Autor(en): | Hübner, Klara |
Titel: | Im Dienste ihrer Stadt. Boten- und Nachrichtenorganisationen in den schweizerisch-oberdeutschen Städten des Späten Mittelalters |
Reihe: | Mittelalter-Forschungen 30 |
Ort: | Ostfildern |
Verlag: | Jan Thorbecke Verlag |
Jahr: | 2012 |
ISBN: | 978-3-7995-4281-4 |
Umfang/Preis: | 387 S. |
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Isabelle Schürch, Mittelalter, Universität Zürich
E-Mail: <isabelle.schuerch
Zum ersten Mal liegt uns eine umfassende Studie zu denjenigen Akteuren vor, die im Spätmittelalter im Dienste der Stadt unterwegs waren: Den Boten. Klara Hübner stellt in ihrer fast 400-seitigen Berner Dissertationsschrift systematisch die Nachrichten- und Botenorganisationen der Städte Bern, Freiburg, Basel und Strassburg vor, ohne dabei den schweizerisch-oberdeutschen Städteraum und die Beziehungen zwischen den sich etablierenden urbanen Zentren aussen vor zu lassen. Ziel der Arbeit ist es, die von modernen Post-Narrativen überlagerte Bedeutung und Funktion der mittelalterlichen Nachrichtenübermittlung aufzuzeigen und in einem städtisch-sozialen Kontext zu verorten.
Die Anlage der Arbeit ermöglicht es, sich zuerst einen Überblick über die Genese der organisierten Nachrichtenübermittlung – so der von der Autorin favorisierte Terminus (S. 14) – in verschiedenen Städten (Kap. 1) und das damit eng verschränkte disparate Schriftgut der städtischen Kanzlei (Kap. 2) zu verschaffen. Im eigentlichen Hauptteil diskutiert Klara Hübner das Botenwesen als spätmittelalterliche Organisationsform (Kap. 3) und fokussiert auf das städtische Dienstpersonal, also die eigentlichen Akteure, deren Herkunft, Vernetzung und Handlungsspielraum (Kap. 4). Dieser Teil ist es denn auch, der die besondere Stärke der Arbeit ausmacht. Im Gegensatz zu den vorangehenden Kapiteln führen die beiden Hauptkapitel in analytischer Hinsicht weiter. Hier fokussiert Hübner auf die Bedingungen der Übertragung und vor allem auf die sozialen Verflechtungen zwischen Dienstleuten und einflussreichen Geschlechtern, die auf unterschiedlichen Ebenen am städtischen Informationsaustausch teilnahmen.
Die beiden folgenden Kapitel wiederum nehmen eine je ergänzende Perspektive ein. Zum einen führt Hübner aus, wie und unter welchen Reise- und Infrastrukturbedingungen die Nachrichtenüberbringer unterwegs waren (Kap. 5), zum anderen wird die Nachrichtenübermittlung in den weiteren Kontext der Herrschaftsausübung und Bündnispolitik gestellt (Kap. 6). Damit ergänzt Hübner die Forschung zur Geschichte der Eidgenossenschaft und der Herrschaftsintensivierung im Raum der heutigen Schweiz durch einen informationsgeschichtlichen Ansatz. Eigentlich könnte die Arbeit hier schliessen und bezeichnenderweise wird an dieser Stelle auch eine «(Zwischen)bilanz» (Kap. 7) gezogen. Die Resultate, unter anderem dass die Nachrichtenübermittlung ab dem 13. Jahrhundert in ihren Ausdifferenzierungsformen (Weibel, Reiter, Läufer etc.) Entwicklungen im städtischen Organisationswesen widerspiegeln und vor allem auf den nahräumlichen und immer auch sozial durchflochtenen Interaktionsraum (Untertanengebiet, Bündnispartner) bezogen blieb, werden hier noch einmal konturiert. Klara Hübner setzt daraufhin erneut an (Kap. 8) und führt auf rund zwanzig Seiten weitere «Perspektiven und Ausblicke» aus. Widmet man sich einem bislang wenig systematisch erforschten Untersuchungsgebiet