept, zur Wissenschaftsgeschichte und zur Begriffsgeschichte ebenfalls deutlicher an konkrete historische Forschungsarbeiten anzukoppeln. Die exemplarischen Ausführungen etwa zu den Untersuchungen Regina Schultes oder Achim Landwehrs 5 sind recht knapp gehalten, und in den historiographischen Abschnitten auf Foucaults eigene Arbeiten zu den „lettres de cachet“ oder zum „Fall Rivière“ zu verweisen, ist auch nicht wirklich hilfreich. 6 Gleichwohl mag dieses Defizit auch darin begründet liegen, dass die Decke historischer Forschung mit Foucault in vielen Bereichen auch außerhalb der Historischen Kriminalitätsforschung (aus deren weiterem Umfeld die bei Maset aufgeführten Forschungsarbeiten stammen) immer noch dünn ist. Doch gewiss wird Michael Masets Buch die derzeit ohnehin schon recht schwunghafte Foucaultrezeption weiter beschleunigen und dazu beitragen, dass die nächste Untersuchung dieser Art auf mehr konkrete Forschungsarbeiten zugreifen kann – wie gesagt: „Die einzige Aufmerksamkeit, die man gegenüber einem Denken [...] gelten lassen kann, besteht genau darin, es zu verwenden, es zu verformen, es knirschen und schreien zu machen.“ 7

Anmerkungen:
1 Michel Foucault, „Gespräch über das Gefängnis; das Buch und seine Methode (mit J.-J. Brochier, Juni 1975)“, in: Michel Foucault, Dits et Ecrits – Schriften in vier Bänden, Bd. 2: 1970-1975, Frankfurt a.M. 2002 (Paris 1994), S. 913-932.
2 Andrea Maihofer, Geschlecht als Existenzweise: Macht, Moral, Recht und Geschlechterdifferenz, Frankfurt a.M. 1995.
3 Ulrike Gleixner, ‚Das Mensch‘ und ‚der Kerl‘: Die Konstruktion von Geschlecht in Unzuchtsverfahren der Frühen Neuzeit, Frankfurt a.M. 1994; Katharina Simon-Muscheid, „Täter, Opfer und Komplizinnen – geschlechtsspezifische Strategien und Loyalitäten im Basler Mortthandel von 1502, in: Andreas Blautert; Gerd Schwerhoff (Hgg.), Kriminalitätsgeschichte: Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, 649-667; Monika Mommertz, „‘Ich, Lisa Thielen‘: Text als Handlung und als sprachliche Struktur – ein methodischer Vorschlag, in: Historische Anthropologie 4 (1996), S. 303-329.
4 Michel Foucault, Sexualität und Wahrheit, Bd. 2: Der Gebrauch der Lüste, Frankfurt a.M. 2000 (Paris 1984), S. 15f.
5 Regina Schulte, Das Dorf im Verhör: Brandstifter, Kindsmörderinnen und Wilderer vor den Schranken des bürgerlichen Gerichts Oberbayern 1848-1910, Reinbek 1989; Achim Landwehr, Policey im Alltag: Die Implementation frühneuzeitlicher Policeyordnungen in Leonberg, Frankfurt a.M. 2000.
6 Arlette Farge; Michel Foucault, Familiäre Konflikte: Die „Lettres de cachet“: Aus den Archiven der Bastille im 18. Jahrhundert. Frankfurt a.M. 1989; Michel Foucault (Hg.), Der Fall Rivière: Materialien zum Verhältnis von Psychiatrie und Strafjustiz, Frankfurt a.M. 1975.
7 Foucault, „Gespräch über das Gefängnis; das Buch und seine Methode“, S. 932.

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