G. Orbán: 1866: Am Ende war Königgrätz

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Titel
1866: Am Ende war Königgrätz. Taktik und Strategie im preußisch-österreichischen Krieg


Autor(en)
Orbán, Gábor
Reihe
Heere & Waffen
Erschienen
Anzahl Seiten
223 S., 176 Abb.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Götte, Dresden

Gábor Orbán thematisiert in seinem Werk militärische Aspekte für die Niederlage Österreichs im Krieg gegen Preußen im Jahr 1866. Er stellt die militärische Doktrin des kaiserlich-königlichen (k. k.) Heeres als wesentlichen Grund seines Unterliegens heraus. Im Fokus stehen also nicht die seit Kriegsende aufgekommene Schuldfrage einzelner Personen und des k. k. Generalstabs oder politische Dimensionen, sondern das strategische und insbesondere das taktische Wirken der k. k. Armee als Ursache für die Niederlage der Habsburgermonarchie. Orbán fragt danach, inwiefern der „napoleonische Kampfgeist“ (S. 8) des k. k. Heeres für sein Unterliegen ursächlich war. Zudem definiert er die Auswirkung der strategischen Defensive der Streitkraft auf ihre taktische Offensive.

Das militärfachliche Publikum erkannte schon vor 1866 die Überlegenheit des in geöffneter Gefechtsweise gebrauchten preußischen Zündnadelgewehrs gegenüber dem in geschlossener Formation mit aufgepflanztem Bajonett verwandten Vorderlader des k. k. Militärs. Wider besseres Wissen habe in der Truppenausbildung des k. k. Heeres gemäß Orbán weiterhin die Maxime gegolten, dass die Feuerwaffe die „Zuflucht des Schwachen, das Bajonnet [sic] aber die Waffe des Tapfern [sic]“ sei (S. 9). Erst nach ihrer Niederlage sei die k. k. Monarchie endlich zur gestreuten Gefechtsform übergegangen. Der k. k. Generalstab habe die alleinige strategische Schuld indes dem Feldherrn der österreichischen Nordarmee, Feldzeugmeister Ludwig von Benedek, angelastet. Dieses umstrittene Narrativ prägte den historischen Diskurs des Kriegs von 1866 die „nächsten 50 bis 100 Jahre“ (S. 12). Bis zum Zusammenbruch der Donaumonarchie seien neben strategischen und operativen Themen taktische Aspekte etwa in Regiments- und Bataillonsgeschichten nur partiell thematisiert worden. Die Betonung diplomatischer Fehlgriffe trat hinzu. Laut Orbán habe das Heeresgeschichtliche Museum in Wien 1966 zum 100. Gedenktag des Kriegs mit einem Ausstellungskatalog seit langem wieder taktische Themen in den Fokus der Forschung gerückt. Seit den 1990er-Jahren entstünden politisch-militärische Gesamtdarstellungen von 1866. Zugleich habe die differenziertere Betrachtung militärischer Hintergründe zu einer „Zersplitterung der Aspekte“ (S. 14) geführt, ohne sie in einer militärhistorischen Gesamtdarstellung zu vereinen.1

Im ersten Kapitel umschreibt Orbán die österreichische Armee von 1815 bis 1866 als der Streitkraft Preußens überlegen. Die ausbleibende strukturelle wie technische Reform des Heeres, bedingt durch Tradition und Geldmangel, habe auf dem Schlachtfeld von Königgrätz jedoch den siegreichen Nimbus der k. k. Armee begraben. Der zweite Abschnitt schildert den Verlauf des Kriegs, wobei eine deutlichere Hervorhebung und Gegenüberstellung unterschiedlicher taktischer, operativer und strategischer Aspekte der Armeen den Überblick hinsichtlich der Fragestellungen optimiert hätte. Das nächste Kapitel umschreibt die Beschaffenheit der Kriegsschauplätze. Gemäß Orbán seien die naturräumlichen Gegebenheiten des Habsburgerreichs für seine Defensivstrategie entscheidend gewesen. Zudem habe die Monarchie „1866 sowohl auf dem böhmischen als auch auf dem oberitalienischen Kriegsschauplatz über ein dichtes Netz an Festungen“ (S. 93) verfügt. Sie dienten dem k. k. Heer als Ausgangspunkte seiner offensiven Armeen.

