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Frühe Neuzeit

Historisches Museum Basel (Hg.): In der Fremde

Grossmann, Flavia <flavia.grossmannunibas.ch>
 
Titel:In der Fremde – Mobilität und Migration seit der Frühen Neuzeit
Herausgeber:Historisches Museum Basel
Ort:Basel
Verlag:Historisches Museum Basel
Jahr:
ISBN:978-3-9523034-9-8
Bemerkungen:Katalog zur Ausstellung vom 23. September 2010 bis 27. März 2011 im Historischen Museum Basel, Barfüsserkirche
Umfang/Preis:296 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Flavia Grossmann, Neuere Allgemeine Geschichte, Universität Basel, Departement Geschichte
E-Mail: <flavia.grossmannunibas.ch>

Die vorliegende Publikation dokumentiert die erfolgreiche Ausstellung «In der Fremde – Mobilität und Migration seit der Frühen Neuzeit» des Historischen Museums Basel. Die Ausstellung, die in der Barfüsserkirche in Basel gezeigt wurde, war ursprünglich vom 23. September 2010 bis Ende März 2011 angesetzt, verlängerte ihre Laufzeit aber schliesslich bis zum 30. April 2011 – dies möglicherweise ein Zeichen für das rege Publikumsinteresse am Thema. Viele Exponate werden in dieser Publikation zum ersten Mal publiziert, andere werden durch ihre neue Zuordnung in Lebensgeschichten einzelner Personen unter einem neuen Aspekt vorgestellt.

Im Zentrum der Ausstellung und des dazugehörigen Katalogs steht die Sichtbarmachung der Tatsache, dass Mobilität, Migration und die damit verbundene Problematik im Umgang mit Fremden keine neuen Phänomene sind, sondern bereits seit Generationen zu unserer Gesellschaft gehören. Anhand von 18 Kapiteln werden verschiedene Motive, wie Ausbildung, Arbeitswanderung oder Flucht für das Kommen, Gehen und eventuelle Bleiben beschrieben. Basel als Knotenpunkt grosser Verkehrsachsen, als bedeutende Handels-, Universitäts- und Kulturstadt sowie wichtiger Standort von Industrie und Banken eignet sich dabei als Modellfall.

Anhand von typischen Biographien wird veranschaulicht, wie mobil verschiedene Bevölkerungsschichten bereits seit der Frühen Neuzeit waren und wie vielfältig Wanderungsgründe sein können, um nach und von Basel wegzuziehen. Dabei spielen in der vorliegenden Darstellung bekannte Basler ExponentInnen und deren Familien, wie die Seidenbandfabrikanten Sarasin, Erasmus von Rotterdam, Wilhelm Wackernagel und andere eine ebenso wichtige Rolle wie die einfache Bevölkerung und randständige Personen der Gesellschaft, wie BettlerInnen, SchauspielerInnen und GastarbeiterInnen jüngerer Zeit. Gerade das Bild letzterer Gruppierung nachzuzeichnen, ist aufgrund der Überlieferungssituation schwierig. Zumeist nur typenhafte Abbildungen sowie ein Mangel an Porträts und schriftlichen Zeugnissen machen ihre Darstellung zu einem anspruchsvollen Unterfangen. Eine weitere allgemeine Schwierigkeit ist die eindeutige Zuteilung einer Person zu einem einzigen Wanderungsmotiv, was in der Einleitung aufgenommen wird. Eine Kombination von Gründen wie Abenteuerlust, Ausbildung und Handelsinteressen konnte eine Person – wenn auch nicht immer synchron – auf sich vereinen.

Neben den verschiedenen Wanderungsmotiven (Ausbildung, Flucht etc.) erwähnt der Katalog auch historische Ereignisse wie das Basler Konzil oder umfassende gesellschaftliche Umbrüche wie die Reformation und schlägt den Bogen zu aktuellen Fragestellungen im Kontext der Migration. So bespricht beispielsweise der Historiker Franz Egger im Kapitel «Reisen für den Glauben» die Pilgerfahrten von vier Baslern aus der Perspektive der damals standardisierten Darstellung dieser Reisen sowie die dazu notwendigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Voraussetzungen. Der Beitrag der Ausstellungskuratorin Margret Ribbert «Immer unterwegs – Schausteller und Schauspieler» führt vor Augen, dass Mobilität ein existenzieller Bestandteil im Leben von SchaustellerInnen und SchauspielerInnen war. Erzählungen über Guckkasten und Wachs figuren, die Bestandteil ihrer Tätigkeit waren, vermögen auch heute noch die Aufmerksamkeit des Lesers, der Leserin auf sich zu ziehen.

Der Katalog ist ansprechend gestaltet, die ausgewählten Exponate veranschaulichen die Texte treffend. Dank des weitgefassten Fokus der Beiträge bleibt die Darstellung zudem nicht im Mikrokosmos Basel verhaftet, sondern öffnet – ganz dem Thema Migration entsprechend – den Blick darüber hinaus. Der Prämisse – wenn auch ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Vielfältigkeit des Phänomens Migration und seiner Ausprägung über die Jahrhunderte hinweg darzustellen, wird der Katalog gerecht. Er führt sowohl interessierten Laien als auch einem wissenschaftlichen Publikum vor Augen, dass Wanderungsbewegungen eine gesellschaftliche Konstante darstellen und die Rheinstadt und ihre Bevölkerung stets unterschiedlich auf die Zuwanderung reagierten. Es wird deutlich, dass Basel Errungenschaften wie etwa Buchdruck und Seidenbandindustrie sowie den daraus resultierenden finanziellen und kulturellen Reichtum in nicht unwesentlichem Masse zugewanderten Familien zu verdanken hat. Die Bandbreite der Themen – von Sonderexistenzen wie SchauspielerInnen bis zu alltäglicheren Formen wie der Binnenwanderung – macht die Lektüre sehr abwechslungsreich. Dass dabei die einzelnen Themen etwas knapp abgehandelt werden, ist aufgrund des beschränkten Platzes und der Fülle der Themen unvermeidbar. Die Umsetzung einer Geschichtsschreibung über die nationalstaatlichen Grenzen hinweg gelingt durch die Verfolgung der Biographien einzelner Personen, und es wird deutlich, dass Migration ein «Phänomen menschlichen Daseins» war und ist, auch wenn die Herangehensweise mit dem Fokus auf die Frage nach den Motiven und Formen der Wanderung aus soziologischer Perspektive an klassische Theorien der internationalen Migration angelehnt ist und sich selten explizite Ansätze einer Beschreibung über transnationale Räume finden.

Zitierweise Flavia Grossmann: Rezension zu: Historisches Museum Basel (Hg.): In der Fremde – Mobilität und Migration seit der Frühen Neuzeit. Katalog zur Ausstellung vom 23. September 2010 bis 27. März 2011 im Historischen Museum Basel, Barfüsserkirche. Basel, 2010. Zuerst erschienen in Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 62 Nr. 2, 2012, S. 346-347 <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=22009>