D. Schleinert (Hrsg.): Frieden im Ostseeraum

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Titel
Frieden im Ostseeraum. Konfliktbewältigungen vom Mittelalter bis 1945


Herausgeber
Schleinert, Dirk
Reihe
Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Pommern. Reihe V: Forschungen zur Pommerschen Geschichte
Erschienen
Anzahl Seiten
244 S.
Preis
€ 60,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dorothée Goetze, Institution för humaniora och samhällsvetenskap, Mittuniversitet

Vor dem Hintergrund des 650. Jubiläums des Stralsunder Friedens von 1370 rückt der vorliegende Sammelband weitere Friedensschlüsse im Ostseeraum in diachroner Perspektive in den Fokus. In insgesamt elf Beiträgen diskutieren die Autoren (!) Frieden vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert. Anfang und Endpunkt des behandelten Zeitraums zwischen 1370 und 1945 werden mit den Jubiläen von 2020 begründet. Allerdings sind die einzelnen Jahrhunderte sehr unterschiedlich repräsentiert: Drei Beiträge befassen sich mit mittelalterlichen Verträgen des 14. und 15. Jahrhunderts, zwei Artikel beleuchten frühneuzeitliche Frieden. Für das 20. Jahrhundert liegt eine Studie zur deutsch-dänischen Grenzabstimmung von 1920 vor. Zudem haben gleich fünf Texte das Ende des Zweiten Weltkrieges zum Thema. Nicht berücksichtigt werden das 17. Jahrhundert und, überraschend, das 19. Jahrhundert, obwohl die Frieden von Kiel (1814) oder Wien (1864) die staatsrechtlichen Verhältnisse im Ostseeraum nachhaltig änderten. Mit dem Kieler Frieden wurden die seit dem Mittelalter bestehende dänisch-norwegische Union aufgelöst. Bis 1905 wurde Norwegen fortan in Union mit Schweden regiert. Zudem erhielt Großbritannien die Insel Helgoland. Der Wiener Frieden, der den deutsch-dänischen Krieg beendete, schrieb die Abtretung des Herzogtum Schleswigs an Preußen vor und kann als ein Startpunkt für den bis 1955 anhaltenden Konflikt um die deutsch-dänische Grenze interpretiert werden.

Die in diesem Band versammelten Beiträge folgen keiner einheitlichen, inhaltlichen oder strukturellen Linie. Das ist allerdings keine Schwäche, vielmehr gelingt es gerade dadurch, zahlreiche Aspekte von Friedensfindung aufzugreifen. Dies zeigt sich bereits an den Artikeln zu Frieden im Mittelalter. Diese thematisieren politische Handlungsspielräume, den Inhalt von Friedensverträgen oder die Verhandlungen selbst. Während Dirk Schleinert die politischen Handlungsspielräume der Hanse- und Mediatstadt Stralsund und der Fürsten von Pommern-Wolgast zur Zeit des Stralsunder Friedens (1370) ausleuchtet, rekonstruiert Oliver Auge die Verhandlungen, die zum Vertrag von Perleberg 1420 führten, und diskutiert dessen Bedeutung. Über die vom Verfasser hervorgehobene Bedeutung dieses Abkommen für die Sicherung der Landesherrschaft der Hohenzollern über die Mark Brandenburg und der territorialen Verschiebungen um Hamburg hinaus verdient es Aufmerksamkeit, weil die ihm vorausgehenden Verhandlungen ein Beispiel für einen sehr frühen Friedenskongress liefern und somit das Bild von der Kongressdiplomatie als Erfindung der Frühen Neuzeit und besonders des 17. Jahrhunderts modifizieren können. Klaus Neitmanns Beitrag ist mit 35 Seiten der längste Text des Bandes und nimmt die Landfriedensverhandlungen zwischen dem Deutschen Orden und den pommerschen Herzogtümern im 15. Jahrhundert in den Blick. Dabei verbindet der Autor, wenngleich ohne explizite Berücksichtigung der Forschungsliteratur, eine diplomatiegeschichtliche Perspektive mit der bislang in der Forschung dominierenden verfassungshistorischen Interpretation von Landfrieden. Dieser Ansatz korrespondiert mit aktuellen Entwicklungen der Diplomatiegeschichte, die für eine stärkere Berücksichtigung nach innen gerichteter Formen von Diplomatie etwa für das Alte Reich, aber auch die Schweiz, die Niederlande oder den spanischen Konglomeratstaat plädieren.

