I. Rollé Ditzler: Der Senat und seine Kaiser im spätantiken Rom

Cover
Titel
Der Senat und seine Kaiser im spätantiken Rom. Eine kulturhistorische Annäherung


Autor(en)
Rollé Ditzler, Ilse
Reihe
Spätantike – Frühes Christentum – Byzanz. Unterreihe B: Studien und Perspektiven 47
Erschienen
Wiesbaden 2020: Reichert Verlag
Anzahl Seiten
436 S., 86 Tafeln
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hendrik A. Wagner, Institut für Klassische Altertumskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Ilse Rollé Ditzler legt mit ihrer Münchner Dissertation im Fach „Spätantike und byzantinische Kunstgeschichte“ eine Studie zum Verhältnis zwischen Senat und Kaiser in der Spätantike vor. Gerade in jüngster Zeit haben solche Arbeiten Konjunktur: Zu denken ist hier an die zuletzt erschienen Forschungsbeiträge von Meurer (2019), Hächler (2019), Machado (2019) und Begass (2018).1 Im Besonderen dürfte man beim Titel der Arbeit von Rollé Ditzler an Rene Pfeilschifters Studie „Der Kaiser und Konstantinopel“2 denken; der Titel lässt erwarten, dass es hier um die politische Kommunikation zwischen spätantikem Kaiser und Senat ginge und auch eine Auseinandersetzung mit Flaigs „Akzeptanzsystem“ erfolge. Doch die Fragestellung der Arbeit weist in eine andere Richtung: „Funktion und Relevanz des Römer [sic] Senats“ sollen hier „als sozio-kulturelles, evolutives Konstrukt im Rahmen spezifischer gesellschaftspolitischer Wandlungen vom 1. bis ins 5. Jh.“ (S. 21) erfasst werden, wobei Rollé Ditzler im Besonderen die Frage klären will, „ob und wie ‚Republikanismen‘ weitergewirkt haben“ (S. 22). Damit wird auch deutlich, dass die Analyse nicht auf die Spätantike beschränkt bleibt, sondern fünf Jahrhunderte überblickt. Dies zwingt Rollé Ditzler allerdings zu einem problematischen „Eklektizismus“ (S. 24), der die Auswahl der Quellen, Themenfelder und Forschungskontroversen betrifft und leider auch einschlägige Forschungsarbeiten unberücksichtigt lässt.3

Im Kapitel „Ansichten und Perspektiven in den Altertumswissenschaften“ (S. 25–73) dient Mommsens Dyarchie-Modell als Exposition, welches Rollé Ditzler auch auf die Spätantike überträgt und damit Prinzipatszeit und Spätantike als einen „kosmologischen Einheitsraum“ (S. 73) begreifen will. Daneben setzt sie vor allem auf die Forschungsergebnisse Chastagnols (S. 46–52) und folgt damit dem positivistischen Ansatz in der Forschung, der die Bedeutung des Senats und der Senatsaristokratie auch für die Spätantike betont. Wichtig und methodisch korrekt wäre es gewesen, wenn Rollé Ditzler an dieser Stelle ihre Terminologie definiert hätte, denn nachfolgend wird nicht klar, wen oder was sie genau erforschen möchte: Zwischen dem Senat als Gremium und der Senatsaristokratie (ordo senatorius) sowie den west- und oströmischen Verhältnissen wird so nicht angemessen differenziert.

Im zweiten Teil „Basso continuo: res publica und exempla“ (S. 74–203) nimmt Rollé Ditzler verschiedene Handlungsfelder des Senats bzw. der Senatsaristokratie in den Blick. Nach einer Einführung zum augusteischen Prinzipat werden Fallbeispiele für die Gesetzgebung und die Kaisermemoria, die Provinz- und Reichsadministration, die senatorische Netzwerke sowie die Religions- und Kulturpflege benannt. Abgeschlossen wird die Zusammenschau mit „Facetten einer ‚Theologie des Sieges‘“, worunter vor allem aber die Steuermodi, Geldspenden und Tribute angeführt werden, ohne Veränderungen im Untersuchungszeitraum, die es sehr wohl gab, angemessen zu berücksichtigen.4 Es bleibt bei einer summarischen und selektiven Auflistung von Fallbeispielen und Zeugnissen aus fünf Jahrhunderten, wobei jeder einzelne Fall für sich eine intensivere Auseinandersetzung mit den Quellen und den Forschungskontroversen sowie eine genauere historische Kontextualisierung erfordert hätte. Entwicklungs- und Veränderungsprozesse werden kaum berücksichtigt. Dies fällt besonders auf, wenn zum Thema Religion die Christianisierung und der Wandel der Eliten- und Herrscherdistinktion komplett unberücksichtigt bleiben. Das Bild eines Kontinuums von Augustus bis Justinian entsteht so nicht, gerade weil das Gesamtbild so lückenhaft erscheint. Zum Widerspruch fordert überdies die abschließende Feststellung auf: „Die Zukunft (die sogenannte Spätantike) wird allerdings nicht gestaltet, sondern sie geschieht einfach – durch träge Anpassungsprozesse oder markante Schocks, …“ (S. 203).

