K. Offen: Debating the Woman Question

Cover
Titel
Debating the Woman Question in the French Third Republic, 1870-1920.


Autor(en)
Offen, Karen
Reihe
New Studies in European History
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 694 S.
Preis
£ 39.99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Valérie Dubslaff, Département d'Allemand et de LEA, Université Rennes 2

In Ergänzung zu Karen Offens 2017 veröffentlichtem Buch „The woman question in France“1, das den Zeitraum von 1400 bis 1870 auslotete, nimmt der vorliegende Band die überaus hitzigen Debatten über die „Frauenfrage“ während der französischen Dritten Republik in den Blick. Im steten Dialog mit anderen Historikerinnen, etwa den Französinnen Florence Rochefort und Anne Cova oder den Amerikanerinnen Joan W. Scott und Elinor Accampo beleuchtet Offen die Systemtransformation nach 1870 aus einem geschlechtsspezifischen Blickwinkel und untersucht, wie die damals entfachten frauenpolitischen Diskussionen die Etablierung des neuen republikanischen Staates begleiteten. Als „französische Besonderheit“ bewertet sie etwa, dass die weiblichen Emanzipationsforderungen zu dieser Zeit stets an republikanische Prinzipien gekoppelt wurden : Als Bürgerinnen („citoyennes“) sollten Frauen diejenigen Freiheiten und Rechte erhalten, die in der Französischen Revolution als universell proklamiert worden waren, jedoch nur den Männern vorbehalten blieben. Die Frauenfrage möchte Offen dabei nicht einseitig auf die politischen Rechte beschränkt wissen; sie fächert den Begriff auf und ergründet seine thematische Vielschichtigkeit.

In vier chronologischen und schlicht als „Familiarization“, „Encounter“, „Climax“ und „Anti-Climax“ betitelten Teilen zeichnet Karen Offen die Debatten über die Rolle und Stellung der Frauen in Republik und Gesellschaft minutiös nach. Sie zeigt, wie damalige Akteur/innen die republikanische Staatsform und ihre Versprechen als Gelegenheitsstruktur nutzten, um „Frauenprobleme“ öffentlich zu skandalisieren und politische Eliten durch eine gezielte Lobbyarbeit zum Handeln zu bewegen.

Der erste Teil behandelt die Gründungsphase der Republik (1872–1889) nach der brutalen Niederschlagung der Pariser Kommune, in der die politischen Vertreter der Republik sich bemühten, die Französinnen und Franzosen – unter ihnen ebenfalls die Frauenrechtler/innen – dank eines weitgefassten Reformprogramms für sich zu gewinnen („Familiarization“). In dieser Phase machten sich vor allem die Vorkämpfer/innen der „alten Garde“, etwa Maria Deraismes, Victor Hugo oder Léon Richer für Frauenrechte stark. Es erschien ihnen als wichtig, das gesetzlich verankerte patriarchale Prinzip durch eine Novellierung des „Code civil“ zu überwinden, das Scheidungs- und Eherecht zu liberalisieren und die äußerst prekäre Lage der unehelichen Kinder sowie ihrer Mütter dadurch zu verbessern, dass auch die Väter gerichtlich zur Verantwortung gezogen werden konnten. Da diese grundsätzlichen Veränderungen aber nur durch „Männerhand“ gewährt werden konnten, stieß dieser Vorstoß in Parlament und Regierungen auf erhebliche Widerstände. Ungern wollten die republikanischen Vertreter die konservative und „legitime“ Familienordnung antasten. In anderen Bereichen, im Schulwesen etwa, meint Offen, konnten die Frauenrechtler/innen erste Erfolge verbuchen. Minister Jules Ferry brachte eine säkularisierte Bildungsreform auf den Weg, die der Mädchenbildung durchaus förderlich war, auch wenn die Curricula althergebrachte Geschlechternormen perpetuierten. Außerdem wurden Regulierung und Deregulierung von Frauenarbeit, die schwierige Lage unverheirateter Frauen und das damit oft einhergehende „Prostitutionsproblem“ kontrovers diskutiert, ohne dass hier sichtbare Fortschritte erzielt wurden. Die Forderungen nach mehr Arbeitsrechten für Frauen kollidierten mit der wirkmächtigen Angst vor einem Geburtenrückgang in einer von Krieg und Auszehrung gezeichneten Nation.