Aus der Vielzahl der frühneuzeitlichen Friedensverträge wurden der Stettiner Friede (1570) und die Verträge zum Abschluss des Großen Nordischen Krieges (1719–1721) gewählt, die zugleich Anfang und Ende der schwedischen Großmachtzeit markieren. Bengt Büttner und Joachim Krüger fassen in ihren Beiträgen zum Nordischen Siebenjährigen Krieg (1563–1570) und dem Großen Nordischen Krieg (1700-1721) das jeweilige Kriegsgeschehen und die Friedensverhandlungen zusammen. Mit dem Stettiner Frieden (1570) wurden auch Instrumente zur Friedenssicherung eingeführt, die künftige Konflikte vermeiden sollten: Unter Rückgriff auf die Zeit der Kalmarer Union wurden Grenztreffen zwischen Dänemark und Schweden wieder aufgenommen, bei denen Streitigkeiten zwischen beiden Mächten am Verhandlungstisch geklärt werden sollten. Zudem sollte ein neues Schiedsverfahren eingeführt werden, das jedoch nicht zum Tragen kam. Büttner betont, dass diese Maßnahmen durch die starke Stellung der Reichsräte zu verfassungsrechtlichen Konflikten um herrscherliche Prärogative führten. Krieg war dadurch nicht länger ein Instrument der Außenpolitik, sondern wurde zum attraktiven Mittel, um innenpolitische Rivalitäten zu beseitigen (S. 109). Hier deutet sich an, dass Frieden, obwohl als Idealzustand angesehen, nicht ausschließlich Vorteile hatte; eine Denkweise, die weit von modernen Friedensvorstellungen entfernt ist.

Jens E. Olesen zeichnet den Konflikt um die Festlegung der deutsch-dänischen Grenze und die Regelung der sogenannten Schleswig-Frage zwischen 1864 und der Abstimmung 1920 nach. Im Zentrum seines Beitrages stehen die Probleme der Implementierung von Friedensabkommen und ihren Bestimmungen mit Blick auf Minderheiten und ihre Rechte. Gelöst werden konnte die Schleswig-Frage letztlich erst mit der Bonn-Kopenhagener Erklärung 1955. Das führt zu der, wenn überhaupt nur indirekt formulierten Frage nach Wirkmächtigkeit und Dauerhaftigkeit von Friedensregelungen.

Karl Christian Lammers, Fritz Petrick, Kent Zetterberg und Manfred Menger fassen das Ende des Zweiten Weltkrieges in den vier skandinavischen Ländern Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland jeweils knapp zusammen. Im Kontrast dazu steht Matthias Mankes Beitrag, der eine mikrohistorische Studie beisteuert, in der er das Kriegsende in Vorpommern zwischen Mai und September 1945 untersucht. Aus zahlreichen Egodokumenten und Quellen rekonstruiert er den Übergang vom Kriegs- zum Friedenszustand und, wie die Lokalbevölkerung diese Transitionsphase erlebte. Im Gegensatz zu Olesens Beitrag steht nicht die Umsetzung von Vertragsbestimmungen im Mittelpunkt, sondern eine alltagsgeschichtliche Perspektive auf die Erfahrungswelt der Zivilbevölkerung. Ein solcher Ansatz fehlt für ältere Epochen häufig.

Abgerundet wird der Band von einer Einleitung, die den Entstehungskontext und die Struktur des Buches erläutert, einem Personen- und einem Ortsregister sowie dem Verzeichnis der Autoren. Dass sich unter den Beitragenden keine einzige Frau findet und es sich beim vorliegenden Band somit um eine all-male-Publikation handelt, ist allerdings nicht mehr zeitgemäß.

Mit Frieden im Ostseeraum wirft der Herausgeber ein Schlaglicht auf eine Region, die in der deutschen Geschichtswissenschaft noch immer wenig Beachtung findet. Ohne explizit an aktuelle Diskussionen der Historischen Friedensforschung anzuknüpfen, vermittelt der Band einen Einblick in die Komplexität von Frieden und nimmt zahlreiche Aspekte von Friedensfindung, -implementierung und -sicherung in den Blick. Eine weitere Stärke des Bandes ist der transepochale Ansatz, der in einer immer stärker ausdifferenzierten Geschichtswissenschaft viel zu selten Anwendung findet und fruchtbaren Austausch zwischen den Epochen ermöglicht. Allerdings wäre hier ein übergreifender Kommentar (in der Einleitung) hilfreich gewesen, der diese unterschiedlichen Perspektiven zusammenführt. So bleibt es der Leserschaft überlassen, dieses Potential auszuschöpfen.

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