Der dritte Teil „Variationen, Digressionen, Konstrukte in Raum und Zeit“ (S. 204–353) ist chronologisch aufgebaut und bespricht die zweite Hälfte des 3. Jahrhunderts sowie in kleineren Schritten die „Generation 300“, „330“, „350“, „380“ und „400“, womit das 5. und das 6. Jahrhundert weitestgehend aus der Betrachtung herausfallen. Ob hierbei die Herrschaft des Gallienus als „Tiefpunkt“ (S. 214) zu verstehen ist, wird man bezweifeln dürfen, zumal die Reformversuche dieses Kaisers und die aktuellen Forschungen zu diesem Thema fast komplett übergangen werden.5 Der Versuch, die Herrschaft Konstantins als Fortsetzung tetrarchischer Herrschaftspraxis zu verstehen (S. 280), erscheint schwierig angesichts der politischen und auch religiösen Distanzierung Konstantins von den Tetrarchen. Aufzuhorchen ist, wenn anschließend der Rombesuch Constantius II. als „gelungen“ bewertet wird (S. 290).6 Rollé Ditzler betrachtet hier aber auch weniger die literarische Überlieferung (bei Ammianus) als vielmehr architektonische Zeugnisse, wie etwa den sog. Janusbogen auf dem Forum Boarium oder den neuen Obelisken im Circus Maximus, die für eine Bewertung aber weitweniger ergiebig erscheinen. Die sog. „Generationen“ der Senatoren des 4. Jahrhunderts bleiben unscharf, da abgesehen von Themistius und Symmachus kaum weitere senatorische Akteure berücksichtigt werden. Überdies fällt bei der Besprechung gerade dieser beiden senatorischen Protagonisten auf, dass zwischen dem Senat im Westen und in Constantinopel nicht ausreichend unterschieden wird. Problematisch ist auch der unterstellte Dualismus zwischen christlichem Kaiser und „paganem“ Senat, wird doch dabei der einflussreiche christliche Teil der Senatsaristokratie im 4. Jahrhundert übersehen; man denke etwa an die Vertreter der gens Anicia. Der Senat des 5. Jahrhunderts wird dann stark verkürzt an einigen ausgewählten Quellen (insbesondere Diptychen) besprochen. Insgesamt bleibt auch in diesem Teil die Zusammenschau zu selektiv und gerade für die Zeit des Honorius und Valentinians III. wenig aussagekräftig.

Diese Arbeit kommt somit über eine Annäherung an viele spannende Themenfelder und Fragen nicht hinaus. „Republikanismen“ werden zwar an zahlreichen Beispielen verifiziert, doch die Veränderungen, Brüche und Neuerungen, die es in 500 Jahren Senatsgeschichte sehr wohl gab, kaum erfasst. Infolgedessen ist anzuzweifeln, dass sich „das Erfolgsmodell der res publica restituta als Dauerzustand in einem Kontinuum von Brutus über Augustus bis zur jeweiligen Jetzt-Zeit“ (S. 358) bestätigt habe, so wie dies die Autorin abschließend konstatiert. Hier hätte Rollé Ditzler deutlich mehr gewinnen können, wenn sie sich in der Breite beschränkt hätte und dafür analytisch mehr in die Tiefe gegangen wäre, Entwicklungsprozesse und Veränderungen erfasst und die „Generationen“ durch prosopographische Einzelstudien in ihrem gesellschaftlichen und politischen Wandel auch greifbar gemacht hätte. Die Materialsammlung stellt allerdings, gerade weil die archäologischen Quellen umfangreich mit einbezogen, beschrieben und ausgewertet werden, einen besonderen Wert der Studie dar. Hierauf werden wohl nachfolgende Studien, die sich mit der spätantiken Senatsaristokratie und dem Senat befassen, aufbauen können und zahlreiche interessante Anregungen finden.

