R. Klieber (Hrsg.): Die Bischöfe der Donaumonarchie

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Titel
Die Bischöfe der Donaumonarchie 1804 bis 1918. Ein amtsbiographisches Lexikon. Band I: Die röm.-kath. Kirchenprovinzen Gran, Kalocsa, Erlau im Königreich Ungarn


Herausgeber
Klieber, Rupert
Erschienen
Anzahl Seiten
XVIII, 661 S.
Preis
€ 99.90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Gottsmann, Istituto storico austriaco – Österreichisches Historisches Institut in Rom

Es mag überraschen, dass ein auf österreichische Initiative (Rupert Klieber, Universität Wien) entstandenes Bischofslexikon der Donaumonarchie in seinem ersten Band nicht mit dem Episkopat der österreichischen Reichshälfte, sondern mit demjenigen Ungarns beginnt. Erst der zweite Band, dessen Erscheinen für 2023 geplant ist, hat die Kirchenprovinzen Salzburg, Wien, Prag, Olmütz, Krakau und Lemberg zum Inhalt. Die Bände 3 und 4 werden in weiterer Folge die Bischöfe der Ostkirchen sowie diejenigen der südlichen Kirchenprovinzen der Monarchie behandeln. Das Werk wird Porträts aller 600 Bischöfe des Kaiserreichs Österreich (ab 1804 bis 1867) sowie Österreich-Ungarns (1867-1918) enthalten. Der vorliegende Band zu Ungarn deckt die römisch-katholische Kirchenhierarchie von aus heutiger Sicht drei Staaten ab: Ungarn, Rumänien und die Slowakei, die Biographien wurden von einem vierunddreißigköpfigen vorwiegend ungarisch-slowakischen Historikerteam erarbeitet.

Das Reihenkonzept steht für das Aufbrechen nationalstaatlicher Zugänge, denn drei Jahrzehnte nach dem Ende des Eisernen Vorhanges dominieren auch in der Historiographie immer noch nationalstaatliche Zugänge. Sprachbarrieren erschweren transnationale Forschungsansätze und die wechselseitige Rezeption von Forschungsergebnissen. Der vorliegende Band zu den Bischöfen Ungarns ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie solche Begrenzungen überwunden werden können. Dass dies kein leichtes Unterfangen ist, beschreibt der Herausgeber in seiner Einführung. Unterschiedliche Forschungszugänge, divergierende wissenschaftliche Traditionen, aber auch sprachliche Missverständnisse prallen aufeinander, die die Koordinatoren eines transnationalen Projekts zu moderieren und auszugleichen haben.

Das Forschungsprojekt wurde angeregt durch die von Erwin Gatz herausgegebenen Bischofslexika. Ein weiterer Anknüpfungspunkt war das Projekt zum „Frintaneum“, an dem der Herausgeber federführend mitarbeitete. Das Priesterseminar in St. Augustin bei Wien – quasi eine kaiserliche Theologische Hochschule – war ein Zentrum transnationaler kirchlicher Netzwerke in der Donaumonarchie.

Zum Formalen: Es werden ausführliche Porträts von 126 Bischöfen geboten und damit wird indirekt die Geschichte der 19 ungarischen Diözesen im langen 19. Jahrhundert erzählt. In der Zählung der Bistümer folgt der Herausgeber dem Schema der Kirchenkarte von Cölestin Wolfsgruber von 1900. Den Biographien vorangestellt sind umfassende Einleitungen zur Geschichte, Wirtschaft sowie zur nationalen und sozialen Zusammensetzung der jeweiligen Diözesen. Gebietsveränderungen – auch solche nach 1918 – werden genau beschrieben. Aufbereitet werden auch statistische Informationen, die zeigen, wie reich die kirchlichen Quellen an sozialgeschichtlichem Material sind.

