M. Brumlik: Preußisch, konservativ, jüdisch

Cover
Titel
Preußisch, konservativ, jüdisch. Hans-Joachim Schoeps´ Leben und Werk


Autor(en)
Brumlik, Micha
Erschienen
Köln 2019: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Philipp Nielsen, Department of History, Sarah Lawrence College New York

An Hans-Joachim Schoeps’ Leben „zeigen sich beispielhaft jene Wünsche, Widersprüche und Enttäuschungen, die deutsche Juden im zwanzigsten Jahrhundert hegten und verarbeiten mussten“, ist auf dem Klappentext von Micha Brumliks neuem Buch zu lesen. Brumlik, Senior Advisor am Selma Stern Zentrum für Jüdische Studien Berlin/Brandenburg und Professor Emeritus für Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, nimmt Schoeps’ Biographie zum Anlass, über diese „Wünsche, Widersprüche und Enttäuschungen“ zu reflektieren. Schoeps, ein jugendbewegter Konservativer in der Weimarer Republik, kehrte nach seinem Exil in Schweden als Remigrant zwar nicht mehr ganz so jugendlich, dafür immer noch jugendbewegter und eher noch konservativer in die Bundesrepublik zurück. Er war in vielfacher Hinsicht ein ungewöhnlicher deutscher Jude, wie Brumlik eindrücklich darstellt. Dies bedeutet zweierlei für Brumliks Reflexionen. Dort, wo sie bei Schoeps bleiben, beleuchten sie einen eher spezifischen Aspekt deutsch-jüdischer Geschichte. Dort, wo sie auf breitere Fragen eingehen, lösen sie sich von Schoeps. In beiden Fällen schreibt Brumlik anregend und für die Leser/innen gewinnbringend – auch wenn sie keine klassische Biographie erwarten sollten. Es geht Brumlik nicht um eine erschöpfende Nachzeichnung der biographischen Stationen Schoeps’, der 1909 in Berlin geboren wurde und 1980 in Erlangen starb.

Vielmehr konzentriert sich der Autor zum einen auf die Sozialisation seines Protagonisten in der Jugendbewegung und zum anderen auf seine Einbindung und sein Wirken in den konservativen Kreisen der Bundesrepublik. Brumliks Fokus ist hierbei eher ideengeschichtlich als sozialgeschichtlich. In seinen grob chronologisch geordneten neun Kapiteln behandelt Brumlik Schoeps’ Gedanken und Schriften zu Jugend, Judentum, Homosexualität und Politik. Gelegentlich hätte man sich eine stärkere Einbettung dieser Gedanken in Schoeps’ soziale Kontexte und Praktiken, und diese wiederum stärker in ihrer Zeit und auch in Schoeps’ Biographie gewünscht. Brumlik liegt aber die weitere Reflexion über die Ideen und Positionen näher am Herzen, die in Schoeps’ Schriften inhärent sind.

Große Aufmerksamkeit widmet der Autor Schoeps’ theologischen Überlegungen und seiner wissenschaftlichen Forschung. Damit hilft er, den Blick über sein Engagement in Jugendbewegung und Politik in der Weimarer Republik und dem Dritten Reich hinaus zu lenken, worauf sich die Forschung bisher konzentriert hat.1 Ausführlich Schoeps’ Ausführungen zu diesem Thema zitierend, stellt Brumlik dessen Einfluss auf die Erforschung des Judenchristentums eindrücklich dar. Hier fächert Brumlik den ideengeschichtlichen Rahmen von Schoeps weit auf. Diese Passagen zu Schoeps’ auch nicht immer unumstrittenen theologischen Studien erlauben es Brumlik, ein Bild von Schoeps als Wissenschaftler zu zeichnen, das zu häufig von seiner politischen Polemik verdeckt wurde und wird.2 Auch in Bezug auf Schoeps’ Ideen zu Jugendbewegungen und jüdischer Maskulinität offeriert Brumlik neue Perspektiven.

Gelegentlich führen Brumlik diese weiter ausgreifenden und anregenden Exkurse recht weit weg von seinem Protagonisten. Auf den ersten zehn Seiten des dritten Kapitels zum Beispiel widmet sich Brumlik erst einer 1934 in Schoeps’ Vortrupp Verlag erschienenen Erzählung des jüdischen Arztes Max Samter, der 1937 in die USA emigrierte, hier aber noch Verständnis für die Ziele des Nationalsozialismus ausdrückte. Samters Text bietet Brumlik die Gelegenheit, Schoeps und dessen politische Ideen zur selben Zeit zu kontextualisieren. Dies geschieht, wie auch an anderer Stelle, allerdings eher implizit. Schoeps selbst tritt beinahe nicht in Erscheinung. Die folgende mehrseitige Passage zu Immanuel Kants Einfluss auf Hermann Cohen führt wiederum erst zum Ende und ebenfalls eher indirekt zurück zu Schoeps und dessen Geschichts- und Menschenbild. Beide Ausführungen sind durchaus anregend. Sie zeigen aber einmal mehr, dass Brumlik nicht in erster Linie eine Biographie Schoeps’ schreibt, sondern dessen Leben nutzt, um – wie, so der Titel dieses Kapitels – über „die Möglichkeit deutsch-jüdischer Existenz“ nachzudenken.

