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Titel
Zeit des Geldes. Die deutsche Inflation zwischen 1914 und 1923


Autor(en)
Teupe, Sebastian
Erschienen
Frankfurt 2022: Campus Verlag
Anzahl Seiten
336 S.
Preis
€ 29,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Roman Köster, Sozialwissenschaftliche Fakultät, Universität der Bundeswehr München

Zur hundertsten Jährung des „Schicksalsjahres“ 1923 sind gerade zahlreiche Bücher erschienen: Mark Jones beispielsweise hat seine vielbeachtete Gewaltgeschichte fortgeschrieben, Volker Ullrich oder Peter Longerich haben umfangreiche Werke veröffentlicht.1 Diese Arbeiten beschäftigen sich allerdings vorrangig mit den politischen Ereignissen, die vor dem Hintergrund des eigentlichen Dramas stattfanden, nämlich der fortgesetzten Geldentwertung, die sich im Sommer 1922 rapide beschleunigte und während des Jahres 1923 zu chaotischen sozialen Verhältnissen führte. Zur eigentlichen Wirtschaftsgeschichte der Inflation gibt es dabei durchaus weniger Studien, als man vermuten könnte. Das hängt auch damit zusammen, dass hochkarätige, nicht leicht zu übertreffende Arbeiten vorhanden sind: neben Carl-Ludwig Holtfrerichs Klassiker zur deutschen Inflation vor allem Gerald D. Feldmans in der Quellenkenntnis unübertroffener, aber auch schwer zugänglicher Monolith „The Great Disorder“ von 1997.2

Angesichts dessen ist es sehr zu begrüßen, dass mit der Arbeit von Sebastian Teupe jetzt eine gut verständliche Überblicksdarstellung zur Inflation vorliegt. Die Arbeit beginnt zunächst mit einem knappen Überblick zu den gängigen Inflationserklärungen, die in der historischen Forschung diskutiert werden und eher als sich ergänzende denn sich ausschließende Theorieangebote zu verstehen sind. Anschließend wendet sich der Autor der Vorgeschichte der Inflation zu. Nach der Suspendierung der Goldeinlösungspflicht mit Beginn des Ersten Weltkriegs wurde der Weg zunehmend frei gemacht, damit sich der Staat zur Kriegsfinanzierung bei der Reichsbank verschulden konnte – so dass ein Großteil der Kriegskosten de facto über die Notenpresse bestritten wurden.

Während des Krieges wurde das Problem der Inflation zwar bereits diskutiert, doch der eigentliche Effekt der Geldmengenvermehrung wurde erst sichtbar, als die staatlichen Preisverordnungen nach Kriegsende sukzessive aufgehoben wurden. Insbesondere das Jahr 1920 sah eine rasche Verschlechterung des Außenwerts der Mark. Zudem wurde die Inflation durch die Reparationsproblematik zusätzlich angeheizt und politisiert. Das steigerte sich schließlich bis zu der Eskalation der Ereignisse im Jahr 1923, als französische und belgische Truppen das Ruhrgebiet besetzten und die deutsche Währung, trotz eines letzten Stabilisierungsversuchs im April 1923, vollkommen außer Kontrolle geriet.

Nach der Schilderung des Verlaufs der Inflation wendet sich Teupe in einem längeren Kapitel ihrer Sozialgeschichte zu und beschreibt an einzelnen Beispielen, wie sich die Geldentwertung konkret auswirkte. Am Ende wird die wider der zeitgenössischen Erwartung erfolgreiche Stabilisierung der Mark beschrieben, die auch in den Jahren 1924 und 1925 noch durchaus nicht gesichert schien, sich dann aber – nicht zuletzt aufgrund der internationalen Kontrolle durch die Reparationsgläubiger – als dauerhaft erwies.