Negativ bemerkbar macht sich der Verzicht auf erklärendes Kartenmaterial, sieht man von einigen wenigen Farbtafeln ab, auf denen die auf Ungarn bezogene Ausschnitte aus dem Werk Wolfsgrubers wiedergegeben werden. Eine Anregung für die künftigen Bände: Hilfreich wären in den Einleitungen zu den Diözesen Karten, die die jeweiligen Grenzen (und Gebietsveränderungen) zeigen. Befremdlich wirkt auf den ersten Blick auch die Eindeutschung der Vornamen. Klieber orientierte sich hier aber an der Praxis der kaiserlich-königlichen Schreibstuben in Wien, um nicht eine Büchse der Pandora zu öffnen: Die nationalen Zuschreibungen der einzelnen Kirchenfürsten waren oft unklar und änderten sich manchmal im Laufe eines Lebens. Eine „Vornamen-Konkordanz“ im Anhang entschärft das Dilemma. Ähnlich wird auch bei den Ortsnamen vorgegangen, auch hier wird – unter Anführung der gebräuchlichen „nationalsprachlichen“ Formen – der deutschen Form der Vorzug gegeben, was bei einem deutschsprachigen wissenschaftlichen Werk durchaus üblich ist. Die abschließenden Personen- und Ortsregister sind für einen derartigen Band selbstverständlich.

Es handelt sich um ein „amtsbiographisches“ Lexikon, d.h. – wie der Herausgeber einleitend schreibt –, um keine vollständigen Biographien, sondern die Amtszeit der Bischöfe steht im Mittelpunkt. Dies ist ein Understatement, denn geboten werden sehr umfassende Informationen, die einen Vergleich mit anderen biographischen Lexika keineswegs zu scheuen haben. Reiches Bildmaterial zu einzelnen Bischöfen und nebenstehende kurze biographische Zusammenfassungen runden den Band sehr gelungen ab.

Zum Inhaltlichen: Der Bevölkerungsanstieg im 19. Jahrhundert führte zu demographischen, damit aber auch zu konfessionellen Verschiebungen, die der Herausgeber in den Einleitungen zu den einzelnen Bistümern ausführlich thematisiert. Insgesamt ergibt sich dadurch ein sehr schlüssiges Gesamtbild. Drei zentrale Punkte seien herausgegriffen:

(1.) Die weitgehenden kirchlichen Befugnisse des Königs, die im 19. Jahrhundert sogar noch ausgebaut wurden. Zu diesen Rechten zählten neben den Bischofsernennungen auch die Errichtung und Aufhebung von Bistümern sowie die Zulassung und Aufhebung von Orden. De facto wurden diese Rechte nach dem Ausgleich vom ungarischen Kultusminister ausgeübt. Die Bischöfe waren nicht zuletzt durch ihre Sitze im Magnatenhaus politisch bestens vernetzt. Auch am Ersten Vatikanischen Konzil nahm der ungarische Episkopat eine herausragende Stellung ein. Dieser Vernetzung des Episkopats sollte noch näheres Augenmerk zugewendet werden. Viele Bischöfe hatten in Wien, einige auch in Rom studiert und kannten ihre Amtskollegen aus der cisleithanischen Reichshälfte persönlich, auch die Ordensnetzwerke spielten eine Rolle. Eine Auswertung durch eine abschließende Netzwerkforschung unter Einbeziehung der Ergebnisse des Frintaneum-Projekts würde einen zusätzlichen Mehrwert bieten.

(2.) Die „alten“ Bistümer, größtenteils in der Zeit von König Stephan dem Heiligen gegründet, verfügten über umfangreichen Grundbesitz. Die später unter Maria Theresia und Franz I. hinzugekommenen Diözesen mussten sich hingegen auf ein ökonomisches Mindestmaß beschränken und waren daher nur die erste Stufe einer Bischofskarriere bzw. eine Durchgangsposition in eine besser dotierte Diözese. Viele Kirchenfürsten investierten beträchtliche Mittel in die kirchliche Infrastruktur, in Sozialeinrichtungen sowie in Kunst, Kultur und Wissenschaft. Bis heute zeugen die Kathedralanlagen von Gran, Waitzen und Erlau von diesem Reichtum. Doch auch von „schwarzen Schafen“ ist die Rede, von Bischöfen, die sich nicht der Seelsorge widmeten, sondern vor allem ihrem fürstlichen Lebensstil, womit sie ihre Bistümer nachhaltig schädigten.

