A. Pinwinkler: Die „Gründergeneration“ der Universität Salzburg

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Titel
Die „Gründergeneration“ der Universität Salzburg. Biographien, Netzwerke, Berufungspolitik, 1960–1975


Autor(en)
Pinwinkler, Alexander
Erschienen
Wien 2020: Böhlau Wien
Anzahl Seiten
297 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Andreas Oberdorf, Institut für Erziehungswissenschaft, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Seit rund fünfzehn Jahren verzeichnet die deutschsprachige Universitätsgeschichtsschreibung einen beispiellosen Aufschwung. Dieser zeigt sich nicht nur quantitativ in dem rasanten Anstieg an Veröffentlichungen, sondern auch qualitativ in der beständigen Reflektion und kritischen Diskussion innovativer Forschungsmethoden und -perspektiven für die Universitätsgeschichte.1 In den vergangenen Jahren waren es vor allem dickleibige Überblicksdarstellungen zur Gründungsgeschichte einzelner Universitäten, deren umfassende und zeitintensive Erarbeitung zumeist durch entsprechende Gründungsjubiläen motiviert war. Neben manchen Vorzügen hat die Historikerin Sylvia Paletschek erst 2011 auf die Defizite und Unzulänglichkeiten solcher Gesamtdarstellungen aufmerksam gemacht und vorgeschlagen, die Ergebnisse einzelner Forschungsarbeiten stärker zu synthetisieren.2

Ein mustergültiges Beispiel für eine solche mikrohistorische Studie mit begrenzter zeitlicher und räumlicher Ausdehnung liefert die jüngst vorgelegte Forschungsarbeit des Historikers Alexander Pinwinkler über die „Gründergeneration“ der Universität Salzburg. Pinwinkler stellt in seiner Monografie die in den 1960er- und frühen 1970er-Jahren an die Salzburg Universität erstberufenen Lehrenden in den Mittelpunkt und untersucht deren jeweilige politisch-weltanschauliche Orientierung, die das Profil der Universität in den ersten Jahrzehnten prägte. Konkret stellt sich ihm die Frage, warum in jener Zeit katholisch-konservative und vormals nationalsozialistische Wissenschaftler an die Universität berufen wurden und wie sich dieses akademische Milieu über entsprechende Karrierewege, Berufungspraktiken, Netzwerke und Ehrungen formierte und wandelte.

Der Band setzt sich zusammen aus fünf Kapiteln und liefert im Anhang – neben einem detaillierten Quellen- und Literaturverzeichnis – sorgfältig recherchierte Kurzbiografien zu den 37 Professoren und der einen Professorin, die Pinwinkler dieser „Gründergeneration“ zurechnet. Die ersten beiden Kapitel behandeln die Gründungsjahre im engeren Sinne, nämlich die historische Ausgangslage in der Nachkriegszeit (Kapitel 1) und die von Politik, Gesellschaft und Kirche geführten Debatten um das zukünftige katholische Profil einer „wiedererrichteten“ Universität Salzburg (Kapitel 2). Den Dreh- und Angelpunkt des gesamten Bandes bilden dann die „sozio-biographischen Profile der ‚Gründergeneration‘“ (Kapitel 3). Pinwinkler untersucht hier Aspekte der sozialen Herkunft, der Generationalität und der Mentalität und ermittelt hieraus die Gruppe der Katholisch-Nationalen und Ex-Nationalsozialisten, der remigrierten Lehrenden und der SPÖ-nahen Hochschullehrer. Diese stellen ihrerseits keinesfalls klar geschnittene Gruppenidentitäten dar, aber bringen Klarheit in die Darstellung, wenn es darum geht, Interessenskonflikte und Konkurrenzen zu rekonstruieren, die etwa zwischen „katholisch-nationalen“ und sozialdemokratischen Hochschullehrern in der Gründungsphase der Universität entbrannten. Auch der einzigen Frau der Untersuchungsgruppe, nämlich der Historikerin Erika Weinzierl, widmet Pinwinkler berechtigterweise ein eigenes Unterkapitel. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass die Lehrenden, die der „Gründergeneration“ angehörten, eher selten einem bildungsbürgerlichen Milieu entstammten, sondern einem breiteren bürgerlichen Spektrum zugerechnet werden müssen. Sehr unterschiedlich seien auch die Erfahrungen und Eindrücke zu gewichten, die die späteren Salzburger Gründerprofessoren als junge Soldaten im Fronteinsatz während des Zweiten Weltkriegs und in anschließender Kriegsgefangenschaft gesammelt haben. Pinwinkler kommt hier zu differenzierten Beobachtungen und individuellen Einschätzungen, zumal sich ein typischer Karriereweg eines/einer Salzburger Gründerprofessor/in, seinen Ergebnissen zufolge, nicht ermitteln lässt.

