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Titel
Geschichte des Hellenismus.


Autor(en)
Mittag, Peter Franz
Reihe
Oldenbourg Grundriss der Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
333 S.
Preis
€ 24,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nicole Diersen, Alte Geschichte, Historisches Seminar, Universität Osnabrück

„Der Versuch, in diese großen Fußstapfen [sc. von Hans-Joachim Gehrke] zu treten, stellt ein Wagnis dar […]“ (S. VII), so formuliert Peter Franz Mittag seine von ihm selbst bezeichnete ehrenvolle wie Bürde belastete Aufgabe, eine Neuauflage der in der Reihe ‚Oldenbourg Grundriss der Geschichte‘ erschienenen ‚Geschichte des Hellenismus‘ zu konzipieren. Sein Ziel ist es, sich an Gehrke anzulehnen, aber auch den Band hinsichtlich der Forschungspositionen wie neuen Forschungsfeldern zu aktualisieren; im Mittelpunkt der Untersuchung stehe die Forschung des 21. Jahrhunderts. (S. VII; 134f.).

Ein Blick in die Gliederung zeigt, dass er seine Ansprüche einlöst. Anders als Gehrke gliedert Mittag wie folgt: Alexander der Große (Kap. 1), Die hellenistische Welt nach dem Tod Alexanders des Großen (Kap. 2), Herrschaft und Gesellschaft (Kap. 3). Diese Gliederung gilt mit kleinen Abweichungen in den Unterpunkten für die Darstellung (Teil I), für den Forschungsteil (Teil II) sowie für die Bibliographie (Teil III). Während Mittag die grobe Gliederung, mit anderer Struktur und einigen Änderungen in der Formulierung – für Kapitel 2 etwa die Zeit der Diadochen, Die Geschichte der großen hellenistischen Monarchien, vormals unter „Hellenistische Politik“ – von Gehrke übernommen hat, löst er sich gemäß dem Trend der Zeit von einer eurozentrischen Sicht auf die hellenistischen Reiche. Er erweitert die Darstellung um die Aspekte „Von Sizilien bis Epeiros“ (2.4) sowie „An den Rändern der hellenistischen Welt“ (2.5), wo er auf die einzelnen angrenzenden kleineren (König)Reiche eingeht, wie etwa Bithynien, Pontos, die Hasmonäer oder auch Baktrien. Für Kapitel 3 hat Mittag im Grunde ebenfalls Gehrkes Struktur übernommen, allerdings mit einigen Änderungen und Hinzufügungen in der Feingliederung, etwa die Aspekte „Hof“ (3.2), „Das Verhältnis zur indigenen Bevölkerung“ (3.5.) oder „Verhältnis zu den griechischen poleis“ (3.6). Überdies hat Mittag ein Kapitel „Nachwirken“ (Kap. 4) hinzugefügt, in dem er auf die Rezeptionsgeschichte ausgewählter Figuren (Alexander der Große, Mithridates VI. und Kleopatra VII.) eingeht.