Im vierten, umfangreichsten Abschnitt behandelt Orbán die Taktik der k. k. Streitkraft. Bis zu den französischen Revolutionskriegen sei die Lineartaktik die „nahezu ausschließliche Form“ (S. 101) gewesen. Ihr entgegen trat die Formation der tief gestaffelten Kolonne. Beide Formen fügten sich unter Napoleon in der ordre mixte zusammen. Das Feuer der Hinterlader der Preußen verursachte in den geschlossenen Formationen des k. k. Heeres im Krieg von 1866 beispiellose Verluste. Die zehn k. k. Armee-Korps umfassten unter Einbeziehung von Gedienten und Rekruten auf dem Papier 850.000 Soldaten, wobei die tatsächliche Stärke nach der Mobilmachung im Juni 1866 „um 30 bis 40“ Prozent (S. 104) darunter lag. Anders als beim schneller gegliederten Feind stellte sich ein „Organisationschaos“ (S. 108) ein. Zur schlechten militärischen Ausbildung der Soldaten und ungenügenden Zahl von (Unter-)Offizieren mangels Devisen trat die Sprachvielfalt hinzu, welche die Befehlsübermittlung im k. k. Heer erschwerte. Orbán konstatiert weiter, dass in der k. k. Armee die Schießausbildung der Fertigkeit im Bajonettangriff nachstand. Das Feuergefecht galt als taktisches Element der Defensive, in der die überlegene Reichweite und Präzision der Lorenzgewehre wirkte. Im massierten Angriff habe das Schwergewicht auf der Bajonettattacke gelegen. Dieser Stoßtaktik, der betonten Überlegenheit im Handgemenge, stand die auf dem Zündnadelgewehr beruhende, überlegene Schnellfeuertaktik der Preußen entgegen. Unter Vermeidung des direkten Zusammenstoßes stoppte sie den Gegner nicht allein, sondern band ihn und warf ihn verlustreich und demoralisiert zurück. Diese taktischen Grundzüge der Infanterie veranschaulicht Orbán anhand von Gefechtsformationen und -berichten. Erkundete und kämpfte die leichte Reiterei erfolgreich, so blieb die Wirkung der schweren Kavallerie bei ihren direkten Attacken mit Blankwaffen gering. Allein die k. k. Artillerie stellte sich dem Gegner als überlegen heraus.

Im letzten Kapitel gibt Orbán einen Exkurs zur strategischen Ebene. Das Habsburgerreich setzte 1866 auf eine defensive Positionsstrategie, während die preußische Streitkraft offensiv operierte. Ihre taktische Überlegenheit habe über die operative Verfolgung den strategischen Sieg ermöglicht. Angesichts des Scheiterns massierter Infanterieangriffe im Abwehrfeuer eines mit Hinterladern bewaffneten Gegners sei die Lehre aus der Schlacht von Königgrätz für die k. k. Armee gewesen, die offene Formation von Truppen zu favorisieren. Dies wiederum beeinflusste die Montur und Ausrüstung der Soldaten. Orbán resümiert, dass die „eigentliche Ursache der militärischen Niederlage“ des k. k. Heeres „der Irrglaube [gewesen sei], der Bajonettkampf wäre dem Feuergefecht überlegen“ (S. 206). Diese aus den Koalitionskriegen hervorgegangene Offensivtaktik wirkte negativer auf die strategische Defensive der k. k. Streitkraft zurück, als sie von ihr beeinflusst wurde. Ihre massierte Stoßtaktik unterlag dem zerstreuten Feuergefecht des preußischen Heeres. „Das Entscheidende war [somit] nicht die Bewaffnung an sich, sondern der Umgang mit der Bewaffnung“ (S. 207) durch die k. k. Infanterie, was das professionellere Zusammenwirken der Waffengattungen in dieser Armee nicht auszugleichen vermochte.

Gábor Orbán gelingt es mit seiner Studie, basierend auf umfangreicher Literatur und einigen Archivquellen, militärische Aspekte für die Niederlage des k. k. Heeres im Preußisch-Österreichischen Krieg von 1866 zu definieren und für ein breites Publikum verständlich zu vermitteln. Das umfangreiche Kartenmaterial sowie zahlreiche Abbildungen und Fotografien bieten sachliche Veranschaulichung neben thematischer Bebilderung. Die Handhabung der gelungenen Studie erleichtern ein Orts- und Personenregister.

Anmerkung:
1 Vgl. Stefan Kurz, 150 Jahre Schlacht von Königgrätz – Betrachtungen zum Forschungsstand, in: Viribus Unitis 2016, Jahresbericht Heeresgeschichtliches Museum Wien, Wien 2017, S. 28–44.

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