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Europäische Geschichte

R. Dauser: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer

François , de Capitani <->
 
Autor(en):
Titel:Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts
Reihe:Colloquia Augustana, Bd. 24
Herausgeber:Danuser, Regina; Hächler, Stefan; Kempe, Michael; Mauelshagen, Franz; Stuber, Martin
Ort:Berlin
Verlag:Akademie Verlag
Jahr:
ISBN:978-3-05-004144-5
Bemerkungen:Redaktion von Elisabeth Böswald-Rid, Tobias Brenner und Stefan Paulus
Umfang/Preis:427 S.

Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
de Capitani François
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Das Buch stellt sich die ambitiöse Aufgabe, mit dem heute inflationär gebrauchten Konzept des «Netzwerkes» eine neue Perspektive auf die botanische Korrespondenz des 18. Jahrhunderts zu eröffnen. Um es vorwegzunehmen: Das Unternehmen ist ausserordentlich gut gelungen. Das liegt vor allem daran, dass der Begriff des Netzwerkes sorgfältig hinterfragt wurde und die Stärken und die Schwächen des Konzepts offengelegt wurden. Berner und Augsburger Forschungsprojekte, bei denen es sich nicht primär um Botanik geht, standen der Untersuchung Pate. In Augsburg wurden die frühneuzeitlichen Eliten der Reichsstadt unter der Perspektive ihrer Verflechtungen untersucht, in Bern sind die Projekte um die Korrespondenz Albrecht von Hallers und um die Oekonomische Gesellschaft mit Netzwerkfragen konfrontiert. Dieser reiche Erfahrungshorizont hat wesentlich zum Gelingen beigetragen.

Zwei einleitende Texte (Hans Bots und Emma C. Spary) beschreiben den Forschungsstand der beiden grossen und für das 18. Jahrhundert zentralen Komplexe «Korrespondenz » und «Botanik». Die Zusammenführung der beiden historischen Fragestellungen ergibt sich aus der Bedeutung, welche die Korrespondenz zwischen Gelehrten, aber auch zwischen Gelehrten und Liebhabern für die Entstehung der modernen Botanik im 18. Jahrhundert innehatte: Nur der Austausch von Pflanzen – getrocknet, als Samen oder Setzlingen – erlaubte einerseits das Erstellen verbindlicher Pflanzeninventare, andererseits auch die Kultivierung von Pflanzen aus anderen geografischen Räumen.

Der erste Teil des Buches «Gelehrtenrepublik und Botanik im 18. Jahrhundert» ist dem wissenschaftsgeschichtlichen Kontext gewidmet. Die Autorinnen und Autoren stellen die Korrespondenz in den grösseren Rahmen der botanischen Forschung; hierzu gehören die mannigfaltigen Beziehungen zwischen Korrespondenz, botanischen Gärten, Gelehrten und Liebhabern. Deutlich wird, dass Korrespondenznetze komplexe Strukturen darstellen. Beteiligt sind Gelehrte von Gleich zu Gleich, Lehrer und Schüler, Profis und Amateure, Freunde und Rivalen. Netzwerke verändern sich über die Jahre, ihre Pole können sich verschieben; die sorgfältige und kluge Analyse dieser Rahmenbedingungen erlaubt es, nicht in die Falle der «Netzeuphorie» zu tappen.

Der zweite Teil ist Fallstudien gewidmet, von denen zwei bernische Themen betreffen. Stefan Hächler stellt exemplarisch die Schwierigkeiten und Möglichkeiten der Beschaffung von Pflanzenmaterial für Albrecht von Haller vor, die nur durch die intensive Pflege des Korrespondenznetzes möglich war. Martin Stuber behandelt den Austausch von Kulturpflanzen im Netz der Oekonomischen Gesellschaft. In kleinem Rahmen konnte die Oekonomische Gesellschaft jene Aufgaben wahrnehmen, die sonst staatlich finanzierten fürstlichen Akademien übertragen waren.

Der dritte Teil weitet den Blick auf grundsätzliche Fragen des Modells «Netzwerk», vertieft die im ersten Teil angesprochenen Aspekte und fokussiert auf die Augsburger Forschungen zur frühneuzeitlichen Elite. Wolfgang E. J. Weber stellt den Begriff des Netzwerkes in den historiographischen Zusammenhang und legt seine Verwendung in verschiedenen historischen Sparten offen. Dabei werden auch die Grenzen des Netzwerkkonzeptes deutlich. An Beispielen des 17. und 18. Jahrhunderts zeigt Michael Kempe die Fallstricke, das was zwischen die Maschen des Netzes fällt. Wer ist ausgeschlossen? Worüber wird nicht geschrieben? Der vermeintlich sachliche Briefwechsel kann durchaus mit emotionsgeladenen Intrigen verbunden sein und schliesslich setzen Postsystem und Zensur dem freien Austausch Grenzen. Mark Häberlein und Regina Dauser stellen Teilergebnisse der Augsburger Eliteforschung vor. Geschäftskontakte, Verwandtschaftsbeziehungen, Heiratskreise ergeben ein differenziertes Bild der Abhängigkeiten im Kampf um Macht und Ansehen.

Der letzte Beitrag (Martin Stuber, Stefan Hächler, Lothar Krempel, Marion Maria Ruisinger) eröffnet eine weitere Dimension der Netzwerkforschung. Mathematische Modelle zur Visualisierung grosser Datenmengen, wie sie in der soziologischen Forschung entwickelt werden, wurden auf botanische Netzwerke des 18. Jahrhunderts angewendet. Als Grundlage dienten die gut erforschten Briefwechsel von sechs Botanikern: Joseph Banks, Albrecht von Haller, Lorenz Heisters, Carl von Linné, Jean-Jacques Rousseau, Johann Jakob Trew sowie der Korrespondenzbestand der Berner Oekonomischen Gesellschaft. Das Resultat ist erstaunlich; es entsteht das Bild des Firmaments der botanischen Wissenschaft im 18. Jahrhundert. Nuanciert wird das Bild durch den Einbezug der Mitgliedschaften in gelehrten Gesellschaften, wichtigen Orten der Wissensvermittlung. Das Ganze ist mehr als ein Spiel mit den Möglichkeiten der heutigen Informatik. Die Darstellungen geben die Möglichkeit einer differenzierten Analyse der Verflechtungen. Knotenpunkte, die sonst unbeachtet geblieben wären, werden sichtbar, vermeidliche Randfiguren werden in ihrer Funktion als wichtige Vermittler wahrgenommen. Kommen weitere Korrespondenzen hinzu, entsteht hier mit der Zeit das Bild des «Netzes der Netze». Damit öffnet sich ein Weg, neue und unerwartete Aspekte des Funktionierens der Gelehrtenrepublik zu ergründen.

Zitierweise François de Capitani : Rezension zu: Dauser, Regina; Hächler, Stefan; Kempe, Michael; Mauelshagen, Franz; Stuber, Martin (Hrsg.); Redaktion von Elisabeth Böswald-Rid, Tobias Brenner und Stefan Paulus: Wissen im Netz. Botanik und Pflanzentransfer in europäischen Korrespondenznetzen des 18. Jahrhunderts. Berlin: Akademie Verlag 2008 (Colloquia Augustana, Bd. 24). Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 72, Nr. 3, Bern 2010, S. 79-81. <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/infoclio/id=16567>