C. Cornelißen u.a. (Hrsg.): The Mediatization of War and Peace

Cover
Titel
The Mediatization of War and Peace. The Role of the Media in Political Communication, Narratives, and Public Memory (1914–1939)


Herausgeber
Cornelissen, Christoph; Mondini, Marco
Reihe
Studies in Early Modern and Contemporary European History
Erschienen
Anzahl Seiten
294 S.
Preis
€ 94,95
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Alexander Schwarz, Universität Bayreuth

Der Sammelband „The Mediatization of War and Peace. The Role of the Media in Political Communication, Narratives, and Public Memory (1914–1939)“, herausgegeben von Christoph Cornelißen und Marco Mondini, versammelt sechzehn Beiträge, die sich aus interdisziplinären Perspektiven mit der Rolle von Medien in der Transitionsphase von Krieg zu Frieden befassen. Auch wenn der Untertitel den Forschungszeitraum in der kompletten Zwischenkriegszeit verortet, so konzentrieren sich die meisten Aufsätze – der aktuellen Forschungstendenz entsprechend1 – auf die Übergangsphase zwischen 1917 und 1923. Der unter der Schirmherrschaft des Deutsch-Italienischen Historischen Instituts veröffentlichte Band legt einen erfrischenden, weil oftmals vernachlässigten Schwerpunkt auf Italien. Die Zusammenschau mit internationalen Perspektiven macht deutlich, dass bereits vielfach rezipierte Konzepte, wie das 14-Punkte-Programm von Woodrow Wilson, noch immer einen fruchtbaren Ausgangspunkt für neue und weiterführende Forschungsergebnisse darstellen.

Die Beiträge portraitieren die Auseinandersetzungen kriegsgebeutelter Gesellschaften mit sich selbst. Die verschiedenen Medien fungieren dabei sowohl als Teil ebendieser Gesellschaft, aber auch im Sinne des vermittelnden Objekts. Sie nehmen auch eine beobachtende Perspektive ein. Genau diese Vielschichtigkeit der Themen und Zugänge legt die wissenschaftliche Anschluss- und Lehrfähigkeit für aktuelle Krisentendenzen offen.

Der erste von vier inhaltlichen Blöcken des Buches befasst sich mit der Entwicklung von Kriegsnarrativen ab 1914. Marco Mondini beschäftigt sich zunächst über staatliche Grenzen hinweg mit der Weltkriegsliteratur. Gerade der Fokus auf Veteranen und die von ihnen gemachten Kriegserfahrungen schafft eine wissenschaftliche Analogie zu aktuellen popkulturellen Phänomenen wie der Neuverfilmung „Im Westen nichts Neues“ (2022) oder der Hit-Serie „Peaky Blinders“ (2013–2022). Die Kameradschaft als bindendes Element der Solidarität begründet hier die individuelle Opferbereitschaft der Soldaten. Barbara Bracco beleuchtet im vierten Abschnitt des Buches die Rückkehr italienischer Veteranen in die Postkriegsgesellschaft. Dabei skizziert sie, wie die faschistische Bewegung unter der Führung Benito Mussolinis es verstand, die individuelle Solidarität in den breiten nationalistischen Diskurs einzubetten.

Eine aktuelle Thematik, die in verschiedenen Beiträgen im Band behandelt wird, ist die des Public Intellectuals. Dabei weisen insbesondere Christoph Cornelißen und Peter Haslinger überzeugend auf die mit dieser Figur verbundenen Gefahren hin. Natürlich ist die Beschwörung der objektiven Wissenschaft – gerade in den Geisteswissenschaften – illusorisch. Cornelißens Beschäftigung mit der „self-mobilization“ (S. 38ff.) deutscher Historiker, aber auch die tschechischen Kartographen, wie sie von Haslinger porträtiert werden, geben diesbezüglich einen interessanten wie kritischen Zugang zur Begrifflichkeit der Mediatisierung.

Beim erstmaligen Lesen des Buchtitels vermutet man eine diskursanalytische Auseinandersetzung mit einem Medium zum Thema Krieg und zur Entwicklung von Propaganda. Fündig wird man dazu in Frederico Mazzinis Beitrag über das US-Magazin „Popular Science Monthly“. Darin beschreibt er die sehr heterogene Vorstellung von Innovation und Kriegsgerät. Vermittelt durch das – in Kriegszeiten auflagenstarke – Magazin wird der Öffentlichkeit ein futuristisches Bild des Kriegs vermittelt, das wenig gemein mit der brutalen Realität der Grabenkämpfe hatte. Die Skizzierung dieser nichtstaatlichen-staatlichen Kriegspropaganda kann sich gerade für zukünftige internationale Vergleiche als fruchtbarer Ausgangspunkt erweisen. Über die Brutalität der (Nach-)Kriegsphase und darüber, inwieweit der mediale Transfer der Gewalt mal weniger und mal mehr gelingt, schreiben Laurence von Ypersele anhand belgischer Selbstjustiz, aber auch Maurizio Cau mit einem Blick auf die Auswirkungen propagandistischer Exekutionen der scheidenden K.u.k.-Monarchie.

