L. Klinkhammer u.a. (Hrsg.): Cinema as a Political Media

Cover
Titel
Cinema as a Political Media. Germany and Italy Compared, 1945–1950s


Herausgeber
Klinkhammer, Lutz; Zimmermann, Clemens
Reihe
Online-Schriften des DHI Rom. Neue Reihe
Erschienen
Anzahl Seiten
VI, 231 S.
Preis
€ 38,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
René Möhrle, Fachbereich III - Geschichte, Universität Trier

Der von Lutz Klinkhammer und Clemens Zimmermann 2021 herausgegebene Sammelband „Cinema as a Political Media. Germany and Italy Compared, 1945–1950s“ besteht aus zwölf Beiträgen von dreizehn Autor:innen. Inhaltlich will der Band entlang eines transnational vergleichenden Ansatzes sowohl neue Perspektiven zur Selbstwahrnehmung Deutschlands und Italiens in Filmproduktionen 1945–1955 als auch gemeinsame kinematografische Schnittpunkte diskutieren. Es handle sich um ein Desiderat, weshalb der auf Englisch verfasste Sammelband mit Beiträgen aus den Bereichen Film, Medien, Kultur, Politik, Linguistik sowie Kunst- und Zeitgeschichte wissenschaftliche Breite sucht.

Dass nur zwei weibliche und drei italienische Forscher:innen involviert sind und nur drei Beiträge den direkten deutsch-italienischen Vergleich suchen, beschreibt eine leichte Schieflage im formalen Setting. Allerdings sind – ohne Hervorhebung in der Gliederung – sechs Beitragspaare entstanden, die aus jeweils nationaler Sicht weitestgehend analoge Themen behandeln und sich hierüber ergänzen.

Kohärent ist der Sammelband wegen der gemeinsamen Ausrichtung an den einleitend von Clemens Zimmermann festgelegten Zielen: erstens die Diskussion der Funktion von Filmen als politischer Konstruktion und oder Teil nationaler Erinnerungskulturen; zweitens die Thematisierung des Anderen, einmal auf der Ebene von Zuschreibungen wie „gute Italiener“, „böse Deutsche“ (Filippo Focardi) et cetera, das andere Mal auf der Ebene der Relativierung von Faschismus und Nationalsozialismus (NS), von Kriegsverbrechen und Holocaust; drittens die Analyse und Kontextualisierung ausgewählter Filme und ihrer Hintergründe. Diese gemeinsame Zielsetzung ist eine Stärke der Arbeit, deren These lautet, dass Kino in Deutschland und Italien 1945–1955 das zentrale Massenmedium und essenziell für nationale Gründungsmythen und Meistererzählungen gewesen sei. Dafür sprächen sowohl die hohen Besucherzahlen (Italien: täglich circa zwei Millionen 1946–19621; Deutschland: circa 1,3 Millionen 1947–19502), als auch das intensive Bemühen von Kirche und Politik, über Zensur- und Fördermaßnahmen Einfluss zu nehmen. Zur weiteren Verifizierung fehlt es allerdings an systematischen Studien und den im Band zwar angekündigten (vgl. S. 14) aber ausgelassenen Quervergleichen zu anderen Medien, insbesondere zum Radio und den auflagenstarken Druckmedien.

Eine Ausnahme ist das an der Universität Mailand angesiedelte Verbundprojekt zum katholischen Kino in Italien 1940–19703, auf dem Lutz Klinkhammers fast namensgleicher Beitrag aufbaut. Für die Jahre 1944–1954 dokumentiert er, wie der Vatikan und die katholische Kirche über das Medium Film Einfluss auf Italiens Gesellschaft nahmen. Eigene Zensurstellen und ein landesweites Netzwerk an Pfarrkinos (1949 bis 1956) definierten Moralkategorien, deren Implementierung zwar nicht gelungen sei, aber der Kirche Mitsprache bei der Gestaltung einer katholischen Nachkriegsgesellschaft gesichert hätten. Analog definiert Christian Kuchler für Westdeutschland das kirchliche Ziel einer gesellschaftlichen Re-Christianisierung, ebenfalls über das Medium Film angestrebt. Hierzu habe beispielsweise der 1950 gegründete „Film-Dienst“ gedient, der alle im Land ausgestrahlten Filme rezensiert und Empfehlungen publiziert habe, von „für jeden geeignet, auch Kinder“ bis hin zu „abgelehnt, weil der Film direkt oder indirekt Glaube und Tradition entgegenwirkt“.