Die zweite Phase (1890er–1900) beschreibt Offen als jene des Reifungsprozesses frauenpolitischer Ideen, welche die öffentliche Debatte anheizten und dabei sowohl auf begeisterten Zuspruch als auch auf scharfe Ablehnung stießen („Encounter“). Nicht von ungefähr wurde just zu dieser Zeit der Begriff „Feminismus“ von Hubertine Auclert geprägt und von Weggefährt/innen popularisiert, um die politische, finanzielle und soziale Gleichstellung von Frauen zu erreichen. Mit ihm entstand auch ein für die „fin de siècle“-Ära typisches Frauenbild, nämlich das der „modernen“, sich wie Sarah Bernhardt über Normen und Regeln hinwegsetzenden Frau, die Gegenstand unzähliger Bücher, Theaterstücke und Pamphlete wurde. Offen konstatiert auch eine allmähliche, je nach politischem Selbstverständnis variierende Ausdifferenzierung der inhaltlichen Positionen. Im Ringen um Deutungshoheit lieferten sich christliche, bürgerliche, sozialistische oder „radikale“ Feminist/innen teilweise erbitterte Kämpfe. Auch für Antifeminist/innen wie Anna Lampérière wurde der Feminismus zum Kampfbegriff; vielen reaktionären und katholischen Nationalist/innen war er ebenso verhasst wie die Freimaurerei, der Protestantismus oder das Judentum, das im Rahmen der Dreyfus-Affäre wieder besonders unter Beschuss geriet.

Den Anfang des 20. Jahrhunderts (3. Teil) deutet Karen Offen als Phase der Internationalisierung und Institutionalisierung, bzw. als Blütezeit feministischen Wirkens („Climax“). Eingeläutet wurde sie 1900 mit der Pariser Weltausstellung; ein internationales Ereignis, das auch Frauenrechtler/innen gescheit nutzten, um durch Kongresse und Netzwerkpflege die Frauenfrage medienwirksam auf die politische Agenda zu setzen. Dafür steht exemplarisch die Gründung des Conseil national des femmes françaises (CNFF), der ab 1901 als Dachverband und Sprachrohr eines progressiven „Mainstream“-Feminismus wirkte und sich rasch einer breiten Akzeptanz erfreute. Auch Regierungsvertreter, Abgeordnete und Senatoren baten ihn um Rat und unterstützten seine Tätigkeiten. Offen weist dennoch darauf hin, dass den Frauen, trotz ihrer republikanischen Salonfähigkeit, weiterhin wichtige Reformen versagt blieben. Deswegen gelangen allmählich auch die gemäßigten Frauenrechtler/innen zur Einsicht, dass die erwünschte sozialpolitische Transformation nur durch das Frauenwahlrecht, das heißt durch eine gezielte Beteiligung von Frauen am politischen Leben, zu erreichen war. Dank der vielfältigen Mobilisierungsinitiativen der ab 1909 agierenden Union française pour le suffrage des femmes (UFSF) gewann die Kampagne für die Wahlrechtsreform an Fahrt und stand 1914 gar kurz vor dem Durchbruch. Als der Krieg begann, schloss sich das Gelegenheitsfenster wieder und warf die Feminist/innen um Jahre zurück.