Das Buch reflektiert auf unterschiedlichen Wegen die neue weltpolitische Rolle der USA und deren Einfluss auf die Nachkriegsordnung. Einleitend widmet sich Michael Neiberg dabei den Auswirkungen, die mit dem Konzept wie auch dem Medien-Hype des 14-Punkte-Programms von Woodrow Wilson verbunden waren. Sein Fallbeispiel debattiert den (kolonialen) Umgang mit der chinesischen Region Shantung. Innerhalb weniger Monate gelang es den Medien, die Frage der Shantung-Region zum Gradmesser für die Glaubwürdigkeit amerikanischer Außenpolitik zu machen. Dabei zeigten sich die realpolitischen Schwierigkeiten bei der Idee des Völkerbunds. Das äußerte sich vor allem durch die notwendigen Spannungen zwischen internationaler Machtpolitik und Souveränitätsansprüchen. Die Herausforderungen territorialer Ambitionen beschäftigen auch Etienne Boisserie und Mirko Saltori. Ihre Untersuchungen zur Eingliederung der Slowakei in die tschechoslowakische Republik und der Region Trentino in das italienische Königreich stellen die Frage der Legitimität in den Mittelpunkt.

Leonard Smith richtet sein Augenmerk erneut auf den 28. Präsidenten der Vereinigen Staaten. Er folgt dabei einer kritischen Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Wilsonianism“ (S. 93). Dabei beleuchtet er nicht nur, inwieweit Wilson als erster medialer Popstar des Liberalismus angesehen werden kann, sondern auch, welcher Mythos die Person umgab. Es ist lehrreich zu sehen, welchen Werdegang die mediale Aufbereitung und die weltweite Inanspruchnahme des 14-Punkte-Progamms rückwirkend auf den amerikanischen Präsidenten hatte. Ein Brückenschlag auf Basis analytischer Gemeinsamkeiten zum aufkommenden Führerkult der internationalen faschistischen Bewegungen wäre hier allerdings wünschenswert gewesen.

Zu erwähnen sind zusätzlich noch die Beiträge von Giovanni Bernadini und Angelo Ventrone, weil sie verdeutlichen, dass der mediale Hype um die Idee einer liberalen Weltgemeinschaft schon zu Beginn der Zwischenkriegszeit erheblichen Gegenwind erfuhr. Bernadini stellt dafür zunächst die anfänglichen Erfolge bolschewistischer Propaganda der tatsächlichen Gefahr einer sowjetisch geführten Weltrevolution gegenüber. Die vom Autor eingenommene französische Perspektive gibt dabei auch Aufschluss über die außenpolitische Stoßrichtung der Folgejahre. Der Exkurs legt die allgemeine Anschlussfähigkeit des Antibolschewismus für die anderen europäischen Staaten offen. Er zeigt auch, dass die 14-Punkte von Wilson für Frankreich mal mehr mal weniger relevant waren. Aber gerade die angeführten vereinzelten Erfolge bolschewistischer Propaganda in der Schwarzmeerregion (S. 166–172) zeigen, dass die in Frankreich medial geschürte Angst auch einen wahren Kern hatte.

Der Beitrag von Ventrone wiederrum beleuchtet den medialen Einfluss auf die Idee des „vittoria mutilata“ (S. 179). Analog zur Analyse der Dolchstoßlegende für den Aufstieg des Nationalsozialismus wird der „verstümmelte Sieg“ auch als wichtiger Erklärungsansatz für den italienischen Faschismus verstanden. Im Hinblick auf die Ideen einer internationalen Gemeinschaft verdeutlicht die Vielzahl an Comic-Quellen im Beitrag das allgemeine Misstrauen gegenüber den Entente-Staaten und der USA. Daran ändern auch die Versuche der Beschwichtigung durch Wilson (S. 99) nichts.

Der Beitrag von Pierre Purseigle blickt nochmals auf die Erwartungshaltung innerhalb der Entente. Ähnlich wie sich die Aussichten auf staatlicher Ebene am Beispiel Italiens als enttäuschend erwiesen haben, verdeutlicht Purseigle, dass auch die Opferbereitschaft der Menschen nicht angemessen entschädigt werden konnte. Die Kriegseuphorie von 1914 wich mit dem Ende des Krieges einer allgemeinen Ernüchterung. Anhand des Beispiels der belgisch-französischen Grenzregion, zeigt sich die Modernisierung des Krieges in seiner Absolutheit. Die Grenzdörfer und -städte wurden aktiver Schauplatz des Krieges. Interessant sind vor allem die Überlegungen zur Reconstruction, die nicht erst 1918, sondern bereits 1914 aktiver Teil der Kriegsplanung waren. Diese Reconstruction wurde stets mit anti-deutscher Propaganda (S. 202) verbunden. Die Funktion der „God-Parents“ (S. 209), also der Patenstädte für die vom Krieg zerstörten französischen Dörfern, verdient auch hinsichtlich transnationaler Solidarität mehr wissenschaftliche Aufmerksamkeit.

Der hier besprochene Sammelband präsentiert sich auch drei Jahre nach seiner Erstveröffentlichung als höchst aktuell. So finden sich Beiträge zur Veteranenforschung, die nichts an Relevanz eingebüßt haben. Aber auch metatheoretische Ansätze wie die Wissensvermittlung werden in einigen Aufsätzen näher betrachtet. Dabei wird immer wieder auf den schmalen Grat zwischen Propaganda und wissenschaftlicher Vermittlung hingewiesen. So hätten die Public Intellectuals wie auch die Medien als Akteur noch mehr kritische Aufmerksamkeit verdient. Gerade die Akteursperspektive der Medien hat nicht immer, wie in der Einleitung suggeriert, den zugewiesenen Stellenwert erhalten, was aber schlicht auch daran liegen kann, dass sie in der Regel zum quellentechnischen Grundrepertoire der historiographischen Forschung gezählt werden müssen. Insgesamt ist der Band eine lohnende Lektüre, die gerade auch interdisziplinär anschlussfähig ist.

Anmerkung:
1 Robert Gerwarth, Die Besiegten. Das blutige Erbe des Ersten Weltkriegs, München 2017.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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