Während in Deutschland nach 1945 der Mythos der „Stunde Null“ dominierte, war es in Italien der Resistenza-Mythos. Ina Merkel artikuliert für die in Deutschland in der unmittelbaren Nachkriegszeit ausgestrahlten Kinofilme amerikanischer, sowjetischer und (ost-)europäischer Provenienz hierfür eine Mitverantwortung, da eine systematische „De-Thematisierung“ von deutschen Kriegsverbrechen und der Shoah stattgefunden habe. Merkel erkennt Muster, die sie als Dispositiv mit der strategischen Funktion beschreibt, die Allianz der Alliierten absichern zu wollen. Das Bild eines von militanten Terroristen unterdrückten Landes sei demjenigen von Massen, die den NS willig unterstützen, lange bevorzugt worden. Kongruent betont Maurizio Zinni für Italien, dass Gesellschaft und Politik den Faschismus aus der nationalen Erinnerung hätten tilgen wollen. Zur Virulenz des Narrativs eines schuldfreien Italiens habe bis in die 1960er-Jahre hinein essenziell das Kino beigetragen, das den Bruch mit dem Faschismus und den Schulterschluss mit der Resistenza gesucht habe. Die 16 zwischen 1945 und 1949 produzierten Filme, die faschistische Charaktere zeigten, hätten sich daher auf die Jahre 1943–1945 konzentriert.

Dennoch existierten in beiden Ländern Filme, die diese nationalen Meistererzählungen thematisierten. Daniel Jonah Wolpert zeigt anhand dreier Produktionen aus Österreich, West- und Ostdeutschland von 1948, dass Antisemitismus und Shoah filmisch diskutiert wurden. „Der Prozeß“ und „Morituri“ – je von christlichem Impetus geleitet – hätten zwar eine (gottesgerichtliche) Verurteilung der Täter:innen eingefordert, aber auf Todesstrafen verzichtet und Bürger:innen entlastet (Ohnmacht des Individuums). Die Shoah sei hier ebenso wie in „Affaire Blum“ als historische Anomalie dargestellt worden.

Parallelen finden sich in Robert S.C. Gordons Beitrag zu „L´ebreo errante“ (1948). Das hybrid-transnationale Setting des Films definiere sich insbesondere durch die Komplexität der mehradrigen Erzählstruktur, während die Wahl von Schauspiellaien bis zu faschistischen Filmstars, realen Drehorten sowie die Thematisierung von Widerstand populär-neorealistische Elemente zeige. Der Film fokussiere auf Europas Juden, verfolge aber eine christlich-sakrale Stoßrichtung, obwohl in einer Art Pionierarbeit insbesondere die Realität von NS-Konzentrationslagern dokumentiert würde. Trendsetter sei Goffredo Alessandrini auch hinsichtlich der Darstellung des Anderen gewesen, also ohne inhaltlichen Verweis auf Italien und die Italiener:innen.

Den direkten deutsch-italienischen Vergleich sucht Bernhard Groß mit der Diskussion von Gerhard Lamprechts „Irgendwo in Berlin“ (1946) und Robertos Rossellinis „Germania anno zero“ (1947): Zentral sei für beide frühneorealistischen Filme die „Volksgemeinschaft“. Während Rossellini deren faschistische Mechanismen sukzessive dekonstruiere, beginne Lamprecht mit einer heterogenen Gemeinschaft, ende aber in der altbekannten, die jeden isoliere, der nicht partizipiere. Lukas Schaefer gelingt es mit der Analyse der italienischen Filmzeitschrift „Cinema Nuovo“, die weit über die Landesgrenzen hinaus Vorbildfunktion entwickelt habe, und dem direkten Vergleich mit ihrem deutschen Pendant/Nachahmer „Filmkritik“, strukturelle und inhaltliche Parallelen aufzuzeigen, die mit der Formation journalistischer Netzwerke zugleich eine europäische Dimension aufwiesen.