Im folgenden Kapitel richtet Pinwinkler seinen Blick auf die „Berufungspraktiken […] zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ (Kapitel 4), wobei beispielhaft auf den Rechtsphilosophen René Marcic, den Literaturwissenschaftler Adalbert Schmidt und den Staatsökonomen Friedrich August Hayek verwiesen wird. Marcic ist deswegen interessant, weil er als „Schlüsselfigur“ (S. 170) und „Grenzgänger zwischen den Wissenschaften, den Medien und der Publizistik“ (S. 183) auch als Professor die Nähe zu politischen Entscheidungsträgern suchte. Seine Berufung war verbunden mit der Errichtung einer Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät. Mit Schmidt verweist Pinwinkler auf einen Gründerprofessor, der vor 1945 dem Nationalsozialismus nahestand, völkisches Gedankengut in seinen literarischen Schriften propagandierte und sich zudem antisemitisch äußerte. Seine Habilitation im Jahr 1939 war ebenso umstritten wie seine Berufung an die Universität Salzburg, die auch von sozialdemokratischer Seite nicht abgewandt werden konnte. Die Ernennung des Nobelpreisträgers Hayek zum Gastprofessor geschah zum einen aus Prestigegründen, zum anderen sollte damit der Ankauf seiner bedeutenden Privatbibliothek in die Wege geleitet werden. In jedem der drei Fälle führt Pinwinkler vor, dass in den Berufungsverfahren nicht nur die Eignung für Forschung und Lehre diskutiert wurde, sondern mindestens in gleicher Weise günstige Vorteile für die Universität und persönliche Gefälligkeiten eine Rolle spielten.

Abschließend thematisiert Pinwinkler verschiedene Aspekte der akademischen Ehrungen, der Festkultur und Selbstinszenierung der Universität (Kapitel 5), die treffend unter dem Stichwort der „Vergangenheitspolitik“ beleuchtet werden. Besondere Aufmerksamkeit schenkt er dem „Ehrregime“, das mit der Salzburger „Gründergeneration“ eng vernetzt war und dafür sorgte, die NS-Vergangenheit in den Biografien der zu ehrenden Gelehrten möglichst auszublenden und zu verschweigen. Vergleichsweise wenig erfährt der Leser von möglichen Protesten und Widerständen, die – außerhalb professoraler Zirkel und abseits (partei)politischer Diskussionen – etwa im studentischen Milieu hervortraten. Die „68er-Bewegung“ habe sich in Salzburg, wie Pinwinkler angibt, nur in „stark abgeschwächter Weise manifestiert“ (S. 80), obwohl die Universität sogar Mobilisierungsort des Protestes war, wo teils „heftige Auseinandersetzungen mit politisch linken Studierenden“ (ebd.) entstanden. Leider wird dieser Aspekt auch im Kontext der Ehrungen nur am Rande erwähnt. Der studentische Protest scheint kaum Einfluss auf die Personalpolitik der Salzburger „Gründergeneration“ gehabt zu haben.

Den Abschluss des Bandes bildet ein mit weniger als drei Seiten ausgesprochen kurzes Resümee der rund 240 Seiten umfassenden Forschungsarbeit, in dem es Pinwinkler gelingt, seine wesentlichen Ergebnisse der fünf Kapitel zusammenzufassen sowie kritisch und differenziert zu beurteilen. Er hebt hervor, dass die Gründungszeit der Universität bis 1975 kaum als eine Phase der Erneuerung und Reform beschrieben werden könne, sondern anhand der personellen Struktur sowie deren Wandel deutlich werde, dass die Universität geprägt wurde von „schwerfälligen und intransparenten Berufungsverfahren“, von den Vorstellungen und Praktiken der „tradierten Ordinarienuniversität“ (S. 245) sowie von der Dominanz konservativer Gründungsprofessoren.