wie der Nachrichtenübermittlung, welches zugleich unterschiedliche Forschungsschwerpunkte (Informations- und Verwaltungsgeschichte, Stadt- und Sozialgeschichte) miteinbezieht, so mag es nicht erstaunen, dass die Autorin gleich eine Vielzahl an unterschiedlichen Perspektiven und Herangehensweisen einzuarbeiten sucht. So fügt gerade dieses letzte Kapitel zahlreiche spannende und interessante Hinweise auf Informationsaustausch in Konfliktsituationen und die Demonstration der Flexibilität schriftlicher und mündlicher Kommunikation in Krisenzeiten hinzu, was jedoch bedingt durch die Anlage des Buches eher akkumulativ wirkt. Erst der abschliessende Epilog vermag den Bogen zurück zur Ausgangssituation zu schlagen. Die Vorstellungen von einer straff organisierten und effizienzaffinen neuzeitlichen Post kontrastieren meist mit dem Bild des «Hinkenden Boten» des Mittelalters. Hübners Forschungsarbeit leistet den ungemein wichtigen Beitrag zu einem Verständnis der mittelalterlichen Nachrichtenübermittlung, die aus dem städtischen Kontext heraus zu verstehen ist und nicht an postalischen Informationsflüssen gemessen werden sollte. Nachrichtenübermittlung im ausgehenden Mittelalter ist charakterisiert durch eine sich diversifizierende Ämterlogik, eine sich entwickelnde städtische Administrationskultur, enge soziale Verflechtungen und letztlich auch eine grundsätzliche Flexibilität und Pragmatik.
Sowohl die eben ausgeführten Punkte wie auch der reiche Anhang mit zahlreichen Eidtexten, Amtslisten und graphischen Tafeln (Karten, Diagramme, Bilder) machen das Buch zu einer zum Nachschlagen einladenden Informationsquelle. Besonders hervorzuheben ist zudem, dass die Autorin sich auch mit der französischsprachigen Forschungsliteratur auseinandersetzt, was nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit darstellt.
Dieser Band birgt viel neues Wissen zum Verständnis mittelalterlicher Kommunikations- und Austauschprozesse. Der städtische Interaktions- und Herrschaftsraum wird nicht nur von Ratsfamilien gestaltet, sondern auch von Dienstleuten und Gelegenheitsboten, die diesen eben auch mitprägten. Will man einen Kritikpunkt finden, gelingt es wohl in jeder Arbeit. Hier wäre es, vor allem aus methodischer Sicht, durchaus lohnenswert, die engen intermedialen Verknüpfungen von Boten, Dokumenten und Nachrichten (und damit auch von Form und Inhalt) prinzipieller und systematisch zu problematisieren. Gerade die herausgestellte Entwicklung aus dem Weibelamt wirft die grundsätzlichere Frage nach Stellvertreterschaft respektive Delegation von Personen «im Dienste ihrer Stadt» auf. Hier könnte denn auch die Diskussion der Bedeutung und Funktion pätmittelalterlichen administrativen Schriftgutes noch gewinnbringender vorangetriebenwerden, stehen doch gerade Eid- und Rechnungsbücher oder andere Dokumentenkompilationen in spezifischen Archiv- und Herrschaftskontexten. Zwar werden die Dokumentationsformen städtischer Kanzleien vorgestellt, aber eine methodisch-systematische Inbezugsetzung der überlieferten Akten und der Nachrichtenübermittlung bleibt hinter der detailreichen Schilderung der Entwicklungsgeschichte zurück.
Städtische Herrschaft und Informationsübermittlung wird – so erhofft es sich die Rezensentin – nicht mehr länger ohne deren Übermittler, die bei Regen und Dunkelheit, Krieg und Frieden, zu Fuss oder zu Pferd unterwegs waren, diskutiert werden können.