Mit dieser Episode, dem kontextbedingten Abflauen der feministischen Tätigkeit im ersten Weltkrieg („Anticlimax“), befasst sich der letzte Teil. In dieser Periode stand das patriotische Imperativ im Mittelpunkt der öffentlichen Diskussion sowie die Frage, was die Französinnen für die Nation, bzw. für die Geburtenrate, die Landwirtschaft, die Industrien und Waffenschmieden leisten konnten. Die Regierung zeigte sich in den Kriegsjahren betont frauenfreundlich, was viele Frauen zur irrtümlichen Annahme verleitete, man würde ihnen nach dem Krieg umfassende Rechte gewähren. Dass es nach 1918 nicht so kam, indignierte viele Französinnen, doch waren sie Clémenceaus für die Nachfolgezeit prägende Rollbackpolitik ohnmächtig ausgesetzt. 1920 erscheint Karen Offen deswegen als sinnvolles Enddatum für ihre Studie: Bis dahin waren alle frauenpolitischen Themen erstmalig besprochen worden, danach wurden die Argumente für oder gegen die Frauenemanzipation nur noch wiederholt.

Die Stärke des Bandes liegt zweifelsohne in der beeindruckenden Fülle an ausgewertetem Quellenmaterial sowie in der akribischen Präzision, mit der die Autorin die damalige Debattenkultur rekonstruiert. In langen Zitaten lässt sie die Akteur/innen zu Wort kommen und miteinander in Dialog treten. Sie gewährt somit einen unterhaltsamen Einblick in das diskussionsfreudige Ambiente, das die intellektuellen Eliten Frankreichs in der Dritten Republik schufen. Die stichhaltige Analyse der Interaktionen, Machtkonfigurationen und Netzwerke erlaubt es ihr außerdem, die Dynamik diskursiver Verhandlungs- und Rezeptionsprozesse überzeugend darzustellen. Bemängeln könnte man eventuell die starke Fokussierung auf den Nationalstaat und den fehlenden transnationalen Blick; explizite europäische Vergleiche, welche Offens These einer französischen Exzeptionalität in Europa erhärten könnten, gibt es wenige – sie waren Gegenstand anderer Publikationen. Auch wird der koloniale Aspekt der Frauenfrage fast völlig ausgeblendet. Zudem mag es hin und wieder, aufgrund ihrer „spiralförmigen“ Vorgehensweise – in jedem Teil wird jedes Thema neu aufgerollt – zu Wiederholungen kommen, doch gelingt es Offen gerade dadurch, die Ambivalenzen der Demokratisierungsschübe aufzuzeigen und die Beharrlichkeit weiblicher Kämpfe hervorzuheben, die trotz republikanischem Kontext keinesfalls selbstverständlich waren. Die meisten der damals geforderten Rechte errangen die Französinnen erst in der Vierten, gar in der Fünften Republik. Doch ist diese Geschlechtergeschichte der Dritten Republik mitnichten die eines Scheiterns, sondern die einer progressiven Ermächtigung von Frauen, die ihre Belange zum ersten Mal allumfassend ins Auge fassten und zur Sprache brachten.

Nirgendwo sonst, so betont es Offen mehrmals, nahm die Frauenfrage in der öffentlichen Debatte einen so prominenten Platz ein. Nirgendwo sonst in Europa ließ die demokratische Lösung ebenjener Frage aber auch so lange auf sich warten. So endet das Buch mit einem paradoxen Fazit: Je älter die demokratische Tradition, desto wirkmächtiger das patriarchale Prinzip, das den Frauen den Weg zur „politischen Autorität“ (S. 623) versperrte. Karen Offen betrachtet ihr Buch daher selbst als „Vorgeschichte“ (S. 636) zu Simone de Beauvoirs epochaler Schrift „Das andere Geschlecht“.2 Zweifellos kann auch „Debating the woman Question“ als Meilenstein der Frauen- und Geschlechtergeschichte betrachtet werden.

Anmerkungen:
1 Karen Offen, The woman question in France, 1400–1870, Cambridge 2017.
2 Simone de Beauvoir, Le deuxième sexe, Paris 1949.

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