J. Stobart (Hrsg.): Comforts of Home

Titel
The Comforts of Home in Western Europe, 1700–1900.


Herausgeber
Stobart, Jon
Erschienen
London 2020: Bloomsbury
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
£ 85.00; € 99,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Henning Bovenkerk, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Der von Jon Stobart herausgegebene Sammelband „The Comforts of Home in Western Europe, 1700–1900“ befasst sich mit der Frage, was Komfort - oder genauer: was häuslichen Komfort – an der Schwelle der Frühen Neuzeit zur Moderne ausgemacht hat. Er sucht nach dem Verhältnis von Komfort und häuslicher Umgebung in der Frühen Neuzeit aus paneuropäischer Perspektive, wenngleich er einen starken Fokus auf den angelsächsischen Raum legt. Der Band nimmt hierfür sowohl die Architektur der untersuchten (Wohn-)Häuser als auch die in ihnen enthaltenen materiellen Objekte in den Blick. Selbstgesetzter Anspruch des Bandes ist die Auseinandersetzung mit zwei zentralen Untersuchungsgegenständen: Erstens will er den transformativen Einfluss von Komfort – also die Veränderungen, die die Erzeugung von mehr Komfort mit sich bringen – auf das häusliche Leben in seinen zeitlichen und geografischen Dimensionen untersuchen. Zweitens werden die Zusammenhänge zwischen Beziehungen, Emotionen, und Objekten genauer betrachtet, um das komplexe Zusammenspiel von Materiellem und Emotionalem, Dingen und Personen, Körper und Geist und dessen Einfluss auf die Ausgestaltung des Komforts offen zu legen.

Stobart hat dafür Autor/innen aus verschiedenen historischen Fachdisziplinen – Architektur-, Kultur-, Sozial-, Literaturgeschichte – gewinnen können, die sich auf unterschiedliche Weise mit den „comforts of home“ beschäftigen. Dementsprechend vielseitig fallen die Beiträge aus, die sich aus zwei unterschiedlichen Arten von Texten zusammensetzen. Auf der einen Seite handelt es sich um längere erläuternde Forschungsbeiträge, die einen thematischen Schwerpunkt im Feld des häuslichen Komforts legen. Andererseits sind es eine oder mehrere kurze Fallstudien, die zu den längeren Beiträgen pointiert einzelne Aspekte des Teilbereichs beleuchten. Die Fallstudien teilen sich wiederum in Beiträge, die einzelne Objekte („Objects in focus“) oder den Umgang einzelner Personen mit Dingen des Komforts („People in focus“) betrachten. In einem Zusammenspiel der Beitragsarten soll so ein möglichst ganzheitliches Bild des häuslichen Komforts über den Zeitraum von 1700 bis 1900 in Westeuropa erzeugt werden. Die Beiträge sind dabei in zwei Sektionen geteilt, die sich an den zwei zentralen Leitfragen orientieren: In der ersten („The convenient house: Architectural ideals and practicalities“) werden Einflüsse des architektonischen Designs auf das physische und psychische Wohlbefinden beleuchtet. Die Beiträge umfassen eine thematische Bandbreite vom Zusammenhang von Raumaufteilung und Komfort, über die Frage nach der „angemessenen Raumausstattung“ bis hin zu dem Einfluss der Temperaturregulation auf die zeitgenössische Komfort-Erfahrung. Der zweite Teil („Home making: Objects and emotions“) beschäftigt sich mit unterschiedlichen Objekten in (früh-)neuzeitlichen Haushalten und deren emotionaler Aufladung, etwa als Erinnerungsstücke an Familienmitglieder oder Zurschaustellung des Stammbaums. Auch hier zeigt sich eine mannigfaltige Auswahl an behandelten Themen, von niederländischen Reiseberichten der Grand Tours, über die materielle Ausstattung viktorianischer Soldaten und Baracken, bis hin zur Betrachtung einzelner „Objektgruppen“, wie Tapeten oder Haustiere. Bei den gewählten Forschungsfragen und der Zweiteilung des Bandes ist es offensichtlich, dass die Thematiken der beiden Abschnitte nicht trennscharf voneinander zu unterscheiden sind. So verwundert es auch nicht, dass in beiden Teilen Aspekte des jeweils anderen angerissen und besprochen werden.

In der Einleitung zeichnet der Herausgeber die Bedeutungsentwicklung des englischen Begriffs „comfort“ in der Neuzeit nach. Zu Beginn des 18. Jahrhunderts noch in der Bedeutung eines emotionalen Wohlbefindens beziehungsweise als Verb den Zustand des Wohlbefindens für andere erzeugend verwendet, habe er ins 19. Jahrhundert hinein eine Bedeutungserweiterung, auch durch Austausch und Rezeption mit anderen europäischen Sprachen, erfahren. Neben dem emotionalen Wohlbefinden habe der Begriff nun auch Bedeutungen, wie die Erzeugung materieller Behaglichkeit und physischer Bequemlichkeit beinhaltet. Beide Aspekte, emotionaler wie materieller Komfort, seien schließlich konstituierend für den Unterschied zwischen „house“, verstanden lediglich als ein physischer Aufenthaltsort, und „home“, einem emotionalen Bezugs- und Rückzugsort. In diesem Spannungsfeld zwischen materieller Ausstattung und emotionalem Konnex bewegen sich die anschließenden Beiträge.