Diese Aspekte der Inflation werden bei Teupe analytisch präzise und anschaulich beschrieben, so dass die Darstellung nicht nur dem Fachwissenschaftler viel bietet, sondern auch einem breiteren Publik den Einstieg in diese komplexe Thematik ermöglicht. Jedoch gibt es zwei Gesichtspunkte, zu denen man mit Blick auf die aktuelle Forschung andere Akzente hätte setzen können. So kamen in den letzten Jahren die wichtigsten Beiträge zur Wirtschaftsgeschichte der Zwischenkriegszeit in erster Linie aus der International History.3 Dem trägt auch Teupe Rechnung, wenn er darauf hinweist, die Inflation sei kein genuin deutsches Phänomen gewesen. Kaum ein europäisches Land blieb von der Geldentwertung unberührt und allein fünf Staaten – Österreich, Deutschland, Ungarn, Polen und Russland – erlebten eine Hyperinflation und den totalen Zusammenbruch ihrer Währung. Das legt die Frage nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden nahe, zumal selbst Frankreich während der 1920er-Jahre zunehmend mit der Schwäche des Francs zu kämpfen hatte. Warum fielen Währungsstabilisierungen so schwer?

Hier hätte der Autor meines Erachtens pointierter argumentieren und die gegenseitige Beobachtung als politischen Faktor stärker hervorheben können. So beschreibt er knapp die – in der Forschung bislang wenig beachtete – polnische Inflation. Näher gelegen haben dürften den Deutschen aber zwei andere Fälle: Österreich machte bereits 1922 eine Hyperinflation durch und wurde anschließend unter Finanzaufsicht gestellt – was dann später in Deutschland genauso passieren sollte. Der Tschechoslowakei wiederum gelang es zwar 1922, die Krone zu stabilisieren. Dies wurde jedoch mit Arbeitslosigkeit und sozialen Unruhen erkauft. Das zeigte, wie hoch der Preis der Stabilisierung war: Es war nicht nur eine schwere Wirtschafts- und Bankenkrise zu befürchten, sondern gleichzeitig politischer Souveränitätsverlust und eine erneute nationale Demütigung. Das erscheint mir ein wichtiger Aspekt um zu erklären, warum häufig erst die totale Währungszerrüttung die politischen Voraussetzungen für die Stabilisierung schuf.

Zudem erscheint mir die Argumentation gelegentlich für die Zeitgeschichte zu leicht verdaulich bzw. es hätte noch stärker deutlich gemacht werden können, worin der genuin wirtschaftshistorische Beitrag zur Geschichte der frühen 1920er-Jahre liegt und welche politischen Dynamiken die Inflation auslöste. Das zeigt sich etwa, wenn Teupe eindrücklich die geradezu bizarren Anstrengungen beschreibt, um nach dem Londoner Ultimatum 1921 die erste Reparationsmilliarde aufzubringen. Wenig später stimmt er hingegen weitgehend der Argumentation Sally Marks‘ zu, der vehementesten Verfechterin der These, die Aufbringung der Reparationen sei kein Problem gewesen und der deutsche Widerstand lediglich der Weigerung geschuldet, einen basalen Tatbestand nicht anerkennen zu wollen: nämlich den Krieg verloren zu haben.

Von diesen Kritikpunkten abgesehen liegt hier aber eine sehr informierte und gut fassliche Überblicksdarstellung vor, die nachdrücklich ins Gedächtnis ruft, welch hohe Bedeutung die ökonomischen Verhältnisse für die Geschichte der Weimarer Republik hatten und wie sehr es geboten ist, die zeitweise eingeschlafene Forschung zur Wirtschaftsgeschichte der 1920er-Jahre wieder stärker in den Blick zu nehmen. Gerade in Zeiten, wo für viele Bereiche die Aktualität Weimars betont wird, sollte die Inflationserfahrung nicht unter den Tisch fallen.

Anmerkungen:
1 Mark Jones, 1923. Ein deutsches Trauma, Berlin 2022; Volker Ullrich, 1923. Das Jahr am Abgrund, München 2022; Peter Longerich, Außer Kontrolle. Deutschland 1923, Wien 2022.
2 Carl-Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914-1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin 1980; Gerald D. Feldman, The Great Disorder. Politics, Economics, and Society in the German Inflation, 1914-1924, New York 1997.
3 So z. B. Nathan Marcus, Austrian Reconstruction and the Collapse of Global Finance, 1921-1931, Cambridge/Mass 2018; Nicholas Mulder, The Economic Weapon. The Rise of Sanctions as a Political Tool, Yale 2022.

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