An anderer Stelle verhilft Brumlik dem außerhalb literaturwissenschaftlicher Kreise wenig bekannten Oskar Baum, Mitglied des Prager Kreises um Max Brod und Franz Kafka, und dessen Schriften über jüdische Maskulinität innerhalb der Debatte zu jenem Thema in den 1920er-Jahren zu neuer Sichtbarkeit. Allerdings geschieht dies im Kapitel zu Schoeps’ Einsatz für die Entkriminalisierung der männlichen Homosexualität im Nachkriegsdeutschland. Hier wäre vielleicht ein Hinweis auf die Bemühungen des anderswo durchaus erwähnten hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer aufschlussreicher für eine Verortung Schoeps’ und seiner Positionen gewesen – hatte dieser sich doch ebenfalls um die Abschaffung des Paragraphen 175 bemüht.

Ausführlicher und gewinnbringend kontextualisiert Brumlik Schoeps’ Reaktion auf die Studentenbewegung von 1968. Hier macht der Autor deutlich, wie sehr Schoeps mit seinem Monarchismus nicht nur in deutsch-jüdischen Kreisen aus der Zeit gefallen war und dabei auch keinen Anschluss an sich entwickelnde neo-konservative Kreise fand.

Leider wird dieses Nachdenken häufig durch das nachlässige Lektorat gestört, das bei weitem nicht so sorgfältig ausgefallen ist, wie es dieses Buch verdient hätte. Im angesprochenen letzten Kapitel zu Schoeps’ Antwort auf die Studentenbewegung, aber nicht nur dort, wimmelt es von Wiederholungen, Druck- und teilweise auch leicht zu vermeidenden Sachfehlern. Einige teils längere Passagen werden mehrfach über das Buch verteilt als neue Information wiedergegeben. Eine halbe Seite wird wortwörtlich auf S. 36 und S. 97 wiederholt, gefolgt vom jeweils, bis auf ein Wort, identischen Blockzitat. Andere Zitate wiederum werden durch anscheinend ausgelassene Wörter unverständlich oder so verkürzt, dass die Formulierungen, auf die sich Brumlik in seiner Analyse bezieht, nicht mehr Teil von ihnen sind (S. 73, S. 100, S. 231). Zwei Kapitel, darunter dieses letzte, enden mit Ausführungen zu Personen, die für Schoeps‘ Leben eher periphere Bedeutung hatten, während hier mehr Zeit mit Schoeps nicht nur dem Fluss des Buches dienlich gewesen wäre. Zusammen mit den Wiederholungen und häufigen Zeitsprüngen entsteht so eher der Eindruck einer Essay-Sammlung als einer in sich geschlossenen Monographie.

Am besten ist es daher, man löst sich als Leser/in von den Vorstellungen, die man von einer klassischen Biographie hat, und sieht das Buch als durchaus anregende Sammlung von Reflexionen Brumliks über deutsch-jüdische Ideengeschichte und die Möglichkeit deutsch-jüdischer Koexistenz, und die Verortung jüdischer Traditionen in der Moderne, die eingebettet sind in Gedanken zu Schoeps' Leben.

Anmerkungen:
1 Eine kleine Auswahl angefangen von Carl J. Rheins, Deutscher Vortrupp, Gefolgschaft Deutscher Juden, 1933–35, in: Leo Baeck Institute Year Book 26 (1981), S. 207–229, über Mathias Hambrock, Die Etablierung der Außenseiter: Der Verband nationaldeutscher Juden, 1921–1935, Köln 2003, hier insbesondere S. 414–423, zu Philipp Nielsen, Between Heimat and Hatred: Jews and the Right in Germany, 1871–1935, New York 2019, hier u.a. S. 200ff.
2 Hierzu auch Abraham Rupin, Max Brod and Hans-Joachim Schoeps, Literary Collaborators, Ideological Rivals, in: Leo Baeck Institute Year Book 60 (2015), S. 5–24, hier S. 6–7.

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