Dies sowie das Vorgehen des Bandes, das auf der Verzahnung der Beiträge auf unterschiedlichen analytischen Ebenen basiert, wird deutlich bei den Beiträgen von Jane Hamlett, Patricia Ferguson und Laika Nevalainen, die sich thematisch dem „home making“ widmen. Hamlett untersucht hierfür einführend die Erzeugung von emotionalem Komfort – verstanden als das Gefühl ein „zu Hause“ („home“) zu erzeugen – für Frauen der mittleren und oberen Bevölkerungsschichten im viktorianischen Großbritannien am Beispiel der „drawing rooms“, einer Art Wohnzimmer. Hierbei betont sie die elementare Rolle der Frau bei der Schaffung von emotionalem durch materiellen Komfort, was unter anderem als Grundlage für eine funktionierende Ehe angesehen wurde. Der „drawing room“ als primärer Rückzugsort für die Frau habe dabei eine Vorreiterrolle eingenommen, da Gestaltung und Art der Nutzung mehr oder weniger ausschließlich den Ehefrauen unterlag: Sie wählten das Interieur aus und arrangierten es so, dass es materiellen wie emotionalen „comfort“ erzeugte. Auch in Bezug auf die Nutzung konnten sie ähnliches erzielen, etwa wenn er als intimere Alternative zum „dining room“ gewählt wurde.

Dem Beitrag sind zwei Fallstudien aus der Objekt-Perspektive zur Seite gestellt: Fergusons Studie widmet sich einem Puppenhaus aus West Sussex von 1732, während Nevalainens die Wohnungen von männlichen Junggesellen in Finnland an der Grenze des 19. zum 20. Jahrhundert untersucht. Ferguson beschreibt, wie die Miniaturen des Puppenhauses bestimmte materielle Annehmlichkeiten und Komfort auf physischer Ebene widerspiegeln. Das Modellhaus lasse dabei jedoch nur eine spezielle Sicht auf Komfort zu, da Bereiche wie Körperhygiene oder Unterbringung der Dienerschaft ausgeblendet würden. Es diene so genau dem Zweck, nur eine besondere Form von materiellem Komfort zur Schau zu stellen; und weniger emotionalen Komfort für die Besitzerin zu erzeugen. Nevalainen betont hingegen, wie finnische Junggesellen auf engstem Raum kleiner 1- oder 2-Zimmerappartements nicht nur häuslichen, physisch-materiellen Komfort herstellten. Darüber hinaus hätten sie durch das „outsourcen“ von Hausarbeit, wie Nahrungsmittelzubereitung oder Wäsche, an Familienmitglieder und die Nutzung öffentlicher Saunen und Bäder, Restaurants, Cafés und Clubs mentales Wohlbefinden erzeugen können. So hätten die Junggesellen selbst mit „eingeschränkten“ Ressourcen schließlich das Gefühl eines eigenen „Zuhauses“ geschaffen.

In der Gesamtbetrachtung funktioniert die Verbindung der Beiträge größtenteils gut und sie gliedern sich thematisch immer in die gemeinsamen Referenzrahmen des „häuslichen Komforts“ und der behandelten Teilaspekte ein. Diese Schwerpunkte, gemeinsam mit der Kombination der Forschungsbeiträge und den kürzeren Fallstudien stellen wiederum stimmig zusammengestellte Einheiten dar. Kritisch hinterfragt werden kann sicherlich die teilweise große zeitliche und geografische Disparität der Beiträge, die, wie auch den Autor/innen bewusst ist, in einer Zeit großen Wandels nicht unterschätzt werden darf. Dem hohen weiteren Anspruch einer paneuropäischen Erklärung für die Veränderung des Komforts kann der Band daher nur teilweise gerecht werden. Demgegenüber werden die prozesshaften Veränderungen durch Komfort und die Zusammenhänge von materiellem und emotionalem Komfort, gerade durch die Kombination von Forschungsbeiträgen und Fallstudien, für einzelne Regionen und Zeiträume klar herausgestellt. Der lesenswerte Band bietet damit nicht nur eine bereichernde Ergänzung der bestehenden Forschungsliteratur, sondern auch eine Reihe von Anknüpfungspunkten zu anderen Forschungsbereichen. Hingewiesen sei hier stellvertretend auf die – auch in den Beiträgen angesprochene – Forschung zur Konsumrevolution, die von den neuen Einsichten nur profitieren kann.

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