(3.) Der äußerst vielschichtige soziale, nationale und politische Hintergrund der Oberhirten wird deutlich. Ein gutes Drittel entstammte hochadeligen Familien, die anderen waren bürgerlicher Herkunft und ein Fünftel kam aus ärmlichen bäuerlichen Verhältnissen. Die Kirchenkarriere konnte trotz einfacher Herkunft bis zum Amt des Primas führen, wie das Beispiel von Klaudius Vaszary zeigt. Das gilt auch für den nationalen Hintergrund: Sein Vorgänger, Johann Scitovszky, stammte aus bescheidenen slowakischen Verhältnissen und der letzte hier behandelte Primas, Johann Csernoch, war ebenfalls slowakischer Abstammung. Die nationale Durchmischung betraf fast alle Diözesen, denn selbst in den magyarischen Kerngebieten waren sprachlich gemischte Pfarren keine Seltenheit. Beeindruckend ist die sprachliche Gewandtheit vieler Bischöfe. Nicht wenige spielten eine bedeutende Rolle für die Identitätsfindung der Nationalitäten, vor allem der Slowaken. Manche wurden aber auch zu kompromisslosen Magyarisierern – das betrifft vor allem die letzte, vor dem Weltkrieg ernannte Generation. Das Bild einer den national-liberalen ungarischen Regierungen willfährigen Kirche wird dennoch zurechtgerückt. Nationale Kriterien spielten für die Ernennung der Bischöfe kaum eine Rolle, bis zur Jahrhundertwende sprachen die meisten Oberhirten die Sprachen der Gläubigen. Die Mehrzahl der Bischöfe tritt uns als Förderer der Volksbildung, des muttersprachlichen Unterrichts und der Volks- und Hochkultur entgegen. Es war nicht zuletzt der seelsorgerliche Anspruch, der zur Förderung nationaler Identität beitrug. Auch in politischer Hinsicht ist das Bild des Episkopats vielfältig: Einzelne unterstützten 1848/49 die revolutionäre Regierung gegen Habsburg, einige standen den national-liberalen ungarischen Regierungen nach 1867 nahe. Im Gefolge der gescheiterten Revolution von 1848 wurden Bischöfe sogar zum Tode verurteilt, dann aber zum Exil in österreichischen Klöstern begnadigt.

Es sind nicht zuletzt die persönlichen Geschichten und Verbindungen, die faszinieren: Etwa der deutschstämmige, politisch und im Kulturleben gut vernetzte Ladislaus Pyrker, der zunächst für die Zips ernannt wurde, dann als Patriarch und „Krisenmanager“ von Kaiser Franz I. in das ökonomisch zerrüttete Venedig entsandt wurde und schließlich als Metropolit von Erlau nach Ungarn zurückkehrte. Oder der aus Niederösterreich stammenden August Fischer Colbrie, Bischof von Kaschau, der von den Ungarn des Österreichertums beschuldigt und später von der tschechoslowakischen Regierung als „Ungar“ gebrandmarkt wurde, dann aber aufgrund seiner Beliebtheit bei den Gläubigen und seines politischen Geschicks das Vertrauen der Regierung gewinnen konnte.

Der erste Band des Bischofslexikons ist durch die hervorragend recherchierten Biographien und Diözesangeschichten nicht nur für Kirchenhistoriker von großem Wert. Es wird ein beeindruckender Einblick in die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Ungarns im 19. Jahrhundert geboten, dem Herausgeber kann dazu nur gratuliert werden.

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