Während Mittag der Loslösung von der eurozentrischen Sichtweise nachgekommen ist, integriert er eine angemessene Betrachtung der Geschlechtergeschichte nur unzureichend in sein Werk.1 Zu erwarten gewesen wäre, dass dieses hochaktuelle Thema als eigener Gliederungspunkt unter „Herrschaft und Gesellschaft“ angeführt worden wäre, es erscheint dort aber lediglich unter den Randnotizen „Weibliche Familienmitglieder“ und „Geschwisterehen“ und wird damit als eigenständiges Thema marginalisiert (S. 74f.). Frauen rund um die Herrscher werden zwar bisweilen in die Darstellung der Ereignisgeschichte, vor allem der Heiratspolitik, einbezogen (2.1 und 2.2 passim; auch S. 169f.; 182) und es erfolgt eine Randnotiz „Bedeutung der Frauen“ unter Teil II., Kapitel 2.2 (S. 140–142), der die besondere Hervorhebung der Figur Kleopatras VII. folgt (S. 142–144). Hierbei ist fraglich, ob Kleopatra VII. immer noch eine derart prominente Rolle zuzuschreiben ist oder ob in der Forschung nicht vielmehr andere Königinnen an Bedeutung gewonnen haben, vor allem für den Verlauf der politischen Ereignisse, wie etwa Olympias oder Arsinoë II. Dass das Thema Geschlecht nicht adäquat berücksichtigt wird, verdeutlicht auch die Bibliographie. Personen, die sich in das Thema Geschlecht einlesen möchten, müssen sich zunächst durch das Literaturverzeichnis hangeln. Auch wenn, wie Mittag in seinem Vorwort ankündigt, dass hinsichtlich der Literatur „eine Auswahl getroffen werden“ müsse (S. VII.), legitimiert dies bei weitem nicht, dass aktuelle, grundlegende Werke nicht angeführt werden, wie etwa das zweibändige Werk „Basilissa“ von Christiane Kunst2 oder Elizabeth Carneys Biographien zu Olympias3 sowie Arsinoë II.4. Doch sollte inzwischen Geschlecht ein derart etabliertes Thema sein, dass man nicht mehr im Text danach suchen sollte, sondern es gerade in solch einem Überblickswerk als eigenständiger Abschnitt ausgewiesen ist.

Zu Philipp II. wie dessen Sohn Alexander III. (Kap. 1), aber auch hinsichtlich der hellenistischen Ereignisgeschichte (Kap. 2) zeichnet Mittag trotz der enormen Fülle an Informationen die großen Entwicklungslinien verständlich nach. Vor allem der Abschnitt „An den Rändern der hellenistischen Welt“ (2.5) zeigt deutlich auf, dass die drei ‚Großreiche‘ Antigoniden, Seleukiden und Ptolemäer kein abgeschlossenes System bildeten, sondern sie mit weiteren Reichen verflochten waren und Bündnisse eingegangen wurden – Stichwort Heiratspolitik (S. 51; 53; 56, 58f.). Auffallend in diesem Kapitel ist jedoch anschließend an die angeführte Kritik zur Geschlechtergeschichte, dass es im Hinblick auf die ägyptischen Konflikte zwischen Ptolemaios VI. und Ptolemaios VIII. wünschenswert gewesen wäre, Kleopatra II. als Schlüsselfigur prominenter darzustellen (Erwähnung lediglich auf S. 34). Vor dem Hintergrund, dass Mittag den Aspekt der ‚Modernisierung‘ berücksichtigt, ist ferner fraglich, warum Alexander III. immer noch durchweg als Alexander der Große bezeichnet wird. Derartige veraltete und idealisierende Bezeichnungen sollten wir hinter uns gelassen haben.

Mittag geht unter anderem auf die vieldiskutierte Forschungsdiskussion zum Charakter der hellenistischen Monarchie (Kap. 3) ein. Das hellenistische Herrschaftssystem ist aufgrund seiner Entstehungsgeschichte ein komplexes Gebilde – Herrscher, vor allem die erste Generation nach Alexander, legitimieren sich über Sieghaftigkeit5; sie herrschten über ihre Truppen, nicht über Gebiete. Deshalb ist Mittag zuzustimmen, wenn er betont, dass eine Charakterisierung unmöglich scheint und diese aufgrund der Quellenlage kaum erfahrbar sei (S. 162). Dennoch zeichnet er die groben Entwicklungslinien transparent und plausibel nach, vor allem bei den Argeaden sei eine Traditionslinie erkennbar (S. 163). Mittag stellt ferner den Zusammenhang zwischen der neuen Macht Rom und Griechenland, auch über den Hellenismus hinaus, einleuchtend heraus (Kap. 4) und öffnet den Blick für weitere geographische Bereiche. So gelte Griechenland als ein kulturelles Zentrum für das Partherreich (S. 120). Auch hinsichtlich der Alexander-Rezeption bezieht er die islamische Tradition ein (S. 124).

