infoclio.ch

Neuere Geschichte

W. Schröder: Wilhelm Liebknecht

Haumann, Heiko </>
 
Autor(en):
Titel:Wilhelm Liebknecht. Soldat der Revolution, Parteiführer, Parlamentarier. Ein Fragment
Reihe:Geschichte des Kommunismus und Linkssozialismus 18
Herausgeber:Dressler-Schröder, Renate; Klaus, Kinner
Ort:Berlin
Verlag:Karl Dietz Verlag Berlin
Jahr:
ISBN:978-3-320-02289-1
Umfang/Preis:479 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Heiko Haumann, Departement Geschichte, Universität Basel
E-Mail: </>

Nachdem Wilhelm Liebknecht, 22-jährig, im September 1848 nach dem Scheitern des ersten Anlaufes der badischen Revolution festgenommen worden war, hatte er in mehrfacher Weise Glück. Zunächst entging er knapp der standrechtlichen Erschiessung, dann wurde er im Mai 1849, als sich die politischen Verhältnisse in Baden verändert hatten, vom Vorwurf des Hochverrats freigesprochen. Und schliesslich entflammte die 16-jährige Tochter des Freiburger Gefängniswärters, Ernestine Landolt, für den revolutionären Hitzkopf, der sich offen zum Kommunismus bekannte. Lange konnte Liebknecht allerdings sein politisches und privates Glück nicht geniessen. Er schloss sich erneut den Revolutionären an, traf seine Liebste noch einmal kurz während des Rückzuges in Freiburg, bevor er sich den Weg freikämpfen musste, um in die Schweiz zu emigrieren. Dort war er 1847/48 schon einmal tätig gewesen: als Lehrer an der Musterschule von Karl Fröbel in Zürich. Ebenso war er Mitglied des Arbeitervereins «Eintracht» geworden. An eine Fortsetzung dieser Aktivitäten konnte er jetzt nicht denken. Hingegen stürzte sich Liebknecht, der sich in Genf niedergelassen hatte, auf die Aufgabe, die deutschen demokratischen und die Arbeitervereine zu reorganisieren. Dabei übernahm er das Präsidium des Demokratischen Vereins. Im Februar 1850 wurde er jedoch in Murten verhaftet und – wie viele andere deutsche Flüchtlinge – auf Druck der preussischen Regierung ausgewiesen. Er ging nach London und suchte dort, nachdem er in der Schweiz schon Friedrich Engels (1820–1895) kennengelernt hatte, Karl Marx (1818–1883) auf. Mit diesem verband ihn eine lebenslange Freundschaft, die trotzmanch harter Auseinandersetzungen und Gegensätze hielt.

Als eine gesicherte Existenz in Aussicht stand, konnte Liebknecht 1854 Ernestine Landolt nach London holen und heiraten. Aus der erhofften Stelle wurde freilich nichts, und das Ehepaar musste lange im Elend leben. Das änderte sich auch nicht grundlegend, als es 1862 nach Deutschland zurückkehren durfte. Ernestine Liebknecht brach 1865 unter den Belastungen ihres Lebens zusammen, zwei Jahre später erlag sie in Leipzig der Tuberkulose. Wilhelm Liebknecht schwor Rache und schrieb: «Hätte sie ihr Leben nicht an das meine gekettet, sie würde noch leben. Freilich, sie liebte mich.» Ein Jahr später heiratete er Nathalie Reh (1835–1909), auch um den inzwischen geborenen Kindern wieder eine Familie zu geben.

Diese Ehe litt immer wieder darunter, dass Wilhelm Liebknecht mit Leidenschaft und Energie seiner «Rache» nachging. Er wollte dazu beitragen, die herrschenden Verhältnisse umzustürzen und in Deutschland, ja in der ganzen Welt eine wahrhaft menschliche Gesellschaft entstehen zu lassen. Nach einem Zwischenspiel in Ferdinand Lassalles (1825–1864) Allgemeinem Deutschen Arbeiterverein gründete er zusammen mit August Bebel (1840–1913), den er von der Marxschen Richtung überzeugt hatte, 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die spätere SPD. 1870/71 verurteilten beide als Reichstagsabgeordnete den Deutsch-Französischen Krieg und die Annexion Elsass-Lothringens durch das Deutsche Reich. Eine zweijährige Festungshaft wegen Hochverrats war die Folge. Aus politischen Gründen kam Liebknecht noch mehrmals in Haft. Dennoch wirkte er unermüdlich für die Ziele der Sozialdemokratie sowie der Ersten und Zweiten Internationale. Er konnte erleben, wie die SPD trotz des Bismarckschen «Sozialistengesetzes» zwischen 1878 und 1890 bei den Wahlen immer stärker wurde. Selbst in den USA, die er 1886 besuchte, fanden seine Ansichten erheblichen Anklang. Obwohl es immer wieder Kritik an einzelnen Massnahmen, Äusserungen und Verhaltensweisen gab, blieb Liebknecht neben Bebel bis an sein Lebensende 1900 der unbestrittene Führer der SPD.

Wolfgang Schröder (1935–2010) hat als anerkannter Historiker zunächst in der DDR und nach der «Wende» auch in der BRD wichtige Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung und des Parlamentarismus vorgelegt. Nachdem er bereits ein Buch über Ernestine Liebknecht (1897, 2. Aufl. 1989) und einen Aufsatz über Nathalie Liebknecht (1990) veröffentlicht hatte, sollte sein Buch über Wilhelm Liebknecht sein Hauptwerk werden. Leider hat er es vor seinem Tod nicht mehr vollenden können. Seine Frau Renate Dreßler-Schröder und Klaus Kinner haben die vorliegende Publikation aus den fertig gestellten Texten, Entwürfen und früher herausgegebenen Aufsätzen zusammengestellt. Obwohl die Darstellung ihren fragmentarischen Charakter nicht verleugnen kann, ist die Veröffentlichung unbedingt zu begrüssen. Schröder hat in einem bisher nicht bekannten Ausmass Quellen ausgewertet und in der Verbindung von privatem und öffentlich-politischem Leben ein vielschichtiges Bild Liebknechts gezeichnet. Er tritt als fürsorgliche, integre, solidarisch handelnde Persönlichkeit ebenso in Erscheinung wie als aufbrausender Heisssporn, als manchmal voreilig zu Kompromissen neigender Politiker, als mitreissender Redner und Journalist oder als begabter Organisator. Differenziert werden seine nicht immer konfliktfreien Beziehungen zu anderen führenden Mitgliedern der Arbeiterbewegung – nicht zuletzt zu Engels, aber auch zu Marx, Karl Kautsky (1854–1938) oder Johann Most (1846–1906) – geschildert. Viele neue Einzelheiten aus der Geschichte der deutschen und internationalen Arbeiterbewegung kommen ans Licht. Für die weitere Forschung ist dieses Buch unverzichtbar.

Zitierweise Heiko Haumann: Rezension zu: Wolfgang Schröder, Wilhelm Liebknecht. Soldat der Revolution, Parteiführer, Parlamentarier. Ein Fragment, hrsg. von Renate Dreßler-Schröder und Klaus Kinner, Berlin: Karl Dietz Verlag, 2013. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte Vol. 64 Nr. 3, 2014, S. 528-529. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=24406>