Hingegen fokussiert Damiano Garofalo auf die Darstellung von Deutschen im italienischen Kino. Anhand der Filmanalyse zu „Roma città aperta“ (1945), „Anni difficili” (1948), „Achtung! Banditi!“ (1951) und „Kapo“ (1959) schlussfolgert er, dass hier maßgebend das kollektive Bewusstsein zur Differenzierung von „bösen Deutschen“ und „italiani brava gente“ geschaffen worden sei. Der betonten Radikalität des NS sei die Verharmlosung des italienischen Faschismus entgegengesetzt worden.

Laut Claudia Dillmann gab es 1956 mehr als 817 Millionen Kinobesuche in der Bundesrepublik Deutschland (BRD). Im Verhältnis 50:30 Prozent seien Heimatproduktionen beliebter als Hollywood-Filme gewesen. Auf diese Entwicklung habe die Bundesregierung Einfluss genommen. Ausgeschriebene Filmförderprogramme seien an erhebliche Auflagen und Zensurmaßnahmen geknüpft gewesen, die inhaltliche Korrekturen von Drehbüchern erlaubten, Personalkontrollen durch den Verfassungsschutz, Neubesetzungen von Schauspieler:innen und Regisseuren, Mittelkürzungen sowie die Überwachung von Dreharbeiten. Eine vergleichbare Analyse stellen für das italienische Kino der Jahre 1945–1955 Philip Cooke und Gianluca Fantoni an. Das moralisch schwer belastete Kino habe einerseits durch die Beschönigung von Italiens Rolle im Krieg und andererseits durch die Kooperation mit den Christdemokraten öffentlich wieder Fuß fassen können. Mit Kontinuitäten bei Schauspieler:innen oder dem Stil von Kriegsfilmen sei auf das Reservoir der 1930er-Jahre zurückgegriffen und sich zugleich am US-Mainstream orientiert worden, der bis weit in die 1950er-Jahre Italiens Markt dominiert habe.

Der insgesamt stringente und lesenswerte Sammelband schließt mit einem Namens- und Filmindex, entbehrt aber eines Literaturverzeichnisses. Die eingangs formulierten Ziele werden jedoch erreicht. Die Offenlegung der dominant politischen Dimension von deutschen und italienischen Kinofilmen der unmittelbaren Nachkriegszeit, insbesondere durch die Einflussnahme von Kirche und Staat, erscheint anhand der Analyse jeweils ausgewählter, erfolgreicher und daher auch wirkungsvoller Filmbeispiele evident. Das für die Gesellschaften beider Länder lange reale Schweigen und Verharmlosen der jeweils faschistischen Vergangenheit wurde durch das Medium Film mit Sicherheit weiter manifestiert. Zur Belastung der These, dass das Filmgenre für die nationalen Meistererzählungen essenziell gewesen sei, fehlt es noch an systematischen Studien, die für Radio und Presse bereits vorliegen.

Anmerkungen:
1 Simone Isola, Produzione e produttori da commedia, in: Giovanni Spagnoletti / Antonio Spera (Hrsg.), Risate all´italiana. Il cinema di commedia dal secondo dopoguerra ad oggi, Roma 2014, S. 137–158, hier S. 137.
2 Johannes Hauser, Neuaufbau der westdeutschen Filmwirtschaft 1945–1955 und der Einfluss der US-amerikanischen Filmpolitik. Vom reichseignen Filmmonopolkonzern (UFI) zur privatwirtschaftlichen Konkurrenzwirtschaft, Pfaffenweiler 1989, S. 376.
3 Raffaele de Berti (Hrsg.), I cattolici nella fabbrica del cinema e dei media. Produzione, opere, protagonisti (1940–1970), in: Schermi. Storie e culture del cinema e dei media in Italia 2 (2017), URL: <https://riviste.unimi.it/index.php/schermi/article/download/9629/9095/28647> (13.06.2022).