Nachteil eines solchen knappen und kompakten Überblickswerkes ist, dass die Darstellung zu Lasten der kritischen Prüfung der Quellen geht, da die Ereignisse auf einen Nenner herunterzubrechen sind. So ist trotz der steten Herstellung von Quellenbezügen an manchen Stellen die Herkunft von Aussagen uneindeutig, so etwa, dass Mithridates I. den in seiner Gefangenschaft verweilenden Seleukidenkönig Demetrios II. dazu gezwungen habe, seine Schwester Rhodogune zu heiraten (S. 36). Die Quellen verlieren hierüber kein Wort.6 Dies betont einmal mehr den Überblickscharakter, demzufolge die Leser:innen zwar einen fundierten Eindruck von der Thematik erhalten, Inhalte aber bei vertiefender Arbeit mit dem Gegenstand eingehend, vor allem anhand des Quellenmaterials und unter Hinzuziehung weiterer Literatur kritisch überprüfen müssen. Natürlich ist die hellenistische Geschichte aufgrund der kontroversen Geschichtsschreibung sehr verwirrend, aber gerade das hätte Mittag zu Beginn seines Werkes erwähnen müssen, damit gerade Studienanfänger:innen einleuchtet, dass es sich hier nicht um die Wahrheit handelt (gut gelöst etwa auf S. 63).

Trotz der angeführten Mängel eignet sich das Werk hervorragend als Einstieg für Studienanfänger:innen oder, um sich in ein bestimmtes Themenfeld einzuarbeiten. Die Themen sind jeweils knapp und verständlich zusammengefasst. Es werden zahlreiche Aspekte erwähnt – der Band wird somit einem Überblickswerk vollkommen gerecht. Doch gerade deshalb wäre es umso wichtiger gewesen, dass alle Themen, wie etwa die Geschlechtergeschichte, zumindest sichtbar werden, damit die interessierte Leser:innenschaft zumindest eine Chance hat, in diesem Bereich weiter zu forschen. Das Buch ist, obgleich der Dichte an Informationen, sehr flüssig zu lesen, da ein Thema auf dem anderen aufbaut und Rückbezüge hergestellt werden (etwa zur Hasmonäerdynastie, S. 87f.; Administration und Zusammenarbeit mit den lokalen Eliten und den griechischen poleis). Das „Wagnis“, auf das Mittag sich eingelassen hat, hat sich voll und ganz gelohnt.

Anmerkungen:
1 Dies forderten bereits Robert Rollinger und Kordula Schnegg im Jahre 2006, siehe Robert Rollinger / Kordula Schnegg, Einleitung. Geschlechterrollen – Frauenbilder. Diskurse – Realität(en). Einige Gedanken zur Unvermeidlichkeit grundsätzlich-methodologischer Reflexion am Beispiel terminologischer Fragen, in: Robert Rollinger / Christoph Ulf (Hrsg.), Frauen und Geschlechter. Bilder – Rollen – Realitäten in den Texten antiker Autoren zwischen Antike und Mittelalter, Böhlau 2006, S. 13–38, S. 22.
2 Christiane Kunst, Basilissa. Die Königin im Hellenismus (Bd. 1: Darstellung), Rahden 2021.
3 Elizabeth D. Carney, Olympias. Mother of Alexander the Great, London u. a. 2006.
4 Elizabeth D. Carney, Arsinoë of Egypt and Macedon. A Royal Life, Oxford 2013.
5 Hans-Joachim Gehrke, Der siegreiche König. Überlegungen zur Hellenistischen Monarchie, in: Archiv für Kulturgeschichte 64 (1982), S. 247–277.
6 Einzig App. Syr. 69 erwähnt Rhodogyne lediglich ohne weitere Bemerkungen zu ihr.

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