V. Depkat: American Exceptionalism

Cover
Titel
American Exceptionalism.


Autor(en)
Depkat, Volker
Reihe
American Ways
Erschienen
Lanham, MD 2021: Rowman & Littlefield
Anzahl Seiten
XXII, 280 S.
Preis
$ 46.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Georg Schild, Seminar für Zeitgeschichte, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Auch wenn es eine ganze Reihe von Staaten gibt, die sich aus dem einen oder anderen Grund als "einzigartig" empfinden, wird die Vorstellung von exceptionalism jedoch in keinem Land der Welt so sehr zelebriert wie in den USA. Wenn man sich dem Phänomen der amerikanischen "Exzeptionalität" nähern möchte, kann man dies auf zwei unterschiedlichen Wegen tun. Man kann empirisch überprüfbare Unterschiede in den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Vergleich zu anderen Staaten untersuchen. Alternativ kann man die Selbstzuschreibung von Exzeptionalität in den Mittelpunkt stellen. Die Unterschiede zwischen beiden Herangehensweisen sind erheblich. Wenn man den ersten Weg beschreitet, fallen besonders Sklaverei, die Bedeutung der Immigration, die Rolle der Religion und die geringe Forderung nach sozialer Umverteilung auf. Wenn man hingegen Selbstzuschreibungen von Exzeptionalität untersucht, findet man sie dort, wo Amerikaner das eigene Land moralisch überhöhen wollen. Entsprechend diesem "City Upon a Hill-Syndrom" wird amerikanische Geschichte als Abfolge von Ereignissen dargestellt, die die vermeintliche Überlegenheit und Gottgefälligkeit des Landes unter Beweis stellen.

Volker Depkat verfolgt in seiner Geschichte des amerikanischen Exzeptionalismusgedankens den zweiten Weg. Es kommt ihm darauf an zu analysieren, wie Amerika als einzigartiger Staat "gedacht" worden ist, "how, when, why, by whom, for which reasons, and to what effect America was imagined as exceptional in the course of U.S. history" (S. xvii). Das Bild Amerikas, das er dabei zeichnet, ist fluide; zu keiner Zeit hat es eine einfache und allgemeingültige Beschreibung dessen gegeben, was die amerikanische Einzigartigkeit ausmacht: "American Exceptionalism meant different things to different people at different times." (S. xviii) Das Ziel des Buches ist es, unterschiedliche "Versionen" des Exzeptionalismusgedankens herauszuarbeiten. In neun Kapiteln werden dazu zentrale Fragestellungen wie Landschaft und Wildnis, Religion, die Amerikanische Revolution, Erfahrungen von Schwarzen, Außenpolitik und gegenwärtige politische Probleme auf ihre Bedeutung für die Vorstellung von Exzeptionalität hin untersucht.

Das erste Kapitel zu Land, Landschaft, Überfluss und Wildnis bereitet gleichsam die Bühne für das grundsätzliche Verständnis aller amerikanischen Exzeptionalismusvorstellungen. Siedler aus England und spätere Einwanderer kamen in ein Land, das ihnen als Gegenentwurf zu dem erschien, was sie in der alten Heimat gekannt hatten: Das Land war nicht nur groß, es erschein geradezu unbegrenzt zu sein, reich an Wald, Wild und landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Zeitgenössische Quellen spiegeln die Faszination dieses Überflusses wider. Die Dokumente machen allerdings auch deutlich, dass sich Historiker vor einer Idealisierung des Lebens in der Wildnis Amerikas hüten müssen. Furcht vor Tieren und Hass auf die Ureinwohner, in deren Länder man eindrang, zählten ebenfalls zu den Erfahrungen der Europäer. Eine ihrer bekanntesten Ausprägungen erfuhr die geographische Exzeptionalitätsvorstellung Ende des 19. Jahrhunderts, als der Historiker Frederick Jackson Turner die frontier, das Grenzgebiet zwischen Zivilisation und Wildnis, zur Keimzelle eines einzigartigen amerikanischen Selbstverständnisses erklärte.

