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Titel
Dissoi Logoi. Zweierlei Ansichten. Ein sophistischer Traktat


Herausgeber
Scholz, Peter; Becker, Alexander
Reihe
Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 9
Erschienen
Berlin 2004: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
170 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Das Fragment der Dissoi Logoi ("Zweierlei Ansichten") gilt als eine eigenständige Schrift, die kurz nach 400 v.Chr. wahrscheinlich in Athen entstand. Überliefert ist sie als Annex der Schriften des kaiserzeitlichen Autors Sextus Empiricus. Als "talentlos" und "zweitrangig" bezeichneten Hermann Diels und andere diesen Anonymus. Demgegenüber wird hier die Bedeutung dieses Textes hervorgehoben: Sie resultiert aus dem Einblick, den er in die Lehrsituation und die konkrete Argumentationsstruktur sophistischer Debatten gibt und der von berühmten Sophisten wie Gorgias, Hippias oder Antiphon so nicht zu erhalten ist. In neun Kapiteln werden in einer Pro- und Contra-Argumentation verschiedene Themen dargestellt: 1. Über Gutes und Schlechtes; 2. Über Schickliches und Unanständiges; 3. Über Gerechtes und Ungerechtes; 4. Über Wahrheit und Falschheit; 5. Über die Dinge, ob sie sind oder nicht sind; 6. Über Klugheit und Tugend, ob sie lehrbar sind; 7. Über die Amtsträger, ob die Ämter durch das Los bestimmt werden sollen oder nicht; 8. Über die Allseitigkeit des Wissens; 9. Über das Gedächtnisvermögen. Mitten im 9. Kapitel bricht der Text ab, so dass sich nichts Sicheres über den Umfang und die inhaltliche Gesamtkonzeption sagen lässt.

Alexander Becker und Peter Scholz legen den Text auf der Basis der 1979 erschienenen Edition von Robinson 1 mit neuer Übersetzung, Kommentar und Erläuterung vor. Scholz leitet das Buch mit dem Beitrag "Philosophieren vor Platon - Zu den sozialen und politischen Entstehungsbedingungen der Dissoi Logoi" ein. Er geht darin der Frage nach, in welchem politischen Kontext diese spezielle Art des Argumentierens in Form der Gegensatzstruktur entstanden ist. Sie sei Teil der von ihm so genannten vorplatonischen Argumentationskultur und gehöre in den durch die Demokratieentwicklung des 5. Jahrhunderts v.Chr. neu abgesteckten Rahmen politischen Handelns. Sehr plausibel begründet er, wie das öffentliche Argumentieren als Teil der demokratischen Herrschaftsform das Aufkommen der professionellen Rhetorik und die Neuausrichtung der Philosophie vorrangig auf Ethik und Politik begünstigt habe. In den Themen der Dissoi Logoi und ihren spezifischen Gegensatzmustern, immer ausgerichtet an der Grundlinie nützlich/schädlich, schlägt sich ein "Rationalitätskult" nieder, der in den rhetorisch ausgefeilten und sophistisch geprägten Schauwettkämpfen nicht nur der Politiker (so z.B. die Redepaare bei Thukydides), sondern auch der Mediziner und der Philosophen zu erkennen ist. Scholz fügt einen kurzen Ausblick auf Platon an, bei dem die bewusste und dezidierte Abkehr von dieser politisch orientierten Argumentationskultur zu einer eigenen, auf moralische Prinzipien gegründeten Lebensform führte.

Dieser sehr übersichtlichen und fundierten Einführung folgen Text und Übersetzung (diese in einem leider wenig ansprechenden Schriftbild), im Anschluss daran kurze Erläuterungen der Einzelkapitel. Im folgenden Beitrag "Der sophistische Relativismus und die Dissoi Logoi" äußert Alexander Becker die Ansicht, dass der Autor der Dissoi Logoi dem Relativismus durchaus distanziert gegenüber steht. Seine Argumentationsstruktur ist keineswegs darauf ausgelegt, eine relativistische Position darzustellen; dies sei besonders deutlich daran zu erkennen, dass die Thesen für und gegen durchaus nicht immer die gleichen sind. Es geht dem Autor ganz offenbar auch darum zu zeigen, dass der Relativismus zu pragmatischen Widersprüchen führt, dass der Relativist also am Ende handlungsunfähig wird.

Insgesamt ist hervorzuheben, dass es den beiden Autoren hervorragend gelungen ist, die Bedeutung des Textes in philosophiehistorischer, aber vor allem in politischer Hinsicht herauszuarbeiten.

Anmerkungen:
1 Robinson, Thomas M. (Hg.), Contrasting Arguments - An Edition of the Dissoi Logoi, London 1979.

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