Anmerkungen:
1 Tabea L. Meurer, Vergangenheit verhandeln. Spätantike Statusdiskurse senatorischer Eliten in Gallien und Italien, Berlin 2019; Nikolas Hächler, Kontinuität und Wandel des Senatorenstandes im Zeitalter der Soldatenkaiser. Prosopographische Untersuchungen zu Zusammensetzung, Funktion und Bedeutung des amplissimus ordo zwischen 235–284 n. Chr., Leiden 2019; Carlos Machado, Urban Space and Aristocratic Power in Late Antique Rome: AD 270–535, Oxford 2019; Christoph Begass, Die Senatsaristokratie des oströmischen Reiches, ca. 457–518. Prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen, München 2018. Vgl. ferner Adolfo La Rocca / Fabrizio Oppedisano (Hrsg.), Il senato romano nell’Italia ostrogota, Roma 2016 (alle hier unberücksichtigt). An älteren Forschungsarbeiten sind besonders zu nennen: John F. Matthews, Western Aristocracies and Imperial Court, AD 364–425, Oxford 1975; Henrik Löhken, Ordines dignitatum. Untersuchungen zur formalen Konstituierung der spätantiken Führungsschicht, Köln 1982; Christoph Schäfer, Der weströmische Senat als Träger antiker Kontinuität unter den Ostgotenkönigen (490–540 n. Chr.), St. Katharinen 1991; Beat Näf, Senatorisches Standesbewußtsein in spätrömischer Zeit, Freiburg i. S. 1995; Dirk Schlinkert, Ordo senatorius und nobilitas. Die Konstitution des Senatsadels in der Spätantike. Mit einem Appendix über den praepositus sacri cubiculi, den „allmächtigen“ Eunuchen am kaiserlichen Hof, Stuttgart 1996; Dirk Henning, Periclitans res publica. Kaisertum und Eliten in der Krise des Weströmischen Reiches 454/5–493 n. Chr., Stuttgart 1999.
2 Rene Pfeilschifter, Der Kaiser und Konstantinopel. Kommunikation und Konfliktaustrag in einer spätantiken Metropole, Berlin 2013, S. 452–510 (zu den „Eliten“ und dem Senat). Die Arbeit bleibt unberücksichtigt.
3 Neben der bereits angemerkten Forschungsliteratur fehlen z.B. auch John Weisweiler, State Aristocracy. Resident Senators and Absent Emperors in Late Antique Rome, c. 320–400, Diss. Cambridge 2010 oder Michael T. W. Arnheim, The Senatorial Aristocracy in the Later Roman Empire, Oxford 1972.
4 Auch hier sind die einschlägigen Werke unberücksichtigt, z.B. Jean Durliat, Les finances publiques de Dioclétien aux Carolingiens (284–889), Sigmaringen 1990; Roland Delmaire, Les responsables des finances impériales au Bas-Empire (IVe–VIe s.), Brüssel 1989 oder Mireille Corbier, L’ aerarium Saturni et l’ aerarium militare. Administration et prosopographie sénatoriale, Rome 1974.
5 Vgl. Sophie Röder, Kaiserliches Handeln im 3. Jahrhundert als situatives Gestalten. Studien zur Regierungspraxis und zu Funktionen der Herrschaftsrepräsentation des Gallienus, Berlin 2019 (unberücksichtigt); Michael Geiger, Gallienus, Frankfurt 2013, bes. S. 311–349; Andreas Goltz / Udo Hartmann, Valerianus und Gallienus, in: Klaus-Peter Johne (Hrsg.), Die Zeit der Soldatenkaiser. Krise und Transformation des Römischen Reiches im 3. Jahrhundert n. Chr., Berlin 2008, S. 223–295, bes. 294f.; Hans-Georg Pflaum, Zur Reform des Kaiser Gallienus, in: Historia 25 (1976), S. 109–117 (unberücksichtigt).
6 Auf das Problem des militärischen Habitus in Rom wird hier gar nicht eingegangen. Deutlich negativer bewerten z.B. Meurer, Vergangenheit, S. 75–77; bes. Claudia Klodt, Die Herrschergestalt, der Kaiserpalast und die Stadt Rom: Literarische Reflexionen monarchischer Selbstdarstellung, Göttingen 2001, S. 63–96 sowie Hartwin Brandt, Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Diokletian und Konstantin bis zum Ende der konstantinischen Dynastie (284–363), Berlin 1998, S. 153–158 (unberücksichtigt).

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