Die geographische Exzeptionalitätsvorstellung setzte sich mit der religiösen Überhöhung der Loslösung von der Church of England und der Gründung neuer und eigenständiger Religionsgemeinschaften fort. In diesem Zusammenhang entstand die bis heute wirkmächtige Vorstellung der City Upon a Hill, die anderen Völkern zum Vorbild dienen soll. Die Amerikanische Revolution der 1770er- und 1780er-Jahre säkularisierte die religiös inspirierte Exzeptionalitätsvorstellung. Man unterschied sich nun bewusst vom alten Kontinent, weil Regierungstätigkeit rational und naturrechtlich begründet wurde.

Durch die ersten Kapitel des Buches zu Landschaft, Religion und Revolution zieht sich die Vorstellung von Exzeptionalität als Folge eines klaren Gegensatzes zu Europa. Man war nicht nur anders, man war auch besser. Die Landschaft war reichhaltiger, die Religion gottgefälliger und die Politik aufgeklärter. In späteren Kapiteln taucht der Gegensatz zu Europa nicht mehr auf; im Kapitel "West and South" etwa verläuft ein Graben entlang der Mason-Dixon-Linie.

Die Geschichte der amerikanischen Südstaaten stellt eine besondere Herausforderung für die Analyse des Exzeptionalismusgedankens dar, weil es nicht eine, sondern zwei bewusst miteinander konkurrierende Vorstellungen von Einzigartigkeit gab. Der Verfasser stellt sie aus der jeweiligen Selbstwahrnehmung heraus vor. So gingen die weißen Südstaatler davon aus, dass ihre Gesellschaft eine eigenständige Zivilisation sei, die sich vom Rest des Landes unterschied und auf weißer Vorherrschaft und Ausbeutung von Sklavenarbeit beruhte. Eine spezielle Interpretation der Heiligen Schrift und der Revolutionsdokumente bestärkte sie darin, dass ihr Tun gerechtfertigt sei. Vom Norden her betrachtet, erschien der Süden im Gegensatz dazu als "konservative Ausnahme zum allgemein verbreiteten liberalen Konsens in den Vereinigten Staaten" (S. 33). In dieser Sichtweise entwickelte der Norden eine freiheitliche Version des amerikanischen Exzeptionalismus, der den Süden als bewussten Gegenentwurf betrachtete, "defined the South as something that the U.S. was not" (S. 49).

Während Exzeptionalismus im ersten Teil der Untersuchung als Ausweis der Stärke und Überlegenheit Amerikas gedeutet wird, steht er im Verlauf des Buches für innergesellschaftliche Spannungen zwischen Nord und Süd; zum Schluss macht sich gar eine resignierende Stimmung breit. Was die USA heute von anderen Ländern unterscheide, seien wiederholte interne Konflikte, Rassenunruhen und ein mangelndes Vertrauen der Bürger in die Tätigkeit des Staates. Viele Amerikaner glauben den Verlautbarungen der Centers for Disease Control nicht, dass eine Covid-19-Impfung vor schweren Schäden schützt.

Der Verfasser legt eine intellektuelle tour d'horizon vor, in der er zeigt, wie sich Vorstellungen von Einzigartigkeit über einen langen Zeitraum in der Geschichte der USA erhalten und verändert haben. Der Struktur des Bandes als Überblickswerk ist geschuldet, dass man sich manche Ausführungen gerne ausführlicher gewünscht hätte. Das gilt etwa für die Überlegungen zu Exzeptionalitätsvorstellungen im Kalten Krieg, die auf wenigen Seiten summarisch behandelt werden. Gegen Ende des Buches verschiebt sich darüber hinaus der Schwerpunkt der Darstellung. Der Verfasser beschreibt immer mehr tatsächliche politische und gesellschaftliche Situationen und fügt nur vereinzelt Interpretationen gemäß des Exzeptionalitätsparadigmas an. Hier hätte man gerne erfahren, ob es etwa eine in sich geschlossene Vorstellung der Rechten um Donald Trump von Amerikas Einzigartigkeit gibt.

Wer sich mit dem Verfasser auf die Reise durch mehrere Jahrhunderte amerikanischer Exzeptionalitätsgeschichte begibt, wird intellektuell reich belohnt. Depkat weist mit sicherem Gespür auf die zentralen Texte hin. Da die amerikanische Idee der Einzigartigkeit auch in Zukunft bestehen bleiben wird, tun wir gut daran, diese Entwicklungsgeschichte zu kennen.

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