In der gesamten Forschungsarbeit ist der Begriff der „Gründergeneration“ prominent vertreten. Obwohl ihn Pinwinkler ausschließlich in Anführungszeichen verwendet, kennzeichnet er ihn nicht als Quellenbegriff oder historische Selbstbezeichnung, sondern als abstrakte Kategorie, mit der er „vor allem zu heuristischen Zwecken“ die ausgewählten Akteur/innen „in ihrer Gesamtheit als eine akademische Konfiguration“ (S. 10) zu fassen versucht. Dennoch vermittelt der Begriff die trügerische Vorstellung einer relativ homogenen Einheit, obwohl dies weder durch eine entsprechende Alterskohorte noch durch ein bestimmtes akademisches Milieu zum Ausdruck gebracht werden kann. Bei der „Gründergeneration“ handelt es sich vielmehr, wie im Verlauf der Studie deutlich wird, um eine in sich äußerst differente Untersuchungsgruppe, deren einzelne Akteur/innen in unterschiedlichen politisch-ideologischen Milieus verortet werden müssen. Vor diesem Hintergrund bleibt zu fragen, ob nicht eine genauere Systematisierung der Untersuchung – etwa durch eine gründliche Dokumentation des Untersuchungsgangs und der Methodenreflexion – für Leserinnen und Leser sinnvoll und hilfreich gewesen wäre, auch um den Begriff der „Gründergeneration“ besser zu konzeptualisieren. Die Rekonstruktion und Analyse der mentalen Orientierungsmuster, der individuellen und gruppenspezifischen Interessen und Konkurrenzen unter den Gründungsprofessor/innen ist Pinwinkler dennoch äußerst gut gelungen. Hierfür waren die Erschließung und Auswertung umfangreicher Archivbestände ebenso erforderlich wie eine sachkundige und aspektorientierte Kontextualisierung der ausgewählten Dokumente. Besonders hervorzuheben ist schließlich der erzählerische Ton seiner Darstellung, der den analytischen Blick auf das Wesentliche jedoch an keiner Stelle vermissen lässt. Insgesamt ergibt sich hieraus eine anregende und erkenntnisreiche Lektüre.

Der vorliegenden Forschungsarbeit ist es auf jeden Fall zu wünschen, dass sie zumindest in der bildungs- und universitätsgeschichtlichen Forschung eine breite Aufmerksamkeit erfährt. Dies gilt insbesondere im Rahmen zukünftiger Universitätsgeschichten, die sich ebenfalls, im Sinne von Paletschek, „exemplarisch-eklektischen Facetten mittlerer Reichweite“3 widmen möchten. Gerade für die Universitätsgeschichtsschreibung zum 20. Jahrhundert, die sich mit starker sozialwissenschaftlichen Orientierung der Idee von Universität, ihren Funktionen, Aufgaben und Spannungsfeldern innerhalb komplexen modernen Gesellschaften befassen will, können mikrogeschichtliche Studien eine sinnvolle Alternative zur klassischen Überblicksdarstellung bieten, in denen allzu häufig die Gefahr besteht, dass die Komplexität und Ambivalenz eines bedeutsamen Sachverhalts nur zugunsten einer größeren Kohärenz reduziert wird.

Nicht nur die Universität Salzburg blickt heute auf die 1960er- und 1970er-Jahre als eine spannungsreiche Phase zwischen Restauration und Reform zurück. Der Ruf nach besseren Bildungschancen, vor allem auch nach einer Abschaffung der Ordinarienuniversität, sorgte vor allem in der bundesdeutschen Hochschul- und Universitätslandschaft für eine Aufbruchsstimmung, die auch von studentischem Protest mitverantwortet wurde, sowie bildungs- und hochschulpolitische Initiativen bis hin zur Gründung moderner Reformuniversitäten und Gesamthochschulen zur Folge hatte, zum Beispiel in Bielefeld, Dortmund, Kassel und Konstanz. Wenn auch Pinwinkler die Parallelität dieser Entwicklungen in seiner Forschungsarbeit nicht mehr anspricht, so ist es doch zu wünschen, dass solche Forschungsperspektiven zukünftig von der Bildungs- und Universitätsgeschichtsforschung aufgegriffen und bearbeitet werden.

Anmerkungen:
1 Livia Prill / Christian George u.a. (Hrsg.), Universitätsgeschichte schreiben. Inhalte – Methoden – Fallbeispiele, Göttingen 2019.
2 Sylvia Paletschek, Stand und Perspektiven der neueren Universitätsgeschichte, in: Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 19 (2011), S. 169–189.
3 Ebd., S. 186.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/
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